Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Mehr Schlagkraft, Angriffsfähigkeit und Unsichtbarkeit"

Ein neues Kriegsschiff Namens "Braunschweig" wurde in Dienst gestellt - Deutsche Marine kann auf allen Meeren operieren



Kriegsgerät für weltweiten Einsatz

Die erste Korvette der »Braunschweig«-Klasse wurde in Dienst gestellt

Von René Heilig, Rostock *


Mit einer militärischen Zermonie, der Nationalhymne, mehr oder weniger bedeutsamen Reden und Gästen wurde am Mittwoch (16. April) das Typschiff einer neuer Serie von Korvetten in Dienst gestellt. Das Kriegsschiff trägt den Namen »Braunschweig«.

Warnowstrom, Passagierkai, gestern Nachmittag: Polizei zu Wasser und auf dem Land, dazu Feldjäger hinter Absperrgittern. Einer der Militärpolizisten nahm das Funkgerät vor den Mund und murmelte: »Eisbär 1 an Eisbär... bislang nur wenige Aktivisten, alles friedlich!«

Naja ... Das Schiff, das da am Passagier-Kai vertäut lag - groß, grau und bedrohlich - ist die erste Korvette der aktuellen Deutschen Marine. Auch wenn sie fast ein Jahr später als geplant in Dienst gestellt wird, so ist das Schiff doch der schwimmende Stolz der Bundeswehr. Der Befehlshaber der Flotte, Vizeadmiral Hans-Joachim Stricker, sagte klar, was das Schiff und seine noch folgenden vier Schwestern können und wozu man sie in Auftrag gegeben hat: Mit ihnen »erhält die Marine ein Seekriegsmittel, das in besonderem Maße auf die Anforderungen heutiger Auslandseinsätze zugeschnitten ist. Die Korvette ist weltweit einsetzbar, sie gewährleistet durchhaltefähige Präsenz in Randmeeren und küstennahen Gewässern und sie kann im gesamten Spektrum der Krisenbewältigung eingesetzt werden.«

Die Bundesrepublik erhält mit den Schiffen also ein neues Machtmittel in die Hand, das zusammen mit den zwei Fregattengeschwadern auf allen Meeren Präsenz und notfalls die Wirkung der Waffen zeigen wird. Insbesondere die Raketen, die das Schiff punktgenau auf See- wie Landziele verschießen kann, machen die Korvette zum gefährlichen Gegner.

Wie langfristig ihr Einsatz von deutschen Strategen geplant wurde, zeigt sich unter anderem darin, dass man den neuen Schiffen bereits im Weißbuch von 2006 eine wichtige Rolle zugedacht hat. Seither erarbeiteten Militärs aller Teilstreitkräfte neue gemeinsame Einsatzgrundsätze. Die Marineführung ist, wie man hört, höchst zufrieden, dass dem kleinsten Teil der Bundeswehr nun mehr Verantwortung übertragen wird. Die Transformation der Marine in ein neue militärische Epoche sei gelungen, erklärten Marinefachleute. Zum ersten Einsatz läuft die »Braunschweig« demnächst ins Mittelmeer. Vor Sizilien, wo der künftige italienische Premier wieder Bootsflüchtlinge hetzen will, nimmt sie an einer Übung teil. Es schließt sich eine »Warmwasser-erprobung« im Roten Meer an.

Ganz so unkompliziert, wie man es beim im Warnemünder Schnellboothafen stationierten 1. Korvettengeschwader hört, waren Bau und Erprobung des neuen Waffensystems nicht. Die »Braunschweig« hatte schon etliche Pannen zu bewältigen. Doch von mangelnden Fähigkeiten der Soldaten, vom Pfusch, den die Industrie sich geleistet hat, und von den enormen Kosten des Kriegsgerätes (200 Millionen Euro pro Boot) war beim Festakt nicht die Rede.

Während die Ehrenkompanie im Stillgestanden verharrte, die Ehrengäste Aufstellung nahmen, hallten einsame Rufen über das Areal: »Kriegstreiber, Kriegstreiber!« Mit dieser Minderheit hatte die »Eisbären-Truppe« der Feldjäger keine Probleme. Auch nicht mit den wenigen Friedensfreunden, die am gegenüberliegenden Warnowufer ein Transparent entfaltet hielten. Monty Schädel von der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte Kriegsdienstgegner wertete die Indienststellung der Korvette als »eine Renaissance deutscher Kanonenboot-Politik«. Die Linksfraktion im Rat der Stadt Braunschweig schrieb an das Rostocker Friedensbündnis eine solidarische Mail. Zitat: »Eine zunehmende Zahl von Braunscheigerinnen und Braunschweigern lehnt die Benennung des Kriegsschiffes mit dem Namen unserer Stadt ab.«

Nach alter Sitte wünschte man dem Schiff gestern »immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel«. Da war es gewiss nur ein dummer Zufall, dass ausgerechnet zu Beginn der Zeremonie ein rostiger Kahn an der neuen Superkorvette vorbeituckerte. Er gehört einer Wrack-Taucher-Gesellschaft ...

* Aus: Neues Deutschland, 17. April 2008


Statt Landesverteidigung Kurs auf Militärintervention

Die am Mittwoch (16. April) in Warnemünde in Dienst gestellte Korvette "Braunschweig" ist eine reine Angriffswaffe. Ein Gespräch mit Lühr Henken **

Sie sagen, die am Mittwoch in Warnemünde unter dem Protest von Friedensaktivisten in Dienst gestellte Korvette »Braunschweig« sei »offen als Angriffswaffe« konzipiert. Was hat dieses Schiff, was andere nicht haben?

Es ist für die deutsche Marine ein komplett neuer Schiffstyp, der hochseegängig ist und mit einem Tiefgang von nur 3,45 Metern speziell in flachen Küstengewässern eingesetzt werden kann. Die Braunschweig ist die erste von fünf Korvetten, die bis November der Bundeswehr übergeben werden.

Wie sieht es mit der Bewaffnung aus?

Haupt- und eine eindeutige Angriffswaffe sind vier Marschflugkörper mit einer Reichweite von mindestens 200 Kilometern. Das ist erweiterbar auf 400 Kilometer. Salvenbeschuß ist möglich. Hinzu kommen ein 76-mm-und zwei 27-mm-Geschütze. Außerdem kann das Schiff Minen verlegen. Mit sogenannten »Rolling Airframe Missiles« (RAM) läßt sich das Schiff gegen anfliegende Raketen verteidigen, kann aber auch Flugzeuge und Hubschrauber abschießen. Die Korvetten haben Tarnkappeneigenschaften, so daß sie auf dem Radarschirm kaum auszumachen sind.

Laut Marine-Homepage werden künftig statt großräumiger Operationen auf hoher See »Einsätze im küstennahen Bereich« bedeutsam. Wie paßt das zur sogenannten Transformation der Bundeswehr?

Diese »Transformation« vollzieht eine Abkehr von der Landesverteidigung hin zur Militärintervention. Der Marine als kleinster Teilstreitkraft kommt dabei eine gesteigerte Bedeutung zu, weil sie aus internationalen Gewässern heraus ihr Drohpotential entfalten kann. Heer und Luftwaffe sind ja für die Stationierung etwa in Afrika auf die Zustimmung eines Gastlandes in der Nachbarschaft angewiesen, das entfällt bei der Marine. Der Marine-Inspekteur Wolfgang Nolting preist das Konzept »Basis See«. Das heißt, daß von See aus Kriegsoperationen von Luftwaffe, Heer und Marine an Land befehligt werden.

Diese Szenarien hält die Marineführung deshalb für besonders realistisch, weil in vielen Regionen zwei Drittel der Menschen in einem Küstenstreifen von 60 Kilometer Breite leben. Korvetten und Fregatten bilden in diesem Konzept einen Verbund. Und wenn da die Waffenwirkung mehrere hundert Kilometer weit reicht, hat die Marine genau so große Bedeutung auf See wie an Land. Daß eine solche Gewaltandrohung völkerrechtswidrig ist (Art. 2, Abs. 4 UN-Charta), hat die Militärs bisher nicht gestört. Auch nicht die Aussage im Seerechtsübereinkommen: »Die Hohe See ist friedlichen Zwecken vorbehalten« (Artikel 88).

Die »Braunschweig« kann aber nur eine Woche am Stück operieren. So rasch gewinnt man doch keinen Krieg.

Diese Zeitangabe bezieht sich auf die Zeit ohne Fremdversorgung. Der Verband wird jedoch auf See von einem Einsatzgruppenversorger begleitet. Unabhängig vom Land wird so die Einsatzdauer auf sechs bis sieben Wochen ausgedehnt. Und dann naht schon der nächste Versorger mit Proviant und Munition.

Wo liegen denn die gegenwärtigen Einsatzgebiete der Marine, und was geschieht dort?

Die Deutsche Marine beteiligt sich an »Enduring Freedom« am Horn von Afrika mit zur Zeit 200 Soldaten, an UNIFIL vor dem Libanon mit zur Zeit 465 Soldaten und als Teil von »Active Endeavour« mit 200 Soldaten im Mittelmeer. Hinzu kommen noch Kriegsschiffe bei den »Standing NATO Response Force Maritime Groups« im Atlantik und im Mittelmeer. Die aktuellen Haupttätigkeiten sind Seeraumüberwachung und Embargokontrolle.

Die Möglichkeiten der Marine werden ja seit einiger Zeit durch Neuanschaffungen erheblich erweitert.

Richtig. Für 2,2 Milliarden Euro wurden drei Fregatten F 124 angeschafft und vier brennstoffzellenbetriebene U-Boote für 1,8 Milliarden. Zwei weitere U-Boote sind schon bestellt. In drei Wochen Fahrt können sie unter Wasser 20000 Kilometer zurücklegen. Ebenfalls bestellt wurden für 2,6 Milliarden Euro vier Fregatten F 125. Die fünf Korvetten der »Braunschweig«-Klasse schlagen mit 1,5 Milliarden zu Buche. Zwei Einsatzgruppenversorger wurden schon gebaut, der dritte ist bestellt. Der Trend geht zu mehr Schlagkraft, Angriffsfähigkeit und Unsichtbarkeit.

Interview: Frank Brendle

** Lühr Henken ist Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag und Mitglied der DFG/VK

Aus: junge Welt, 17. April 2008



Zu weiteren Beiträgen über Rüstung und Rüstungsexport

Zur Bundeswehr-Seite

Zurück zur Homepage