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Abschied von der restriktiven Rüstungsexportpolitik? Der Koalitionsvertrag und seine Folgen

Von Otfried Nassauer. Beitrag aus der NDR-Sendung "Streitkräfte und Strategien" *

Andreas Flocken (Moderator):

Die Ausfuhr von Kriegswaffen und anderen Rüstungsgütern soll restriktiv gehandhabt werden. Dieses Bekenntnis wird regelmäßig von der Bundesregierung abgegeben. Hierfür wurden schon vor einigen Jahren entsprechende Richtlinien erlassen. Doch wie sieht die Realität aus? Otfried Nassauer ist dieser Frage nachgegangen:

Manuskript: Otfried Nassauer

Jahr für Jahr das gleiche Bild. Die Bundesregierung ist zwar verpflichtet, zeitnah und transparent über ihre Rüstungsexportpolitik des Vorjahres zu berichten. Aber sie lässt sich Zeit. Die Regierung lässt den Bundestag und die Öffentlichkeit warten. Wurden die Rüstungsexportberichte in den vergangenen Jahren noch rasch unter den Weihnachtsbaum gelegt, so wird es in diesem Jahr wohl noch später oder gar nichts mehr. Deutlicher kann eine Regierung ihre Missachtung des Transparenzgebotes, des Parlamentes und des Souveräns kaum zum Ausdruck bringen.

Dass es auch anders gehen könnte, beweist die Bundesregierung im Umgang mit anderen Regierungen: Termingerecht liefert sie ihre Daten an die Vereinten Nationen, die OSZE und an die Europäische Union. Die EU stellt immer im Herbst aus den Informationen ihrer Mitgliedstaaten einen europäischen Rüstungsexportbericht zusammen.

Der Eindruck der Missachtung des Transparenzgebotes drängt sich auch auf, wenn man einmal näher die Art und Weise betrachtet, wie die Bundesregierung über ihre Rüstungsexportpolitik berichtet: Möglichst nichtssagend und möglichst wenig aussagekräftig. Informiert wird über erteilte Exportgenehmigungen, teils im Detail, teils summarisch. Nicht berichtet wird dagegen über die tatsächlichen Ausfuhren deutscher Rüstungsgüter. Hier beschränkt sich die Bundesregierung auf Angaben über Kriegswaffenexporte - also den deutlich kleineren Teil der deutschen Rüstungsexporte. Kriegswaffen sind beispielweise U-Boote und Panzer. Die meisten Komponenten, Zulieferungen und technischen Unterlagen dagegen werden als Rüstungsgüter bezeichnet. Auf Kriegswaffen finden das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Außenwirtschaftsgesetz Anwendung, auf Rüstungsgüter nur das Außenwirtschaftsgesetz.

Leben muss mit dieser mangelnden Transparenz die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung -- GKKE. Sie begleitet seit vielen Jahren die deutsche Rüstungsexportpolitik kritisch und konstruktiv. Sie erarbeitet einen eigenen Rüstungsexportbericht. Jedes Jahr pünktlich im Dezember wird er vorgelegt. Doch Jahr für Jahr fehlt den Experten das wichtigste Dokument, mit dem sie sich kritisch auseinandersetzen sollen: Der aktuelle Rüstungsexportbericht der Bundesregierung. Das ist unbefriedigend. Und es wirft die Frage auf, ob die Bundesregierung möglicherweise absichtlich so spät berichtet, um zu demonstrieren, dass sie gar kein Interesse daran hat, dass die deutsche Rüstungsexportpolitik kritisch hinterfragt wird.

Der Rüstungsexportbericht der GKKE fußt auch in diesem Jahr auf den Zahlen, die die Bundesregierung der EU und den Vereinten Nationen übermittelt hat. Der Report zeigt auf, dass die Bundesregierung 2008 Einzelgenehmigungen für Rüstungsexporte im Wert von fast 5,8 Milliarden Euro erteilt hat - ein Plus von 36,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und ein historischer Rekordwert. Nur weil es zugleich ein Minus von 50 Prozent bei den sogenannten Sammelausfuhrgenehmigungen gegeben hat, ist der Gesamtwert der genehmigten Exporte im Vergleich zum Vorjahr nicht gestiegen. Zu den Sammelausfuhrgenehmigungen kommt es meist dann, wenn Rüstungsgüter gemeinsam von mehreren Ländern produziert werden. Mit über acht Milliarden Euro gehört die Bundesrepublik weiter zu den größten Rüstungsexportnationen der Welt.

Kritisch heben die Kirchen in ihrem Bericht hervor, dass erneut Genehmigungen für das Bürgerkriegsland Pakistan erteilt wurden, dass Tausende Handfeuerwaffen in das instabile Mexiko geliefert wurden und dass die Genehmigungswerte für Kleinwaffen, Munition und deren Herstellungsanlagen insgesamt weiter gestiegen sind.

Mehr als 2.500 Exportlizenzen im Wert von mehr als einer Milliarde Euro seien für Länder erteilt worden, die nach den Kriterien der EU als problematisch einzustufen sind. Darunter sind 41 Staaten, deren Menschrechtssituation prekär ist und 24 Länder, in denen es schwere gewaltsame Konflikte gibt. Bei der Vorstellung des Rüstungsberichts der Kirchen in der vergangenen Woche zeigte sich Prälat Jüsten besorgt:

O-Ton Prälat Jüsten
"Wer regionalen Rüstungsspiralen im Nahen und Mittleren Osten, in Süd- und Südostasien und im südlichen Amerika entgegentreten will, sollte mit Rüstungsgeschäften nicht noch deren Dynamik antreiben."

Die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung hat deshalb die Bundesregierung aufgefordert, die Exportkontrolle zu stärken und die Mitwirkungsrechte des Bundestages bei Rüstungsexportentscheidungen zu verbessern.

Das genehmigte Exportvolumen ist in den Jahren der Großen Koalition deutlich angewachsen. Die wehrtechnische Industrie kann sich über die Genehmigungspraxis der Bundesregierung und über deren Unterstützung für deutsche Exportvorhaben nicht beschweren. Und doch hat sich die neue Bundesregierung auf diesem Politikfeld viel vorgenommen. Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP will zwar weiter an den unter Rot-Grün 2001 vereinbarten restriktiven politischen Richtlinien für den Rüstungsexport festhalten. Diese lassen jedoch genug Spielraum für exportfördernde Interpretationen. An anderer Stelle will die neue Bundesregierung deutliche Akzente setzen. In ihrem Koalitionsvertrag halten CDU/CSU und FDP fest:

Zitat
"Das Außenwirtschaftsrecht und [die] Außenwirtschaftsverordnung werden entschlackt und übersichtlicher ausgestaltet. Es werden Vorschriften gestrichen, die deutsche Exporteure gegenüber ihren europäischen Konkurrenten benachteiligen. Bei der Anwendung des Außenwirtschaftsrechts muss der internationalen Wettbewerbssituation der deutschen Wirtschaft mehr als bisher Rechnung getragen werden. (....) Es bleibt bei der verantwortungsvollen Genehmigungspolitik für die Ausfuhr von Rüstungsgütern. Um faire Wettbewerbsbedingungen für die deutsche Wirt-schaft zu gewährleisten, wird eine Harmonisierung mit der Genehmigungspolitik der anderen EU-Staaten auf hohem Niveau angestrebt. Auch beim Export von Dual-Use-Gütern [- also Gütern, die zivil und militärisch genutzt werden können -] wird die deutsche Genehmigungspraxis in diesem Sinne angeglichen."

Die Akzente, die die neue Bundesregierung setzen will, sind deutlich erkenn-bar: Die Wettbewerbsnachteile der deutschen Industrie gegenüber europäi-schen Konkurrenten sollen abgebaut werden. Der im vergangenen Jahr rechtlich verbindlich gewordene europäische Verhaltenskodex für Rüstungsausfuhren soll zum Anlass genommen werden, die bislang in Teilen restriktivere deutsche Rüstungsexportpolitik an das weniger zurückhaltende Niveau anderer europäischer Staaten anzugleichen. Das Ziel, mit dem EU-Kodex europaweit zu einer restriktiven Rüstungsexportpolitik zu kommen, soll in Deutschland das Gegenteil bewirken: Geringere Beschränkungen für Rüstungsexporte. Der Außenwirtschaftsförderung wird künftig wieder Vorrang vor der Exportkontrolle eingeräumt. Gelten soll dieser Ansatz für die beiden umsatzstärksten Bereiche des deutschen Rüstungsexports: Für reine Rüstungsgüter und sogenannte Dual-Use-Waren.

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass im Koalitionsvertrag von einer "verantwortungsvollen Genehmigungspolitik" gesprochen wird, und nicht mehr von einer "restriktiven" Genehmigungspraxis. Inhaltliche und politische Kriterien als Voraussetzung für Exportgenehmigungen wie die Menschenrechts- oder Konfliktlage im Empfängerland finden keine Erwähnung. Als Ziel wird allein der freie Markt mit gleichen Wettbewerbsbedingungen genannt, also das freie Spiel der Kräfte.

Setzt die neue Bundesregierung um, was sie in ihrem Koalitionsvertrag formuliert hat, so wird der Rüstungsexport aus Deutschland deutlich liberalisiert. Lässt die Finanzlage der potenziellen Empfängerländer es zu, so wird die Ausfuhr deutlich wachsen. Ob sich dieser Anstieg allerdings auch in den Statistiken über den deutschen Rüstungsexport niederschlagen wird, ist ungewiss. Denn 2008 hat die Europäische Union auch eine sogenannte Verbringungsrichtlinie für militärische Güter in Kraft gesetzt, mit der der Rüstungshandel innerhalb der Gemeinschaft deutlich vereinfacht und erleichtert werden soll.

Ein Weg, um dieses Ziel zu erreichen, sind sogenannte Allgemeingenehmigungen. Die EU-Staaten können den Export von Rüstungsgütern in andere EU-Länder unabhängig vom Einzelfall und im Voraus genehmigen. Ein Antrag der Industrie ist dann nicht mehr nötig. Die Rüstungsunternehmen müssen nur noch im Nachhinein für die Außenhandelsstatistik mitteilen, in welchem Umfang sie Güter wirklich exportiert haben. Die deutsche Rüstungsexportstatistik kann auf diesem Weg geschönt werden. Je mehr Allgemeingenehmigungen erteilt werden, desto weniger einzelne Rüstungsexportanträge müssen genehmigt werden. Die Folge: Der Anteil der deutschen Rüstungsexporte, über den die Bundesregierung das Parlament und die Öffentlichkeit in ihrem Jahresbericht informiert wird auf diese Weise geringer. Damit aber bleibt die notwendige Transparenz bei der Ausfuhr von Waffen auf der Strecke.

* Aus: NDR Forum "Streitkräfte und Strategien"; Sendetermin 27. Dezember 2009


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