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Kreideangriff gegen Kriegsschiffe

Peace-Symbole in Rostock, Waffenexporte aus Waren und was die Landesverfassung fordert

Von René Heilig *

Die Landesverfassung von Mecklenburg-Vorpommern beinhaltet eine Art Friedenspflicht. Doch wenn sich Bürger danach richten, kommt die Polizei.

Wolkenloser Himmel und strahlender Sonnenschein hießen am Wochenende sieben Schiffe der Standing NATO Mine Countermeasures Group 1 (SNMCMG 1) im Rostocker Stadthafen willkommen. Neugierige sammelten sich, Kameras wurden gezückt und Commander Giedrius Premeneckas, Kommandeur des Minenabwehrverbandes, lud alle Besucher zur Besichtigung ein.

Eine besondere Attraktion hieß vermutlich Helena Linder-Jeß. Sie ist Kapitänleutnant und seit dem vergangenen Jahr Chef auf dem deutschen Minenjagdboot »Datteln«. Es gibt in der Deutschen Marine keine zweite Frau in dieser Funktion.

Unlängst schipperte der Verband, der noch immer Minen aus dem Zweiten Weltkrieg aufspüren und vernichten soll, in der östlichen Ostsee herum. In diesem Jahr stand allerdings eine andere Funktion im Vordergrund. Die »Datteln« und die anderen Schiffe sollten Russland Grenzen aufzeigen.

Auf hoher See ging alles gut, doch in Rostock ist der Verband nur knapp einem Anschlag entkommen. Nur durch das beherzte Eingreifen der Rostocker Polizei am Freitagabend konnte Schlimmeres verhindert werden. Beamte stellten »eine Gruppe junger Männer auf der Haedgehalbinsel fest. Sie begannen, am Liegeplatz eines Schiffes des NATO-Flottenverbandes mehrere Parolen mit Sprühkreide auf die Kaikante aufzubringen.« Man stellte die Identität der fünf jungen Männer fest – und siehe da: Der Bockhahn war wieder dabei.

Steffen Bockhahn, der Mann von der Linkspartei, leugnet nicht. Er steht zu Sprüchen wie »Frieden statt NATO« und findet das Peace-Symbol als »Willkommensgruß« für einen NATO-Kriegsschiffsverband durchaus passend. Bockhahn gibt zu, dass er auf eine regenfreie Nacht gehofft hatte, damit die Marinesoldaten am Morgen auch etwas von der Aktion haben konnten. Den Polizeieinsatz indessen hält der einstige Bundestagsabgeordnete, der Sozialsenator von Rostock werden will, für unangemessen. Noch liegt die Entscheidung darüber, ob er im Senat der Hansestadt arbeiten darf, bei Verwaltungsrichtern. Doch bei der Aktion, so Bockhahn, sei es nicht um ihn, sondern darum gegangen, dass die NATO nicht von allen Rostockern willkommen geheißen wird.

Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU) – er ist Reserve-Kapitänleutnant der Deutschen Marine – hielt die Protestaktion dagegen für »bedenklich«. Zur politischen Meinungsbildung, so sagte er im NDR, gehöre friedlicher Protest. Er erwarte allerdings, dass Personen, die politische Verantwortung übernehmen sollen, ihren Protest im Zweifel mit Plakaten zum Ausdruck brächten und nicht fremdes Eigentum beschmierten.

Feuer frei! In der Debattenecke der NDR-Website machte sich Empörung breit. Schließlich habe Bockhahn ja auch nicht gegen die Anwesenheit russischer Großsegler protestiert. Ein »Sturmvogel« mutmaßte: »Herr Bockhahn wäre es sicher lieber, wenn Schiffe der Nordmeerflotte im Rostocker Hafen festmachen würden ...« Ein anderer Internetfreund brachte alles auf die Formel: »Linke Narrenhände beschmieren NATO-Wände«.

Warum nicht? Deutlicher als Bockhahn und Freunde kann man die Landesverfassung kaum achten. »Alles staatliche Handeln muss dem inneren und äußeren Frieden dienen und Bedingungen schaffen, unter denen gesellschaftliche Konflikte gewaltfrei gelöst werden können«, heißt es da in Artikel 18a.

Den Grundsatz will Bockhahns Parteifreund Peter Ritter auch auf das Bundeswehrdepot in Waren angewandt wissen. Dort an der Müritz werden Tausende Waffen und anderes militärisches Gerät für Nordirak zusammengestellt. Ritter, friedenspolitischer Sprecher der Landtagslinksfraktion, ist sich sicher, dass Sturmgewehre, Handgranaten und Lenkraketen nicht das geeignete Handwerkszeug für eine gewaltfreie Konfliktlösung im Sinne der Landesverfassung sind.

Generell ist das nordöstliche Bundesland in Konfliktregionen der Welt weitaus mehr präsent, als man meint. Von Neubrandenburg-Trollenhagen wurden über Jahrzehnte Rüstungsgüter nach Afghanistan geflogen. Patriot-Flugabwehrraketen aus Sanitz sind an der syrischen Grenze in der Türkei stationiert. Und sollen es wohl auch bleiben. Denn obwohl die Niederlande ihre Batterien zurückziehen, harren die deutschen und die US-Einheiten dort weiter aus. In der Ostseeregion werden Küstenschutzboote für Saudi-Arabien gebaut.

Auch wenn das Land diese »bundespolitisch zu verantwortenden Waffenlieferungen und Beteiligungen an Kriegseinsätzen nicht verhindern kann, wäre ein politisches Signal unter Bezugnahme auf die Landesverfassung mehr als überfällig«, betont Ritter. Auch weil im Ergebnis dieser militärischen »Konfliktlösungen« die Anzahl jener wachse, die in Deutschland Zuflucht suchen. Dann heiße es, wir könnten nicht mehr aufnehmen. »Widersprüchlicher«, so Ritter, »kann Politik nicht sein!«

* Aus: neues deutschland, Dienstag 23. September 2014


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