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Wettrüsten am Golf

Bundesregierung ignoriert Zusammenhang zwischen Rüstungsexporten nach Saudi-Arabien und künftigen Kriegen

Von Mohssen Massarrat *

Angela Merkel und Thomas de Maizière werden nicht müde, die umfangreichen Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien und in andere Golfstaaten mit dem Argument zu rechtfertigen, Deutschland wolle einen Beitrag zur Stabilität im Mittleren Osten leisten, denn das Land sei schließlich ein Stabilitätsfaktor. Das Argument kommt gut an, die Öffentlichkeit im Westen glaubt ohnehin längst, daß der Iran nicht nur Israel, sondern auch seine Nachbarn bedrohe. Ein militärisches Gegengewicht mit deutschen Leopard-2-Panzern und Marinefregatten sowie US-amerikanischen F-15-Jets gegen Irans Militärmacht sorge, so das Argument, für regionale Stabilität. Diese scheinbar logische Sicht hat leider einen Schönheitsfehler, der geflissentlich ausgeblendet wird. Denn hinter einem solchen militärischen Gleichgewicht verbirgt sich ein Wettrüsten, das statt Stabilität zu bringen einen Krieg erzeugen kann. Dem acht Jahre andauernden irakisch-iranischen Krieg in den 1980er Jahren mit einer Million Opfern, darunter dreihunderttausend Toten und mehreren hundert Milliarden Dollar Kriegsschäden auf beiden Seiten, war in den 1970er Jahren ein gigantisches Wettrüsten vorausgegangen. Der Bundeskanzlerin und dem Verteidigungsminister sei dieser Zusammenhang in Erinnerung gerufen.

Damals rüsteten die USA Irans Schahregime mit den modernsten Waffen aus, während die Sowjetunion Iraks Saddam Hussein ein umfangreiches Waffenarsenal lieferte, um der Vormachtstellung des US-Vasallen im Mittleren Osten ein militärisches Gegengewicht entgegenzusetzen. Der kalte Krieg ist zwar vorbei, die Geschichte scheint sich aber zu wiederholen – wenn auch mit umgekehrten Rollen. Rußland versorgt den Iran mit Waffen, die dieser selbst nicht herstellen kann, während der Westen Saudi-Arabien und die übrigen Golfstaaten massiv aufrüstet, um durch ein militärisches Gegengewicht zu Irans regionaler Vormachtstellung die vermeintliche Stabilität herzustellen. Unsere Politikerinnen und Politiker sind offensichtlich geschichtsblind und ignorieren die verheerenden Folgen der nicht einmal vier Dekaden zurückliegenden Waffenexporte in den Mittleren Osten. Außer den menschlichen Opfern und der Zerstörung der Natur hat der irakisch-iranische Krieg die Weichen für eine ganze Epoche von neuen Kriegen, Aufrüstung und Konflikten gestellt, die bis heute andauert. Der schleichende Vormarsch der Revolutionsgarden in die Wirtschaft und Politik der Islamischen Republik und der gegenwärtige Konflikt um Irans Atomprogramm ist zweifelsohne ein direktes Resultat jenes Krieges, für den sämtliche Waffenlieferanten, einschließlich Deutschland, mitverantwortlich sind. Nicht zuletzt hat das Trauma von Zehntausenden Opfern deutscher Chemiewaffen, die Saddam Hussein im irakisch-iranischen Krieg einsetzte, für die Entscheidung Teherans zum Ausbau eines eigenen Atomprogramms den Ausschlag gegeben. Haben Deutschlands Politikerinnen und Politiker diesen Krieg schon vergessen und merken sie nicht, daß sie mit weiteren Waffenexporten in den Mittleren Osten gerade im Begriffe sind, Öl in das Feuer eines möglichen neuen Krieges zu gießen?

Tatsächlich findet vor unsern Augen erneut ein Wettrüsten in der Region statt. Die Kriegsoption gegen Irans Nuklearanlagen veranlaßte die Islamische Republik zu massiver Aufrüstung zu Land, zu Wasser und zur Luft, die wiederum von den Golfstaaten als Bedrohung wahrgenommen wird, ganz zur Freude des militärisch-industriellen Komplexes in USA und EU. So schlossen die USA mit Saudi-Arabien 2012 einen Waffendeal im Umfang von 60 Milliarden US-Dollar. Dazu gehören 84 F-15-Kampfflugzeuge, die Modernisierung von 70 Fluggeräten derselben Gattung und 70 Apache–Kampfhubschrauber. Saudi-Arabien plant, bis 2020 mit 400 Kampfjets und 18000 Luftwaffensoldaten zur stärksten Luftwaffenmacht am Persischen Golf zu werden. Die übrigen Golfscheichtümer, vor allem die arabischen Emirate, Katar, Kuwait und Oman, beteiligen sich mit den umfangreichsten Waffenimporten in ihrer Geschichte eifrig an diesem Wettrüsten. Die vor kurzem in Abu Dhabi veranstaltete Waffenmesse gehörte zu den größten der Welt.

Müßte die Tatsache, daß diese Aufrüstung der sunnitisch-arabischen Golfstaaten mit der Forderung der Neokonservativen in den USA nach einem Militärschlag gegen den schiitischen Iran einhergeht, von der deutschen Bundesregierung nicht als ein deutliches Alarmsignal wahrgenommen werden? Immerhin ist es unübersehbar, daß Al-Qaida mit ihren fast wöchentlichen Terroranschlägen gegen die Schiiten im Irak und in Pakistan dabei ist, Haß zwischen Sunniten und Schiiten zu schüren. Ist es denn für die Bundesregierung irrelevant, daß Saudi-Arabien und die übrigen arabischen Emirate am Persischen Golf – allesamt diktatorische Staaten – mit der Ölindustrie, dem militärisch-industriellen Komplex und den Neokonservativen der USA an einem Strang ziehen und seit längerem eine wirkungsmächtige Achse für das Recyceln von Petrodollars gegen Waffen bilden? Immerhin könnte diese unsichtbare Allianz in der Lage sein, Obamas moderatere Iran-Politik zu Fall zu bringen und die USA in einen weiteren Krieg hineinzuziehen. Und hat die deutsche Bundesregierung überprüft, weshalb die Ölprinzen eigentlich den Besitz deutscher Leopard-2-Panzer und Kriegsschiffe anstreben? Es wäre jedenfalls naiv zu glauben, daß ihre Zuneigung zu deutscher Wertarbeit der einzige Grund für den Waffendeal mit Deutschland ist. Könnte es sein, daß die zahlreichen deutschen Waffen dazu dienen, die BRD in einen künftigen Krieg gegen den Iran einzubinden? Schon jetzt sind beide Seiten im Syrien-Konflikt zumindest indirekt Kriegsparteien

* Mohssen Massarrat ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft der Universität Osnabrück.

Aus: junge Welt, Dienstag, 2. April 2013



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