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Saksas Rakettitukku

Geheime "Patriot"-Lieferung in Finnland aufgeflogen - nun verbreitet man Ausreden aus Absurdistan

Von René Heilig *

Die »Thor Liberty«, ein sogenannter Tramp-Frachter unter britischer Flagge, liegt im finnischen Hafen Kotka an der Kette. Der Zoll fand darauf 69 angeblich falsch deklarierten »Patriot«-Raketen sowie 160 Tonnen Sprengstoff. Man witterte einen illegalen deutschen Waffentransport. Nun istplötzlich alles nur noch eine Übersetzungspanne.

Die »Thor Liberty« hatte am 5. und 6. Dezember in Papenburg gelegen, fuhr dann nach Rendsburg, verließ am 7. Dezember den Nord-Ostsee-Kanal. Am 15. Dezember steuerte der Kapitän das finnischen Kotka an. Nicht nur, um eine Papiermaschine zu laden, sondern auch, damit er und seine Leute am Leben bleiben. Denn vor Südfinnlands Küste tobte ein schwerer Sturm, man benötigte unbedingt Lotsenhilfe. Die ukrainische Besatzung hatte in den Schären ohne Kartenmaterial navigiert.

In Kotka ist die Reise, die eigentlich am 19. Februar im chinesischen Qinngdao enden sollte, vorerst gestoppt. Gestern warf man zwar noch einmal die Maschinen an, doch nur um den Liegeplatz in dem finnischen Hafen zu wechseln. Dort wird ein Teil der Ladung, nämlich der, den man in Deutschland an Bord genommen hatte, gelöscht. Es handelt sich um 69 »Patriots«. Das sind relativ moderne Flugabwehrraketen aus US-Produktion. Ebenfalls schafft man 160 Tonnen militärischen Sprengstoff von Bord.

Zunächst hatte es geheißen, dass die Fracht als »Feuerwerkskörper« deklariert worden war. Das deutet auf Schmuggel hin. Doch in Deutschland konnte man - gar nicht amüsiert über das plötzliche öffentliche Interesse - auf ordnungsgemäße Ausfuhr- und Transportpapiere verweisen. Plötzlich war alles ein Irrtum eines finnischen »Zolldödels«, der des Englischen nicht mächtig scheint.

Der englische Begriff surface-to-air missile (Boden-Luft-Rakete) und das finnische Wort Raketti (also Raketen, die man auch schon mal an Silvester in den Himmel schießt), bieten offenkundig große Verwechslungsgefahr. Und damit das Zeug zur Staatsaffäre.

Es ist aber keine, sagt das deutsche Verteidigungsministerium. Die Raketen stammen aus Bundeswehrbeständen und werden mit Genehmigung an Südkorea geliefert. Was macht es da, dass deutsche Rüstungsexporte in Spannungsgebiete verboten sind?

Nicht alles, aber vieles muss raus! Die Bundeswehrreform verlangt, dass man sich von Überflüssigem trennt. Und was man verscherbeln kann, füllt die Kassen des Militärs. Besonders gut laufen derzeit Leopard-Panzer. Die Bundeswehr hat gar nicht so viele Tanks vorrätig, wie Mitproduzent Rheinmetall derzeit verkaufen könnte. So übernimmt man auch jene »Leos«, die das österreichische Bundesheer aussortiert. Derzeit machen in Blogs Fotos die Runde, die einen deutschen »Leo« angeblich auf einer chinesischen Autobahn zeigen.

Nichts ist unmöglich ... 14 der derzeit 29 deutschen »Patriot«-Systeme werden ausgemustert. Im Oktober erst hat Israel ein »Patriot«-System-Geschenk bekommen. Es ist bereits das dritte aus Deutschland seit 2003. Daher kann man eben auch in den Regierungsstuben von Helsinki von einem »Saksas Rakettitukku*«, einem deutschen Raketengroßhandel, reden, ohne alles als Silvester-Spaß zu verharmlosen.

Über die Herkunft des Sprengstoffs an Bord der »Thor Liberty« ist dem deutschen Verteidigungsministerium nichts bekannt. Von der Bundeswehr stamme er nicht. Laut Spiegel online erwartet die südkoreanische Regierung auch keine entsprechende Lieferung.

Ein Tramp-Frachter legt eben überall an. Und zur Not hat er zwei leistungsfähige Bordkrane, die auch auf hoher See funktionieren.

* Aus: neues deutschland, 24. Dezember 2011


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