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Erst Rüstungsexporte, danach Ausbildungshilfe - Wie die Bundeswehr Leopard-Kampfpanzer-Besatzungen aus Singapur unterstützt

Ein Beitrag von Julia Weigelt in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderator):
Offiziell verfolgt Deutschland eine zurückhaltende Rüstungsexportpolitik. Doch deutsche Waffensysteme sind weltweit begehrt. Und die Bundesrepublik ist inzwischen zum drittgrößten Rüstungsexporteur der Welt aufgestiegen. Käufer von Kriegsgerät legen großen Wert darauf, dass auch die Ausbildung der eigenen Soldaten an den oft komplexen Systemen sichergestellt ist. Hier kommt dann schnell die Bundeswehr ins Spiel. Über ihre Rolle bei Rüstungsexporten - Julia Weigelt:


Manuskript Julia Weigelt

Für ein paar Wochen im Jahr steigt in der Lüneburger Heide der Konsum von Chilischoten rasant an. Immer dann, wenn die Panzertruppenschule in Munster wieder Besuch von der singapurischen Armee bekommt. Der kleine Stadtstaat in Südostasien hat in den vergangenen Jahren rund 200 Leopard 2-Kampfpanzer aus Deutschland gekauft – Panzer, die die Bundeswehr ausgemustert hat. Teil der bilateralen Vereinbarung ist auch die Ausbildung der singapurischen Panzercrews durch die Bundeswehr. Ende April fand auf dem Truppenübungsplatz Bergen in der Lüneburger Heide die jüngste Übung statt.

Für die Bundestagsabgeordnete Katja Keul sind der Panzerdeal sowie die Ausbildung durch die Bundeswehr ein Skandal. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion im Bundestag ist Mitglied des Verteidigungsausschusses. Keul sagt, Panzer sind Kriegswaffen:

O-Ton Keul
„Nach der Rüstungsexportrichtlinie ist es so, dass Kriegswaffen an Drittstaaten, also außerhalb von Nato und EU, grundsätzlich erst mal gar nicht zu liefern sind. Es sei denn, es gibt sicherheitspolitische Interessen der Bundesrepublik, die eine Ausnahme rechtfertigen. Im Moment ist es aber so, dass wir feststellen müssen, dass diese Kriegswaffen vermehrt an Drittstaaten und scheinbar auch wirklich ohne rote Linie jetzt inzwischen von dieser Bundesregierung genehmigt werden.“

Die Bundestagsabgeordnete kritisiert das. Denn schon Berichte über die Zustimmung zu einer Voranfrage zur Lieferung von Kampfpanzern an Saudi-Arabien hätten gezeigt, dass die Bundesregierung den Waffenexport in jedes Land genehmige, ungeachtet der dort herrschenden politischen Verhältnisse. Auch in Singapur ist es nach Meinung von Katja Keul möglich, dass die Leopard-Panzer zu Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden.

Andreas Ufen vom GIGA Institut für Asien-Studien beurteilt die politische Situation in Singapur kritisch. In dem Stadtstaat herrsche ein autoritäres Regime, trotz Wahlen könne nicht von Demokratisierung gesprochen werden. Es gebe keine Organisations-, Meinungs- oder Pressefreiheit, und eine Opposition nur in Ansätzen. Ähnlich urteilt Michael Brzoska, Direktor des Hamburger Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik. Unklar sei, wofür Singapur die Panzer brauche, denn bedroht werde der Stadtstaat, wenn überhaupt, vom Meer aus. Michael Brzoska:

O-Ton Brzoska
„Einsatz nach innen, das ist natürlich das Andere, wofür Panzer geeignet sind. Auch da ist eigentlich das Szenario nicht zu sehen, dass es da große Aufstände gibt, oder einen Militärputsch geben könnte oder sowas. Vielleicht ist es einfach eine Rückversicherung der singapurischen Führung, dass wenn es mal zu solchem inneren Aufruhr kommen könnte, dass man dann eben Panzer hätte.“

Die Bundesregierung verdiene mit dem Verkauf der ausgemusterten Leopard-Panzer einerseits Geld, wolle aber auch die Rüstungsindustrie mit Aufträgen versorgen. Diese rüstet die gebrauchten Panzer nach Kundenwunsch um, berichtet Brzoska:

O-Ton Brzoska
„Zusätzlich hat die Herstellerfirma Krauss-Maffei auch durch die Modernisierung verdient. Auch das ist ein Interesse durchaus der Bundesregierung, diesen Panzerhersteller beschäftigt zu halten. Denn der Eigenbedarf der Streitkräfte ist sehr gering.“

Deutsche Soldaten, die singapurische Streitkräfte ausbilden - der Direktor des Hamburger Friedensforschungsinstituts beurteilt das kritisch:

O-Ton Brzoska
„Die Bundeswehr sollte sich auf ihre Aufgaben konzentrieren, und nicht zu einem Dienstleistungsbetrieb für die Rüstungsindustrie werden.“

Bedenken, die das Verteidigungsministerium nicht teilt. Minister Thomas de Maizière empfing seinen singapurischen Amtskollegen Ng Eng Hen während dessen jüngsten Deutschlandbesuches. Die beiden Politiker betonten die guten bilateralen Beziehungen, die dank einer 2005 geschlossenen Vereinbarung zur militärischen Zusammenarbeit immer intensiver würden – bis hin zur Ausbildung durch die Bundeswehr. „Vertraglich wurde festgehalten, dass diese Unterstützung nur im Rahmen freier Kapazitäten und gegen Bezahlung gewährt wird“, teilt das Verteidigungsministerium mit. Bis zu 800.000 Euro bezahlt Singapur pro Trainingsdurchgang in der Lüneburger Heide. Das Engagement deutscher Soldaten stehe daher nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Verkauf der ausgemusterten Kampfpanzer, behauptet die Bundeswehr. Verteidigungsexperten beurteilen das anders. Bernard Loo Fook Weng, Professor für Militärstudien an der Universität Nanyang in Singapur, sagt, es würde ihn sehr überraschen, wenn das Training mit der Bundeswehr keine notwendige Voraussetzung für den Panzerdeal mit Singapur gewesen sei.

Trotz aller Freundschaft: Bei der Pressefreiheit hört die gute Zusammenarbeit auf. Eine Zusage, die jüngste Übung der Singapurer in der Lüneburger Heide begleiten zu dürfen, zog das Verteidigungsministerium wieder zurück – auf Druck aus Singapur. Ein Kamerateam von Bundeswehr-TV durfte bei einer früheren Übung allerdings filmen. In dem Video, das auf der Onlineplattform YOUTUBE zu sehen ist, berichtete vor drei Jahren ein singapurischer Hauptmann:

O-Ton Hauptpmann Tan (overvoice)
„Es ist das erste Mal, dass wir hier in Deutschland ausbilden, nachdem wir von der Bundeswehr die Panzer bekommen haben. Die Ausbildungsmöglichkeiten, die uns hier geboten werden, sind hervorragend. Sie sind ein wahrer Höhepunkt für die Streitkräfte Singapurs. Der Truppenübungsplatz ist großartig. Er erlaubt uns, die Möglichkeiten des Leopard 2 A4 voll auszunutzen.“

In dem Film ist u.a. zu sehen, wie die Soldaten aus Singapur Funkgespräche simulieren und lilafarbene Spielzeugpanzer durch einen Sandkasten manövrieren, bevor sie in den echten durch die Heide fahren.

Die deutschen Soldaten sind immer dabei. Zweimal im Jahr trainieren die Singapore Armed Forces, kurz SAF, im niedersächsischen Munster – bis zu neun Wochen.

Die Bundesregierung berichtet einmal im Jahr über genehmigte Rüstungsexporte. Der jüngste Bericht ist im vergangenen November vorgelegt worden, und bezieht sich auf die 2011 genehmigten Anträge. An Drittländer, also Nationen, die weder Mitglied der Nato, noch der EU sind, verkaufte Deutschland Kriegswaffen für über 840 Millionen Euro; fast doppelt so viel wie im Vorjahr. Die meisten Waffen gingen nach Brunei, in den Irak und nach Singapur. Der Stadtstaat erhielt 2011 Rüstungsgüter für über 210 Millionen Euro. Die Ausfuhrgenehmigungen werden nach sorgfältiger Abwägung der außen-, sicherheits- und menschenrechtspolitischen Argumente entschieden, schreibt die Bundesregierung in ihrem Bericht. Wichtige Kriterien seien Konfliktprävention und Menschenrechte. Katja Keul von den Grünen sieht das anders:

O-Ton Keul
„Die Argumentation der Bundesregierung ist immer: Naja, wir bringen den Militärs dann ja sozusagen unsere rechtsstaatlichen Maßstäbe bei. Das funktioniert aber schon mal nicht, wenn in dem Staat, aus dem die Soldaten kommen, gar keine Demokratie und kein Rechtsstaat überhaupt auch nur ansatzweise bestehen. Und von daher ist es oft so, dass nämlich Exportförderung für die deutsche Wirtschaft die Motivation ist, in dem man das verknüpft mit entsprechenden Geschäften. Das ist aber nicht Aufgabe der Bundeswehr und von daher zu kritisieren.“

Eine Ausbildungshilfe der deutschen Streitkräfte lehnt die Verteidigungspolitikerin ab:

O-Ton Keul
„Diese Vorstellung, man könnte eine Diktatur, ein autokratisches Regime demokratisieren, indem man die Streitkräfte ausbildet - das glaubt niemand ernsthaft.“

Die Diskussion über die Ausbildung der Singapurer muss die Bundeswehr auch auf YOUTUBE führen. Ein Nutzer fragte in der Kommentarspalte, warum deutsche Soldaten die Streitkräfte eines autokratisch regierten Staates ausbilden, und ob dieses Wissen nicht auch gegen die dortige Zivilbevölkerung eingesetzt werden könne. Die Bundeswehr reagiert und antwortet, dass Staaten ihre Einstellungen schnell ändern könnten. Der Nutzer wirft ein, Singapur sei nicht erst seit gestern eine Diktatur. Die Antwort der Bundeswehr: Stimmt.

* Aus: NDR Info STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, 9. August 2013; www.ndr.de/info


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