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Verschärfte Strafmaßnahmen

Bundesregierung stoppt Rheinmetall-Lieferung nach Rußland. Moskau kündigt Schadenersatzklage an *

Die Bundesregierung hat wegen der Krise in der Ukraine ein Rüstungsgeschäft von Rheinmetall mit Rußland in dreistelliger Millionenhöhe endgültig gestoppt. Moskau droht nun mit einer Schadensersatzklage. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) widerrief nach eigenen Angaben in Abstimmung mit dem Kanzleramt eine von der Vorgängerregierung erteilte Genehmigung für den Bau eines Gefechtsübungszentrums östlich von Moskau. In dem Übungszentrum mit Kapazität für rund 30000 Panzer- und Infanteriesoldaten pro Jahr sollten Kämpfe mit Lasertechnik simuliert werden.

SPD-Bundestagsfraktionschef Thomas Oppermann sagte, die Bundesregierung müsse zu einer restriktiveren Praxis zurückkehren. »Jetzt ist es in der Hand des Unternehmens zu schauen, wie es darauf reagieren wird«, so Gabriel. Eine Hermesbürgschaft für die Rheinmetall-Lieferung an die russische Armee gibt es nach Ministeriumsangaben nicht. Solche Exportkreditgarantien sichern in der Regel Geschäfte mit ausländischen Geschäftspartnern ab. Die Süddeutsche Zeitung berichtete von gescheiterten Bemühungen der Regierung, mit Rheinmetall einen Konsens über die Aussetzung des Geschäfts zu erzielen.

Das russische Verteidigungsministerium werde mit einer Schadenersatzklage vor Gericht ziehen, sagte ein namentlich nicht genannter Mitarbeiter der Behörde der Agentur Interfax zufolge in Moskau. Die russische Rüstungsbranche sei in der Lage, die fehlenden Teile zu ersetzen. Vizeverteidigungsminister Juri Borissow betonte, die Absage werde den bereits für September geplanten Start des Zentrums nicht verzögern.

Gabriel hatte den Rheinmetall-Deal bereits im März vorläufig gestoppt. Hintergrund für den nun erteilten Widerruf sind die von der EU verhängten Sanktionen gegen Rußland. Die BRD geht allerdings mit dem Lieferstopp über die Vereinbarung hinaus. Denn die Strafmaßnahmen der Europäischen Union schließen keine bereits vereinbarten Geschäfte ein.

* Aus: junge Welt, Dienstag 5. August 2014


Politshow gegen Schnöggersburg

Regierung verbietet Rheinmetall Rüstungsexport nach Russland – Moskau bleibt gelassen

Von René Heilig **


Vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise hat die Bundesregierung ein deutsch-russisches Rüstungsgeschäft endgültig gestoppt. Rheinmetall darf kein Gefechtsübungszentrum liefern. Eine Politshow.

Ende September 2011 herrschte Hochbetrieb auf dem verschlafenen »Verkehrsflughafen« Cochstedt unweit von Magdeburg. Eine russische Tupolew war gelandet. Ihr entstieg Moskaus damaliger Verteidigungsminister Anatoli Serdjukow. Auf ihn und seine Delegation hatten schon Hubschrauber der Bundeswehr gewartet. Sie flogen zum Gefechtsübungszentrum des Heeres in der Colbitz-Letzlinger Heide – das auch als »Messeplatz« deutscher Rüstungsfirmen bekannt ist. Der Gast schaute sich die Übung einer deutschen Panzerdivision an und war begeistert.

Von da an ließ sich der Deal nicht mehr geheim halten, der von Serdjukow und Rheinmetall-Vorstandschef Klaus Eberhardt bereits im Februar 2011 unterzeichnet worden war. Die deutsche Rüstungsfirma Rheinmetall baut für die russische Armee genau so einen High-Tech-Übungsacker auf dem Gelände des Schießplatzes Mulino im Gebiet Nischni Nowgorod. Das liegt in der Wolga-Region. Man scherzte sogar, dass man dort das Dorf Schnöggersburg wieder aufbauen wolle, das von der deutschen Reichswehr Anfang der 30er Jahre in der Letzlinger Heide abgerissen worden war, als man dort eine Heeresversuchsanstalt eröffnete.

Nach dem Zweiten Weltkrieg übten auf dem Riesenareal sowjetische Soldaten, nach 1990 zog die Bundeswehr ein und stampfte das modernste Gefechtsübungszentrum Europas aus dem Heideboden. Es bietet die Möglichkeit, beliebige taktische Situationen auf dem Gefechtsfeld zu modellieren und die Handlungen von Soldaten bis zur Stärke einer Brigade zu bewerten.

Dabei fällt kein scharfer Schuss. Die übenden Soldaten, ihre Waffen und Geräte werden mit Sendern und Empfängern ausgestattet. Laserstrahlen ersetzen echte Schüsse. Duellsimulatoren zeigen Treffer an. Alles ist realitätsnah, fast umweltschonend und vor allem höchst effektiv. Weshalb der Chef der russischen Landstreitkräfte, der sich mehrfach mit seinem deutschen Kollegen traf, davon ausgeht, dass sich die Kosten für Mulino nach wenigen Jahren amortisieren werden. Das Volumen des Auftrages beträgt immerhin 100 Millionen Euro.

Pro Jahr können auf dem neuen russischen Übungsfeld 30 000 Soldaten ausgebildet werden. Moskau plant, ähnliche Zentren in allen Militärbezirken einzurichten. Bereits 2013, so der Vertrag, sollten Übungen in Kompanie- und ab 2014 in Bataillonsstärke stattfinden. Doch im März dieses Jahres hatte die Regierung Rheinmetall gebeten, das Projekt wegen der sogenannten Ukraine-Krise erst einmal auf Eis zu legen.

Das ärgerte die Rheinmetall-Chefs, denn der Auftrag, so hieß es, »steht kurz vor dem Abschluss«. Der Konzern erfülle seine vertraglichen Pflichten, sagte ein Unternehmenssprecher in Düsseldorf. Man kann also davon ausgehen, dass das nun von der Bundesregierung verfügte (vorläufige) Ende des Geschäfts Russland und seine Armee nicht allzu sehr treffen wird. So ist auch die Erklärung des russischen Verteidigungsministerium vom gestrigen Montag zu verstehen. Das Gefechtsübungszentrum, so heiß es, kann termingerecht in Betrieb gehen. Der Widerruf der Genehmigung »wird faktisch keine Auswirkungen auf die termingerechte Inbetriebnahme der Objekte haben«, sagte Vizeminister Juri Borissow.

Doch das deutsche Traditionsunternehmen reagiert intern sauer. Rheinmetall sei für Verlässlichkeit bekannt. Gerade in politisch komplizierten Zeiten. Auch in Russland. Rückblende: Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wollten die Siegermächte Deutschlands Remilitarisierung verhindern. Zugleich hatte man Russland und die spätere Sowjetunion als kommunistische Gefahr identifiziert und mit einem grundlegenden Embargo belegt. So von der Welt geschnitten, nutzten sich Deutschland und die Sowjetunion, Reichswehr und Rote Armee gegenseitig.

Neben einer Kampffliegerschule in Lipetsk und Ausbildungsstätten für den Kampfstoffeinsatz wurde 1928 an der Wolga eine deutsche Panzerschule errichtet. In Kasan – das ist nur rund 350 Kilometer vom heutigen modernen Übungsacker bei Mulino entfernt – wurden deutsche und russische Soldaten gedrillt. Zudem erprobte man deutsche »Großtraktoren«. Einer war 16 Tonnen schwer und mit einer 7,5-cm-Kanone bewaffnet. Hergestellt wurden der »Traktor« von einer Düsseldorfer Firma. Sie hieß damals wie heute Rheinmetall.

** Aus: neues deutschland, Dienstag 5. August 2014


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