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"Wer über die Rüstungswirtschaft reden will, darf über Außen- und Sicherheitspolitik nicht schweigen"

Rede von Bundesminister Gabriel zu den Grundsätzen deutscher Rüstungsexportpolitik *


Sehr geehrter Herr Dr. Oetker, Dr. Kindermann,
Meine sehr geehrten Damen und Herren,


vielen Dank für die freundliche Begrüßung und Einleitung, es ist wahr: Kaum ein anderes Thema ist in der Lage, so starke Emotionen hervor zu rufen, wie die Frage des Exports von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern aus unserem Land, und kaum ein anderes Thema steht dann immer so sehr im Kreuzfeuer der öffentlichen Debatte, jetzt allemal, wo, wie Herr Steinmeiner es zusammen mit mir in einem Brief formuliert hat, die Welt scheinbar aus den Fugen gerät. Und kaum eine andere politische Frage wird von so vielen Ansprüchen bedrängt: moralischen, wirtschaftspolitischen, sicherheitspolitischen und strategischen.

Deshalb soll es genau darum heute gehen. In einer Atmosphäre, die eine durchaus wertegeleitete aber eben auch nüchterne Debatte zulässt. Deswegen danke ich der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik dafür, hier zu diesem Thema sprechen zu dürfen.

Ich möchte mit Ihnen über die Grundsätze sprechen, nach denen Entscheidungen über den Export von Kriegswaffen und Rüstungsgütern in Deutschland aus meiner Sicht gefällt werden sollten.

Dabei werde ich mich auch auf Terrain begeben, das eigentlich nicht in den Aufgabenbereich des Wirtschaftsministers fällt, das aber unverzichtbare Grundlage jeder Debatte über Rüstung und Rüstungsexporte sein muss: das Terrain der Außen- und Sicherheitspolitik. Denn wer über die Rüstungswirtschaft reden will, darf über Außen- und Sicherheitspolitik nicht schweigen. Im Gegenteil: sie, die Außen- und Sicherheitspolitik, muss Ausgangs- und Zielpunkt einer rüstungspolitischen Strategie Deutschlands - und soweit erreichbar - auch Europas werden.

Erst abgeleitet davon können wir über wirtschafts- und industriepolitische Belange der wehrtechnischen Industrie unseres Landes sprechen. Diejenigen politischen Debattenbeiträge der letzten Wochen und Monate, die wirtschafts- und industriepolitische Interessen in den Mittelpunkt der Entscheidungen, sozusagen zum Ausgangspunkt der Entscheidungen machen über Rüstungsexporte, verwechseln Ziele und Instrumente.

Damit meine ich übrigens nicht die Vertreter der Rüstungsindustrie selbst. Sie vertreten private Unternehmen, haben primär ökonomische Interessen und natürlich auch das Interesse am Erhalt möglichst vieler qualifizierter Arbeitsplätze in ihren Unternehmen. Das ist völlig legitim. Die Politik allerdings hat eine andere Aufgabe, wenn es um Rüstungsgüter geht. Sie muss sich von diesen legitimen privatwirtschaftlichen Interessen zu allererst mal frei machen, darf sie gerade nicht zum Ausgangs- und Zielpunkt ihrer Rüstungspolitik und Rüstungsexportpolitik machen und darf vor allem Ziele und Instrumente nicht verwechseln.

Das Ziel sind die außen- und sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands - und ich wiederhole, auch wenn wir von einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union leider noch weit entfernt sind, auch der Europäischen Union -, zu deren Instrumenten auch die Herstellung und Lieferung von Rüstungsgütern gehören können, aber auch nicht zwangsläufig immer gehören müssen.

Meine Damen und Herren,

wenn wir in Deutschland über die Produktion von und den Handel mit Kriegswaffen und Rüstungsgütern sprechen, so sprechen wir nicht über ein ganz normales Geschäftsfeld.

Zu Recht gilt: wer in Deutschland über die Genehmigung von Rüstungsgütern entscheiden muss, tut das nach strengen gesetzlichen Regeln. Dafür gibt es auch viele gute Gründe. Allemal vor dem Hintergrund der furchtbaren Leiden, die Deutsche mit deutschen Waffen zwischen 1939 und 1945 verursacht haben, da wollten die Väter und Mütter des Grundgesetzes sicherstellen, dass Deutschland nicht dazu beiträgt, aggressive Staaten aufzurüsten oder Konflikte kriegerisch zu lösen.

Denn viele Waffen werden in die Krisenstaaten geliefert, wo sie bewaffnete Konflikte erst möglich machen, verschärfen oder verlängern. Dass wir uns jetzt dazu gezwungen sehen, in den Nordirak Waffen zu liefern, um die kurdischen Peschmerga in die Lage zu versetzen, die Mordbrenner der IS zu stoppen, ist ja durchaus auch die Folge viel zu vieler Waffenlieferungen in diesen Raum in den letzten Jahrzehnten. Was seit Jahrzehnten an Waffen aus dem Westen wie dem Osten an einzelne Herrscher geliefert wurde, weil sie zwar Menschenrechte unterdrückten, dafür aber scheinbar für Stabilität sorgten, befindet sich heute in den Händen unterschiedlichster Warlords und Terrorgruppierungen. Die Büchse der Pandora ist randvoll gefüllt mit Waffen, die in dieser Region eben gerade nicht hergestellt, wurden, sondern die man erst dorthin exportiert hat.

Regeln des Rüstungsexports

Zur Klarheit in der Debatte gehört es, dass wir uns an die unverändert eindeutigen rechtlichen Grundlagen und Rahmenbedingungen der Ausfuhr von Rüstungsgütern und Kriegswaffen erinnern.

An diesen Rahmenbedingungen hat die jetzige Bundesregierung nichts geändert. Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD wurde nichts anderes vereinbart, als diese strengen Regeln auch anzuwenden.

Dass trotz dieser politischen und rechtlichen Kontinuität unseres Handelns dennoch eine so hitzige Debatte ausgelöst wurde, lässt den Verdacht aufkommen, dass entweder in der Vergangenheit diese Regeln sehr expansiv ausgelegt oder sogar nicht durchgehend angewandt wurden. Manche mutmaßen, dass es sogar zwischen Politik und Wirtschaft eine stillschweigende Übereinkunft gab, es mit den Regeln nach der Rückführung der nationalen Finanzbudgets für Rüstungsproduktion und Beschaffung doch bitte im Export nicht so genau zu nehmen.

Lassen Sie mich kurz die rechtlichen Grundlagen skizzieren, vom Grundgesetz bis hin zu den detaillierten Ausführungsbestimmungen.

Art. 26 Abs. 2 des Grundgesetzes bestimmt als Zentralnorm: "Zur Kriegführung bestimmte Waffen dürfen nur mit Genehmigung der Bundesregierung hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden".

Dieser Grundgesetzartikel zieht, wie dargestellt, die Konsequenz aus den Lehren, welche die junge Bundesrepublik Deutschland aus der Geschichte Deutschlands und Europas gezogen hat.

Diese Bestimmung unserer Verfassung wird dann im Kriegswaffenkontrollgesetz konkretisiert:

So bestimmt § 6 des Kriegswaffenkontrollgesetzes:

"Auf die Genehmigung [des Exports oder der Herstellung] besteht kein Anspruch."

Und weiter:

"Die Genehmigung ist zu versagen, wenn

1. die Gefahr besteht, dass die Kriegswaffen bei einer friedensstörenden Handlung, insbesondere bei einem Angriffskrieg, verwendet werden,

2. Grund zu der Annahme besteht, dass die Erteilung der Genehmigung völkerrechtliche Verpflichtungen der Bundesrepublik verletzen oder deren Erfüllung gefährden würde."

Schließlich wird ebenfalls gesagt, dass nicht genehmigt werden kann, wenn der Begünstigte der Genehmigung die

"für die beabsichtigte Handlung erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt."

Angesichts staatsanwaltlicher Ermittlungen gegen einen Teil von Waffenherstellern in Deutschland ist dieser Hinweis auf die Zuverlässigkeitsprüfung aktuell ein Thema.

Wohlgemerkt: In diesen Punkten hat die Bundesregierung kein Ermessen. Juristen nennen das eine gebundene Entscheidung. Auch das in seinem Anwendungsbereich wesentlich weitere Außenwirtschaftsgesetz folgt dieser Linie. Danach kann der Export gemäß § 5 AWG von "Waffen, Munition und sonstige Rüstungsgüter sowie Güter für die Entwicklung, Herstellung oder den Einsatz von Waffen, Munition und Rüstungsgütern" beschränkt werden. Dies gilt insbesondere für "Güter, die zur Durchführung militärischer Aktionen bestimmt sind." (§ 5 Abs. 2 AWG).

Es dauerte übrigens nach der Verabschiedung des Grundgesetzes im Jahr 1949 immerhin bis Anfang der 60er Jahre, um diese Konkretisierung durch das Kriegswaffenkontrollgesetz einerseits und die parallele Verabschiedung des Außenwirtschaftsgesetzes andererseits zu erreichen.

Das aus dem Grundgesetz abgeleitete Kriegswaffenkontrollgesetz macht die deutsche Rüstungsexportpolitik somit zunächst vor allen Dingen zu einem Thema der Sicherheitspolitik und kennt keine industriepolitischen Interessen.

Wahr ist aber auch: Man konnte den Eindruck bekommen, dass dieser Grundsatz in den letzten Jahren teilweise vergessen oder sogar umgekehrt wurde. Genehmigungen waren eher die Regel und nicht die Ausnahme. Entgegen den gesetzlichen Bestimmungen einschließlich des Außenwirtschaftsgesetzes.

Und dies, obwohl im Jahr 2000 die Bundesregierung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen sehr eindeutige politische Grundsätze für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern beschlossen hatte, die bis heute immer noch die Grundlage für den Rüstungsexport sind. Darin heißt es:

"Der Export von Kriegswaffen [damit sind Sonstige Länder gemeint, also nicht NATO und nicht EU oder vergleichbare Länder] - Der Export von Kriegswaffen wird nicht genehmigt, es sei denn, dass im Einzelfall besondere außen- oder sicherheitspolitische Interessen der Bundesrepublik [...] für eine ausnahmsweise zu erteilende Genehmigung sprechen."

Das muss man sich vor Augen führen angesichts dessen, was es in der Vergangenheit für Genehmigungen gegeben hat.

Die politischen Grundsätze legen nämlich fest, dass die deutsche Rüstungsexportpolitik restriktiv zu gestalten ist, wenn es um den Export in "Sonstige Länder" geht - also Länder, die weder der NATO noch der Europäischen Union angehören und die den NATO-Ländern in ihrer politischen Verfasstheit auch nicht gleichgestellt sind wie dies für Australien, Japan, Neuseeland oder die Schweiz zutrifft. Bei diesen so genannten sonstigen Ländern oder "Drittländern" kann nicht per se von sicherheitspolitischer Unbedenklichkeit ausgegangen werden.

Der Grundsatz lautet also: Keine Genehmigung. Und die Ausnahme davon ist gebunden an besondere außen- und sicherheitspolitische Interessen der Bundesrepublik. Angesichts der tatsächlichen Lieferungen und Exportgenehmigungen der letzten Jahre kann man schon fragen, wie das eigentlich mit diesem Ausnahme-Regelverhältnis zu vereinbaren gewesen ist.

Die bislang existierende absolute Geheimhaltung der konkreten Genehmigungen für Rüstungsexporte verhinderte zudem, dass das Erfordernis der besonderen außen- oder sicherheitspolitischen Interessenlage Deutschlands an einem Rüstungsexport überhaupt erläutert oder diskutiert werden konnte. Das allerdings hat sich mit den neuen Transparenzvorschriften für Rüstungsexportentscheidungen durch den Bundes-Sicherheitsrat entscheidend geändert. Die Grundlage dafür ist eine Verabredung zwischen Union und SPD, im Koalitionsvertrag. Die jetzt notwendige umgehende Unterrichtung des deutschen Bundestages - und damit natürlich der deutschen Öffentlichkeit - über jede einzelne Exportgenehmigung erzwingt geradezu die außen- und sicherheitspolitische Begründung der Entscheidung.

Die Politischen Grundsätze wurden unter Federführung der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder verfasst, als Konkretisierung der gesetzlichen Bestimmungen nach Ende des Kalten Krieges und der damit verbundenen Reduzierung der NATO-Streitkräfte. Und auch im Bewusstsein, der Abrüstung und Rüstungskontrolle einen weit größeren Stellenwert zu geben.

Nach dem Ende der Blockkonfrontation galt es ganz besonders, durch Begrenzung und Kontrolle des internationalen Waffenhandels zu präventiver und kooperativer Sicherheitspolitik beizutragen. Ein überragendes Ziel, das heute aktueller denn je ist.

Wichtig ist übrigens auch, dass in diesen politischen Grundsätzen, zu denen sich auch die jetzige Koalition aus CDU, CSU und SPD im Koalitionsvertrag ausdrücklich bekannt hat, beschäftigungspolitische Gründe keine ausschlaggebende Rolle spielen dürfen. So heißt es in den Grundsätzen, ich zitiere:

"Beschäftigungspolitische Gründe dürfen keine ausschlaggebende Rolle spielen."

Für sonstige Rüstungsgüter sind die Regeln etwas weniger streng. Auch hier gilt jedoch die Maxime, dass außen- und sicherheitspolitische Kriterien den Ausschlag dafür geben, ob der Export von sonstigen Rüstungsgütern beschränkt werden kann und muss, oder nicht.

Genehmigungen von Rüstungsexporten erfolgen also keineswegs nach tagespolitischen oder kurzfristigen Erwägungen. Sie sollen auch nicht den wechselnden politischen Mehrheiten unterworfen sein. Entscheidungen über den Export von Waffen sollen nach dem Willen von Verfassung und Gesetzgeber in Deutschland nicht heute so und morgen anders ausfallen, je nach Gutdünken oder Zusammensetzung der Bundesregierung. Kontinuität und Stetigkeit sind auch in diesen Fragen ein Teil unseres Rechtssystems.

Mir ist dabei in den vielen Gesprächen der letzten Monate sehr deutlich geworden: Zwar kennt jedes Unternehmen, das in diesem Feld tätig ist, diese Spielregeln durchaus. Und auch jeder Staat, der in Deutschland produzierte Waffen kaufen möchte, kennt sie auch. Und auch die damit befassten deutschen Politikerinnen und Politiker kennen diese Spielregeln. Nicht alle aber glauben, dass sie wirklich getreu des Gesetzeswortlauts auch unbedingt angewandt werden sollten.

Für mehr Transparenz sorgen

Die deutsche Politik ist der Diskussion über die Rüstungsproduktion und den Export von Rüstungsgütern und Kriegswaffen in der Vergangenheit oft ausgewichen. Sie hat in den letzten Jahren auch zu vermeiden versucht, öffentlich über aufwändige Rüstungs- und Beschaffungsprojekte der Bundeswehr zu sprechen. Wir erleben gerade, dass das vielleicht auch keine ganz kluge politische Strategie gewesen ist.

Wie gesagt, dieses Ausweichen wurde begünstigt durch die Tatsache, dass über Rüstungsexportgenehmigungen hinter dem Vorhang der Geheimhaltung entschieden wurde.

Dies aber entspricht gerade nicht dem grundlegenden Demokratieprinzip unserer Verfassung und übrigens mit Sicherheit auch nicht dem Verständnis der Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Der verschämte Umgang mit diesen existenziellen Fragen ist wie ich finde einer reifen Demokratie und einer aufgeklärten Gesellschaft nicht würdig. Man muss nicht gleich Habermas zitieren, um eine ganz einfache Maxime festzuhalten: Wir sollten als Demokratinnen und Demokraten niemals den Begründungsaufwand scheuen, den eine öffentliche Debatte verlangt.

Denn das Begründen-Müssen, heißt auch: prüfen und abwägen, ob wir gute Argumente für eine Rüstungsexportentscheidung haben oder nicht. Haben wir sie nicht, dann scheitern wir nicht erst in der öffentlichen Auseinandersetzung. Wir scheitern auch schon in der regierungsinternen sachlichen Rechtfertigung. Und dann sollten wir eine umstrittene Ausfuhr auch gar nicht erst genehmigen.

Deswegen hat sich die Koalition vorgenommen, Entscheidungen über Rüstungsexporte transparenter zu gestalten als in der Vergangenheit.

Ein zentrales Element ist die Information des Parlaments und der Öffentlichkeit über die positiven abschließenden Genehmigungsentscheidungen des Bundessicherheitsrats, zwei Wochen, nachdem sie getroffen wurden. Und nicht nur das: Auch über die positiven Entscheidungen des Vorbereitenden Ausschusses, also Entscheidungen, die in der Vergangenheit gar nicht mehr den Bundessicherheitsrat erreicht haben, berichten wir.

Meine Damen und Herren,

damit haben wir ein bisher unbekanntes Maß an Transparenz geschaffen.

Dazu gehört, dass die Bundesregierung nun zweimal im Jahr einen Rüstungsexportbericht vorlegt und nicht nur einmal. Wir wollen mit größerer zeitlicher Nähe Auskunft geben, welche Ausfuhren genehmigt wurden. Denn auch das hilft der demokratischen Kontrolle.

Dies wird dazu führen, dass die öffentliche Debatte über Rüstungs- und Kriegswaffenexporte nicht wieder verschwinden wird.

Sie soll auch gar nicht verstummen und verschwinden. Ich glaube, wir sollten sie begreifen als das, was viele immer wieder anmahnen: Dass Deutschland sich seiner internationalen Verantwortung stellt und keine sicherheitspolitischen Interessen sozusagen verschweigt, oder sie erst gar nicht definiert.

Ich bin davon überzeugt: Die eingangs geschilderten gesetzlichen Bestimmungen werden in Zukunft getreu ihres Wortlauts und ihrer Intention angewandt werden müssen - und zwar völlig egal, wie der Bundeswirtschaftsminister heißt. Denn durch die jetzt geschaffene Transparenz und den damit erzwungenen Begründungszusammenhang für Exportgenehmigungen von Kriegswaffen oder anderen Rüstungsgütern, wird jeder tatsächliche oder vermeintliche Verstoß gegen diese Grundsätze zu öffentlichen politischen Debatten führen. In Parlamenten, aber vor allem auch in der Zivilgesellschaft, von Kirchentagen bis Parteitagen. Die heimliche Verabredung, einen kritischen Rüstungsexport doch im Interesse der heimischen Industrie oder im Interesse guter wirtschaftlicher Beziehungen zum Empfängerland zu genehmigen, weil die Öffentlichkeit davon nur rudimentär Kenntnis erhalten wird, trägt nicht mehr.

Auch wenn wir erst am Anfang stehen, ich bin sicher, dass uns diese Transparenz langfristig gut tun wird. Sie zwingt nämlich auch dazu, sich zu nationalen oder europäischen Interessen zu bekennen. Eine offene, aufgeklärte und Orientierung gebende Debatte über die deutsche Rüstungsexportpolitik wird damit zu einem Kristallisationspunkt werden für eine Auseinandersetzung über unsere politischen, sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Interessen in der Außenpolitik. Diese Auseinandersetzung ist die Voraussetzung dafür, Verantwortung zu übernehmen, wie das ja seit einigen Monaten durch den Bundespräsidenten und den Bundesaußenminister immer wieder eingefordert wird.

Hilfreich dafür können dabei auch regelmäßige Debatten im Parlament sein. Z. B. eine jährliche Regierungserklärung des Außenministers zur Sicherheitslage und zur Sicherheitskooperation oder auch zur Rüstungshilfe und Rüstungsexporten.

Dann werden auch die moralischen Dilemmata, mit denen wir konfrontiert sind, sichtbar. Und es wird sichtbar werden, dass es oft nicht nur gute und nur schlechte Entscheidungen gibt, sondern wenig "Schwarz-Weiß-Entscheidungen", dafür aber vielschichtige und komplexe Entscheidungszusammenhänge. Es wird sichtbar werden, dass es sich auch bei den Rüstungsexporten manche Kritiker der Bundesregierung zu leicht machen mit einer kategorischen Zurückweisung jeder Art von militärischem Schutz vor Bedrohungen.

Sicherheitspolitische Grundlagen

Meine Damen und Herren,

wenn der zentrale Bezugspunkt für den Export von sonstigen Rüstungsgütern und Kriegswaffen in Drittländer die "außen- und sicherheitspolitischen Interessen" der Bundesrepublik Deutschland sind, kann man natürlich die Frage stellen, warum dann das Bundeswirtschaftsministerium überhaupt die zuständige Genehmigungsbehörde ist.

In der Praxis ist für die Frage, wie die außen- und sicherheitspolitische Lage einzuschätzen ist, das Auswärtige Amt der erste Ansprechpartner für das Bundeswirtschaftsministerium. Ob wir der Einschätzung folgen, ist dann immer noch Sache der Genehmigungsbehörde - und letztendlich des Bundeswirtschaftsministers. Das Wirtschaftsministerium hat dabei institutionell immer zwei "Herzen" in der Brust: dem außen- und sicherheitspolitischen Interesse zu folgen, das durch das AA definiert wird, und auf der anderen Seite industriepolitisch die deutsche wehrtechnische Industrie zu fördern. Es ist unschwer zu erkennen, dass sich beides widersprechen kann und es häufig genug auch tut.

Deshalb ist für künftige Koalitionen, sicher nicht mehr in der jetzigen, aber für künftige Koalitionen zu prüfen, ob nicht das Außenministerium das richtige Ressort ist, um über Rüstungsexporte zu entscheiden. Ich jedenfalls fände eine solche Reform überlegenswert, weil sie dokumentieren würde, dass im Fokus solcher Entscheidungen außen- und sicherheitspolitische Belange stehen.

Die ebenso rasanten wie besorgniserregenden Veränderungen, die wir derzeit weltweit erleben, werden jedenfalls mit Sicherheit im Außenministerium mit Blick auf Rüstungsexportpolitik schneller und qualifizierter analysiert und beurteilt werden können als im Wirtschaftsministerium. Das gilt sicher gerade auch für den arabischen Raum, an dem sich ja aktuell die meisten Auseinandersetzungen um mögliche Rüstungsexporte entzünden. Lassen Sie mich deshalb zu dieser Region einige prinzipielle Bemerkungen machen und daraus Konsequenzen für unsere Rüstungsexportpolitik ziehen:

Rüstungsexporte in den arabischen Raum

Religiös, ethnisch und politisch war der arabische Raum schon immer eine der komplexesten Regionen der Welt - das gilt heute vielleicht mehr denn je. Es gibt:
  • den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern - derzeit vor allem mit Blick auf Gaza und Hamas und mit Weiterungen im Libanon, mit Blick zum Beispiel auf die Hisbollah;
  • die Folgen des sogenannten arabischen Frühlings - auf der einen Seite mit Tunesien und Marokko als verbleibenden Hoffnungsträgern, auf der anderen Seite mit Libyen und Jemen, die mittlerweile als "failing states" zu bezeichnen sind.
Es gibt weitere Veränderungen:
  • die Krise um das iranische Atomprogramm;
  • den sunnitisch-schiitischen Gegensatz mit
  • Syrien als Austragungsort dieses Konflikts.
Dazu haben sich gruppiert:
  • der Aufstieg des so genannten "Islamischen Staates" als grenzübergreifendes Phänomen;
  • das Agieren von Al Qaida im Maghreb.
Viele dieser Konflikte werden gewaltsam ausgetragen, weitere Spannungen könnten sich über kurz oder lang militärisch entladen. So ist es spätestens jetzt unausweichlich geworden, Rüstungsgüter nur nach sehr strengen Kriterien und nach dem Grundsatz größter Zurückhaltung in diese Region auszuführen.

Gleichzeitig dürfen die Massivität und die Komplexität der Gewaltausbrüche uns nicht dazu verleiten, auf Differenzierungen auch innerhalb des arabischen Raums zu verzichten. Wir sollten in jedem Fall eine sorgfältige Einzelfallabwägung treffen.

Dazu könnte man sich an zwei Katalogen möglicher Parameter orientieren, um Einzelfallentscheidungen vorzubereiten. Diese Parameter wären nicht nur für den arabischen, sondern ganz generell eine gute Grundlage zur Beurteilung von Entscheidungen über Rüstungsexporte:

Erstens der Blick auf die Länder:
  • Dabei geht es zunächst um die innere Verfasstheit: Es besteht das Risiko, dass deutsche Rüstungsgüter für die Repression von regierungskritischen Bewegungen im Innern eingesetzt werden. Dieses Risiko steigt, je schwächer demokratische oder rechtsstaatliche Institutionen in einem Land verankert sind, oder wenn gesellschaftliche Bruchlinien (z. B. Minderheitenprobleme) existieren und wachsen.
  • Dann ist bei dem Blick auf die Länder wichtig, die außenpolitische Rolle jedes Landes zu beachten: Drohen deutsche Waffen zum Angriff auf andere Staaten eingesetzt zu werden? Zu analysieren ist, ob das betreffende Land eine stabilisierende oder aggressive, eine polarisierende oder ausgleichende Haltung einnimmt.
  • Und schließlich ist die sicherheitspolitische Lage in Rechnung zu stellen: In dieser Perspektive interessiert eher die objektive Lage des Landes als seine eigenen Absichten und Verhaltensweisen. Droht das Land, ohne eigenes Zutun z. B. zur Zielscheibe von Gewalt - z. B. anderer Staaten oder von Terrorgruppen - zu werden?
Der zweite Blick, den man auch ins Auge nehmen muss, ist nicht nur der auf die Länder sondern auf die Rüstungsgüter selbst:
  • Dabei zählt die Dauerhaftigkeit: Wenn die Stabilität des Empfängerlandes schwer zu prognostizieren ist, bekommt die Lebensdauer des Rüstungsgutes ein besonderes Gewicht. Schwere Waffen, aber auch Produktionsstätten für Waffen stellen eine längerfristige Ausstattung dar als etwa die Lieferung von Munition.
  • Weiter geht es um die Einsetzbarkeit: Je nach Einschätzung der möglichen Aggressivität eines Empfängerlandes (nach innen bzw. nach außen) empfiehlt es sich, die Einsatzspektren der Rüstungsgüter zu analysieren: sind sie offensiv oder defensiv, dienen sie der Grenzsicherung oder der Repression?
  • Außerdem haben wir den Endverbleib der Waffen und dessen Kontrolle zu prüfen.
  • Schließlich die Akzeptanz: Bestimmte Rüstungsgüter wie Kleinwaffen als "Mittel der Wahl der Bürgerkriege" stehen zu Recht unter erheblich kritischerer öffentlicher Beobachtung als andere (z. B. als Schiffe).
Mithilfe von Analysen entlang dieser Parameter könnten in Zukunft die Einzelfallentscheidungen angelehnt werden, und natürlich müsste man diese Parameter auch öffentlich debattieren. Auch müssten europapolitische Erwägungen und die Haltung der Vereinten Nationen mit in diese Analysen einfließen.

So wäre es etwa denkbar, dass auch die Beteiligung von potentiellen Empfängerländern deutscher Rüstungsgüter an internationalen Institutionen wie etwa dem Kleinwaffenaktionsprogramm der Vereinten Nationen und dem im Dezember diesen Jahres in Kraft tretenden internationalen Waffenhandelsvertrag bei der Entscheidung über Rüstungsexporte berücksichtigt werden. Machen die da mit, oder verweigern sie Ihre Teilnahme an diesen Programmen der Vereinten Nationen?

Diese differenzierte und mit Blick auf die Außen- und Sicherheitspolitik analytische Herangehensweise würde auch verhindern, dass außenwirtschaftliche Interessen an guten bilateralen Wirtschaftsbeziehungen weiterhin als "Generalvollmacht", als regelmäßige Berufungsgrundlage für die Befürwortung von Rüstungsexporten gemacht würden. Die vielfach nachgefragte Lieferung von Kampfpanzern Leopard in den arabischen Raum oder auch in andere Regionen der Welt darf deshalb eben gerade nicht unter wirtschaftspolitischen Interessen entschieden werden, sondern auf der Grundlage einer solch differenzierten außen- und sicherheitspolitischen Analyse. Ich komme bei dieser Analyse zu dem Ergebnis, dass sich die Lieferung dieses Waffensystems wie auch in den vergangenen Jahrzehnten nicht rechtfertigen ließe. Natürlich muss regelmäßig überprüft werden, ob die getroffenen Beurteilungen von denkbaren Exportländern noch zutreffen oder sich verändert haben aufgrund der politischen und gesellschaftlichen Veränderungen vor Ort.

Kollektive Sicherheit und Bündnisfähigkeit

In der Koalitionsvereinbarung von CDU, CSU und SPD wird die außen- und sicherheitspolitische Interessenlage Deutschlands treffend wie folgt umschrieben:

"Gemeinsam mit unseren Partnern in Europa wollen wir die globale Ordnung mitgestalten und zur Lösung von Krisen und Konflikten beitragen. Dabei leiten uns die Werte und Interessen unseres Landes."

Deutschland hat sich dazu entschlossen, mit einer eigenen Armee und gemeinsam mit verbündeten Staaten in der westlichen Verteidigungsgemeinschaft für Frieden zu sorgen.

Klar ist: Die westliche Verteidigungsgemeinschaft hat die Welt sicherer gemacht. Das kann man ohne Wenn und Aber 65 Jahre nach der Unterzeichnung des Nordatlantikpakts wirklich sagen!

Unser Land ist Mitglied der Europäischen Union, deren Staaten ihre Außen- und Sicherheitspolitik - versuchen jedenfalls - zu koordinieren. Der Gründungsgedanke der EU ist die Überwindung nationaler Gegensätze und die Sicherung des Friedens. Mit anderen Partnern zusammen steht Europa für Freiheit und Demokratie.

Und selbstverständlich dienen dem Ziel des Friedens auch die Vereinten Nationen.

Die Weltgemeinschaft der westlichen Demokratien orientiert ihr Handeln ebenso wie die UN-Charta nicht am geopolitischen Machtstreben, sondern an Prinzipien guter Nachbarschaft, der Verteidigung der Freiheit und der Menschenrechte.

Uns geht es gerade nicht um Hegemonie. Das war das Denken des 19. Jahrhunderts, mit verheerenden Folgen im 20. Jahrhundert, dem "Zeitalter der Extreme", wie der britische Historiker Eric Hobsbawm die Zeit von 1914 bis zum Fall der Mauer genannt hat.

Geopolitisches Hegemonialstreben, Destabilisierung und Expansionskrieg standen in einem engen Zusammenhang. Die aktuellen Krisen im Osten Europas, aber auch die Grenzkonflikte im südchinesischen Meer geben uns leider eine Ahnung davon, dass dieses Denken auch im 21. Jahrhundert noch nicht ausgestorben ist.

Europa ist allerdings einen anderen Weg gegangen, den wir heute, unter neuen Herausforderungen, bekräftigen wollen.

Wir haben in den vergangenen 60 Jahren die Erfahrung gemacht, dass kollektive Sicherheitsstrukturen Europa und der Welt mehr Frieden und mehr Demokratie gebracht haben.

Sie haben dazu beigetragen, den Kalten Krieg ohne Blutvergießen zu überwinden.

Daraus folgt zweierlei:
  • Die Verankerung in diesen Bündnissen und transnationalen Organisationen bildet den Rahmen, an dem sich deutsche Sicherheitspolitik und damit auch die Rüstungsexportpolitik unseres Landes orientieren muss. Vor allem handeln wir, und das mit guten Erfahrungen, im engen Schulterschluss mit unseren europäischen und transatlantischen Partnern.
  • Zweitens: Die Erhaltung der Bündnisfähigkeit und der dazu notwendigen rüstungstechnologischen Kernkompetenzen sind ein zentrales außen- und sicherheitspolitisches Anliegen der Bundesrepublik Deutschland.
Das erscheint mir auch heute noch eine ganz wichtige und richtige Einsicht: Die Beteiligung an kollektiven Sicherheitsstrukturen ist nicht überholt, sondern sie sorgt weiter für Stabilität in Europa und der Welt.

Das anzuerkennen hat allerdings auch ein paar nicht ganz einfache Konsequenzen, die im Alltag rüstungspolitscher und rüstungsexportpolitischer Entscheidungen durchaus zu Schwierigkeiten führen können. Deutschland muss, wenn man das anerkennt, kooperationsfähig bleiben und eine mitentscheidende Rolle beim Erhalt einer angemessenen unabhängigen europäischen Rüstungsindustrie wahrnehmen. Airbus und Galileo sind zivile Beispiele für solche strategisch bedeutsame Kooperationsfähigkeit. Europäische, nicht nationale Champions sind dabei gefragt. Nur die Kooperation und zum Teil auch das Zusammengehen von Unternehmen in Europa kann es ermöglichen, dass eine echte rüstungstechnologische Basis in Europa aufrechterhalten bleibt.

Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass der Schritt in europäische Kooperationen und Zusammenschlüsse am besten auf der Basis einer konsolidierten deutschen Rüstungsindustrie aus erfolgt, um auf Augenhöhe mit europäischen Partnern verhandeln und notfalls auch zusammengehen zu können. Leider ist die bereits im Jahr 2000 mit einer gemeinsamen Erklärung des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder und wichtigen Partnern der deutschen Rüstungsindustrie begonnene nationale Konsolidierung von der deutschen Rüstungs- und wehrtechnischen Industrie nicht weiterverfolgt worden. Die erleichterten Exporte von Rüstungsgütern erleichterten es den Unternehmen eben auch, den schwierigen nationalen Kooperations- und Fusionsdebatten aus dem Weg zu gehen. Auch insofern war die laxe Rüstungsexportpolitik der vergangenen Jahre ein Fehler.

Die Kooperationsfähigkeit Deutschlands und der Weg in die Europäisierung der Rüstungsindustrie hat auch schwerwiegende politische Konsequenz: erstens muss auch hier die Außen- und Sicherheitspolitik im Mittelpunkt stehen und voran gehen.

Eine gemeinsame Rüstungspolitik hat in Europa nur dann eine Chance, wenn sie als Bestandteil der Entwicklung einer gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Europa verfolgt wird. Soweit das aus heutiger Sicht auch entfernt sein mag, so sehr ist dies - aus meiner Sicht - eine der zentralen Aufgaben der europäischen Politik der kommenden Jahre.

In ihrer Folge oder Begleitung ist es zwangsläufig sinnvoll, auch militärische Fähigkeiten zu teilen, statt in 28 Mitgliedsstaaten jeweils ein eigenes Heer, eine eigene Marine und eine eigene Luftwaffe mit jeweils praktisch dem gesamten Fähigkeitsspektrum vorzuhalten. Die Ressourcenverschwendung bei knapper werdenden öffentlichen Mitteln in allen EU Mitgliedsstaaten ist doch offensichtlich. Schon heute dürfte dadurch nicht nur die deutsche Bundeswehr einen enormen Modernisierungsstau aufgrund fehlender finanzieller Mittel aufweisen, sondern sicher auch andere europäische Armeen.

Zweitens hätte diese Entwicklung auch politische Konsequenzen in Deutschland, die vermutlich in der aktuellen Debatte eher ein bisschen ausgeblendet werden, die man aber nicht ausblenden darf: Am Ende könnte bei einer Aufteilung der militärischen Fähigkeiten zwischen den europäischen Mitgliedsstaaten im Rahmen einer gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik dann nicht mehr der Deutsche Bundestag allein über den Einsatz der Bundeswehr entscheiden. Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik in Europa heißt nämlich, dass der Teil militärischer Fähigkeiten, den z. B. Deutschland für solche Einsätze im Rahmen eines europäischen Burden Sharing bereit hält, dann auch Deutschland zur Verfügung stellen muss. Letztlich würde damit der Deutsche Bundestag einen Teil seiner nationalen Souveränität verlieren. Heute praktisch unvorstellbar politisch, und doch eine Entwicklung, der man aus europäischer Perspektive nicht ausweichen kann, wenn wir es ernst meinen mit einer gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, wenn wir es ernst meinen mit Burden Sharing und Aufteilung von Fähigkeiten, dann ist das sozusagen die Grundlage dafür, dass man sich aufeinander verlassen kann. Das allerdings schränkt die Handlungsmöglichkeiten des Deutschen Parlaments ein, aktuell glaube ich kaum eine Perspektive, die politisch mehrheitsfähig wäre. Und trotzdem, wie gesagt, kann man dieser Debatte nicht ausweichen.

Und um auf unser Thema der Rüstungsexporte zurück zu kommen, so heißt Kooperationsfähigkeit in der wehrtechnischen Industrie natürlich auch, dass sich die nationalen Exportregime für Rüstungsgüter europäisieren müssen. Schon heute ist es schwierig, deutsche Teilzulieferungen für ein französisches oder kanadisches Rüstungsexportprodukt zu genehmigen, wenn dieses Rüstungsgut dann danach in eine Region oder ein Land exportiert werden soll, in das nach den deutschen Exportgrundsätzen ein Export verweigert werden muss. Aus meiner Sicht kann die Lösung nicht darin bestehen, dass wir unsere deutschen Exportrichtlinien einfach zugunsten des Kooperationslandes lockern, sondern dass wir dringend auch hier eine europäisierte Rüstungsexportdebatte brauchen. Aber ich gebe zu: auch das ist ein langer Weg, bis wir zu akzeptablen Ergebnissen kommen werden. Denn wir alle wissen, dass Frankreich z. B. die deutschen außen- und sicherheitspolitischen Bedenken bei Rüstungsexporten, na sagen wir es mal höflich, nicht immer teilt. Trotzdem werden wir dieser Diskussion in Europa nicht ausweichen können, wenn wir es ernst meinen mit gemeinsamen Fähigkeiten und dem Aufbau einer gemeinsamen europäischen Rüstungsstruktur.

Meine Damen und Herren,

die Verankerung Deutschlands in Europa und im nordatlantischen Bündnis beantwortet nicht jede Frage im Detail, aber sie sollte der Kompass für die Debatte der kommenden Jahre sein.

Deutschland kann bei dieser beginnenden Diskussion um eine stärkere Europäisierung der Außen- und Sicherheits- und Verteidigungspolitik und in der Folge, nicht voranschreitend, sondern in der Folge, auch der Rüstungsindustrie seine Grundsätze durchaus selbstbewusst einbringen und darf nicht immer mit schlechtem Gewissen seinen Partnern gegenüber argumentieren.

Zum Beispiel muss auch im Rahmen einer europäisierten Entscheidung über Rüstungsexporte die Beachtung der Menschenrechte im Empfängerland bei der Entscheidungsfindung eine herausragende Rolle spielen.

Insbesondere dort, wo Rüstungsgüter zur inneren Repression, schlimmstenfalls zur Verfolgung von Bevölkerungsgruppen missbraucht werden, können wir Genehmigungen nicht erteilen. Wenn durch innere Repression friedliche Transformationsprozesse verhindert werden, besteht das Risiko, dass sich der Protest radikalisiert und irgendwann gewaltsam eskaliert. Dies trägt nicht zu Frieden und Stabilität bei - im Gegenteil. Die Unterdrückung von Protesten mag kurz- bis mittelfristig als stabilisierend wahrgenommen werden, langfristig betrachtet ist jedoch oft das Gegenteil der Fall. So wirkte schon das Regime von Präsident Husni Mubarak in Ägypten für den Westen scheinbar stabil. Aber was wir gesehen haben, war eher "Stagnation als Stabilität". Und gerade diese Stagnation hat die Proteste der jungen Generation ausgelöst, die das Regime erfolglos versucht hat niederzuschlagen.

Von Bedeutung in dieser europäischen Debatte ist ebenso das Verhalten des Empfängerlandes im Hinblick auf die Unterstützung oder Förderung des Terrorismus und die Einhaltung internationaler Verpflichtungen.

Und selbstverständlich ist der Endverbleib sicherzustellen. Dazu sind Endverbleibserklärungen auszustellen, aber vor allen Dingen auch zu überwachen. In Deutschland arbeitet die Bundesregierung gerade daran, die Überwachung des Endverbleibs - gerade bei Kleinwaffen - deutlich zu verbessern.

Ich bin überzeugt davon, dass diese Entscheidungen auch in Zukunft nicht einfacher werden.

Die Vielzahl der Konflikte in der Welt wird dazu führen, dass wir zu Recht immer vorsichtiger werden, Waffen auszuführen.

Die Zunahme so genannter "substaatlicher" Konflikte, sprich Bürgerkriege, zerfallende Staaten, ethnisch-religiöse Gewalt, stellt uns auch vor wachsende Probleme bei der Sicherung des Endverbleibs von Waffen. Eine Lieferung an einen Staat setzt immer dessen Garantie voraus, die Nichtweitergabe zu sichern. In Regionen aber, in denen Staaten nur noch eine Schimäre sind und bewaffnete Clans und Banden das Gewaltmonopol an sich gerissen haben, kann niemand mehr garantieren, wohin Waffen aus deutscher Produktion geraten. Eine entscheidende Frage für die Beurteilung: Ist ein Empfängerland mit Blick auf die Weiterverwendung und den Endverbleib eigentlich sicher, hat etwas mit der Frage zu tun: Handelt es sich um eher inklusive Staaten, die versuchen ihre Gesellschaft, auch wenn sie keine Demokratien und keine Westminster-Demokratien sind, sozusagen integrativ zu behandeln oder sind es keine inklusiven Staaten, die Minderheiten ausgrenzen und in der Tendenz eher in die Gefahr laufen, dass sie irgendwann zerfallen, und wir dann nicht mehr wissen, was mit den Waffen passiert.

Zurückhaltung und Vorsicht bei der Ausfuhr, das kann ich versichern, sind angesichts dieser Umstände auf allen politischen Seiten gewachsen.

Meine Damen und Herren,

Lassen Sie es mich noch einmal mit größtmöglicher Klarheit formulieren: Ein offensiver Verkauf deutscher Waffentechnik überall auf der Welt - auch zur Kompensation zurückgehender Nachfrage der Bundeswehr und der NATO - ist weder mit der geltenden Rechtslage zu vereinbaren, noch mit den sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands.

Aber zugleich müssen wir - und das ebenfalls mit großer Klarheit - feststellen, dass es natürlich legitime sicherheits- und bündnispolitische Interessen gibt, welche die Lieferung von Rüstungsgütern und Kriegswaffen rechtfertigen können.

Ich jedenfalls kann nicht dazu raten, die Welt durch eine Wunschbrille einer vollständigen Entwaffnung zu betrachten. Es wird Leute und Menschen geben, die unter einer solchen Fiktion am Ende ihr Leben verlieren. Die Erfahrung sagt uns, dass die Fähigkeit, sich gegen Aggression zur Wehr zu setzen, unverzichtbar ist. Nichts anderes erleben wir ja gerade, was passiert, wen Menschen dafür keine Möglichkeiten besitzen.

Auch diese Bundesregierung genehmigt Ausfuhren, wenn es um legitime Sicherheitsinteressen geht. Ich kann aber auch diese Fälle nicht abschließend aufzählen, denn jeder Einzelfall muss auch hier betrachtet und gewichtet sowie sicherheits- und bündnispolitisch eingeordnet werden. Daran kommen wir nicht vorbei.

Und natürlich es gibt in der Praxis immer wieder Beispiele für einen aus unseren Sicherheitsinteressen heraus begründeten Export von Kriegswaffen. Nehmen wir das Beispiel Patrouillenboote: Ihre Ausfuhr in Drittländer kann sicherheitspolitisch durchaus vertretbar sein, wo sie einer Marine beim Schutz der Territorialgewässer vor Piratenangriffen, beim Kampf gegen Menschenhandel und Waffenschmuggel, übrigens auch beim Vorgehen gegen Raubfischerei helfen.

Deutschland und seine Partner haben ein eigenes Interesse daran, Piraterie, Terrorismus und Proliferation von Waffen, wie sie im Nahen und Mittleren Osten auftreten, einzudämmen.

Auch defensive Landesverteidigung und Grenzüberwachung zählen zu Interessen, die grundsätzlich legitim sind und der Stabilisierung regionaler Sicherheitslagen befördern.

Es ist jedoch zu beachten, dass die Lieferung von Rüstungsgütern dabei lediglich ein Element im Rahmen einer Gesamtstrategie sein kann. Chancen und Risiken von Rüstungsexporten müssen genau geprüft und gegeneinander abgewogen werden. Die endgültige Entscheidung muss zur Gesamteinschätzung der Sicherheitslage im jeweiligen Land und in der Region passen.

Einen besonderen Fall haben wir sicherlich, wo ganze Bevölkerungsgruppen akut bedroht sind und die Frage nach einer Pflicht der internationalen Staatengemeinschaft zum Schutz von Menschenleben gestellt ist.

"Responsibility to protect" ist meines Erachtens ein ebenso anspruchsvolles wie schwierig handzuhabendes Konzept. Denn Fragen nach der völkerrechtlichen Legitimierung und der praktischen Leistbarkeit einer Schutzintervention dürfen hinter einer allgemeinen Empörung nicht zurückstehen.

Nicht überall dort, wo es aus ethischen Erwägungen wünschenswert wäre, können wir auch in der Praxis helfen. Das ist eine schmerzhafte, aber unausweichliche Einsicht. Unüberlegter Interventionismus würde die aktive internationale Rolle Deutschlands heillos diskreditieren.

Im Grundsatz aber gilt - und darauf kommt es mir hier an: Der Schutz elementarer Menschenrechte kann im besonderen Fall auch eine Lieferung von Waffen rechtfertigen.

Mit Blick auf die deutschen Rüstungsexportregeln sage ich deutlich: Die Lieferungen an die Kurden im Norden des Irak, die der Abwehr einer fanatisch-grausamen Terrorbewegung wie dem so genannten "Islamischen Staat" dienen, sind weder ein Tabubruch und noch gar ein Widerspruch zu unseren Werten und zu den Regeln des Rechts.

Genau diese besonderen sicherheitspolitischen Erwägungen spielen nämlich eine entscheidende Rolle.

Ich sehe im Fall der unmittelbar bedrohten Kurden und Jesiden eine Nothilfe, die wir uns immer politisch offen halten müssen. Diese Nothilfe ist etwas völlig anderes als Rüstungsgüter mit einem rein kommerziellen Interesse zu exportieren!

Meine Damen und Herren,

das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Außenwirtschaftsgesetz übertragen dem Ministerium für Wirtschaft und Energie die Zuständigkeit für die Erteilung von Exportgenehmigungen.

Wir tragen deshalb auch Verantwortung dafür, den betroffenen Unternehmen und ihren Beschäftigten klar zu sagen, unter welchen politischen Bedingungen die deutsche Sicherheits- und Verteidigungsindustrie in Zukunft arbeiten wird.

Lassen Sie mich deshalb zum Ende meiner Ausführungen einige industriepolitischen Konsequenzen ziehen.

Stärkung der SVI

Der Koalitionsvertrag von Union und SPD bekennt sich nicht nur zu einer restriktiven Waffenexportpolitik, sondern stuft zugleich die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie als eine Schlüsselbranche von nationalem Interesse ein, deren Kernkompetenzen und industrielle Fähigkeiten weiter entwickelt und deren Arbeitsplätze erhalten werden sollen. Beide Leitplanken - Restriktionen beim Waffenexport einerseits und das Ziel des Erhalts von Kernkompetenzen in der wehrtechnischen Industrie andererseits - bilden sozusagen den Korridor, in dem sich die deutsche Rüstungspolitik und Exportpolitik bewegen muss.

Um das im Koalitionsvertrag festgelegte Ziel einer Weiterentwicklung dieser Fähigkeiten und Kompetenzen in Deutschland zu gewährleisten, schlage ich die nachfolgenden Punkte vor:

1. Die Festlegung wesentlicher nationaler Kernkompetenzen

Klare Bestimmungen über die Kernkompetenzen einer deutschen wehrtechnischen und Verteidigungsindustrie sind die Grundvoraussetzung für eine effektive Umsetzung der Koalitionsvereinbarung. Ich begrüße es deshalb sehr, dass die Bundesverteidigungsministerin diese Diskussion nun begonnen und erste Hinweise mit Blick auf die Festlegung wesentlicher nationaler Kernkompetenz gegeben hat. Der Deutsche Bundestag und auch die Bundesregierung werden allerdings zu diskutieren haben, ob die sehr schmale Festlegung des Verteidigungsministeriums auf informationstechnische Kernkompetenzen dem Auftrag des Koalitionsvertrages ausreichend Rechnung trägt. Je nach Umfang der Festlegung dieser Kernkompetenzen werden sich daraus natürlich erhebliche Folgerungen für das bundeseigene Beschaffungsprogramm und für alle noch zu diskutierenden europäischen Kooperationsmaßnahmen ergeben. Eines aber ist klar: Egal wie groß am Ende der Umfang eigener wehrtechnischer Kompetenzen sein soll, kann die Sicherung dieser Kernkompetenzen nicht durch die Ausweitung von Rüstungsexporten in Staaten und Regionen erfolgen, in die wir auf der Basis der vorhin genannten Grundsätze eben keine Exporte durchführen sollten. Die Sicherung der wehrtechnischen Industrie in Deutschland kann nicht durch die Lockerung des deutschen Exportregimes erfolgen!

2. Impulse durch die Beschaffungspolitik des Bundesverteidigungsministeriums

Die Große Koalition hat in ihrer mittelfristigen Finanzplanung den Etat des Verteidigungsministeriums verstetigt. Dies ist angesichts der Haushaltskonsolidierungsverpflichtungen der Bundesregierung, wie ich glaube, ein wichtiges und auch ein richtiges Signal. Aufgrund der hohen Etatbelastungen durch die großen Beschaffungsprogramme der letzten Jahre sind kurzfristig keine neuen Impulse zu erwarten. Diese Programme laufen allerdings größtenteils gegen Ende dieses Jahrzehnts aus.

Vor diesem Hintergrund brauchen wir klare Festlegungen zur längerfristigen Ausgestaltung des Einzelplans 14 und insbesondere zur Höhe zukünftiger Investitionen. Überlegenswert ist, ob Mittel, die im Verteidigungshaushalt in einem Jahr nicht abgerufen werden können, nicht in den Folgejahren als Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden müssen, statt sie sozusagen am Ende des Haushaltsjahres einzukassieren.

Diese Akzente sollten allerdings bald gesetzt werden, damit entscheidende Signale zur Zukunft der nationalen Verteidigungsindustrie frühzeitig erfolgen und die Unternehmen längerfristig Planungssicherheit bekommen.

3. Neue Anläufe für eine nationale Konsolidierung in der Verteidigungsindustrie

Die Reduzierung der Verteidigungsetats in zahlreichen Industriestaaten, der verstärkte internationale Wettbewerb, die Tendenz zu global agierenden Systemhäusern, aber auch neue Absatzmärkte mit erheblichem Investitionsbedarf werfen die Frage nach neuen Konsolidierungserfordernissen auf. Zum Erhalt notwendiger nationaler Kernkompetenzen auf längerfristiger wirtschaftlicher Basis brauchen wir eine verstärkte Konsolidierung in der nationalen Verteidigungswirtschaft. Hier allerdings sind in erster Linie die Unternehmen selbst gefordert. Die Politik kann diese Konsolidierung nur begleiten.

Eine stärkere Konsolidierung in der nationalen Verteidigungsindustrie würde die Perspektiven für eine aktivere Mitgestaltung bei europäischen und internationalen Kooperationsvorhaben spürbar erhöhen, und vor allen Dingen sozusagen die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Markt verbessern.

4. Wir brauchen verstärkte europäische und internationale Industriekooperationen.

Die Verteidigungsindustrie in der EU ist nach wie vor national ausgerichtet und stark fragmentiert. Europa leistet sich den "Luxus" zahlreicher Programme für gepanzerte Fahrzeuge, den intensiven Wettstreit zwischen drei Kampfflugzeugen und eine starke Konkurrenz z. B. im U-Boot-Bereich. Hier kommt es durch den Verkauf der schwedischen Produktionsanlagen von ThyssenKrupp sogar zu einer "Re-Nationalisierung"

Folgen dieser unbefriedigenden Situation sind hohe Kosten und nachteilige Folgen für den internationalen Wettbewerb, aber auch negative Auswirkungen für die Streitkräfte.

Die Bundesregierung muss daher nach meiner Meinung verstärkt auf eine europäische Zusammenarbeit bis hin zum Zusammengehen von in einzelnen Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen setzen.

Die Bündelung technologischer Stärken wird die wirtschaftliche Bedeutung europäischer Projekte auch im internationalen Wettbewerb entscheidend erhöhen.

Einer Reihe von Ländern verlangen bei größeren Beschaffungsvorhaben den Abschluss von Government-to-Government-Verträgen. Die wesentlichen Wettbewerber der deutschen Industrie im Ausland können hier bislang mit einer größeren Unterstützung ihrer Regierungen rechnen als deutsche Unternehmen. Die Bundesregierung sollte nach meiner Überzeugung prüfen, ob sie in Zukunft auch vergleichbare Verträge in enger Abstimmung mit den betreffenden deutschen Unternehmen bei ausländischen Beschaffungsvorhaben anbieten kann.

5. Stärkung des europäischen Rahmens für die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie

Angesichts sinkender Verteidigungshaushalte, immer komplexerer Entwicklungsvorhaben und steigender Kosten wird das Ziel verstärkter europäischer Zusammenarbeit in der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie immer dringlicher - sowohl im NATO-Rahmen wie auch in der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Europa.

Es ist erklärtes Ziel der EU und der Bundesregierung, den bisher stark zersplitterten europäischen Verteidigungsmarkt neu zu gestalten und die europäische wehrtechnische industrielle Basis zu stärken. Die starke und wettbewerbsfähige deutsche Industrie könnte von einer solchen Entwicklung deutlich profitieren.

Eine substantielle Stärkung des europäischen Rahmens wäre vor allem ein kraftvoller und willkommener Schub bei der Stärkung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Europa braucht eine eigene, umfassende und leistungsfähige Industriebasis, wenn wir gemeinsam sicherheitspolitisch Verantwortung ernstnehmen und Europa als politische Gestaltungsmacht etablieren wollen.

Die EU hat in den letzten Jahren durchaus wichtige Akzente zur Entwicklung gesetzt und arbeitet derzeit an der Umsetzung der Aufträge des Europäischen Rates. Hierzu hat die EU-Kommission im Juni 2014 eine "Roadmap" vorgelegt: Im Mittelpunkt stehen Forschungs-, Entwicklungs-, Innovationsförderung, Standardisierung und Zertifizierung. Als konkrete Felder für eine verstärkte europäische Zusammenarbeit wurden vom Europäischen Rat Luftbetankung, Cyberabwehr, unbemannte Flugsysteme und Satellitenkommunikation genannt. Der Rat wird den Stand der Umsetzungsarbeiten und die Ergebnisse der bisherigen Konsolidierungsprozesse im Juni 2015 bewerten.

Eine stärker europäisch ausgerichtete Verteidigungsindustrie braucht natürlich klare Standards in der Exportpolitik. Darauf hatte ich schon hingewiesen. Im Kern geht es darum, die Anwendung des Gemeinsamen Standpunkts der EU betreffend gemeinsamer Regeln für die Exportkontrolle weiter anzugleichen, ohne dadurch die Substanz der Politischen Grundsätze von 2000 in Deutschland zu gefährden.

Das Wirtschaftsministerium, das Auswärtige Amt und das Verteidigungsministerium sollten in den kommenden Monaten - möglichst mit EU-Partnern - Initiativen starten, um die europäischen Prozesse im Sinne unserer außen-, sicherheits- und wirtschaftspolitischen Interessen noch aktiver voranzutreiben.

6. Exportpolitische Flankierung für die Verteidigungsindustrie

Die Bundesregierung sollte die Industrie stärker als bisher in ihren Aktivitäten mit EU-, NATO- und NATO-gleichgestellten Ländern unterstützen.

Die NATO hat 28 Mitgliedsstaaten. Sie zusammen geben 880 Milliarden Dollar für die Verteidigung aus. Hinzu kommen fünf EU-Länder, die nicht Mitglied der NATO sind - zusammen also 33 formale Bündnispartner. Auch Indien und Brasilien sind strategische Partner für Deutschland und Europa. In all diese Demokratien mit ihren großen Volkswirtschaften und Verteidigungsetats kann die deutsche und die europäische wehrtechnische Industrie liefern.

7. Neue Chancen in den Wachstumsmärkten der zivilen Sicherheitswirtschaft nutzen

Die Märkte für zivile Sicherheitstechnologien und -dienstleistungen haben im letzten Jahrzehnt weltweit stark an Bedeutung gewonnen. Deutsche Unternehmen nehmen dabei in zahlreichen Segmenten führende Positionen ein. Dazu gehören auch Firmen, deren Haupttätigkeiten im Verteidigungsbereich liegen. Die globalen Wachstumstrends werden sich auf längere Sicht fortsetzen. Gleichzeitig sind neue Märkte mit erheblichen Perspektiven in den letzten Jahren entstanden: Beispiele dafür sind der Katastrophenschutz, die Sicherheit bei Sportgroßereignissen oder der Schutz von Liefer- und Logistikketten.

Noch immer fehlen umfassende Antworten zu neuen Herausforderungen wie Smart Cities oder Cyber Security.

Für zahlreiche Unternehmen der deutschen Verteidigungsindustrie liegen in diesen neuen Feldern große Chancen, die es zu nutzen gilt.

Das BMWi unterstützt mit seinem industriepolitischen Konzept "Zukunftsmarkt zivile Sicherheit" bereits seit dem Jahr 2010 Aktivitäten deutscher Unternehmen in diesen neuen Märkten. Wir sind bereit, diese Konzeption zusammen mit der Industrie zu einem umfassenden Instrument der Diversifizierung weiter zu entwickeln und auch Mittel zur Verfügung zu stellen.

8. Ausbau der Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationsförderung

Das BMWi wird 2015 ein neues Innovationsprogramm zur Unterstützung der Diversifizierungsstrategien von Unternehmen der Verteidigungswirtschaft in die zivile Sicherheit starten. Es ist zunächst ein Volumen von 10 Mio. Euro im Jahr vorgesehen. Die Umsetzung und Durchführung soll in enger Zusammenarbeit mit dem Forschungsministerium, dem Innenministerium und dem Verteidigungsministerium erfolgen.

Das zivile Sicherheitsforschungsprogramm der Bundesregierung sollten wir bis 2020 verlängern. Es soll möglichst eng mit dem neuen praxisorientierten Innovationsprogramm des Wirtschaftsministeriums verzahnt werden.

Und auch die Bestrebungen der EU-Kommission, die Forschungsförderung in der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu erhöhen, sollte Deutschland aktiv unterstützen.

9. Stärkere Unterstützung für kleine und mittelständische Unternehmen

Der wehrtechnische Mittelstand ist Rückgrat und wichtiger Innovationsmotor der deutschen Sicherheits- und Verteidigungswirtschaft. Mittelständische Unternehmen leisten sowohl eigenständig als auch im Verbund mit anderen Mittelständlern und als Partner der Systemhäuser wertvolle und unverzichtbare Beiträge.

Deshalb betont der aktuelle Koalitionsvertrag ausdrücklich die besondere Rolle des Mittelstands für eine innovative, leistungs- und wettbewerbsfähige Verteidigungsindustrie.

Ein Hauptaugenmerk sollten wir darauf legen, dass wir die Beteiligung des Mittelstandes bei Beschaffungsvorhaben der Bundeswehr und anderer öffentlicher Institutionen durch unbürokratische Verfahren verbessern, und nicht erschweren.

Auch in der Forschungs- und Technologieförderung brauchen wir national und europäisch weniger bürokratische Verfahren und vor allen eine aktivere Informationspolitik über die jeweils relevanten Fördermaßnahmen.

Das Verteidigungsministerium und das Wirtschaftsministerium werden sicher über dies gemeinsam zu entscheiden haben und vor allen Dingen prüfen, ob und wie aktuelle Finanzierungsengpässe des Mittelstands überbrückt werden können.

Nicht zuletzt nenne ich die

10. Förderung des gesellschaftspolitischen Dialogs

Die Bundesregierung hat mit umfassender Transparenz die zentrale Voraussetzung für diesen Dialog geschaffen.

Wir brauchen aber darüber hinaus jetzt eine breite gesellschaftliche Plattform, die zur Diskussion der Rolle der Verteidigungswirtschaft einlädt. Wir dürfen nicht so tun, als sei das ein Schmuddelthema, sondern wir müssen es binden an die Sicherheits- und Außenpolitik. Nicht nur Vertreter der Industrie und der Politik, auch Diplomatie, Militär, Wissenschaft und vor allem auch kritische gesellschaftliche Gruppen sollten daran teilnehmen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

auf diese 10 Punkte will ich die Arbeit meines Hauses konzentrieren. Wichtig ist mir dabei, dass Auswärtiges Amt, Bundesverteidigungs- und Bundeswirtschaftsministerium gemeinsam handeln. Darauf hatten Sie hingewiesen.

Gemeinsam sollten diese Ressorts eine Strategie für Sicherheits- und Verteidigungsindustrie entwickeln.

Nur auf diesem Wege erreichen wir eine notwendige Wiederverankerung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie in der Gesellschaft, die ja zurzeit sicher in weiten Teilen fehlt.

Das ist nicht einfach! Und dennoch hoffe ich, dass wir auch mit Ihrer Hilfe und Ihren Beiträgen aus der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik eine aufgeklärte öffentliche Debatte über dieses schwierige Thema anstoßen und führen können.

In einem gemeinsamen Brief mit Frank-Walter Steinmeier habe ich unlängst davon gesprochen, dass "die Welt aus den Fugen geraten" ist.

Die Rückkehr auch militärisch ausgetragener Konflikte nach Europa, die heute offene Frage, ob Russland künftig Partner oder Gegner sein wird, die fortdauernden Erschütterungen im Nahen Osten - das alles gibt zur Sorge reichlich Anlass.

Diese Analyse macht es weder für die Politik, noch für die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie einfach, verlässliche Planungen für die Zukunft zu machen.

Gerade deshalb aber ist es unsere Aufgabe, die offene, ehrliche und vorausschauende Debatte zu beginnen. Wir sollten das manchmal grelle Licht der Öffentlichkeit in Sachen Rüstung wirklich nicht scheuen.

Ich glaube, dass alle Beteiligten davon profitieren, aktiv die öffentliche Debatte zu suchen.

Natürlich die Industrie, die sich besser einstellen kann auf die politischen Rahmenbedingungen, sei es die Modernisierung bei der Beschaffung für die Bundeswehr, sei es bei der Ausfuhr von Gütern. Aber auch unsere internationalen Partner, die zu Recht erwarten, dass die deutsche Politik "lesbar" für sie ist und berechenbar bleibt. Nicht zuletzt gewinnt die sicherpolitische Meinungsbildung in Deutschland an Profil und Tiefenschärfe.

Unser Land ist wirklich eine reife Demokratie und ein geschätzter Partner in internationaler Verantwortung. Wir dürfen uns zutrauen, ein aufgeklärtes Verhältnis zu unseren Sicherheitsinteressen und auch zu unseren militärischen Fähigkeiten zu entwickeln.

Ich freue mich, darüber mit Ihnen und vielen anderen, die an dieser Debatte Interesse haben. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

* Rede vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Berlin, 8. Oktober 2014.

Quelle: Website des Bundeswirtschaftsministeriums, 8. Oktober 2014; http://www.bmwi.de



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