Kriegswaffen in Spannungsgebiete - Warum nicht?
US-Waffenexporte an Taiwan und die deutsche Rüstungsexportkontrolle. Von Volker Bräutigam
Die rot-grüne Bundesregierung war 1998 angetreten, mehr Transparenz in die Rüstungsexportpraxis zu bringen und die Waffenexporte insgesamt restriktiver zu handhaben als die Vorgängerregierung. Zwei Mal legte das zuständige Wirtschaftsministerium bisher einen Rüstungsexportbericht vor (1999, 2000), der in der Tat für etwas mehr Transparenz sorgte (obwohl auch er nicht alles offenlegte), gleichzeitig aber darüber Auskunft gab, dass von einer "restriktiven Exportpolitik" nicht die Rede sein konnte. Volker Bräutigam recherchierte für die Wochenzeitung "Freitag" über die Waffenlieferungen der USA an das Nicht-UNO-Mitglied Taiwan und die Rolle, die deutsche Rüstungsfirmen dabei spielen. Der Artikel, aus dem wir im Folgenden Auszüge dokumentieren, erschien am 24. Mai 2002 unter dem Titel: "Der Tod des Yin Ching-feng".
... Als er noch niedersächsischer
Ministerpräsident war, erwies sich Gerhard
Schröder bereits als ein von Skrupeln kaum
geplagter Politiker. Mit
bundesweitem Echo forderte er - man
schrieb gerade das Jahr 1993, die
deutsche Werftenkrise warf ihre Schatten -
die Erlaubnis zu deutschen
U-Boot-Verkäufen an Taiwan. Ein in aller
Stille eingefädeltes Lieferprojekt
war damit aufgeflogen. Der
niedersächsische Landtag setzte einen
Untersuchungsausschuss ein. ... Als der
Untersuchungsausschuss seine
Arbeit im November 1993 beendete, war
natürlich immer noch nicht
unstrittig geklärt, welche staatlichen
Stellen und politisch Verantwortlichen
in Niedersachsen sowie in
Schleswig-Holstein die rechtswidrige
U-Boot-Lieferung forciert hatten. ...
Dabei verbietet das deutsche Recht ganz
unzweideutig den Verkauf von
Waffen in Spannungsgebiete. Der
Südwestpazifik ist ein solches
Spannungsgebiet. Waffenausfuhren sind
außerdem nur mit Zustimmung
des Bundessicherheitsrats erlaubt, eines
kleinen, geheim tagenden
Gremiums aus Parlamentariern und
Regierungsvertretern. ...
An diesem Gremium spätestens wäre
Schröders bedenkenloser Vorstoß
seinerzeit gescheitert ... Schröders Begehr schien damals so
abenteuerlich, dass er schon die
Hürden bis zum Bundessicherheitsrat nicht
schaffte und der elitäre Zirkel
sich gar nicht offiziell damit befassen
musste.
Deutsche Schiffe im Hafen von Keelung
In Deutschland gebaute U-Boote kamen
damals (noch) nicht unter Taiwans
Flagge. Aber die Marine der "Republik
China" verfügt seit spätestens
Anfang 1994 über immerhin vier Minensuch-
und Minenlegerschiffe aus
deutscher Produktion. ... Auf
welcher verschlungenen Route sie das
chinesisch-chinesische
Spannungsgebiet erreichten, blieb bis zum
heutigen Tage im Dunklen.
Warum eigentlich? Der inzwischen mit
internationalem Haftbefehl gesuchte
Holger Pfahls wäre doch nicht der Einzige,
der über die Hintergründe
Auskunft erteilen könnte. Pfahls, einst
Chef des
Bundesnachrichtendienstes BND, dann von
1987 bis 1992
Rüstungsbeschaffer im Rang eines beamteten
Staatssekretärs im Bonner
Verteidigungsministerium, nach Versetzung
in den einstweiligen
Ruhestand kurzzeitig Mitglied einer
Anwaltssozietät und schließlich - bis
vor drei Jahren - Spitzenmanager für
Daimler-Chrysler in Singapur, ist ja
erst im Juli 1999 spurlos untergetaucht.
Mit einer unbekannten Menge
Schmiergeld im Gepäck.
Gerüchten zufolge lebt Pfahls heute in
Taiwan. Wenn man ihn dort
entdecken würde, hätte er kaum eine
Auslieferung nach Deutschland zu
befürchten. Nur 28 Staaten haben Taiwan
politisch anerkannt und
unterhalten diplomatische Beziehungen zu
der chinesischen Inselrepublik.
Taiwan ist folglich nicht einmal Mitglied
bei der Fahndungsbehörde Interpol. ...
In aller Öffentlichkeit .. findet in
Taiwan seit mehr als einem Jahr ein
Prozess wegen zwielichtiger
Waffengeschäfte mit Deutschland und
anderen europäischen Staaten statt. Vor
Gericht in Taipei steht der Chef
der Marine, Admiral Yeh Chang-tung. Er
wird beschuldigt, korrupte
Offiziere zu decken, die bei der
Beschaffung der deutschen Minenleger
kräftig in die eigene Tasche
gewirtschaftet haben sollen.
Der Skandal erregt die chinesischen
Gemüter nicht nur wegen der vielen
ausländischen Adressen: Außer den vier
deutschen Minenlegern waren
sechs französische Zerstörer vom Typ
Lafayette sowie ein italienisches
Schiff für die Luftüberwachung zu stark
überhöhten Preisen angeschafft
worden. Auch nicht nur wegen der Höhe der
Schmiergeldzahlungen (die
Rede ist von 30 Millionen US-Dollar)
herrscht Empörung. Sondern vor allem
deshalb, weil in offenkundigem
Zusammenhang mit der Riesenschiebung
1993 ein hochrangiger Offizier ermordet
wurde. Der Kapitän zur See Yin
Ching-feng, war ein unbescholtener Mann.
Die Generalstaatsanwaltschaft
in Taipei ist anscheinend überzeugt, dass
er zuviel von den schmutzigen
Geschäften mitbekam, an die Öffentlichkeit
gehen wollte und damit zur
unmittelbaren Gefahr für mächtige
Hintermänner in der Admiralität und im
Verteidigungsministerium wurde, die ihn
beseitigen ließen.
Deutsche Konten für Admiral Yuan Yu-fan
Kapitän Yin war Angehöriger des Stabes des
Admirals Yuan Yu-fan. Yuan
hat der Anklage zufolge das Geld zum Kauf
der deutschen Schiffe (die
genaue Summe wurde bisher nicht öffentlich
genannt) bei einem Londoner
Geldinstitut in US-Dollar eingezahlt. Von
dort wurde es auf Konten bei
einer deutschen Bank transferiert. Weder
erwähnt der Staatsanwalt in
Taipei Probleme bei diesem Geldtransfer,
noch sind irgendwelche
Schwierigkeiten dabei in Deutschland
bekannt geworden. Das Geld war
offenbar erfolgreich gewaschen, es kam ja
auch aus dem
NATO-Partnerstaat Großbritannien. Laut
Anklage soll Yuan umgerechnet
fast 500.000 Euro für sich privat auf ein
ebenfalls deutsches Bankkonto
abgezweigt haben. Die Ermittlungen des
Untersuchungsgerichts in Taipei
konzentrieren sich seit kurzem ganz auf
diese Geschäftsvorgänge im
Rahmen der Beschaffung deutscher
Kriegsschiffe. ... Doch in Berlin gab es bislang zu
diesem Thema keinen Kommentar,
obwohl hier interessierte Kreise die
Geschichte genauestens im Auge
behalten dürften. Äußert sich nur deshalb
niemand zu dem Deal, weil
zwischen der Bundesrepublik und Taiwan
lediglich offiziöse, nicht aber
offizielle Beziehungen bestehen? Oder
erklärt sich - viel wahrscheinlicher -
das Desinteresse dadurch, dass so
offenkundig ein in Deutschland für
Taiwan geltendes Rüstungsexportverbot
missachtet wurde? Herrscht jetzt
betretenes Schweigen, weil von deutschen
Unternehmen Schmiergelder in
unbekannter Höhe gezahlt wurden und eben
nicht nur Ex-Staatssekretär
Pfahls eine Menge Dreck am Stecken hat?
US-Raketengürtel im Westpazifiky
In den USA gelten nicht einmal einfachste,
rational und moralisch
begründbare gesetzliche Beschränkungen für
das Geschäft mit
Mordwerkzeug, geschweige denn Verbote für
eine Waffenverbreitung in
Spannungsgebiete. Zum Waffenverkauf an
Taiwan besteht sogar eine
gesetzliche Verpflichtung, der Taiwan
Relations Act (TRA), beschlossen
und verkündet zur Beruhigung des
schlechten amerikanischen Gewissens,
nachdem Washington sich am Rauswurf
Taiwans aus den Vereinten
Nationen beteiligt, die diplomatischen
Beziehungen zu Taipei abgebrochen
und stattdessen solche mit Peking
aufgenommen hatte. ... In neuerer Zeit riskieren die USA nun eine
Destabilisierung des gesamten
südwestpazifischen Raumes. Zu dem, was sie
seit April 1999 an Taiwan
zu verkaufen wünschen, gehört ein
brandneues Radar-Frühwarnsystem von
großer Reichweite. Es bei den Taiwanern
abzusetzen, könnte Washington
als "Durchbruch" betrachten in seinem
Bestreben, im Südwestpazifik die
ersten Teile eines weltraum-gestützten
Raketenabwehrsystems (Theatre
Missile Defense System/TMDS) zu
installieren. Mit in diesem "Theatre"
sollen - aber erst, nachdem sie teure
Eintrittskarten dafür bezahlt haben -
später einmal Japan und Südkorea sitzen,
dazu die Philippinen und
Indonesien. Australien und Neuseeland
werden wohl ebenfalls noch
"eingeladen", wenn erst einmal die
Fundamente für das "Theatre" in Taiwan
gelegt sind. TMDS soll als Ergänzung der
in Alaska entstehenden
Nationalen Raketenabwehr (National Missile
Defense/ NMD) dienen.
Die Kombination von NMD und TMDS ergäbe
einen Raketengürtel, der von
der nördlichen Polarregion (Alaska) bis
fast in die Antarktis (Neuseeland)
reicht. ... Es ist erkennbar, dass
es den USA nicht nur um Schutz
für das eigene Land und für seine
Verbündeten geht, sondern um eine
weltweit wahrnehmbare militärische
Drohung: Dieser Erdball steht unter
unserem Kommando, unter US-amerikanischer
Oberhoheit.
Daneben verfolgt Washington mit dem
Anti-Raketen-Raketen-Gürtel
offensichtlich auch ein sehr konkretes
Ziel: Das Raketensystem richtet
sich gegen die Volksrepublik China -
weshalb Peking beinahe noch lauter
und heftiger gegen die Verletzung des
ABM-Vertrages protestierte als
Moskau.
Ohne Kundschaft kein Geschäft
Auch Waffengeschäfte kommen nur zustande,
wenn der Verkäufer einen
zahlungswilligen Kunden findet. Taiwan war
und ist aber nicht sonderlich
interessiert an dem Raketenabwehrschild
aus den USA und an der dazu
gehörigen Komponente, dem
Radarfrühwarnsystem. Nicht, dass es den
Chinesen zu teuer wäre. In Taipei glaubt
man vielmehr nicht wirklich an
wirksame Abwehrchancen im Falle eines vom
chinesischen Festland aus
geführten Luftangriffs. Schon vor der
ersten und kleinsten Rakete, die auf
der Insel einschlüge, wäre das Kapital aus
Taiwan geflüchtet und die
Wirtschaft zusammengebrochen. Man weiß
zudem in Taipei genau, was
zur Abschreckung und der eigenen
Sicherheit dient und was - im
Gegensatz dazu - die Spannungen mit Peking
bis zur Unkontrollierbarkeit
verschärfen würde.
Taiwans Regierung strich folglich die
Position "Radar-Frühwarnsystem"
immer wieder von den amerikanischen
Lieferscheinen. Auch aus dem
Verkauf der Luftabwehrrakete Patriot
PAC-III wurde bisher nichts
(angeblich, weil Taipei das Geld dafür
fehlt). Beide, das Radarsystem und
die Rakete, sind wichtige Komponenten des
Anti-Raketen-Schildes TMDS.
In Washington festigte sich deshalb der
Verdacht, von Taipei nicht einfach
nur hingehalten zu werden und Zeit zu
verlieren, sondern sogar damit
rechnen zu müssen, dass die TMDS-Teile
dauerhaft auf Halde bleiben und
sich die Einrichtung des Systems derart
verzögert, dass es überhaupt
nicht mehr realisierbar ist.
Bush leitete bereits wenige Wochen nach
seinem Amtsantritt mit reichlich
hemdsärmeligen Methoden das bis dahin
umfangreichste Waffengeschäft
im pazifischen Raum ein. Vier Zerstörer
der Kidd-Klasse, zwölf
P3-Orion-Flugzeuge (U-Boot-Jäger
modernster Bauart) und acht
dieselgetriebene U-Boote bildeten ein
Paket, das er innerhalb eines
Quartals nach Taiwan liefern wollte. Nur
über eine bestimmte, von Taiwan
besonders sehnsüchtig gewünschte Tranche
kam kein Deal zustande:
Zerstörer der Klasse Aegis, mit radar- und
lasergesteuerten Fernlenkraten
bestückte Kriegschiffe, gab Bush nicht zum
Verkauf frei. Diese modernste
Angriffswaffe der Welt soll offenbar der
US-Navy vorbehalten bleiben.
Bushs merkwürdiges Angebot
Mit seiner Zusage, acht Diesel-U-Boote zu
liefern, war Bush dem Wunsch
der Militärpolitiker in Taipei nach mehr
Offensivpotential allerdings schon
überraschend weit entgegengekommen. Seit
Jahren ... strebt Taiwan den Besitz neuer
U-Boote an. Es verfügt lediglich
über vier museumsreife, schwächlich
armierte und für den
Unter-Wasser-Angriff fast untaugliche
Boote. Moderne Diesel-U-Boote
können ebenso bewaffnet und elektronisch
ausgestattet werden wie
Atom-U-Boote. Nur in der Antriebsart und
im Potenzial für einen extrem
langen Aufenthalt unter Wasser
unterscheiden sie sich.
Bushs Zusage schien zunächst
verwunderlich. Die USA selbst sind
nämlich nicht mehr in der Lage,
Diesel-U-Boote zu bauen, die letzten liefen
Mitte des vorigen Jahrhunderts vom Stapel.
Aus eigener Kraft auf den
Standard von heute zu kommen, würde
Milliardenbeträge kosten und Jahre
dauern.
Nicht atomar angetriebene U-Boote (mit
Diesel- und mit Elektromotoren,
demnächst sogar mit wasserstoffgespeisten
Brennzellen) werden heute nur
in Europa produziert, etwa in den
Niederlanden, vor allem in Deutschland.
Hier baut HDW die Schiffskörper, Thyssen
stellt den Spezialstahl,
Rheinmetall, Siemens und andere liefern
Bewaffnung, Elektronik und
Ausstattung. Zwar haben Berlin und Den
Haag es offiziell abgelehnt, für
Bush in die Bresche zu springen und nun
doch U-Boote nach Taiwan zu
liefern, besorgt, die Beziehungen zur
Volksrepublik China könnten
Schaden nehme. Inoffiziell aber, so
berichten der Sender Voice of America
und einige taiwanesische Zeitungen, bemühe
sich das
US-Verteidigungsministerium in Deutschland
und Holland darum, dass dort
zumindest Teilaufträge für den U-Boot-Bau
übernommen werden.
Blaupausen und Lizenzen für
Ergänzungsbauten auf US-Werften böten
weiteren Gesprächsstoff. Sieben
europäische Firmen hätten bereits
Angebote unterbreitet, nur die "förmlichen
Dokumente" lägen noch nicht
vor.
Bush scheint sich demnach bei seiner
Großsprecherei gegenüber Taiwan
der Vasallentreue europäischer Verbündeter
ebenso sicher gewesen zu
sein wie der Durchschlagskraft des
Profitinteresses deutscher und
holländischer Waffenproduzenten. So
schließt sich nun der Kreis vieler von
Korruption belasteter
US-amerikanisch-europäisch-taiwanesischer
Rüstungsgeschäfte. Die Waffenlieferungen
der USA in das chinesische
Spannungsgebiet und der lässige Umgang
deutscher Stellen mit den
hierzulande geltenden gesetzlichen
Beschränkungen und Verboten
korrespondieren geradezu perfekt
miteinander.
Aus: Freitag 22, 24. Mai 2002
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