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Konkurrenz aus Asien - Immer mehr Rüstungsexporte aus China

Ein Beitrag von Jerry Sommer in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderator):
China ist die aufsteigende Wirtschaftsmacht. Produkte Made in China bestimmen die Märkte, nicht nur in Asien, sondern auch in Europa und den USA. Auch technologisch geht es mit großen Schritten voran, wie die Landung einer Sonde auf dem Mond deutlich gemacht hat. Als angehende Supermacht rüstet China auch kräftig auf, die Rüstungskapazitäten werden ausgebaut. Die Waffensysteme dienen jedoch nicht nur dem eigenen Bedarf. Peking wird zunehmend zu einem bedeutenden Exporteur von Rüstungsgütern. Jerry Sommer hat recherchiert:


Manuskript Jerry Sommer

In den vergangenen Jahrzehnten rangierte China bei den Rüstungsexporten eher unter ferner liefen. Doch das hat sich inzwischen geändert, sagt Pieter Wezeman vom schwedischen Friedensforschungsinstitut SIPRI:

O-Ton Wezeman (overvoice)
„In den letzten fünf Jahren hat China seine Rüstungsexporte und die Regionen und Länder, in die es exportiert, deutlich erweitert. Nun steht das Land nach den Berechnungen von SIPRI noch vor Großbritannien an fünfter Stelle.“

Nach Angaben des Stockholmer Instituts betrug im Zeitraum 2008 bis 2012 Chinas Anteil am weltweiten Export großer Waffensysteme fünf Prozent. Damit liegt das Land knapp hinter Frankreich und Deutschland. Russland mit einem Anteil von 26 Prozent und die USA mit 30 Prozent sind der Volksrepublik aber noch meilenweit voraus.

Wie groß die Erlöse Chinas aus den Rüstungsexporten sind, das ist angesichts der mangelnden Transparenz in dem kommunistisch regierten Land nur schwer zu sagen. Die Forschungsabteilung des US-Kongresses schätzt diese Summe für die vergangenen Jahre auf jeweils über zwei Milliarden Dollar.

Früher exportierte China vor allem Kleinwaffen. Das hat sich mittlerweile geändert. Denn inzwischen gibt es eine leistungsfähige Rüstungsindustrie. Pieter Wezeman:

O-Ton Wezeman (overvoice)
„Heute bietet China alles an - von Kleinwaffen bis zu U-Booten, Panzern und Kampfflugzeugen.“

Über die Hälfte der chinesischen Rüstungsexporte gehen nach Pakistan. An das Nachbarland liefert China vor allem Kampflugzeuge und Raketen. Weitere Groß-Abnehmer sind Myanmar und Bangladesch. Saudi Arabien hat Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite von 2.500 Kilometern gekauft. Inzwischen werden auch Hubschrauber nach Argentinien und Kriegsschiffe nach Algerien exportiert. Die Münchener Politikwissenschaftlerin und Sinologin Saskia Hieber:

O-Ton Hieber
„Hier ist eine interessante Entwicklung zu sehen, dass sich diese Zweite-Welt- Länder, die auch große Streitkräfte haben, die Hardware wie beispielsweise Schiffe aus China besorgen, aber diese dann von europäischen Firmen mit modernerer oder modernster Kommunikationstechnologie nachrüsten lassen.“

Denn noch hat China in vielen Bereichen den High-Tech-Standard europäischer oder gar US-amerikanischer Waffensysteme nicht erreicht. Aber es ist dabei, schnell aufzuholen. Das jüngste Beispiel: Das NATO-Land Türkei hat sich im November für den Kauf eines chinesischen Luftverteidigungssystems entschieden. Es soll ähnlich wie das US-System Patriot einen Schutz gegen Flugzeuge und angreifende Raketen bieten. Der Umfang des Deals: drei Milliarden Dollar. Pieter Wezeman:

O-Ton Wezeman (overvoice)
„Hier stand China in Konkurrenz zu europäischen und US-Unternehmen. Und überraschenderweise hat China, trotz der NATO-Mitgliedschaft der Türkei, die erste Schlacht gewonnen, obwohl der Vertrag noch nicht unterschrieben ist. Das ist ein wichtiger Durchbruch für die chinesischen Rüstungsexporte.“

Noch ist dieser China-Vertrag also nicht in trockenen Tüchern. Die türkische Regierung hat unter dem Druck der Proteste aus Washington und dem NATO-Hauptquartier in Brüssel die Ausschreibungsfrist verlängert. Damit können die westlichen Rüstungsunternehmen ihre Angebote bis Ende Januar noch nachbessern. Neben dem günstigen Preis sprechen allerdings weitere Gründe für das chinesische Angebot, erklärt der türkische Politikwissenschaftler Husseyin Bagci im Interview mit dem Sender „Russia Today“:

O-Ton Bagci (overvoice)
„Die Amerikaner kontrollieren immer die Systeme, die sie liefern. Die Chinesen bieten der Türkei hingegen an, diese Systeme gemeinsam zu produzieren und ihr die vollständige Kontrolle des Systems zu übergeben.“

Es sei einmal dahingestellt, ob die Türkei tatsächlich ein teures Luftverteidigungssystem benötigt. Die Regierung in Ankara will aber offensichtlich mit dem Deal auch mehr Unabhängigkeit gegenüber den USA durchsetzen, glaubt die Münchener Politikwissenschaftlerin Saskia Hieber:

O-Ton Hieber
„Es geht nicht nur um den Preis, es geht nicht nur um das Signal an die NATO und den Westen von der Türkei aus: ‘Wir können auch anders.‘ Es geht auch um amerikanische Einflussnahme.“

Den USA und der NATO geht es bei ihrem Widerstand gegen den China-Deal der Türkei ebenfalls um Einflussnahme und geostrategische Interessen. Pieter Wezeman vom Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI:

O-Ton Wezeman (overvoice)
„Sie werden sicher mit ganz harten Bandagen kämpfen. Sie sind besorgt, dass die Türkei zu sehr in die chinesische Einflusssphäre gerät und sie haben Angst, dass China Zugang erhält zu den High-Tech-Waffensystemen, die die USA an die Türkei geliefert haben.“

Beunruhigt sind aber auch russische und westliche Rüstungsunternehmen. Mit China gibt es jetzt einen weiteren Player auf dem hart umkämpften internationalen Rüstungsmarkt. Pieter Wezeman:

O-Ton Wezeman (overvoice)
„Es kommt ein gewichtiger neuer Konkurrent ins Spiel zu einer Zeit, in der die eigenen Märkte kleiner und kleiner werden, weil die Rüstungshaushalte schrumpfen und die Unternehmen deshalb noch stärker nach neuen Exportmöglichkeiten suchen“.

Auch in China sind ökonomische Gründe eine der Haupttriebkräfte der wachsenden Rüstungsexporte. Die großen chinesischen Mischkonzerne wollen ihre neuen Waffensysteme exportieren, um Profite zu machen. Ähnlich wie bei westlichen Rüstungsexporten vermutet SIPRI-Mitarbeiter Pieter Wezeman aber auch andere Motive für die Rüstungsexporte:

O-Ton Wezeman (overvoice)
„Wichtig ist auch, dass China einen größeren politischen Einfluss anstrebt, z. B. in Afrika, um einen besseren Zugang zu Rohstoffen zu erlangen. Und Waffen können helfen, die Beziehungen zu einigen Ländern, die solche Rohstoffe besitzen, zu verbessern.“

Mit seiner Handels- und Wirtschaftspolitik hat China allerdings weit größere Einflussmöglichkeiten als durch Rüstungsexporte. Die Volksrepublik versucht zwar als ökonomischer Akteur seinen Anteil am Rüstungsmarkt zu erweitern. Peking achtet aber auch darauf, dass sein internationales Ansehen nicht durch Rüstungsexporte beschädigt wird, sagt Saskia Hieber:

O-Ton Hieber
„Rüstungsexporte werden nicht an die große Glocke gehängt. Man will auch nicht die Nummer eins, zwei oder drei werden. China ist immer interessiert, durch Rüstungsexporte nicht ins Gerede zu kommen. Beispiel: China wird wegen seiner dringend benötigten Ölimporte aus dem Sudan nicht ins Gerede kommen wollen durch massive Rüstungslieferungen an den Sudan. Es gibt da einfach andere Prioritäten.“

Wie die westlichen Regierungen betont auch die Volkrepublik, dass die eigenen Waffenlieferungen die Sicherheit und der Stabilität der jeweiligen Regionen nicht gefährden. Tatsächlich hält sich China in der Regel an die vom UN-Sicherheitsrat verhängten Waffenembargos. Doch darüber hinaus gibt es bei der Lieferung von Rüstungsgütern kaum Beschränkungen. Da verhält sich die Volksrepublik nicht anders, als ihre Rüstungsexportkonkurrenten.

Allerdings: Große Rüstungsmärkte werden China wohl auch in Zukunft versperrt bleiben, sagt Pieter Wezeman:

O-Ton Wezeman (overvoice)
„Die USA, die meisten europäischen Staaten, Russland, Japan, Süd-Korea und auch der größte Rüstungsimporteur, Indien, dürften kaum daran interessiert sein, chinesische Waffen zu kaufen.“

Aufgrund der verbesserten Technologie und den vergleichsweise günstigen Preisen ist aber mit einem weiteren Anstieg der chinesischen Rüstungsexporte zu rechnen. Neben den bisherigen großen asiatischen Abnehmern Pakistan, Myanmar und Bangladesch dürften in Zukunft noch mehr Staaten aus Afrika, Lateinamerika und dem Nahen Osten an Waffen aus China interessiert sein.

* Aus: NDR Info: Das Forum STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, 11. Januar 2014; www.ndr.de/info


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