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Roboter führen die Kriege der Zukunft

Von Ilja Kramnik *


Die Zeit der Aprilscherze ist vorbei, und so können wir uns ernsteren Dingen zuwenden, die sich zugleich von der Alltagsroutine abheben.

Ein solches Thema wäre zum Beispiel eine abermalige Revolution im Militärwesen, die sich vor unseren Augen vollzieht. Die vorherige Revolution, die ausnahmslos alle Aspekte der Kriege betraf, geschah während des Zweiten Weltkrieges und gleich danach. Die Atom- und Lenkwaffen, ballistischen und Flügelraketen, die Radaranlagen, Strahlbomben- und Strahljagdflugzeuge, Strahlhubschrauber, die unbemannten Flugapparate und ferngesteuerten Fahrzeuge stellten neue Technik dar. Die Luftlandeoperationen, umfassenden strategischen Truppenverlegungen, die Flugzeugträgerverbände, die kombinierten Kampfgruppen der Landstreitkräfte, die die Beweglichkeit der motorisierten Infanterie und der Panzer mit der Feuerstärke der Artillerie auf Selbstfahrlafetten in sich vereinigten, stellten Neuerungen der operativen Kunst und der Taktik dar. Alle aufgezählten und auch viele andere Errungenschaften wurden Ende der 30er bis 40er Jahre entwickelt beziehungsweise weiterentwickelt.

Von den Früchten dieser Revolution zehrt die Menschheit bis heute und perfektioniert sie weiter. Doch allmählich stößt der Krieg an die Obergrenze der Kosten: Immer teurer wird moderne Kampftechnik, immer teurer ihre Wartung und schließlich die qualifizierten Soldaten. Zusammen mit der Entwicklung der Elektronik und der Robotertechnik hat das schließlich zu neuen Voraussetzungen für eine abermalige Revolution - eine Roboterrevolution - geführt.

Die ersten ferngesteuerten militärischen Apparate kamen bereits in den 30er Jahren auf, und während des Krieges fanden sie eine breite Anwendung. Man denke an die deutschen und amerikanischen Experimente mit ferngesteuerten Kamikaze-Flugzeugen, die deutschen ferngesteuerten Goliath-Flugzeuge und viele andere Modelle. Später nahm die Menge der ferngesteuerten Technik zu, bis an der Jahrtausendwende die Qualität statt der Quantität in den Vordergrund rückte: Bei der Kampfführung spielen Roboter aller Arten, zu Lande, in der Luft und zu Wasser einsetzbar, eine immer größere Rolle.

Unbemannte Flugapparate ("Drohnen") dienen zur Aufklärung, Zielzuweisung und Führung von Lenkraketen. Zudem können viele davon auch selbst Ziele bekämpfen. Bodenroboter werden zu dem Entminen und dem Durchbruch von Sperren eingesetzt, außerdem sind viele davon bewaffnet und können zur Kampfführung unter risikoreichen Bedingungen, zum Beispiel in einer Stadt, eingesetzt werden.

Roboter werden allmählich auch bei der Versorgung genutzt. So entwickelt die Gesellschaft Oshkosh Truck "unbemannte" Lastkraftwagen, und die Boston Dynamics hat einen Trägerroboter entwickelt, der einem großen Hund gleicht (und auch Big Dog heißt) und bis zu 75 Kilogramm schwere Lasten tragen kann.

Trotz des schnellen Wachstums ihres Potentials haben die Roboter die Möglichkeiten eines Soldaten und einer vom Menschen gesteuerten Technik noch nicht erreicht und werden sie noch lange nicht erreichen. Die größte Begrenzung bilden immer noch die Möglichkeiten des „Sehens“: Kein einziges optoelektronisches System kann es mit dem System "Menschenhirn - Menschenauge" aufnehmen. Eine weitere Begrenzung ist das Fehlen eines vollwertigen künstlichen Intellekts, das fähig wäre, operativ auf die sich dauernd wandelnde Situation zu reagieren. Ebendeshalb werden gerade ferngesteuerte und nicht voll autonome Apparate angewandt.

Doch eines Tages werden die Roboter dem Preis-Qualität-Verhältnis nach vorteilhaft sein. Dann werden zum Beispiel zum Außergefechtsetzen einer Panzerdivision des angenommenen Gegners ein paar Bataillone genügen, von denen jedes aus einer Führungs- und vier Gefechtskompanien bestehen wird, wobei jede dieser letzteren 15 bis 20 Fahrzeuge mit je zehn bis 15 Robotern zählen wird. Jeder Roboter wird, sagen wir, mit zwei Lenkraketen und einem Maschinengewehr bewaffnet sein. Im Ergebnis werden zwei solche Bataillone mit 1200 bis 2400 Robotern, die aus einer Entfernung von einigen Kilometern durch 200 bis 300 Schaltmechaniker von zwei Führungskompanien gesteuert sein werden, einer Division schwere Verluste beibringen, indem sie einen Großteil ihrer Panzer und Schützenpanzer vernichten.

Zweifellos wird ein Gefecht der Panzer gegen solche Mechanismen den Taten von Sinowi Kolobanow oder, wenn man will, Otto Carius (sowjetischer bzw. deutscher Panzer-As des Zweiten Weltkrieges) gleichen: Schwere gepanzerte Wagen mit mächtiger Artillerieausrüstung, dazu mit Komplexen einer aktiven Verteidigung und Systemen der Störungserzeuger ausgestattet, werden die so gut wie nicht gepanzerten und (zwecks Verbilligung der Konstruktion) mit keinen Verteidigungssystemen ausgestatteten Roboter wie auf einem Schießplatz vernichten. Aber!

Selbst wenn jedes Gefechtskraftfahrzeug die "Bataillone der Zukunft" 20 Roboter kosten wird, werden auch in diesem Fall 1200 bis 2400 Roboter der zwei Bataillone 60 bis 120 Panzer und Schützenpanzer vernichten und Hunderte Besatzungsmitglieder töten oder verwunden. Die Menschenverluste der "roboterisierten" Bataillone werden Einzelfälle sein, wenn nicht plötzlich ein Artillerieregiment der Panzerdivision die Führungskompanie trifft. Doch ist es ziemlich wahrscheinlich, dass besagtes Regiment das Artillerieduell gegen die Artillerieabteilung des roboterisierten Gegners verliert, der die Drohnen aktiv zur Korrektur seines Artilleriefeuers benutzt. Außerdem könnten die Drohnen auch zur Außergefechtsetzung von Selbstfahrlafetten eingesetzt werden.

Ergebnis: Zwecks Deckung der Verluste wird die eine Seite ein paar Menschen ersetzen müssen und eine beträchtliche Ressourcenmenge zur Produktion einer abermaligen Partie von Robotern aufwenden, die andere aber mehrere hundert Menschen mobil machen und nur etwas weniger Ressourcen aufwenden, um eine abermalige Partie von Gefechtswagen zu bauen: sicherlich von ausgezeichnet geschützten, schwer bewaffneten und schnellen Kraftfahrzeugen, die jedoch trotzdem verwundbar sind und Menschen mit in den Tod reißen.

Ähnlich könnte sich auch die Situation in der Luft erweisen, wenn gegen die gegnerischen Maschinen nicht Jagdflugzeuge, sondern von fliegenden Gefechtsständen aus gelenkte unbemannte Flugkörper kämpfen werden. Jeder Jäger kann, sagen wir, fünf bis sechs solche Apparate vernichten, aber einmal sind die Raketen zu Ende, und er wird von der siebten Drohne abgeschossen werden. Oder von einem anderen Jäger, der unter deren Deckung unbemerkt hat näher heranfliegen können.

In dieser Art wird sich die Situation auch unter Wasser entwickeln: Atom-U-Boote, ein jedes eine Milliarde Dollar teuer, wenn nicht noch mehr, werden auf den Masseneinsatz von relativ kompakten Unterseerobotern stoßen, die Torpedos tragen können. Sie werden den Atom-U-Booten in der Hydroakustik und der Feuerstärke nachstehen, dafür aber zahlreich sein. Im Ergebnis wird eine militärische Konfrontation auf die "von Leben gegen Eisen" hinauslaufen. Der Ausgang einer solchen Konfrontation ist offensichtlich: Die Verluste an Robotern lassen sich weit leichter ertragen als Menschenverluste. Ob unsere Armee noch rechtzeitig mit einer abermaligen Umrüstung beginnen wird? Die Verzögerungsfolgen könnten viel furchtbarer sein als die von 1941.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 10. April 2008



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