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Ein Verlustjahr für die Abrüstung

Rüstung und Rüstungsexporte - Eine Jahresbilanz 2005 von Wolfgang Kötter*

Auf mehrere für die Abrüstung düstere Jahre folgt mit dem nun zu Ende gehenden ein rabenschwarzes. Nukleare Rüstungsreduzierung und Nichtverbreitung stecken in einer tiefen Krise. Nach dem Scheitern der Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag im Frühjahr war es auch auf dem UNO-Gipfel im Herbst nicht gelungen, eine gemeinsame Position zu finden. Bereits zweimal habe man in diesem Jahr versagt, beklagt UNO-Generalsekretär Kofi Annan und bezeichnet es als „eine wirkliche Schande“, dass Abrüstung und Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen in der Gipfelerklärung nicht einmal erwähnt werden.

Die große Staatenmehrheit teilt die Überzeugung, dass die Proliferation von Atomwaffen verhindert werden muss. Sie unterstützt den nuklearen Nichtverbreitungsvertrag, der die kernwaffenfreien Staaten verpflichtet, auf solche Waffen zu verzichten, und die Nuklearmächte dazu anhält, ihre Arsenale abzubauen. Doch einige Kernwaffenstaaten, allen voran die USA, ignorieren die Abrüstungsverpflichtungen permanent. Die nuklearen Habenichtse empfinden das als Doppelmoral und reagieren frustriert. Sie halten es für völlig inakzeptabel, dass die einzig verbliebene Supermacht andere auf Nichtverbreitung verpflichten will, während sie gleichzeitig ihr eigenes Nuklearwaffenarsenal ausbaut. Zurück bleibt ein Vertrag vor dem Infarkt. Um ihn am Leben zu erhalten, müssten sowohl die Nichtnuklearstaaten als auch die Kernwaffenmächte die atomare Abrüstung und die Eindämmung der Verbreitungsgefahr gleichermaßen voranbringen. Lebensspende Maßnahmen wären das Inkraftsetzen des Teststoppvertrages, ein Produktionsstopp für militärisches Spaltmaterial, der Verzicht auf die Entwicklung neuer Kernwaffen und die weitere Reduzierung der atomaren Sprengköpfe. Zur wirksamen Stabilisierung könnten multilaterale Zentren der Produktion und Aufbereitung von Nuklearbrennstoff für die Stromerzeugung ebenso beitragen wie die allgemeine Akzeptanz erweiterter Sicherheitskontrollen und ein wirksamer Schutz von Spaltmaterial gegen den Zugriff von Kriminellen oder Nuklearterroristen. Gleichzeitig mehren sich nicht zuletzt in Europa die Forderungen nach einer Befreiung der Erde von Nuklearwaffen. So dringen 89 Parlamentsabgeordnete auf den Abzug der in ihren Länder gelagerten USA-Atomwaffen. In einer von der Friedensorganisation „Ärzte gegen den Atomkrieg“ IPPNW initiierten Erklärung fordern sie die Regierungen von Belgien, Deutschland, Italien, den Niederlanden, der Türkei und Großbritannien auf, entsprechende Verhandlungen aufzunehmen. Das Parlamentariernetzwerk für nukleare Abrüstung und die Organisation der Bürgermeister für den Frieden verlangen die Umsetzung einer von 113 Staaten unterstützten UNO-Resolution zur Aufnahme atomarer Abrüstungsverhandlungen.

Auf wachsende Empörung trifft ebenfalls die weiter wachsende Schere zwischen Krieg und Rüstungsaufwendungen einerseits und den unzureichenden Mitteln für soziale Entwicklung andererseits. In rund 40 bewaffneten Konflikten werden Tag für Tag Tausende Menschen getötet. Gleichzeitig überschreiten die weltweiten Militärausgaben die astronomische Summe von einer Billion Dollar. Allein die USA haben daran einen Anteil von 47 Prozent, die EU-Staaten teilen sich weitere 25 Prozent. In krassem Widerspruch dazu ist die menschliche Entwicklung nur 78 Milliarden Dollar wert und das Budget der UNO-Friedenssicherung beträgt gerade mal Dreieinhalb Millionen Dollar. 852 Millionen Menschen sind unterernährt und in jeder Minute sterben auf der Welt 11 Kinder. "Sie würden überleben, wenn ihre Körper und Immunsysteme nicht durch Hunger und Unterernährung geschwächt wären", heißt es in dem Bericht der Ernährungsorganisation FAO. Hunger ist heutzutage zu einer Massenvernichtungswaffe geworden, brandmarkt der UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Jean Ziegler. Eine radikale Kehrtwende der Politik ist also dringend notwendig. Die führenden deutschen Friedensforschungsinstitute fordern deshalb in ihrem Jahresgutachten 2005 die Europäische Union und den gesamte Westen nachdrücklich auf, zu einer koordinierten, weitsichtigen Politik der Rüstungskontrolle und Abrüstung zurückzukehren. Dies sei eine unverzichtbare Voraussetzung, um die Abrüstungsforderung an die übrige Welt glaubwürdig vertreten zu können.

Immerhin glimmen jedoch auch Lichtschimmer am Ende des Tunnels. So konnten bei der Waffenbeseitigung Fortschritte erreicht werden: Insgesamt rund 17 Prozent aller chemischen Waffen wurden vernichtet und die weltweiten Minenbestände nahmen um 38 Millionen ab. Einen Durchbruch erzielten die 6-Staaten-Verhandlungen mit Nordkorea, demzufolge Pjöngjang die Aufgabe seines Kernwaffenprogramms sowie die Rückkehr in den Atomwaffensperrvertrag und den Verzicht auf Nukleartests verspricht. Im Gegenzug verpflichten sich Washington und Seoul, auf die Stationierung von Atomwaffen in Südkorea zu verzichten und begegnen den Bedrohungsängsten des Nordens mit einer Nichtangriffserklärung. Als ermutigendes Zeichen und eine Ohrfeige für die abrüstungsfeindliche Haltung der Bush-Regierung begrüßten viele Rüstungsgegner die Verleihung des diesjährigen Friedensnobelpreises an den Chef der Internationalen Atomenergiebehörde El-Baradei und seine Organisation. Die aktuelle Aufgabe formuliert der Ausgezeichnete in seiner Dankesrede: „Wie kann man ein Umfeld schaffen, in dem Kernwaffen — wie Sklaverei oder Völkermord — als Tabu und als historische Anomalie gelten?“

Die wichtigsten Exporteure von Großwaffen

Rang Exportland Mrd. US $
1. Russland 26,9
2. USA 25,9
3. Frankreich 6,4
4. Deutschland 4,9
5. Großbritannien 4,5
6. Ukraine 2,1
7. Kanada 1,7
8. China 1,4
9. Schweden 1,3
10. Israel 1,3

Quelle: SIPRI (Zeitraum 2000-2004)

* Dieser Beitrag erschien unter dem Titel "Ein schwarzes Jahr für die Sicherheit" leicht gekürzt am 28. Dezember 2005 im "Neuen Deutschland".


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