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Herkulesaufgabe oder Sisyphusjob?

Die Abrüstungskommission der Vereinten Nationen beginnt am Ostermontag ihre Jahrestagung

Von Wolfgang Kötter *

In New York beginnt am Ostermontag (9.4.) die Abrüstungskommission der Vereinten Nationen ihre Jahrestagung. Drei Wochen lang werden die 192 UN-Mitgliedstaaten unter Vorsitz von Elbio Rosselli aus Uruguay Fragen der Abrüstung und Rüstungskontrolle erörtern. Das ist nicht selbstverständlich, denn es gab auch Jahre, in denen die Veranstaltung ersatzlos ausfiel oder nicht einmal ein Arbeitsprogramm zustande brachte. Dennoch kann die Kommission im Netzwerk multilateraler Institutionen eine nützliche Rolle spielen. Als Brücke zwischen der Vollversammlung, die jährlich etwa 50 Empfehlungen zur Abrüstung verabschiedet, und der für die Ausarbeitung völkerrechtlicher Verträge zuständigen Genfer Abrüstungskonferenz, soll sie helfen, den politischen Boden für spätere Verhandlungen zu bereiten. Positionen werden ausgetauscht, unterschiedliche Standpunkte so weit es geht angenähert und möglichst vereinbart, wie man gemeinsam weiter vorgehen will.

Zwei Themenkomplexe stehen diesmal auf der Tagesordnung: Zum einen werden Wege und Mittel zur atomaren Abrüstung und nuklearen Nichtverbreitung gesucht. Hierbei geht es um nicht weniger als das Überleben der Menschheit, denn die Situation ist äußerst bedrohlich. Die Atommächte behandeln die ultimative Waffe ganz offen als unverzichtbares Element ihrer Militärpolitik und modernisieren die Arsenale, um sie künftig auch einsetzen zu können. Dadurch wächst die Gefahr, dass nach dem Nukleartest Nordkoreas, dem Atomprogramm Irans und Israels Coming-out als Atomwaffenstaat alsbald eine Lawine nuklearer Weiterverbreitung losbrechen könnte. Andererseits zeigen die Sechs-Staaten-Verhandlungen zur Beendigung des Atomwaffenprogramms der KDVR, dass Fortschritte auf diplomatischem Weg möglich sind. Der zweite Themenbereich umfasst vertrauensbildende Maßnahmen bei den konventionellen Waffen, die in Kriegen und Konflikten jedes Jahr Hunderttausende Menschenleben fordern. Zu möglichen Aktionen, die Misstrauen abbauen könnten, gehören z.B. Transparenz und Informationsaustausch in Rüstungsfragen und bei Truppenbewegungen, gegenseitige Manöverbeobachtungen, die Schaffung militärisch verdünnter und Disengagement-Zonen in Grenznähe sowie Konsultationsmechanismen und Prozeduren zur Streitschlichtung. Als Ergebnis streben die Delegierten allgemeine Handlungsempfehlungen an. Wenngleich diese nicht rechtsverbindlich sind , könnten sie zumindest als politisches Signal und kleinster gemeinsamer Nenner der Staatengemeinschaft angesehen werden, denn Beschlüsse werden nur im Konsens gefasst. Ob die Kommission allerdings diesmal erfolgreich sein wird, erscheint eher fraglich.

Hinzu kommen Irritationen durch die von Generalsekretär Ban Ki Moon vorgenommene Umstrukturierung des UN-Sekretariats. Er hat die bislang selbständige Abrüstungsabteilung in sein eigenes Büro eingegliedert. Kritiker halten dies für einen Versuch, sich das Wohlwollen der USA zu erkaufen und trotz gegenteiliger Behauptung Abrüstung in den Vereinten Nationen nicht mehr als Priorität sondern nur noch unter ferner liefen zu behandeln. Washington zweifelt auch den Nutzen der UN-Abrüstungskommission offen an, weil diese sich angeblich "überlebt" habe. Der US-Senat forderte schon mal, dem Gremium den Geldhahn abzudrehen. Deshalb reagieren viele Mitgliedstaaten und auch zahlreiche Nichtregierungsorganisationen äußerst argwöhnisch auf die Manöver des neuen Generalsekretärs, und die Beteuerung von US-Botschafter Alejandro Wolff, das Misstrauen sei "grundlos" und die Umgliederung "apolitisch", kann daran wenig ändern. Die Degradierung des Abrüstungsdepartments ist nämlich nicht nur eine administrative Maßnahme, sondern sie besitzt eine starke symbolische Bedeutung für das Image der UNO nach außen, aber auch für das Selbstverständnis der Weltorganisation. Abrüstung gehört laut Charta zu ihren zentralen Anliegen.

Sowohl der Sicherheitsrat als auch die Vollversammlung werden ausdrücklich beauftragt, sich für "Abrüstung und Rüstungsregulierung" einzusetzen. Als die UNO im Jahre 1945 das Licht der Welt erblickte, war sie sofort mit den verheerendsten Destruktivkräften in der Menschheitsgeschichte, den Nuklearwaffen, konfrontiert. Auf ihrer ersten Vollversammlung, noch unter dem Schatten der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki, unterstrich sie die zentrale Rolle der Abrüstung für Frieden und Sicherheit. Kernwaffen und alle übrigen Massenvernichtungswaffen sollten aus den nationalen Arsenalen verbannt werden. Überall auf dem UN-Gelände zwischen 42. und 48. Straße an der First Avenue in Midtown Manhattan trifft man auf Abrüstungssymbole: Im Park schmiedet eine überlebensgroße Statur "Schwerter zu Pflugscharen", auf dem Vorplatz zwischen General Assembly Hall und Dag-Hammarskjöld-Bibliothek kündet ein verknoteter Pistolenlauf vom Engagement gegen Waffengewalt, in Sichtweite mahnt das Läuten der japanische Friedensglocke an jedem 21. September zum Weltfriedenstag ein gewaltfreies Zusammenleben der Völker an, und vor dem Sitzungssaal des Sicherheitsrates beklagt Pablo Picassos "Guernica" die Leiden des Bombenkrieges.

Angesichts der riesigen Waffenberge, die die Menschheit bis heute aufgehäuft hat und die alles Leben auf der Erde mehrfach vernichten können, ist Abrüstung wahrlich eine Herkulesaufgabe. Aber schon seit Jahren bewegt sich kaum noch etwas. Schuld am Stillstand sind jedoch nicht die Konferenzen, Ausschüsse und Organisationen. Sie dienen den Staaten lediglich zur Erreichung ihrer Ziele – vorausgesetzt diese wollen sich ihrer überhaupt bedienen. Aber offensichtlich ist es gerade der Mangel an politischem Willen, der zur Zeit die multilateralen Abrüstungsinstitutionen blockiert. Während die Regierenden aufrüsten, grassiert in der Abrüstungskommission die Sorge, die vereinbarten Papiere könnten nicht mehr als nur Makulatur sein - Sisyphus hingegen bewegte immerhin noch seinen Felsblock.

„Und den Sisyphus sah ich, von schrecklicher Mühe gefoltert,
Einen schweren Marmor, mit grosser Gewalt fortheben.
Angestemmt arbeitet' er stark mit Händen und Füssen,
Ihn von der Au aufwälzend zum Berge. Doch glaubt' er ihn jetzo
Auf den Gipfel zu drehen, da mit einmal stürzte die Last um;
Hurtig mit Donnergepolter entrollte der tückische Marmor.“
(Aus der Odyssee)

"Gemeinsam haben wir so manchen großen Felsbrocken auf den Berggipfel geschoben, auch wenn uns einige entglitten und wieder hinabgerollt sind. Aber dieser Berg mit seinem frischen Wind und dem globalen Ausblick ist der beste Platz der Welt."
UNO-Generalsekretär Kofi Annan bei der Eröffnung seiner letzten Vollversammlung im Herbst 2006

* Dieser Beitrag erschien leicht gekürzt unter dem Titel "Sisyphus in New York" im "Neuen Deutschland" vom 7. April 2007


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