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US-Regierung vergibt größten Rüstungsauftrag aller Zeiten

200 Milliarden US-Dollar für neue Kampfflugzeuge - The Winner is: Lockheed

"Der größte Rüstungsauftrag aller Zeiten" titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung (Sonntagszeitung) am 28. Oktober 2001. In der Tat: Die 200 Milliarden US-Dollar, die für ein einziges Rüstungsprojekt ausgegeben werden sollen, übersteigen alles bisher Dagewesene. Der glückliche Gewinner im Poker um den Großauftrag - es hatten sich Lockheed und Boeing beworben - ist die in Bethesda im Bundesstaat Maryland beheimatete Lockheed Martin Co. Gebaut werden soll der sogenannte Joint Strike Fighter (JSF). Der Kampfflieger wird voraussichtlich von 2008 an zur Verfügung stehen. Die Regierung in Washington hat zunächst 2.852 Flugzeuge bestellt, weitere 150 sollen an Großbritannien verkauft werden, das sich mit mehr als zwei Milliarden Dollar an der Entwicklung des JSF beteiligt hat.

Der Staatssekretär im amerikanischen Verteidigungsministerium, Edward Aldridge, lobte bei der Bekanntgabe der Entscheidung die Vielseitigkeit des neuen Kampfflugzeugs. Weil der JSF in der Lage sei, senkrecht zu starten, könne er nicht nur in herkömmlicher Weise von der Luftwaffe eingesetzt werden, sondern auch auf den Flugzeugträgern der Marine. Das Kampfflugzeug, das nach Ansicht von Militärfachleuten den bisher international meist verkauften Typ F-16 ablösen wird, solle den amerikanischen Streitkräften mindestens bis zum Jahr 2040 Dienste leisten, sagte Aldridge , der es zugleich als richtig bezeichnete, sich für ein Unternehmen zu entscheiden und den Rüstungsauftrag nicht zwischen Lockheed und Boeing aufzuteilen.

Die FAZ sieht einen sehr großen Exportmarkt für das von Lockheed entwickelte Flugzeug groß. Mindestens 3.000 weitere JSF könnten an Verbündete, darunter Italien, Norwegen, Dänemark und die Niederlande, abgesetzt werden, heißt es. Deutschland ist nicht darunter, weil hier - im Verbund mit Spanien, Italien und Großbritannien - der Eurofighter gebaut wird.

Trotz der immensen Höhe der Auftragssumme wird an der Wall Street in der kommenden Woche nicht mit starken Kursausschlägen bei den Aktien von Lockheed Martin und Boeing gerechnet, heißt es im Wirtschaftsteil der FAZ. Denn die Investoren hatten fest mit einem Zuschlag für Lockheed gerechnet. So sei der Kurs in diesem Jahr schon in die Höhe getrieben worden. Der Analytiker Peter Jacobs von der Bank Wells Fargo Van Kasper meinte: "Das festigt im Grunde die Position von Lockheed im Geschäft mit Kampfflugzeugen und wird sie offensichtlich viele Jahrzehnte in dieser Branche halten." Für Lockheed ging es bei der Bewerbung um den Auftrag um Alles oder Nichts. Hätte Boeing das Rennen gemacht, hätte sich Lockheed wahrscheinlich aus dem Geschäft mit Jagdbombern ganz zurückgezogen und sich auf Bereiche wie Systemintegration oder Raumfahrt konzentriert.

Nach Meinung der FAZ bietet der Auftrag für die Produktion des JSF dem Unternehmen nach einer zweijährigen Phase der Umstrukturierung eine wichtige finanzielle Perspektive. Lockheed war an der Konsolidierung der amerikanischen Rüstungsbranche seit 1990 stark beteiligt und hatte durch eine Reihe von Akquisitionen bis 1999 einen Schuldenberg von 12 Milliarden Dollar angehäuft. Seitdem hat sich der Konzern jedoch von verschiedenen Unternehmenssparten getrennt und konnte die Schulden auf jetzt 7,7 Milliarden Dollar reduzieren. Die Maßnahmen zur Kostensenkung brachten Lockheed in diesem Jahr wieder in die Gewinnzone. Das Unternehmen habe bei der Bekanntgabe der Quartalsergebnisse am Freitag seine Gewinnprognose erhöht. Das seien aber noch nicht die Folgen des neuen Großauftrags. Denn der Zuschlag für die Produktion des JSF wird sich nicht sofort auf die Bilanz des Unternehmens auswirken.

Der Plan sieht vor, dass das erste Testflugzeug im Jahr 2005 fertiggestellt werden soll. Lockheed wird verschiedene Modelle für die amerikanische Luftwaffe, die Navy und die Elitetruppe Marines bauen. Am Geschäft beteiligt werden auch einige Zulieferfirmen sein: In den USA sind das z.B. der Rüstungskonzern Northrop Grumman und der Triebwerkshersteller Pratt & Whitne. Aus Großbritannien sind die Konzerne BAE Systems und Rolls-Royce beteiligt.

Aber auch der unterlegene Konzern Boeing Co. mit Sitz in Chicago wird möglicherweise nicht ganz leer ausgehen. Boeing ist der größte Flugzeughersteller der Welt. Schon 1999 hatte Boeing im Rennen um den Auftrag für die F-16-Jets gegen Lockheed verloren. Boeing hat Lockheed aber seine Mitarbeit beim JSF angeboten. Boeing-Vorstandschef Phil Condit sagte laut FAZ: "Wir arbeiten mit Lockheed schon beim F-22-Flugzeug zusammen und können das auch in der Zukunft wieder tun." Es müsse aber ein "bedeutungsvoller" Auftrag sein, wenn sich Boeing beteiligen solle. Im Übrigen bekräftigte Condit, dass sich seine Firma keineswegs aus der Rüstungsproduktion zurückziehen werde. So stünden z.B. Nachfolgeaufträge für die bereits 40 Jahre alten Tankflugzeuge an. Außerdem werde Boeing seine gesammelten Produktions- und Designerfahrungen in künftige militärische Entwicklungsprojekte einfließen lassen. Die Umsatzerwartungen für das kommende Jahr habe man lediglich um eine Milliarde Dollar (von 56 auf 55 Mrd.) zurücknehmen müssen. Möglich ist allerding, dass Boeing zusätzlich zum geplanten Abbau von rund 30.000 Arbeitsplätzen bis Ende 2002 weitere Beschäftigte entlassen wird.

Pst

Quelle: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 28. Oktober 2001

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