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Waffenexporte wirken wie Brandbeschleuniger

UN-Vollversammlung debattiert Abkommen über Rüstungstransfers

Von Wolfgang Kötter *

Wenn heute (16. September) in New York die 192 UNO-Mitgliedstaaten zur diesjährigen Vollversammlung zusammenkommen, steht die Eindämmung des Waffenhandels an prominenter Stelle auf der Tagesordnung.

Rüstungstransfers fordern allerorten einen hohen Blutzoll, denn sie wirken auf internationale Konflikte wie Brandbeschleuniger. Und an gewaltsamen Auseinandersetzungen mangelt es nicht in der heutigen Welt. Das vom Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung herausgegebene „Conflict-Barometer 2007“ vermerkt allein für das vergangene Jahr weltweit 328 Konflikte und stuft 31 von ihnen als „hochgewaltsam“ ein. Der ungebrochene Zustrom von ausländischen Waffen schürt die Gewalt und erschwert friedliche Lösungen. So sind beispielsweise rund 95 Prozent aller Waffen, die in Gewaltkonflikten in Afrika zum Einsatz kommen, nicht-afrikanischer Herkunft und auch von der verwendeten Munition stammt der geringste Teil aus einheimischer Produktion.

Der internationale Waffenhandel erreicht weltweit wieder das Ausmaß des Kalten Krieges. Gleich nach den USA und Russland, die zusammen 56 Prozent der Rüstungsexporte betreiben, folgt für den Zeitraum der letzten fünf Jahre Deutschland mit 10 Prozent, noch vor Frankreich und Großbritannien. Ihren vorderen Platz verdankt die Bundesrepublik vor allem der Lieferung von Kriegsschiffen, überschüssigen Beständen der Bundeswehr und Einzelkomponenten für Waffensysteme. Nur allzu häufig ignoriert die Regierung den EU-Verhaltenskodex für Rüstungsexporte und liefert Waffen in Krisenregionen wie den Nahen und Mittleren Osten. Ausfuhrgenehmigungen werden ebenfalls ohne Berücksichtigung wesentlicher Kriterien wie die Achtung der Menschenrechte oder die Abwesenheit interner Gewaltkonflikte erteilt. Sogar der von der Bundesregierung selbst herausgegebene Bericht weist Deutschland als einen der weltweit führenden Waffenverkäufer aus. So stiegen 2006 die Genehmigungen für Rüstungsgüter gegenüber dem Vorjahr um 1,5 Milliarden auf 7,7 Mrd. Euro. Größte Abnehmer waren Griechenland, Südkorea, die Niederlande, Südafrika und die Türkei. Nichtregierungsorganisationen und auch die Kirchen kritisieren diese Rüstungsexportpolitik scharf. Den Anteil direkter deutscher Waffenlieferungen an Entwicklungsländer schätzt die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) auf über 20 Prozent an den Gesamtrüstungsexporten. Die im Koalitionsvertrag von Union und SPD angekündigte restriktive Exportpolitik werde "durchlöchert wie ein Schweizer Käse", empört sich der katholische Vorsitzende der GKKE, Prälat Karl Jüsten.

Aber das ist nicht verwunderlich, denn der Verkauf von Tötungsmitteln ist ein Bombengeschäft: Allein in den vergangenen fünf Jahren betrugen die Rüstungsgeschäfte weltweit mehr als 120 Mrd. Dollar. Hunderttausende Menschen bezahlen die Gewinne der Todeshändler mit ihrem Leben. Obwohl die negativen Auswirkungen offensichtlich sind, kommen Initiativen zur Einschränkung des Waffenhandels nur schleppend voran. Hauptschuldig sind ausgerechnet die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates, Russland, USA, Frankreich und Großbritannien, denn sie gehören zu den führenden Waffenexporteuren.

Immerhin fordert die UNO-Vollversammlung seit zwei Jahren den Abschluss eines weltweiten Abkommens über Rüstungstransfers (Arms Trade Treaty). 153 Staaten unterstützen die entsprechende Resolution 61/89. Als einziges Land votierten die USA dagegen, während sich China und Russland wie auch 22 weitere Staaten der Stimme enthielten. Entsprechen der Entschließung prüfte in den vergangenen Monaten eine 28-köpfige Expertengruppe unter Leitung von Roberto García Moritán aus Argentinien die Machbarkeit, den Geltungsbereich und inhaltliche Eckpunkte für eine Vereinbarung über gemeinsame Standards zum Import, Export und Transfer konventioneller Waffen. Die Empfehlungen liegen nun den UNO-Mitgliedstaaten zur Entscheidung vor. Wenn diese sich einigen, könnten schon im kommenden Jahr konkrete Vertragsverhandlungen beginnen. Dabei müssen die Diplomaten mit den wachsamen Augen der Zivilgesellschaft rechnen.

Die Menschenrechtsorganisation amnesty international, die Hilfsorganisation OXFAM und das Internationale Aktionsnetzwerk gegen Kleinwaffen IANSA haben sich zur Kampagne "Waffen unter Kontrolle!" zusammengeschlossen. Durch ein vielfältiges Engagement wollen sie Druck auf die Regierungen ausüben und verlangen, ein unterschriftsreifes Abkommen bis spätestens 2011 auszuarbeiten. In einer weltweiten Online-Fotogalerie fordern über eine Million Menschen in 170 Ländern mit ihrem Porträt einen "Arms Trade Treaty". Unterstützt werden sie beispielsweise von 15 Friedensnobelpreisträgern, unter ihnen Erzbischof Desmond Tutu, IAEA-Chef El-Baradei und die Organisation Ärzte gegen den Atomkrieg IPPNW.


Die Mitglieder der UN-Expertengruppe kommen aus folgenden 28 Ländern:
Ägypten, Algerien, Argentinien, Australien, Brasilien, China, Costa Rica, Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Indien, Indonesien, Italien, Japan, Kolumbien, Kenia, Kuba, Mexiko, Nigeria, Pakistan, Rumänien, Russland, Schweiz, Südafrika, Spanien, Ukraine, USA.

Folgende fünfzehn Friedens-Nobelpreisträger haben den offenen Brief für einen internationales Waffenhandelsabkommen unterzeichnet:
American Friends Service Committee, amnesty international, Oscar Arias, Dr. Mohammad El Baradei, Shirin Ebadi, Adolfo Pérez Esquivel, José Ramos Horta, Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Dalai Lama, Mairead Corrigan Maguire, Rigoberta Menchú, Desmond Tutu, Lech Walesa, Betty Williams und Jody Williams.



Die größten Waffenexporteure

RangLandAnteil am Welthandel
2003-2007
(in Prozent)
1 USA 30
2 Russland 25
3 Deutschland 10
4 Frankreich 9
5 Großbritannien 4
6 Niederlande 4
7 Italien 2
8 Schweden 2
9 China 2
10 Ukraine 2

Quelle: Quelle: SIPRI


Die größten Waffen-Importeure

RangLandAnteil am Welthandel
2003-2007
(in Prozent)
1 China 12
2 Indien 8
3 Vereinigte Arab. Emirate 7
4 Griechenland 6
5 Südkorea 5
6 Israel 4
7 Ägypten 3
8 Australien 3
9 Türkei 3
10 USA 2

Quelle: Quelle: SIPRI

* Dieser Beitrag erschien unter demselben Titel, allerdings in einer gekürzten Fassung, am 16. September 2008 im "Neuen Deutschland"


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