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2004: Weltweit 36 Konflikte mit hohem Gewalteinsatz

Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung (HIIK) veröffentlicht ihr jährliches "Konfliktbarometer"

Das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung (HIIK) veröffentlicht jedes Jahr eine Übersicht über Kriege und Konflikte in der Welt. Der Bericht 2004 wurde am 13. Dezember der Presse in Berlin vorgestellt. Die entsprechende Presseerklärung des Instituts lautete:

HEIDELBERGER INSTITUT FÜR INTERNATIONALE KONFLIKTFORSCHUNG E.V.
am Institut für Politische Wissenschaft der Universität Heidelberg

PRESSEMITTEILUNG

Heidelberger Institut zählt 87 gewaltsame Auseinandersetzungen

Berlin, 13. Dezember 2004. Das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung (HIIK) am Institut für Politische Wissenschaft der Universität Heidelberg präsentiert mit dem „Konfliktbarometer 2004“ seine aktuellen Zahlen und Analysen zum diesjährigen globalen Konfliktgeschehen. Die Politikwissenschaftler zählen in diesem Jahr insgesamt 87 gewaltsame Konflikte, davon 36 als Konflikte mit hohem Gewalteinsatz, in 51 weiteren wird Gewalt nur vereinzelt eingesetzt. Weitere 143 politische Konflikte werden 2004 ohne den Einsatz physischer Gewalt ausgetragen.

Von den 36 Konflikten hoher Intensität werden nur drei als Kriege geführt, neben 33 ernste Krisen. Letztere sind im Unterschied zu Kriegen dadurch gekennzeichnet, dass Gewalt weniger systematisch angewendet wird und die durch sie verursachten Schäden von geringerem Ausmaß sind. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich damit die Anzahl der Kriege signifikant von 13 auf drei reduziert. Insgesamt ist jedoch durch eine gleich hohe Zunahme der ernsten Krisen die Zahl der Konflikte hoher Intensität gleich geblieben.

Eine beachtliche Entwicklung stellt die Beobachtung dar, dass keiner der 36 Konflikte hoher Intensität zwischen Staaten ausgetragen wird. Nach wie vor bleibt Afrika die von Konflikten hoher Intensität am stärksten betroffene Region. Zwei der insgesamt drei Kriege und elf ernste Krisen werden dort ausgetragen.

In Asien und Ozeanien gibt es 2004 keinen Krieg, dagegen aber ebenfalls elf ernste Krisen. Der dritte Krieg findet im Vorderen und Mittleren Orient statt, der Region mit der dritthöchsten Anzahl an Konflikten hoher Intensität und der höchsten Quote von Konflikten hoher Intensität gemessen an der Anzahl der Staaten. Zwar bleiben in Afrika sowie in Asien und Ozeanien die Anzahl der Konflikte hoher Intensität im Vergleich zum Vorjahr konstant, jedoch hat die Anzahl der Kriege in Afrika um fünf abgenommen, in Asien und Ozeanien um einen. Während der Vordere und Mittlere Orient die einzige Region darstellt, in der eine Zunahme der hoch gewaltsamen Konflikte von fünf auf sieben zu verzeichnen ist, sinkt ihre Anzahl in Europa und Amerika um jeweils einen.

Die Trendanalyse von 1945 bis 2004 zeigt, dass seit Ende des Zweiten Weltkrieges die Anzahl der gewaltsamen Konflikte mehr oder weniger stetig zugenommen hat. Seit 2001 hält eine Unterbrechung dieses langfristigen Trends an. Zwischen 2001 und 2003 sank die Zahl von 44 auf 36 und blieb 2004 konstant. Dabei sind zwischenstaatliche Kriege bzw. ernste Krisen zwischen Staaten die Ausnahme, die meisten gewaltsamen Konflikte hoher Intensität werden innerhalb von Staaten zwischen Regierung und Rebellengruppierungen ausgetragen.

Das Konfliktbarometer 2004 kann unter www.konfliktbarometer.de heruntergeladen werden.

Im Folgenden dokumentieren wir Auszüge aus der 46 Seiten umfassenden Analyse, die zudem zahlreiche Abbildungen, Tabellen und Übersichten enthält.

KONFLIKTBAROMETER 2004

Krisen . Kriege . Putsche
Verhandlungen . Vermittlungen . Friedensschlüsse

13. JÄHRLICHE KONFLIKTANALYSE

überarbeitete Ausgabe

Globale Entwicklung

Im Jahr 2004 werden 230 politische Konflikte geführt, davon drei als Kriege und 33 als ernste Krisen. Demnach werden insgesamt 36 Konflikte mit hohem Gewalteinsatz ausgetragen. In 51 weiteren Auseinandersetzungen mit der Intensität einer Krise wird von den Konfliktparteien vereinzelt Gewalt zum Erreichen ihrer Ziele eingesetzt. Demgegenüber wird mit einer Anzahl von 143 der weit größere Anteil politischer Konflikte ohne den Einsatz von physischer Gewalt ausgetragen. Diese lassen sich in 66 manifeste and 77 latente Konflikte unterteilen.

Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Anzahl der auf der höchsten Intensitätsstufe geführten Konflikte von 13 Kriegen 2003 auf drei im Jahr 2004 signifikant verringert. Hingegen ist die Anzahl der ernsten Krisen um zehn, von 23 auf 33 gestiegen. Daher ist die Gesamtzahl der Konflikte auf den beiden höchsten Intensitätsstufen trotz der beachtlichen Abnahme von Kriegen mit 36 gleich geblieben. Die Anzahl der Krisen, d.h. der Konflikte mittlerer Intensität, sinkt um drei von 54 im Jahr 2003 auf 51 in 2004. Die Anzahl der Konflikte auf den beiden gewaltlosen Intensitätsstufen verringert sich um einen, von 145 auf 143 Konflikte. Manifeste Konflikte haben sich von 71 auf 66 verringert. Die Anzahl latenter Konflikte hat von 74 im Jahr 2003 auf 77 in 2004 zugenommen.

Die Gesamtzahl der Konflikte ist von 235 auf 230 gesunken, d.h. es sind fünf Dispute weniger zu beobachten. Dies ist darauf zurückzuführen, dass einerseits 13 Konflikte als im Jahr 2003 beendet erachtet werden können und andererseits im Jahr 2004 acht neue Konflikte hinzugekommen sind. In Europa sind 2003 zwei Konflikte beendet worden und 2004 wird dort ein neuer Konflikt geführt; in Afrika sind acht beendet worden und zwei neue hinzugekommen; in Asien und Ozeanien ist einer beendet worden und drei sind neu hinzugekommen; im Vorderen und Mittleren Orient sind je zwei Konflikte beendet worden und neu hinzugekommen. Von den acht neuen Konflikten beginnen fünf auf den zwei höchsten Intensitätsstufen: Äthiopien (Anyuak - Nuer), China (Hui), Sri Lanka (LTTEEast - LTTE), Irak (al-Sadr-Gruppierung) and Irak (Aufständische). Die drei anderen werden auf einer Stufe niedriger Intensität ausgetragen: Ukraine (Opposition), Äquatorialguinea (Putschisten) and Kasachstan (Opposition). Im Jahr 2004 kann nur ein Konflikt als beendet erachtet werden, obwohl dieser nicht beigelegt wurde, sondern wegen einer veränderten Konfliktkonstellation lediglich transformiert worden ist. Mit der Machtübergabe an eine Übergangsregierung im Irak am 28. Juni, werden die US-geführten Koalitionstruppen nicht länger als direkte Konfliktpartei, sondern als Unterstützer der neuen irakischen Behörden verstanden, obwohl sie nach wie vor einen enormen Einfluss im Land ausüben.

Für eine langfristige Trendanalyse wurden die fünf Intensitätsstufen zu drei Intensitätsgruppen zusammengefasst. Die beiden gewaltlosen Stufen bilden die Gruppe von Konflikten niedriger Intensität, Krisen repräsentieren eine mittlere Intensitätsgruppe und ernste Krisen und Kriege konstituieren Konflikte hoher Intensität. Neben diesen drei Intensitätsgruppen zeigt die Grafik unten die Gesamtzahl der laufenden Konflikte. Die Verlaufskurve zeigt, dass die Anzahl der beobachteten Konflikte seit 1945 von 74 mehr oder weniger kontinuierlich auf 230 im Jahr 2004 gestiegen ist. Auffallend ist der jeweils stufenweise Anstieg der Konfliktzahlen, unterbrochen von Phasen geringer Zuoder Abnahme: zwischen 1945 und 1950 von 74 auf 125, zwischen 1952 und 1954 von 123 auf 128, zwischen 1957 und 1960 von 124 auf 148, zwischen 1963 und 1966 von 150 auf 162, zwischen 1973 und 1980 von 162 auf 201, zwischen 1989 und 1992 von 203 auf 215 und aktuell von 220 Konflikten 1998 auf 235 im Jahr 2003. Insofern ist die Abnahme der Konflikte im Untersuchungszeitraum lediglich eine Unterbrechung eines seit sechs Jahren andauernden Trends.

Eine nähere Betrachtung der einzelnen Intensitätgruppen zeigt, dass die Verlaufskurve der Konflikte niedriger Intensität der Gesamtzahlenkurve am nächsten ist. Beide Kurven laufen jedoch zunehmend auseinander.

An der Entwicklungslinie der Konflikte hoher Intensität fällt der kontinuierliche, meist gleichmäßig verlaufende Anstieg auf, von sieben 1945 auf 36 im Jahr 2004. Ausnahmen vom gleichmäßigen Anstieg bilden die drei Phasen hoher Eskalation zwischen 1945 und 1949 von sieben auf 20, zwischen 1976 und 1979 von 22 auf 37 sowie zwischen 1989 und 1991, dem Zeitraum des Zusammenbruchs der Sowjetunion, von 31 auf 47. Dieser letzte sprunghafte Anstieg markiert auch die bislang höchste Anzahl von Konflikten hoher Intensität. Daneben existierten auch Phasen deutlicher Deeskalation, wie zwischen 1949 und 1951 von 20 auf 14 sowie zwischen 1992 und 1996 von 47 auf 32. Der deutlichste Rückgang innerhalb eines Jahres ist zwischen 1994 und 1995 zu verzeichnen, als die Anzahl der Konflikte hoher Intensität von 47 auf 34 fiel. Seit 1997 ist ihre Anzahl deutlich von 32 auf 44 im Jahr 2001 gestiegen. Bis 2003 ist sie wieder auf 36 Konflikte gefallen und bleibt auch 2004 auf diesem Niveau. Die Verlaufskurve der Konflikte mittlerer Intensität verläuft auffallend gegenläufig zu jener der Konflikte hoher Intensität. Erhöht sich die Anzahl der hoch intensiven Konflikte, sinkt die Anzahl der Krisen bzw. Konflikte mittlerer Intensität. Am deutlichsten zeigt sich diese Entwicklung zwischen 1994 und 1995 als die Anzahl der ernsten Krisen und Kriege von 47 auf 34 sinkt, während die Konflikte mittlerer Intensität um 15 von 42 auf 57 ansteigen.

Analyse innerstaatlich - zwischenstaatlich

Dieses Jahr werden insgesamt 164 innerstaatliche und 66 zwischenstaatliche Konflikte ausgetragen. Keiner der drei Kriege wurde zwischen Staaten geführt. Alle 33 ernsten Krisen fanden innerhalb von Staaten statt. Dies ist eine bemerkenswerte Entwicklung, da keiner der Konflikte hoher Intensität zwischenstaatlich ausgetragen wird. Letztlich gibt es nur drei zwischenstaatliche Konflikte, in denen die Konfliktparteien vereinzelt Gewalt einsetzen (Äthiopien - Eritrea, Nepal - Bhutan, Russland - Georgien). Auf der Intensitätsstufe manifester Konflikte ist die Anzahl innerstaatlicher Dispute mit 43 zu 23 ebenfalls beachtlich höher als die internationaler Konflikte. Einzig bei den latenten Konflikten dominieren die zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen gegenüber den innerstaatlichen.

Für die langfristige Trendanalyse wurden die beiden höchsten Intensitätsstufen, d.h. ernste Krisen und Kriege zusammengefasst. Die Grafik zeigt, dass bereits mit Beginn des Untersuchungszeitraums seit 1945 die innerstaatlichen Gewaltkonflikte dominierten. Die Verlaufskurve der innerstaatlichen Konflikte steigt kontinuierlich an und verzeichnet besonders große Ausschläge zu Beginn des erfassten Zeitraums (1945: 4 - 1949: 15), Mitte der sechziger Jahre (1963: 14 - 1967: 22), zwischen den späten siebziger und Anfang der achtziger Jahre (1976: 20 - 1983: 33), zwischen den späten Achtzigern und frühen Neunzigern (1989: 28 - 1992: 44) sowie zwischen den späten Neunzigern und 2001 (1997: 28 - 2001: 40). Nachdem die Anzahl der Konflikte hoher Intensität zunächst auf 34 im Jahr 2003 gefallen ist, steigt diese 2004 wieder um zwei.

Hingegen verläuft die Entwicklungslinie zwischenstaatlicher Konflikte hoher Intensität weit ruhiger. Dennoch fällt hier vor allem die Zunahme zum Ende der siebziger Jahre auf (1976: 2 - 1979: 9) und der enorme Anstieg Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre (1989: 3 - 1991: 10). Bemerkenswert ist auch der Zeitraum zwischen 1991 und 1994. Während die Anzahl der zwischenstaatlichen ernsten Krisen und Kriege drastisch abfällt (1991: 10 - 1995: 0), nimmt die Anzahl der innerstaatlichen Konflikte hoher Intensität weiter zu (1991: 37 - 1992: 44).

Regionale Entwicklungen

Wie in früheren Jahren werden auch 2004 mit 13 die meisten Konflikte hoher Intensität in Afrika südlich der Sahara geführt, gefolgt von Asien und Ozeanien mit elf. Es ist bemerkenswert, dass es in letzterer Region in diesem Jahr keine Kriege gab. Mit insgesamt 81 von 230 finden die meisten - fast ein Drittel aller - Konflikte in Asien und Ozeanien statt. Die Region hat auch mit Abstand die höchste Anzahl an Konflikten mittlerer und niedriger Intensität. In Afrika werden nur weniger als halb soviele Krisen ausgetragen wie in Asien und Ozeanien. Afrika hat die zweithöchste Anzahl an Konflikten niedriger Intensität, gefolgt von Europa. Bemerkenswert ist die Beobachtung, dass Europa die dritthöchste Gesamtzahl von Konflikten aufweist, obwohl dort die wenigsten Konflikte hoher Intensität ausgetragen werden. Während Amerika die Region mit der niedrigsten Konfliktgesamtzahl ist, hat der Vordere und Mittlere Orient die höchste Quote von Konflikten hoher Intensität pro Staat.

Der Jahresvergleich der Jahre 2003 und 2004 der Konflikte hoher Intensität differiert je nach Region. Im Vorderen und Mittleren Orient, ist mit einem Anstieg von fünf auf sieben die höchste und gleichzeitig einzige Zunahme zu verzeichnen. Diese Entwicklung geht auf zwei neue Konflikte [Irak (al-Sadr-Gruppierung) und Irak (Aufständische)] sowie einen eskalierten Konflikt [Jemen (Islamischer Dschihad)] zurück. Während die Anzahl der Konflikte hoher Intensität in Afrika sowie in Asien und Ozeanien konstant bleibt, sinkt sie aufgrund jeweils eines deeskalierten Konfliktes in Europa [Serbien und Montenegro (Kosovo)] und in Amerika [Guatemala (PAC)] jeweils um einen Konflikt hoher Intensität.

Konfliktgegenstände

Die meisten Konflikte entzünden sich 2004 an ideologischen Differenzen bzw. werden mit dem Ziel, das politische System zu verändern, geführt. Der zweithäufigste Gegenstand ist das Streben nach der Macht im Staat. Die Hälfte der um Ideologie / System und um nationale Macht geführten Konflikte werden mit dem Einsatz von Gewalt ausgetragen, wenn auch häufig nur vereinzelt. Territoriale Forderungen, ein zwischenstaatliches Streitgut, werden gewöhnlich ohne Gewalt ausgetragen. Hingegen werden mehr als die Hälfte der Konflikte um Sezession und regionale Vorherrschaft innerhalb eines Staates gewaltsam geführt. Insgesamt ist jedoch häufig eine Vermischung von mehreren Konfliktgegenständen zu beobachten. Dies trifft vor allem auf den Konfliktgegenstand Ressourcen zu.

Putsche

Im Jahr 2004 finden zehn angebliche oder tatsächliche Putschversuche statt, davon acht in Afrika und zwei im Vorderen und Mittleren Orient. Keiner dieser Umsturzversuche ist allerdings erfolgreich gewesen. In Guinea wird angeblich ein geplanter Putsch durch das Militär im Dezember 2003 aufgedeckt und vereitelt. Ein weiterer Putschversuch findet angeblich im April statt. Am 6. April wird in Äquatorialguinea eine Verschwörung fremder Söldner aufgedeckt und vereitelt. Im Kongo versuchen Mitglieder der Präsidentengarde zweimal, Joseph Kabila zu stürzen, einmal am 29. März und ein weiteres Mal am 11. Juni. Im Sudan wirft die Regierung Hasan al-Tourabi vor, 2004 zweimal, im März und im September, einen Putschversuch unternommen zu haben. Am 15. April behauptet die nigerianische Regierung, einen Putschversuch von Armeeangehörigen vereitelt zu haben. Die ghanaische Regierung beansprucht für sich, am 8. November einen Putschversuch verhindert zu haben. Die Staatsführung Mauretaniens erklärt, sie habe im August und im September zwei Putschversuche gegen Präsident Maaouiya Ould Taya zunichte gemacht.

Dynamiken innerhalb einzelner Konflikte

Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Gesamtzahl der Konflikte auf den unterschiedlichen Intensitätsstufen nur geringfügig verändert. Dies spiegelt jedoch nicht die Entwicklungen einzelner Konflikte innerhalb eines Jahres wider. Insgesamt 25 Konflikte sind eskaliert, sechs davon um zwei Intensitätsstufen und 19 um eine. Im Jahr 2004 gibt es acht neue Konflikte hoher Intensität, sechs davon sind bereits im Vorjahr als Krisen erfasst worden, d.h. es hat lediglich eine Intensivierung des gewaltsamen Konfliktaustrags stattgefunden. Das bedeutet, dass die Intensität einer Krise die am häufigsten beobachtete Vorstufe zu hoch gewaltsamen Austragungsmodi ist. Von 41 deeskalierten Konflikten sind 2004 19 ohne Gewalt geführt worden.

Maßnahmen der Konfliktbearbeitung

Verhandlungen

In mindestens 33 der 230 laufenden Konflikte, werden in diesem Jahr Gespräche, Verhandlungen und Konferenzen geführt. Am häufigsten reden die Konfliktparteien in Auseinandersetzungen der Intensität ernster Krisen miteinander. Die meisten Verhandlungen finden in Burundi (Hutu) statt, gefolgt von Libyen vs. USA, Großbritannien. Obwohl die geringste Anzahl an Verhandlungen in Konflikten hoher Intensität geführt werden, sind Gespräche zwischen den Konfliktparteien in allen drei im Jahr 2004 ausgetragenen Kriege geführt worden.

Verträge

Insgesamt werden 23 Verträge oder Abkommen zur Bearbeitung der Konflikte unterzeichnet, 14 davon in Konflikten hoher Intensität. Unter diesen sind sechs Waffenstillstandsabkommen [eines in Bhutan (indische Separatisten), drei im Irak (al-Sadr-Gruppierung), eines in Nepal (Maoisten) und zwei im Sudan (Darfur - SLA/JEM)]. Vier Friedensabkommen werden unterzeichnet [eines in Burundi (Hutu), eines im Tschad (MDJT), eines in der DR Kongo (Hema - Lendu), eines im Sudan (Darfur - SLA/JEM). Die anderen Vereinbarungen beinhalten meist die Regelung der Verfahrensweise oder beschließen Teillösungen.

Internationale Organisationen

Ende 2004 unterhält die UNO 16 Peacekeeping-Missionen. Dies sind drei mehr als noch im Vorjahr, obwohl drei Mission im Jahr 2003 beendet worden sind. 2004 werden drei neue friedenserhaltende Operationen eingerichtet. Am 4. April wird die UN Mission in Côte d’Ivoire (MINUCI), eine politische Mission, die zur Unterstützung des Friedensabkommens vom Januar 2003 eingesetzt worden ist, durch die UN Operation in Côte d’Ivoire (UNOCI) ersetzt. Aufgrund der Unruhen in Haiti richtet die UNO eine Stabilisierungsmission (MINUSTAH) ein, die die Übertragung der Verantwortung von den Multinationalen Übergangskräften (MIF) im Juni einfordert. Am 21. Mai nimmt die UN Operation in Burundi (ONUB) ihre Arbeit auf, um die Wiederherstellung eines andauernden Friedens, wie im Arusha Abkommen vorgesehen, zu unterstützen. Diese Entwicklungen spiegeln erneut die gestiegenen Anstrengungen der UNO in Afrika wider. Im Jahr 2003 hat die UNO erstmals vier Mission gleichzeitig in Afrika bereitgestellt. Im Jahr 2004 erhöht sich diese Anzahl auf sieben zeitgleiche Operationen. Damit stellt Afrika die Region mit den meisten UNO-Missionen dar, gefolgt vom Vorderen und Mittleren Orient mit vier friedenserhaltenden Aktivitäten (MINURSO in der Westsahara, UNDOF auf den Golanhöhen zwischen Israel und Syrien, UNIFIL im Libanon und UNTSO in Israel). Wie in vergangenen Jahren hat die UNO drei Missionen in Europa (UNFICYP auf Zypern, UNMIK im Kosovo, Serbien und Montenegro sowie UNOMIG in Abchasien, Georgien). Obwohl Asien und Ozeanien die Region mit den meisten Konflikten ist, gibt es dort lediglich zwei aktive UNO-Missionen (UNMISET in Osttimor sowie UNMOGIP in Indien und Pakistan).

Es ist zu beobachten, dass die UNO ihre Blauhelme mit robusteren Mandaten ausstattet und sich verstärkt in gewaltsame Konflikte einschaltet. In fünf Fällen werden UNO-Soldaten in Konflikte hoher Intensität eingesetzt, so in Burundi (Hutu), in Côte d’Ivoire (Rebellen), in der DR Kongo (Rebellen) und (Hema - Lendu), in Haiti (Opposition) sowie in Israel (Palästinenser). Abgesehen davon ist die UNO in fünf Konflikten mittlerer Intensität aktiv, so in Georgien (Abchasien), in Liberia (LURD, MODEL - Taylor-Anhänger), in Äthiopien - Eritrea, im Libanon (religiöse Gruppen) sowie in Serbien und Montenegro (Kosovo). Im Oktober 2004 sind insgesamt 62.790 Soldaten und Polizisten aus 103 verschiedenen Länder in Peacekeeping- Missionen im Einsatz. Ein Jahr zuvor waren es 43.000 Soldaten aus 92 Ländern. Die größten Kontingente stellen 2004 Bangladesch (8.209 Mann), Pakistan (8.178 Mann) und Nigeria (3,590 Mann). In fünf Missionen sind 299 deutsche Soldaten im Einsatz.

Abgesehen von den Peacekeeping-Operationen setzt die UNO auch andere Maßnahmen zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des Friedens und der internationalen Sicherheit ein, die nicht den Einsatz von Truppen beinhalten. Im Jahr 2004 hält die UNO Sanktionen gegen sechs Staaten (Afghanistan, Irak, Liberia, Ruanda, Sierra Leone und Somalia) aufrecht. Im Falle des Irak, sind die Sanktionen teilweise aufgehoben worden, ausgenommen Verbote im Zusammenhang mit dem Verkauf oder der Bereitstellung von Waffen oder verwandtem Material.

Neben der UNO unterhalten auch verschiedene andere internationale Organisationen friedenserhaltende Missionen, so etwa die Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten (ECOWAS) in Liberia und die Nordatlantische Vertragsorganisation (NATO) auf dem Balkan und in Afghanistan. Auch die Wirtschaftsgemeinschaft Zentralafrikanischer Staaten (CEMAC) unterhält weiterhin ihre erste Mission in Zentralafrika. Die großen Regionalorganisationen Europäische Union (EU), Afrikanische Union (AU) und Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) beteiligen sich ebenfalls an der Friedenserhaltung mit ihren Missionen, wie beispielsweise in Mazedonien und der DR Kongo (EU), in Burundi (AU) aud in Haiti (OAS). Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) unterhält im Jahr 2004 insgesamt sieben Langzeitmissionen in Skopje in der Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien, in Georgien, in der Republik Moldau, in Bosnien-Herzegowina, in Kroatien, im Kosovo und in Serbien und Montenegro. Weiterhin ist die OSZE in anderen Feldmissionen in Albanien, Armenien, Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan, der Ukraine, Usbekistan und Weißrussland präsent.

Autoritative Entscheidungen des IGH

In den Jahren 2003 und 2004 sind insgesamt 26 Fälle am Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag anhängig. 25 davon sind Streitfälle, der andere ein Beratungsfall. 2003 fällt der IGH zwei Entscheidungen. Eine davon beendet den Territorialkonflikt zwischen Indonesien und Malaysia zugunsten Malaysias. Die andere bezieht sich auf den Streit zwischen dem Iran und den USA über die Besetzung iranischer Ölplattformen durch die USA in den Jahren 1987 und 1988. Der Gerichtshof urteilte gegen die USA. Im Jahr 2004 fällt der IGH zwei Urteile betreffend den Territorialkonflikt zwischen El-Salvador und Nicaragua sowie den Konflikt zwischen Mexiko und den USA über die Avena und andere Mexikaner. Außerdem gab der IGH eine Empfehlung im Fall des israelischen Mauerbaus in the besetzten Palästinensergebieten ab.

Europa

Die Gesamtzahl der beobachteten Konflikte in Europa beträgt 41. Mit dem Konflikt zwischen der ukrainischen Opposition und der Regierung um nationale Macht steigt die Gesamtzahl im Vergleich zum Vorjahr damit um eins. Die Zahl der gewaltsamen Konflikte erhöht sich im Beobachtungszeitraum von acht auf elf. Drei Konflikte überschreiten in diesem Jahr die Schwelle zur Gewalt: der Konflikt zwischen ethnischen Gruppierungen in Makedonien, die Auseinandersetzungen um die abtrünnige Region Südossetien (Georgien) und der Autonomie-Konflikt in Adscharien (Georgien). Durch die Geiselnahme in Beslan findet die einzige ernste Krise Europas neue Beachtung in der Öffentlichkeit, die in Russland (Tschetschenien) ausgetragen wird. Auch in diesem Jahr ist der Kaukasus die konfliktträchtigste Region. Die häufigsten Konfliktgegenstände in Europa sind wieder Sezession, Autonomie und Territorium.

Afrika

Afrika bleibt wie im Vorjahr die Region mit den meisten Kriegen und mit den meisten hochgewaltsamen Konflikten. Die Zahl der hochgewaltsamen Konflikte bleibt bei 13. Die Gesamtzahl aller Konflikte nimmt ab, von 60 auf 54. Die deutlichsten Deeskalationen finden in Zentralafrika, Sao Tome und Principe sowie in Kenia statt. Viele Konflikte deeskalieren im Laufe des Jahres. Haupthindernis einer weiteren Deeskalation ist die Verbreitung von Kleinwaffen und grenzüberschreitende Bewegungen von Rebellengruppen. Am deutlichsten eskaliert der Konflikt im Somalia um die Unabhängigkeit der Region Somaliland. Das gewaltsame Geschehen konzentriert sich wie in den Vorjahren auf das Gebiet der Grossen Seen. Der blutigste Konflikt findet im Sudan in der Region Darfur statt. Dies ist mit dem kongolesischen Bürgerkrieg der einzige Konflikt, der auf der höchsten Intensitätsstufe ausgetragen wird. Externer Druck und die zunehmende Einschränkung von Konfliktparteien sich zu finanzieren führen dazu, dass viele Konflikte deeskalieren. Hauptkonfliktgegenstand in Afrika bleibt nationale Macht. Dies ist sehr häufig verbunden mit dem Zugang zu leicht ausbeutbaren Ressourcen. Die überwiegende Mehrzahl der Opfer in den afrikanischen Konflikten sind Zivilisten. Die UNO unternimmt die häufigsten und erfolgreichsten Lösungsversuche. Dabei wenden die einzelnen Missionen auch Gewalt an, um ihre teilweise robusten Mandate umzusetzen. Neben der UNO bietet die Afrikanische Union (AU) in vielen Konflikten ihre guten Dienste an und führt auch eigene Friedensmissionen durch. Anzahl der Konflikte

Amerika

In der Region Amerika bleibt die Gesamtzahl der Konflikte konstant. Im Vergleich zu 2003 verbleiben auch die Intensitäten der einzelnen Konflikte auf der gleichen Stufe oder sinken mit Ausnahme der innerstaatlichen Konflikte der landlosen Farmer um Ressourcen in Brasilien und der Piqueteros um das politische System in Argentinien. Die immernoch unsichere und angespannte wirtschaftliche Situation in Mittel- und Latein-Amerika ist der Hauptgrund für Instabilitäten in mehreren Staaten des Kontinents. In diesem Zusammenhang werden in Argentinien, der Dominikanischen Republik und Venezuela nach den gewaltsamen Protesten des Vorjahres erneut Regierungspolitiken gefordert, die stärker auf sozialen Ausgleich ausgerichtet sind. Die Grafik zu den Konfliktgegenständen zeigt einen hohen Anteil gewaltsamer Konflikte in der Ideologie/System-Säule. In Kolumbien verlieren die innerstaatlichen Konflikte mit der Wiederaufnahme der Verhandlungen zwischen allen Konfliktparteien an Dynamik - auch wenn die-se wegen der unzureichenden Demobilisierung der Paramilitärs nur mit wenig Erfolg geführt werden. Die Konfliktsi-tuation in Haiti bleibt weiterhin gewaltsam. Bis Haitis Präsident Jean Bertrand Aristide gezwungen worden ist, Anfang Februar ins Exil zu gehen, haben verschieden Rebellengruppen die Kontrolle über große Teile des Haitianischen Territoriums gewonnen. Sämtliche zwischenstaatlichen Konflikte werden nach wie vor ohne den Einsatz von physischer Gewalt ausgetragen.

Asien und Ozeanien

Asien und Ozeanien ist im Jahre 2004 die Region mit den insgesamt meisten Konflikten. Von den sich hier ereignenden 81 Konflikten laufen 46 auf einer niedrigen, 23 auf einer mittleren und zwölf auf einer hohen Intensitätsstufe. Der auffallendste Aspekt der Ergebnisse ist, dass in diesem Jahr in der Region kein Krieg zu beobachten ist. Der Aceh-Konflikt in Indonesien, der im vergangenen Jahr noch als Krieg zu bewerten war, stellt dieses Jahr eine ernste Krise dar. Während die Zahl der Krisen im Vergleich zu 2003 exakt gleich geblieben ist, hat die Anzahl latenter Konflikte um einen abgenommen, die Zahl der manifesten Konflikte hingegen um zwei, die der ernsten Krisen um einen zugenommen. Der größte Teil aller laufenden Konflikte in Asien und Ozeanien dreht sich um Ideologie/System - Konflikte, die zu mehr als 50 Prozent gewaltfrei geführt werden. Ein anderer weit verbreiteter Konfliktgegenstand ist die regionale Vorherrschaft, gefolgt von Sezession und Territorium. Entgegen den Erwartungen werden Konflikte um Territorium und internationale Macht in diesem Jahr ohne Gewalt geführt. Den größten Anteil an hoch gewaltsamen Konflikten weist die Gruppe der Sezessionskonflikte auf.

Vorderer und Mittlerer Orient

Die Zahl der beobachteten Konflikte im Vorderen und Mittleren Orient (VMO) bleibt mit 33 im Vergleich zum Vorjahr konstant. Am häufigsten treten Konflikte um die Gegenstände System/Ideologie und nationale Macht auf. Mit der Übergabe der Souveränität von der US-geführten Zivilverwaltung an die irakische Übergangsregierung wird der Konflikt zwischen den US-geführten Koalitionstruppen gegen die Aufständischen in zwei Folgekonflikte transformiert. Dies ist zum einen die Auseinandersetzung zwischen der Übergangsregierung und der al-Sadr-Gruppierung um System/Ideologie und regionale Vorherrschaft. Außerdem wird der Konflikt anderer aufständischer Gruppen nun gegen die Übergangsregierung um System/Ideologie und nationale Macht weitergeführt. Diese Konfrontation wird in diesem Jahr als einziger Krieg der Region ausgetragen. Auf der Intensitätsstufe einer ernsten Krise gibt es sechs Konflikte zu verzeichnen. Der Einsatz von Gewalt durch die Konfliktparteien verringert sich insgesamt gering innerhalb eines Jahres von 12 auf 11. Die Anzahl der gewaltlosen Konflikte steigt leicht auf 22 in 2004 gegenüber 20 im letzten Jahr an. In 25 Auseinandersetzungen bleibt die Austragungsform konstant. Zwei Konflikte eskalieren in diesem Jahr um eine Intensitätsstufe. Dies ist der Konflikt in Bahrain zwischen der Regierung und der schiitischen Opposition um nationale Macht, der nun als manifester Konflikt ausgetragen wird. Zum anderen eskaliert die Auseinandersetzung um die nationale Macht im Jemen zwischen der Regierung und islamistischen Gruppen. Bei fünf Konflikten gilt es Deeskalationen um eine Stufe zu verzeichnen. Entspannungen der Beziehungen treten zwischen dem Irak und Israel, dem Irak und Kuwait, Syrien und Israel sowie zwischen der mauretanischen Regierung und den Putschisten auf. Vor der Transformation des Konfliktes der US-Koalitionstruppen gegen die Aufständischen erfolgte ebenfalls eine Deeskalation der Gewalt.

Quelle: www.konfliktbarometer.de



Anschrift des Instituts
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