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Wo bleiben die Gewehre?

Von Knut Mellenthin *

Die Bundesregierung will Waffen ins Kriegsgebiet Nordirak schicken. Nach Ansicht von Kanzlerin Angela Merkel muß sich damit nicht einmal das ganze Kabinett befassen. Für die Beschlußfassung reichen ihr Vertreter der Ministerien für Verteidigung, Außenpolitik und Wirtschaft. Den Bundestag läßt sie am Montag nur aus taktischen Gründen abstimmen, um gegenüber der deutschen Bevölkerung, die den geplanten Deal mehrheitlich ablehnt, »Rückendeckung zu kriegen«.

Daß nach allen früheren Erfahrungen in ähnlichen Situationen ein erheblicher Teil der Waffen »verschwinden« und in den Händen von international organisierten Terroristen im Irak, in Syrien oder vielleicht sogar in Pakistan oder Mali wieder auftauchen wird, scheint der Kanzlerin gleichgültig sein.

Waffen der staatlichen Sicherheitskräfte gehen in Bürgerkriegssituationen vor allem in folgenden Zusammenhängen verloren: erstens während Gefechten und Rückzügen. Zweitens bei Überfällen der Aufständischen auf Depots und Militärlager. Drittens durch das Überlaufen einzelner Soldaten oder ganzer Einheiten zum Gegner. Viertens, und das kann unter Umständen zum wichtigsten Faktor werden, durch Korruption und Disziplinlosigkeit, indem Waffen für den Schwarzmarkt abgezweigt oder direkt an den Gegner verkauft werden. In der nordirakischen Kurdenregion gibt es florierende Waffenbasare.

Die Untersuchung einer von der US-Regierung eingesetzten Inspektion ergab im Juli dieses Jahres, daß der Verbleib von rund 40 Prozent der Waffen, die die USA seit 2002 an die afghanischen Sicherheitskräfte geliefert hatten, trotz einer Reihe von Kontrollmaßnahmen nicht nachzuverfolgen war. Das betraf jedoch nur Waffen, deren Seriennummern registriert worden waren, und somit keineswegs alle. Unberücksichtigt blieben in dieser Statistik inoffizielle Lieferungen beispielsweise durch den Auslandsgeheimdienst CIA an örtliche Milizen, die ohne Kooperation mit der Regierung in Kabul aufgestellt und ausgerüstet worden waren. Von diesem Teil der Waffen ist, da die Milizen sich als totaler Fehlschlag erwiesen, anzunehmen, daß er fast vollständig zweckentfremdet wurde.

Eine ähnliche US-amerikanische Inspektion kam im Irak schon im Juli 2007 zu dem Befund, daß mindestens 190000 an die Sicherheitskräfte des Landes gelieferte Waffen »verschwunden« waren. Im einzelnen fehlten 110000 Gewehre und 80000 Pistolen. Auch wenn danach angeblich die Kontrollmethoden verbessert wurden, dürfte sich die Anzahl der »verloren gegangenen« Waffen bis zum Abzug der US-Truppen aus dem Irak im Dezember 2011 nicht unwesentlich vergrößert haben. Nicht enthalten sind die Waffen, die die USA überwiegend inoffiziell und teilweise über Drittstaaten an die von ihnen aufgestellten und gelenkten sunnitischen Milizen geliefert hatten. Selbstverständlich blieben diese auch nach dem Truppenabzug in deren Besitz. Viele Waffen dürften bei den Islamisten gelandet sein, mit denen ein Teil der ehemaligen Milizen heute kooperiert.

Das gilt auch für Syrien, wohin die US-Regierung vor allem vermittels der Staaten der arabischen Halbinsel und der Türkei riesige Waffenmengen liefern ließ, über die es keinerlei Kontrollen oder auch nur halbwegs zuverlässige Angaben gibt. Angeblich sollten damit »gemäßigte Rebellen« ausgerüstet werden. Teils war das von Anfang an nur eine Fiktion, teils erwiesen sich die militärisch schwachen, schlecht organisierten »Gemäßigten« nur als Zwischenstation. Nicht unwichtig: Die meisten arabischen Staaten, die sich auf diesem Weg an der Aufrüstung der extremen Islamisten beteiligten und beteiligen, sind traditionell Empfänger umfangreicher deutscher Waffenexporte.

Die gleichen Staaten belieferten, ebenso unkontrolliert und undurchschaubar, vor drei Jahren auch die libyschen Rebellen im Kampf gegen die Regierung von Muammar Al-Ghaddafi. Zusammen mit den »herrenlos gewordenen« Beständen der libyschen Sicherheitskräfte gelangten diese Waffen nach Ghaddafis Sturz an alle Schauplätze des internationalen Dschihad.

* Aus: junge Welt, Freitag 29. August 2014


Dokumentiert: Linke-Antrag zu Rüstungsexporten

Mit Blick auf die Debatte im Bundestag am 1. September legt die Fraktion Die Linke einen Entschließungsantrag zur Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zum Thema »Humanitäre Hilfe für Flüchtlinge im Irak und Kampf gegen die Terrororganisation IS« vor:

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest: Rüstungsexporte sind immer ein Beitrag zu Krieg, Zerstörung und Tod. Sie sind deshalb aus ethischen wie aus politischen Gründen in jeder Situation abzulehnen. Die Bundesregierung unterstützt mit Rüstungsexporten auch Menschenrechtsverletzungen, militärische Eskalationen, Militarisierungen, Destabilisierungen und Rüstungswettläufe. Tragfähige und dauerhafte Konfliktlösungen sind hingegen mit Rüstungsexporten nicht zu erreichen. Rüstungsexporte sind darüber hinaus wie die Auslandseinsätze der Bundeswehr wesentliches Element einer sich zunehmend militarisierenden deutschen Außenpolitik, (…).

Die bisherige Praxis der Bundesregierung, jeden Rüstungsexportantrag einzeln anhand von unverbindlichen »Politischen Grundsätzen« zu prüfen und zu genehmigen, hat sich als ungeeignet erwiesen, Rüstungsexporte einzuschränken. Das können nur generelle, gesetzlich verankerte Verbote leisten. Als erste Schritte hin zu einem vollständigen Rüstungsexportstopp sollten Exporte der besonders verheerenden Kleinwaffen sowie von ganzen Waffenfabriken und in bestimmte Regionen gesetzlich verboten werden.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. keine Waffen in den Irak zu liefern und statt dessen die Organisation »Islamischer Staat« von ihren Förderern und Financiers in Katar und Saudi-Arabien abzuschneiden,

2. einen Gesetzentwurf vorzulegen, in dem ein generelles Verbot des Exports geregelt wird. Insbesondere von

– kleinen und leichten Waffen sowie von

– Waffenfabriken (z.B. Produktionszeichnungen, Fertigungsunterlagen oder Herstellungsmaschinen) und

– Rüstungsgütern in Kriegs- oder Bürgerkriegsgebiete und andere Krisenregionen;

3. keine Hermes-Bürgschaften mehr für Rüstungsexporte zu erteilen.

(Zitiert nach jW, 30.08.2014)




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