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Panzer zu Keksdosen!

Die Krise in Griechenland und deutsche Rüstungsexporte: Ein Gedankenexperiment

Von Katja Kipping *

Katja Kipping ist gemeinsam mit Bernd Riexinger Parteivorsitzende der LINKEN.

Deutschlands Rüstungsindustrie machte mitten in der Schuldenkrise Milliardengeschäfte mit der griechischen Regierung. Die Kürzungspolitik der Troika stürzte das Land in eine humanitäre Krise während das Geschäft mit dem Krieg unbehelligt weiter gehen konnte.

Politiker werfen dem griechischen Staat vor, jahrzehntelang Geld verprasst zu haben. Über einen Posten hört man aber auffallend wenig: Wenn es darum geht, wie viele Milliarden in der Vergangenheit für Rüstung bezahlt wurden, herrscht einvernehmliches Schweigen bei Finanzminister Schäuble, Kanzlerin Merkel und »Bild«.

Kein Wunder – denn die deutsche Militärindustrie hat an der Rüstungswut der griechischen Schwesterparteien von CDU und SPD gut Nase verdient. »Deutsche U-Boote, Jagdbomber, Panzer – all das haben griechische Regierungen in der Vergangenheit mit Vorliebe geordert«, schrieb Anfang 2010 der »Spiegel«. Die Deals für deutsche Waffen trugen erheblich zu den griechischen Staatsschulden bei.

Um nur einige Zahlen zu nennen:
  • 2000 kaufte der sozialdemokratische Verteidigungsminister Griechenlands vier U-Boote des Typs 214 im Wert von 2,85 Milliarden Euro in Deutschland und wurde später wegen Korruptionsverdacht verhaftet.
  • 2003 kaufte sein sozialdemokratischer Amtsnachfolger 170 Leopard 2A6 der Münchner Waffenschmiede Krauss-Maffei Wegmann - Gesamtwert: 1,7 Milliarden Euro. Pikantes Detail: auch dieser Waffendeal geriet wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung und Beamtenbestechung ins Visier der Staatsanwaltschaft.
  • Von 2006 bis 2010 war die konservative griechische Regierung der größte Abnehmer deutscher Kriegswaffen.
  • 2010 importierte der sozialdemokratische Regierungschef Griechenlands Papandreou parallel zum drohenden Staatsbankrott 223 Panzerhaubitzen von Typ M109 aus Bundeswehrbeständen sowie ein U-Boot der Klasse 214 aus Deutschland. Gesamtwert der Bombengeschäfte: 403 Millionen Euro.
Im Zuge der Kürzungsauflagen für Griechenland wurden Löhne und Renten, die Ausgaben für öffentliche Krankenhäuser und Schulen, Universitäten und Gesundheitsvorsorge zusammengestrichen. Die EU-Länder diktierten der Regierung in Athen die Privatisierung des letzten Hemdes und den Bankrott ihres Sozialsystems – Kürzungen beim Rüstungsetat wurden hingegen nur minimal verlangt.

So beschloss die Regierung des Ex-Zentralbankers Papademos für 2012 weitere Kürzungen der Sozialausgaben in Höhe von zwei Milliarden Euro, während die Beiträge zur NATO um 50 Prozent steigen und Rüstungsausgaben auf 1,3 Milliarden erhöht wurden, was eine Steigerung von 18 Prozent bedeutete.

Gauck sagt doch immer, Deutschland müsse mehr internationale Verantwortung übernehmen …

Nun hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen dieser Tage jede Menge Ärger mit deutscher Kriegsware: Sturmgewehre, die in der Hitze des Gefechts daneben schießen, Panzer, die mit jahrelanger Verspätung vom Band rollen und Panzerabwehrraketen, denen Gutachter mangelhafte Produktreife bescheinigen. Der »Kundendienst« der Waffenindustrie hat nachgelassen – Zeit für die Reklamation!

Das Verteidigungsministerium könnte sich nun sagen: Qualität sieht anders aus, und: Sollten wir all die Milliarden nicht besser für sinnvolle Dinge ausgeben? Bis dieser Sinneswandel bei der Bundesregierung einzieht, braucht es noch viel antimilitärische Aufklärungsarbeit auch von Seiten der Linken.

Was aber, wenn sich Frau von der Leyen wie jede andere normale Kundin gegenüber einem Anbieter verhielte, der ihr fehlerhafte Ware verkauft hat? Nachbessern lassen, Umtausch, Rückgabe – alles ganz normale Verbraucherrechte. Warum sollten die nicht auch gegenüber Heckler&Koch, ThyssenKrupp oder Krauss-Maffei gelten? Als Erstes müsste das ganze unbrauchbare Kriegsgerät zurückgegeben werden mit der Bedingung, daraus etwas Sinnvolles herzustellen. Keksdosen zum Beispiel. Oder wie wäre es mit Bahngleisen für den Schienenausbau in Deutschland?

Moment mal, werden die Rüstungslobbyisten jetzt sagen, wir machen doch nur unsere Arbeit! Was können wir dafür, wenn die Politik von uns keine gescheiten Produkte verlangt? Und hier, liebe Leserinnen und Leser liegt das Problem: Die Bundesregierung als Auftraggeber lässt sich von der Rüstungsindustrie seit jeher auf der Nase herumtanzen. Es stimmt: Niemand zwingt Frau von der Leyen, immer weiter Panzer zu bestellen. Und niemand zwingt die Bundesregierung, der Kriegspropaganda eines Herrn Gauck den Mund zu reden und EU-weit für mehr Rüstung, Kampfdrohnen und schlagkräftigere Battlegroups zu werben.

Im Geschäft mit dem Tod kaufen die Regierungsparteien mit Steuergeld scheinbar bedingungslos und ohne Rücksicht auf Verluste jeden Ramsch. Dabei wäre es normal, wie bei jeder öffentlichen Vergabe von Milliardenaufträgen entsprechende Auflagen zu machen. Wenn es Bundeskanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble ein echtes Anliegen wäre, dass Griechenland seine Schuldenlast verringert - warum nicht den Rückkauf aller seit Ausbruch der Schuldenkrise nach Hellas verhökerten Panzer, U-Boote und Jagdbomber zur Bedingung für künftige Rüstungsdeals machen? Second Hand Kleidung ist längst groß in Mode. Noch besser als Second Hand Panzer wäre es allerdings, konsequent abzurüsten. Also doch lieber Keksdosen und Eisenbahnschienen.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 29. Mai 2015


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