"Waffen unter Kontrolle!" – Für ein verbindliches internationales Waffenkontrollabkommen!
Weltweite Kampagne von amnesty international, Oxfam und IANSA - Informationen und Hintergründe
Im Folgenden dokumentieren wir eine Presseerklärung zum Start einer weltweiten Kampagne gegen die unkontrollierte Verbreitung und den Missbrauch von Waffen, die von den Initiatoren am 9. Oktober 2003 veröffentlicht wurde.
Daran schließt sich ein Argumentationspapier an, in dem die wichtigsten Fakten und Hintergründe der Kampagne vorgestellt werden.
Pressemitteilung
Berlin, 9. Oktober 2003 – Die unkontrollierte Verbreitung und der Missbrauch von
Waffen sind Ursachen vieler Menschenrechtsverletzungen. Trotzdem wird der
internationale Waffenhandel kaum kontrolliert. Diesen Missstand will die weltweite
Kampagne „Waffen unter Kontrolle!“ beenden, die amnesty international, Oxfam und
das Internationale Aktionsnetzwerk zu Kleinwaffen (IANSA) heute mit Aktionen in über
60 Ländern starten. Ziel ist ein rechtlich verbindliches internationales Abkommen, das
alle Rüstungstransfers strikt kontrolliert sowie völker- und menschenrechtsverletzende
Waffengeschäfte verbietet.
Zum Start der Kampagne erscheint ein ausführlicher Bericht. Er belegt: Gräueltaten,
Konfliktverschärfung, Menschenrechtsverletzungen, Unterentwicklung, Armut, Gewalt,
ständige Angst und Unsicherheit – dies alles sind die Folgen der Ausbreitung und des
Missbrauchs von Rüstungsgütern.
“Vor allem so genannte Klein- und Leichtwaffen töten jährlich 500.000 Menschen auf der
Welt, darunter immer mehr Zivilisten“, sagte Barbara Lochbihler, Generalsekretärin der
deutschen ai-Sektion. "Die Staatengemeinschaft ist in der Pflicht, endlich den Teufelskreis
von Waffenhandel, Menschenrechtsverletzungen und Unterentwicklung zu durchbrechen. Es
ist höchste Zeit für einen internationalen Pakt zur Rüstungsexportkontrolle."
"Unkontrollierte Rüstungstransfers haben weltweit katastrophale Konsequenzen – vor allem
für die Ärmsten", sagte Paul Bendix, Geschäftsführer von Oxfam Deutschland, "Die
Bemühungen um eine nachhaltige Entwicklung werden durch Rüstungsausgaben und
Waffenmissbrauch zunichte gemacht. Es ist Aufgabe der Politik in allen Ländern, den
Menschen Sicherheit und Schutz vor Übergriffen zu gewährleisten.“
Obwohl die Bundesregierung nach eigenen Angaben eine restriktive Rüstungsexportpolitik
verfolgt, ist Deutschland einer der weltweit größten Rüstungsexporteure. Dabei genehmigt
die Bundesregierung immer wieder auch Exporte an Staaten mit gravierenden
Menschenrechtsverletzungen – so Munitionsfabriken für die Türkei und Nepal. "Deutschland
sollte mit gutem Beispiel vorangehen und der Rhetorik Taten folgen lassen. Bei
Exportentscheidungen müssen die Menschenrechte endlich konsequent berücksichtigt
werden. Genehmigte Rüstungslieferungen müssen umfassend offengelegt werden", forderte
Dr. Mathias John, Rüstungsexperte der deutschen ai-Sektion.
Den Bericht "Shattered Lives: The Case for tough international arms controls" erhalten Sie
als Download über die Homepage der Kampagne www.controlarms.org.
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„Zerstörte Leben“
Die Notwendigkeit starker internationaler Waffenkontrollen
(Zusammenfassung des Berichts zur Kampagne)
„Es ist, als ob wir den Boden aufwischen, während der Wasserhahn läuft. Ein
Kugelhagel dauert nur fünf Minuten, aber es kostet drei Stunden Zeit und enorme
Ressourcen, um einen Menschen wieder herzustellen.“ (Dr. Olive Kobusingye,
Unfallchirurg in Uganda)
Waffen fördern Armut und Leid
Jeden Tag leben Millionen Männer, Frauen und Kinder in Angst vor bewaffneter
Gewalt. Jede Minute wird ein Mensch getötet. Von den Gangs in Rio de Janeiro und
Los Angeles bis zu den Bürgerkriegen in Liberia und Indonesien: Die Waffen sind
außer Kontrolle.
Die unkontrollierte Verbreitung von Waffen und ihr Missbrauch durch staatliche
Sicherheitskräfte und bewaffnete Gruppen vernichtet Menschenleben, Existenzen
und Chancen, der Armut zu entkommen. Die Länder in Afrika und Asien, im Mittleren
Osten und Lateinamerika geben pro Jahr durchschnittlich 22 Mrd. US-Dollar für
Waffen aus – ein Betrag, mit dem sie in der Lage wären, zwei der Millennium-
Entwicklungsziele zu erreichen: Grundbildung für alle (geschätzt jährlich 10 Mrd. USDollar)
und drastische Reduzierung der Kinder- und Müttersterblichkeit (geschätzt
jährlich 12 Mrd. US-Dollar).
Oxfam und Amnesty International erleben weltweit in ihrer täglichen Arbeit den
Missbrauch von Waffen, der kriegerische Konflikte anheizt, Armut fördert und zu
Verletzungen der Menschenrechte führt.
Die Waffen sind außer Kontrolle
Die Auswirkungen der massenhaften Verbreitung und des Missbrauchs von Waffen
haben einen kritischen Punkt erreicht. Der „Krieg gegen den Terror“ hätte die
Aufmerksamkeit der Politik darauf lenken müssen, Waffen nicht in die falschen
Hände geraten zu lassen. Doch das Gegenteil geschah: Seit den Anschlägen auf
das World Trade Center und auf das Pentagon vom 11. September 2001 haben
einige Exportstaaten ihre Kontrollen gelockert, um ihre neuen Verbündeten gegen
den „Terrorismus“ aufzurüsten – ungeachtet deren Missachtung internationaler
Menschenrechte. Trotz des Schadens, den diese Waffen anrichten, gibt es noch
immer kein bindendes, umfassendes internationales Recht, das die Ausfuhr von
konventionellen Waffen kontrolliert.
Gleichzeitig beobachten wir weltweit einen langfristig Wandel, indem Waffen mehr
und mehr zum Alltag vieler Gemeinden und Städte gehören – und somit immer
häufiger als Todesursache auftreten. Von den Hirtennomaden im nördlichen Uganda
bis zu den Gangs in Rio de Janeiro: Das Tragen von immer gefährlicheren Waffen
und ihr Gebrauch werden zur Norm.
Jetzt handeln
Jede Regierung hat die Pflicht, Waffen zu kontrollieren: sowohl die Verbreitung im
eigenen Land, um ihre eigenen Bürger zu schützen, als auch den Export in andere
Länder, um die weltweite Achtung der internationalen Menschenrechte zu
gewährleisten. Die mächtigsten Regierungen der Welt - gleichzeitig die größten
Waffenlieferanten - tragen die größte Verantwortung, den weltweiten Handel zu
kontrollieren. Die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates – USA,
Frankreich, Großbritannien, Russland und China – sind zusammen für über 88
Prozent aller konventionellen Waffenexporte verantwortlich; und diese Waffen tragen
regelmäßig zu schweren Menschenrechtsverletzungen bei.
Alle Regierungen stehen vor einer entscheidenden Herausforderung: Sie müssen
zusammenarbeiten, um die Ausbreitung von Waffen und ihrer Produktion zu
kontrollieren und einzudämmen. Zumindest dürfen die exportierenden Staaten in
keinem Fall Waffen dorthin liefern, wo klare Indizien dafür sprechen, dass sie zur
Verletzung der internationalen Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts
eingesetzt werden. Jedoch, um nochmals mit dem ugandischen Chirurgen zu
sprechen: Es reicht nicht, entweder den Fußboden zu aufzuwischen oder den
Wasserhahn zuzudrehen – es geht darum, sich sowohl um den Waffenhandel als
auch um die Sicherheit auf lokaler Ebene zu kümmern. Für Gemeinwesen, die von
derartiger Gewalt direkt betroffen sind, ist es daher lebenswichtig, bei der
Beseitigung der tödlichen Waffen zu kooperieren. Dabei müssen Frauen, Männer
und Kinder von rechtmäßigen Sicherheitskräften, die die Menschenrechte
respektieren, ausreichend geschützt werden.
Oxfam und Amnesty International sind überzeugt, dass es möglich ist, die
Ausbreitung der Waffen zu kontrollieren. Die Konvention über das Verbot von
Antipersonenminen aus dem Jahr 1997 resultierte aus dem Zusammenspiel von
engagierten Regierungen und weltweiter öffentlicher Unterstützung durch die
Zivilgesellschaft. Obwohl die Geißel Landminen noch nicht vollständig beseitigt ist,
handelt seit 1997 kein Land mehr offen mit Antipersonenminen. Die gleiche
Kombination aus öffentlichem Druck und verbündeten Regierungen benötigen wir,
um auch ein Abkommen zum Waffenhandel zu erreichen.
Gegenwärtig handeln Regierungen zu langsam, um Waffen zu kontrollieren. Amnesty
International und Oxfam schlagen deshalb sofortige, koordinierte Aktionen vor, von
der lokalen bis zur internationalen Ebene. Nur so können die Verbreitung und der
Missbrauch von Waffen wirksamer kontrolliert werden.
Auf internationaler Ebene
Hauptziel: Die Regierungen werden aufgefordert, einem weltweiten Abkommen zur
Kontrolle des Waffenhandels bis 2006 zuzustimmen. Damit soll verhindert werden,
dass Waffen in Gebiete gelangen, wo anzunehmen ist, dass sie zu Verletzungen der
internationalen Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts missbraucht
werden.
Die Regierungen sollten:
-
Bis zur UN-Folgekonferenz zu Kleinwaffen im Jahr 2006 ein internationales
Waffenhandelsabkommen unterzeichnen. Fortschrittliche Regierungen müssen
sich in internationalen und regionalen Foren für das Waffenhandelsabkommen
einsetzen und weitere Regierungen dafür gewinnen. Nötigenfalls muss dies
auch außerhalb des UN-Prozesses geschehen. Einmal in Kraft, wird dieser
neue und rechtlich bindende Vertrag bewirken, dass alle Staaten nach den
selben Standards handeln, um verantwortungslose Waffengeschäfte zu
verhindern, die zu Verletzungen der internationalen Menschenrechte und des
humanitären Völkerrechts führen würden.
- Neue internationale Instrumente schaffen, um verantwortungslose
Waffengeschäfte, Transport, Finanzierung und ausländische Lizensproduktion
von Waffen zu verhindern. Der Entwurf des Waffenhandelsabkommen bietet
dabei die Kriterien, um verantwortungslose Geschäfte zu identifizieren und zu
verhindern.
- Mehr finanzielle Mittel bereitstellen, um die von Waffengewalt betroffenen
Gemeinden konkret zu unterstützen – insbesonders durch Fördergelder aus
Waffen produzierenden Ländern.
Auf regionaler Ebene
Hauptziel: Die Regierungen werden aufgefordert, regionale Abkommen zur Kontrolle
des Waffenhandels zu entwickeln und zu stärken, um die internationalen
Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht zu verteidigen.
Benachbarte Regierungen müssen eng zusammenarbeiten, um regionale
Waffenkontrollen zu veranlassen oder zu verstärken – aufbauend auf der Arbeit in
den einzelnen Ländern. Diese Kontrollen sollten erstens Waffentransfers betreffen,
indem wirksame Maßnahmen ergriffen werden, um Angebot und Nachfrage für
Waffen zu begrenzen. Zweitens muss die allgemeine Verfügbarkeit von Waffen
eingeschränkt werden, um die Lebensbedingungen der Menschen sicherer zu
machen. Die Zusammenarbeit mehrerer Staaten bietet die Chance, Informationen
und Erfahrungen auszutauschen und Konsens über regionale Politik und Programme
zu erzielen.
Auf nationaler Ebene
Hauptziel: Die Regierungen werden aufgefordert, ihrer Verantwortung gerecht zu
werden und die Kapazitäten zu erhöhen, um Waffentransfers zu kontrollieren und
ihre Bürger vor bewaffneter Gewalt zu schützen – im Einklang mit internationalem
Recht und internationalen Standards.
Um den Missbrauch von Waffen zu verhindern, muss jede Regierung:
-
Sicherstellen, dass Sicherheitskräfte verantwortungsvoll mit Waffen umgehen
und sich dabei strikt auf Grundlage der internationalen Menschenrechte und des
humanitären Völkerrechts bewegen. Dabei sind eine geeignete Ausbildung,
Disziplin und Kontrolle zu gewährleisten. Alle Staaten müssen die UN-Prinzipien
für den Einsatz von Gewalt und Schusswaffen durch staatliche Sicherheitskräfte,
den UN-Verhaltenskodex für staatliche Sicherheitskräfte, die Genfer Konvention
und weitere relevante internationale Regelungen befolgen. Die Regierungen
müssen die darin enthaltenen Bedingungen in ihr jeweiliges Rechtssystem
integrieren.
- Unmittelbar nach Beendigung von Konflikten mit internationalen Gremien
zusammenarbeiten, um umfassende Abrüstung, Demobilisierung und
Wiedereingliederungsprogramme durchzuführen.
- Unabhängige Mechanismen etablieren, um unverzüglich Personen vor Gericht zu
stellen und angemessen zu bestrafen, die sich schwerer
Menschenrechtsverletzungen schuldig machen.
- Bestehende Gesetze durchsetzen oder neue entwerfen, um die Ein- und
Ausfuhr, den Transit, die Herstellung, den Verkauf, die Verbreitung und den
Gebrauch aller Waffen zu kontrollieren. Die Grundsätze, die im Entwurf des
Waffenhandelsabkommens skizziert sind, sollten angewendet werden, wenn
Entscheidungen zu Waffenexporten getroffen werden. Auf diese Weise kann
sichergestellt werden, dass die Menschenrechte, internationales humanitäre
Völkerrecht und eine nachhaltige Entwicklung nicht unter kommerziellen
Interessen leiden.
- Transparenz und Kontrolle über Produktion, Besitz und Austausch von Waffen
herstellen, indem die Öffentlichkeit regelmäßig und gründlich informiert wird.
Entsprechende Berichte sollten regelmäßig von den Parlamenten geprüft
werden.
- Gemeinsam mit der Zivilgesellschaft einen Aktionsplan für die strenge Kontrolle
aller Waffen umsetzen. Der erste Schritt dazu ist, einen Überblick über Probleme
der Sicherheit, der Verfügbarkeit sowie des Missbrauchs von Waffen zu
gewinnen. Anschließend müssen Lösungen entwickelt und ein Aktionsplan
umgesetzt werden. In jeder Phase muss die Zivilgesellschaft eng einbezogen
werden.
Auf lokaler Ebene
Hauptziel: Institutionen der Zivilgesellschaft und lokale Behörden sind aufgefordert,
wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um die Sicherheit auf lokaler Ebene zu
verbessern, indem die Nachfrage und die Verfügbarkeit von Waffen reduziert
werden.
Die Sicherheit in lokalen Gemeinschaften muss durch folgende Maßnahmen
verbessert werden:
-
Das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit unbewaffneter Sicherheit
wiederherstellen, indem
-
die Menge der im Umlauf befindlichen überzähligen und illegalen Waffen
verringert wird. Dies kann erreicht werden durch Schaffung von waffenfreien
Zonen, durch Beseitigung von illegalen Waffen, die zur Verletzung von
Menschenrechten und des humanitären Völkerrechts verwendet werden
könnten, und durch Vernichtung von überzähligen Waffen,
- Beziehungen und Vertrauen zwischen verfeindeten Gruppen ebenso wie
zwischen lokalen Gemeinschaften und der Polizei aufgebaut werden,
- Aufklärungsarbeit zur Sicherheit in lokalen Gemeinschaften stattfindet, um der
Kultur der Gewalt zu begegnen – insbesondere dem zerstörerischen
Zusammenhang von Waffen und weit verbreiteten Vorstellungen von
Männlichkeit,
- Instrumente zur friedlichen Konfliktlösung initiiert und angewendet werden.
- Hilfen für die Opfer von bewaffneter Gewalt bereitstellen.
- Personen, die ihren Lebensunterhalt mit bewaffneter Gewalt bestreiten, friedliche
ökonomische Lebensgrundlagen als tragfähige Alternative ermöglichen.
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