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Kernkompetenz Krieg

Rüstungslobbyistin IG Metall: Funktionär betont "zivilen Charakter" vieler Produkte deutscher Waffenschmieden. Tatsächlich sind sie auch Polizei und Geheimdiensten nützlich

Von Peer Heinelt *

Die Industriegewerkschaft Metall hat ein großes Herz für die hiesigen Produzenten von Mordinstrumenten. Erst vergangene Woche betonte Jürgen Bühl, Leiter des beim Vorstand der IG Metall angesiedelten »Arbeitskreises Wehrtechnik und Arbeitsplätze«, die »Verantwortung« der Bundesregierung für die Rüstungsindustrie. Anlaß war ein Treffen von Betriebsräten deutscher Waffenschmieden mit Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der die Belegschaftsvertreter durch seine Ankündigung, den Export von Kriegsgerät künftig etwas restriktiver zu handhaben, gegen sich aufgebracht hatte. Schon zuvor hatten sie in einem Brief an den als »lieber Sigmar« titulierten SPD-Vorsitzenden erklärt, es sei »kurz vor zwölf für einige Unternehmen der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie«, und vor dem Verlust nationaler »Kernkompetenzen« gewarnt. Auch nach dem Gespräch mit Gabriel forderte etwa Ralf Bergschneider, Betriebsrat des Panzerbauers Krauss-Maffei Wegmann »dringend neue Projekte« für sein Unternehmen, da ansonsten eine »strategische Fähigkeit für Deutschland« verlorengehe, die angesichts der herrschenden »Sicherheitslage« unabdingbar sei: »Wer hätte vor fünf Jahren denn gedacht, daß Rußland auf einmal eine Bedrohung für uns sein könnte.«

Äußerungen wie diese machen deutlich, daß Gewerkschaft und Belegschaftsvertretern nicht nur der Erhalt von Arbeitsplätzen wichtig ist. Rein statistisch betrachtet fallen diese ohnehin kaum ins Gewicht. Selbst wenn man wie der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie davon ausgeht, daß rund 300000 Stellen von der Rüstungsproduktion abhängen, machen diese angesichts von 42 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland nicht einmal 0,8 Prozent aller Beschäftigten aus. Volkswirtschaftlich gesehen ist die Herstellung von Mordwerkzeugen ohnehin irrelevant: Mit den von ihnen jährlich umgesetzten 23 Milliarden Euro tragen die Waffenschmieden gerade einmal 0,4 Prozent zum Gesamtumsatz deutscher Unternehmen bei; der Anteil der Rüstungsbranche am Bruttoinlandsprodukt liegt bei sage und schreibe einem Prozent.

Worum also geht es denen, die zur Zeit auf allen Kanälen über die angeblich durch Exportbeschränkungen verursachte »Krise« der deutschen Rüstungsindustrie jammern? Es geht – neben der Ausstattung der Bundeswehr mit Kriegsgerät – um den Erhalt der besagten »Kernkompetenzen« oder auch »Spitzentechnologien« am »Standort Deutschland«: Den einheimischen Konzernen soll eine vorteilhafte Position im internationalen Konkurrenzkampf verschafft werden, um auf diese Weise ihre Expansion weiter voranzutreiben.

Roman Zitzelsberger (SPD), Bezirksleiter der IG Metall in Baden-Württemberg, wo zahlreiche »Rüstungscluster« beheimatet sind, ließ dies jüngst in einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk durchblicken. Er forderte die Einrichtung eines »Branchenrat(s) Wehr- und Sicherheitstechnik«, der »verstärkt industriepolitische Unterstützung durch die Bundesregierung bekommt zum Erhalt und zur Weiterentwicklung der entsprechenden Wertschöpfungsketten«. Schließlich, so Zitzelsberger, machten Waffen ja nur einen Teil der Produktion der deutschen Rüstungskonzerne aus. Viele der dort hergestellten Güter hätten »sowohl einen militärischen wie auch einen zivilen Charakter«. Beispiele für diese »Dual-Use-Geschichten« nannte der IG-Metall-Funktionär auch: Optronik, Sensorik, Biotechnik, Automation, Robotik und Werkstofftechnik.

Tatsächlich verfolgen die Big Player der Branche mit kräftiger staatlicher Unterstützung schon seit mehr als drei Jahrzehnten eine »Dual-Use-Strategie«. So heißt es bereits in einer Mitteilung der damaligen SPD-FDP-Bundesregierung vom März 1982: »Die Mikroelektronik führt insbesondere zur Verbesserung der Führung und der Aufklärung sowie des Waffeneinsatzes (…). Die Grundlage für die hierzu erforderlichen technologischen Fähigkeiten muß sich die deutsche Industrie zunächst auf dem zivilen Markt schaffen. Hierzu stellt der Bundesminister für Forschung und Technologie in den Jahren 1982 bis 1984 ca. 380 Millionen DM für ein Forschungs- und Entwicklungsförderungsprogramm (…) zur Verfügung.«

Aktuell steht vor allem die »zivile Sicherheitsforschung« im Fokus staatlicher Förderung; von 2007 bis 2012 hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung hierfür nach eigenen Angaben 279 Millionen Euro aufgewendet. Das Geld floß nicht nur an wissenschaftliche Einrichtungen, sondern auch an Rüstungsfirmen, die damit Repressions- und Überwachungstechnik entwickelten. Sogenannte Unmanned Aerial Vehicles (UAV) oder Drohnen sind der letzte Schrei auf diesem Gebiet, eignen sie sich doch hervorragend für die Beobachtung von »Menschenansammlungen« oder die »Grenzsicherung« – und sind folglich sowohl dem Militär als auch »zivilen« Institutionen wie Polizei und Geheimdiensten von Nutzen. Nach Angaben von Stefan Zoller, ehemaliger Manager beim EADS-Konzern, wird es »in Zukunft kaum ein UAV geben, das nur für militärische oder nur für zivile Anwendungen eingesetzt wird«.

Entwicklungen dieser Art dürften auch gemeint sein, wenn IG-Metall-Funktionäre oder Minister Gabriel von »Konversion« reden. Um die Herstellung von Kochtöpfen statt Panzern geht es ihnen definitiv nicht. Schließlich taxieren Experten den Weltmarkt für sogenannte zivile Sicherheitstechnik auf ein jährliches Volumen von mehr als 100 Milliarden Euro. Für die deutsche Rüstungsindustrie tun sich somit neue Betätigungsfelder auf – ganz ohne Exportbeschränkungen.

* Aus: junge Welt, Mittwoch 27. August 2014


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