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Ein Schritt vor - zwei Schritte zurück

Rot-Grün möchte Rüstungsexportpraxis liberalisieren - Druck des Bundeskanzlers

Die Bundesregierung hat nach einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" die Hürden für Rüstungsexporte in die Türkei offenbar gesenkt und will generell Nachteile für die deutsche Rüstungsindustrie abbauen. Die Zeitung schreibt am 5. August 2001, durch Druck des Bundeskanzleramtes sei der Export von Zündern für Munition des Nürnberger Unternehmens Diehl in die Türkei genehmigt worden. Die Zeitung berichtet, bislang habe offenbar das Auswärtige Amt im zuständigen Bundessicherheitsrat die Rüstungsgeschäfte mit der Türkei blockiert. Der Bundessicherheitsrat ist ein geheim tagender Ausschuss des Bundeskabinetts. Eine Regierungssprecherin sagte auf Anfrage, zu Rats-Entscheidungen werde grundsätzlich keine Stellung genommen. Die Grünen beeilten sich dem Bericht zu widersprechen..

In der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" hieß es, der Vorgang werde innerhalb der Industrie als wichtiges Signal der Bundesregierung gewertet, die Wettbewerbsposition der deutschen Rüstungsindustrie zu verbessern. Das Blatt zitiert einen Sprecher der Rheinmetall-Tochter DeTec, nach dessen Worten die dringende Notwendigkeit besteht, "die Exportbedingungen für die wehrtechnische Industrie auf europäischer Ebene zu harmonisieren". Rheinmetall DeTec habe im Vorjahr keine Genehmigung für den Export von Beobachtungs- und Aufklärungsgeräten in die Türkei bekommen.

Nach einem Vorab-Bericht der Zeitung "Die Welt" (Montagausgabe, 06.08.01) haben die Grünen bestritten, dass der Export von Rüstungsgütern liberalisiert werden solle. Die Verteidigungsexpertin der Grünen, Angelika Beer, sagte dem Blatt, dies sei "eine Unterstellung, die sich durch die Praxis nicht bestätigen lässt". Gerade im Bereich der Rüstungsexporte in die Türkei werde sehr stringent nach dem Kriterium der Menschenrechte entschieden. "Es gibt keinen Grund, unsere Position zu ändern."

Nach dem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" scheiterte das Geschäfts Diehls letztendlich doch, weil die Türkei sich wegen der Verzögerungen auf deutscher Seite für einen anderen Anbieter von Zündern entschieden habe. Im Frühjahr habe Diehl eine Klage gegen die Bundesregierung eingereicht, weil es seine Wettbewerbsposition durch die Verschleppung des Exportantrags gefährdet sah. Nachdem auf Druck des Kanzleramts die Exportgenehmigung erteilt worden sei, habe das Unternehmen seine Klage zurückgezogen.

Nun kann keine Rede davon sein, dass die rot-grüne Bundesregierung eine besonders restriktive Rüstungsexportpolitik betrieben hätte. Sie hat allerdings am 19. Januar 2000 neue Rüstungsexport-Richtlinien erlassen, wonach bei Export-Entscheidungen die Menschenrechtssituation des potenziellen Empfängerlandes zu berücksichtigen sei. Diese Richtlinien waren - gerade auch von grüner Seite - als großer Fortschritt hin zu einer moralisch begründeten Außenpolitik gefeiert worden. Die Wirklichkeit sah aber anders aus. Deutschland hatte 1999 unter der rot-grünen Bundesregierung mehr Rüstungsgüter exportiert als in den Vorjahren unter der Kohl-Regierung. Nach dem Rüstungsexportbericht der Regierung sind die deutschen Rüstungs-Ausfuhren 1999 auf einen Wert in Höhe von 5,9 Milliarden Mark (3,01 Milliarden Euro) gestiegen. Davon entfielen 1,5 Milliarden auf Exporte in Länder, die weder EU- noch Nato-Mitglied sind. Die Behörden genehmigten 1999 9.373 Einzelanträge für endgültige Ausfuhren von Rüstungsgütern. Dagegen wurden nur 85 Anträge abgelehnt.

Spitzenreiter unter den Empfängern deutscher Rüstungsprodukte ist mit weitem Abstand das Nato-Mitglied Türkei, das wegen fortgesetzter Menschenrechtsverstöße kritisiert wird. Ankara erhielt 1999 Rüstungsgüter im Wert von 1,9 Milliarden Mark. Zweitgrößter Kunde waren die USA (644 Millionen Mark). Nach Italien und Israel folgen bereits auf Platz fünf die Vereinigten Arabischen Emirate: Für 337 Millionen Mark kauften die Emirate Lastwagen, Teile für gepanzerte Fahrzeuge, elektronische Ausrüstung und Aufklärungssysteme made in Germany.

Mag also die Bundesregierung mit ihren Exportrichtlinien vom Januar 2000 einen Schritt in die richtige Richtung gemacht haben, so hat sie in der Praxis gleich zwei Schritte in die entgegengesetzte Richtung getan. Das ist rot-grüne Reformpolitik nach den Wünschen der interessierten Rüstungslobby. Kanzler Schröder wird, da können wir sicher sein, diesen realen Rückschritt mit dem Argument der besseren Auslastung der betroffenen Industrie und mit dem Totschlagsargument der ansonsten gefährdeten Arbeitsplätze verteidigen. Dann muss er aber auch sagen, dass die Exportrichtlinien nicht mehr gültig sind, denn dort steht unter Abschnitt III, Satz 2 auch: "Beschäftigungspolitische Gründe dürfen keine ausschlaggebende Rolle spielen."

Ob der grüne Koalitionspartner den neuen Kurs in Sachen Rüstungsexporte auch schlucken wird? Es ist fast zu befürchten. Hoffentlich rumort es wenigstens ein wenig an der Basis der beiden Regierungsparteien. Was die Friedensbewegung betrifft, so darf sie sich nicht nur in ihrer Kritik am Regierungskurs bestätigt sehen - sie muss auch wieder etwas mehr Biss zeigen. Der 1. September, der von vielen lokalen Friedensinitiativen traditionell mit den Gewerkschaften zusammen gestaltet wird, könnte ein gutes Datum sein, an alte Forderungen zu erinnern:
  • Keine Rüstungsexporte in die Türkei (weder Leopard-Panzer noch Munitionsfabriken)
  • Reduzierung der Rüstungsproduktion
  • Konversion der Rüstungsindustrie und Schaffung ziviler Arbeitsplätze
  • Auflösung des vordemokratischen Bundessicherheitsrats, in dem alle Verhandlungen und Entscheidungen über Rüstungsexporte geheim getroffen werden
Peter Strutynski

Quellen: Süddeutsche online, 5. August 2001; Netzeitung, 5. August 2001.

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