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Waffen für die PKK?

Koalition streitet über Waffenlieferungen an Kurden im Nordirak. Bundestag soll ausgerechnet am 1. September "beraten". Beschließen darf er nicht

Von Ulla Jelpke *

In der Unions-SPD-Regierungskoalition wird über Waffenlieferungen an die gegen den selbsternannten »Islamischen Staat« (IS) kämpfenden kurdischen Verbände im Nordirak debattiert. Im Gespräch sind Handfeuerwaffen sowie Panzerabwehrraketen. War bislang davon die Rede, Waffen den Peschmerga – Truppen der kurdischen Regionalregierung im Nordirak – zu überlassen, so hatte CDU-Außenpolitiker Andreas Schockenhoff am Wochenende auch die in Deutschland verbotene und auf der EU-Terrorliste geführte Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ins Gespräch gebracht. Deren Guerilla sowie die mit ihr verbündeten Volksverteidigungskräfte (YPG) aus dem kurdischen Selbstverwaltungsgebiet Rojava in Syrien haben in den letzten Wochen Zehntausenden Flüchtlingen das Leben gerettet. Entscheidend sei, daß kurdische Milizen die Anhänger des IS bekämpfen und verfolgte Minderheiten schützen, sich aber klar für die Stabilisierung des Irak als Gesamtstaat einsetzen, forderte der am Wochenende gemeinsam mit Unions-Fraktionschef Volker Kauder in den Nordirak geflogene Politiker. »Wenn neben den Peschmerga auch die PKK Ausrüstungshilfe will, muß sie sich zuerst dazu eindeutig bekennen.« Hier müßten die Peschmerga außen vor bleiben, hat doch der kurdische Präsident Masud Barsani ein baldiges Referendum über die Unabhängigkeit der kurdischen Provinzen vom Irak angekündigt. Dagegen tritt die PKK für Selbstverwaltung innerhalb der bestehenden Staatsgrenzen ein. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) verteidigte zwar Waffenlieferungen an die Peschmerga, trotz Risiken wie den kurdischen Unabhängigkeitsbestrebungen. Er zeigte sich aber irritiert über Schockenhoffs Vorschlag angesichts des deutschen Verhältnisses zur Türkei. Die Militärhilfe werde sich im Rahmen einer UN-Resolution bewegen, die diese nur mit Zustimmung der Zentralregierung in Bagdad gestatte, erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im ARD-Sommerinterview. »Die PKK kommt in diesem Zusammenhang nicht in Frage als Empfänger von Waffen.«

Während sich Grünen-Chef Cem Özdemir für Waffenlieferungen an »die Kurden« aussprach, bekräftigte der Linksfraktionsvorsitzende Gregor Gysi die grundsätzliche Ablehnung seiner Partei zu Rüstungsexporten. Statt dessen sprach sich Gysi für eine Überprüfung der Einstufung der PKK als terroristische Organisation aus.

Rufe nach Waffen kommen derzeit nur vom kurdischen Präsidenten Barsani. Die PKK hat dagegen bislang gar keine derartigen Wünsche geäußert. PKK-Führungskader Cemil Bayik erklärte lediglich gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung unter Verweis auf die seit zwei Jahren erfolgreich gegen den IS in Syrien kämpfenden Volksverteidigungseinheiten YPG, die Dschihadisten ließen sich nur besiegen, wenn »jene Kräfte mit Waffen ausgestattet werden, die am wirksamsten gegen die Terrorgruppe vorgehen«. Sollte der Westen allein auf Barsanis Peschmerga setzen, bestände die Gefahr, daß diese Waffen am Ende in die Hände der Dschihadisten fielen.

Ausgerechnet am 1. September – dem 75. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkrieges – soll der Bundestag in einer Sondersitzung über die Waffenlieferungen beraten. Abstimmen über diesen Präzedenzfall einer Waffenlieferung in ein Kriegsgebiet dürfen die Abgeordneten nicht, die Entscheidung liegt alleine bei der Bundesregierung.

* Aus: junge Welt, Dienstag 26. August 2014


Ganz kleines Restrisiko

Waffenlieferungen in Kriegsgebiete

Von Knut Mellenthin **


Und wenn es doch nur ein unglaublich geschmackloser Scherz war? Ausgerechnet am 1. September will die Regierung im Bundestag ein bißchen über Waffenlieferungen ins Kriegsgebiet Nordirak debattieren, aber keinesfalls auch abstimmen lassen.

Zur Erinnerung für Angela Merkel: Am 1. September 1939 überfiel die deutsche Wehrmacht das Nachbarland Polen und löste damit den Zweiten Weltkrieg aus. Allein die Völker der Sowjetunion verloren mindestens 27 Millionen Menschen. Und das ist lediglich die statistische Angabe der Toten. Die Zahl der Menschen, deren Leben durch den von Deutschland geführten Krieg nachhaltig beschädigt oder gar zerstört wurde, liegt um ein Mehrfaches höher. Was hat man Angela Merkel eigentlich in der FDJ beigebracht? Und was plant sie für den nächsten 22. Juni? Neue Sanktionen gegen Rußland?

Die Regierungspolitiker von CDU/CSU und SPD sprechen betulich und verlogen von »Waffenlieferungen in ein Spannungsgebiet«. Also etwas, was für den deutschen Rüstungsexport längst zum Alltag gehört, auch wenn das nach den Richtlinien eigentlich nicht so sein sollte. Aber der Nord­irak ist, da mag man den Begriff noch so zielstrebig ausweiten und verformen, kein »Spannungsgebiet«. Er ist eindeutig ein Kriegsgebiet. Genau damit werden die Lieferungen ausdrücklich begründet. Diese Waffen dienen nicht einer fragwürdigen »Abschreckung« oder irgendeinem fernen »Ernstfall«, sondern sie sind unmittelbar zum Einsatz bestimmt.

Das ist selbst für den mittlerweile weitgehend enthemmten, von ethischen Bedenken befreiten deutschen Rüstungsexport kein Routinevorgang. Nimmt man die konkrete Lage im Nordirak hinzu, wo die derzeit brutalste und schlagkräftigste internationale Terrortruppe agiert, der auf diesem Weg zahlreiche deutsche Waffen in die Hände fallen könnten, stellt die Absicht der Bundesregierung eine Zäsur in der deutschen Nachkriegsgeschichte dar. Damit sind wir wieder bei der unfaßbaren Entscheidung der Kanzlerin, diesen Schritt ausgerechnet mit dem Datum des Weltfriedenstages zu verknüpfen.

Angela Merkel hat am Wochenende im Gespräch mit der Chemnitzer Freien Presse eingeräumt, daß ein Teil der von Deutschland in den Nordirak gelieferten Waffen »in die falschen Hände gelangen«, also bei den Mörderbanden des »Islamischen Staates« landen könnte. »Ich will nicht so tun, als bestehe dieses Risiko überhaupt nicht«, sagte sie wörtlich. Aber damit redet sie wieder einmal an der wirklichen Problemlage vorbei. Es geht nicht um irgendein kleines Restrisiko, wie es in fast allen Lebenssituationen enthalten ist. Zum Anteil der Waffen, die in Kriegssituationen den Besitzer wechseln, sei es der Afghanistan-Krieg, der letzte Irak-Krieg der USA oder die NATO-Militärintervention in Libyen, gibt es solide Studien und daraus resultierende Erfahrungswerte. Hat sich die Kanzlerin damit überhaupt schon mal befaßt?

** Aus: junge Welt, Dienstag 26. August 2014


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