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Interessensphären

Sarkis Latchinian über den Kampf um Öl

Von Heinz-Dieter Winter *

Die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko macht in erschreckender Weise deutlich, wie düster die Zukunftsaussichten sind, solange die Energieversorgung der Menschheit in erster Linie auf Erdöl beruht. Die Erdölvorräte werden voraussichtlich in 40 Jahren erschöpft sein, in 50 Jahren betrifft dies das Erdgas. Kohle könnte noch 150 Jahre reichen.

Sarkis Latchinian, der 1978 bis 1990 den Wissenschaftsbereich Politische Ökonomie des Kapitalismus an der Leipziger Universität geleitet hatte und mit Veröffentlichungen zu aktuellen internationale Fragen hervorgetreten ist, analysiert in seiner jüngsten Publikation, wie sich um die Regionen der Erde, in denen sich noch diese fossilen Energieträger befinden, ein globaler Kampf mit zunehmender Schärfe entwickelt. Sogar der Nordpol wird davon erfasst. Hauptakteure in diesem globalen Kampf sind die USA, Russland, die Europäische Union, China, Indien und einige weitere Schwellenländer.

Für die kapitalistische Weltwirtschaft sei der sichere Zufluss von Öl nach wie vor notwendig, meint der Autor. Die 80er Jahre, als der Erdölverbrauch erstmals die Ölfunde überstieg, haben gezeigt, wie abhängig wir sind. Seitdem hat die Welt jährlich mehr Öl verbraucht als an Neufunden hinzugekommen ist.

Also müssen alternative Energieträger her. Latchinian setzt sich jedoch auch kritisch mit den Bestrebungen zum Einsatz erneuerbarer Energien auseinander. Für besonders fragwürdig hält er die Biogasproduktion. Eine Tankfüllung Ethanol verschlinge den Jahresbedarf eines Menschen an Getreide. Den weltweit sechs großen Agrarkonzernen ginge es dabei auch nur um ihren Profit, nebenbei schmücken sie sich mit dem Label »klimafreundlich«. Der Klimawandel wird derart jedoch nicht aufgehalten. Und die Menschen des Südens werden noch größeren Hunger leiden.

Zwei Drittel der bekannten Erdöl- und Erdgasreserven befinden sich in fünf nahöstlichen Ländern: Saudi-Arabien (263 Milliarden Barrel), Irak (113 Milliarden), Vereinigte Arabische Emirate (98 Milliarden), Kuwait (97 Milliarden) und Iran (93 Milliarden). Darum ist gerade diese Region stets von Konflikten und Kriegen erschüttert. Seit dem Zweiten Weltkrieg haben US-Präsidenten wiederholt diese Region als für die Vereinigten Staaten »lebenswichtige Interessensphäre« deklariert. Die Bevölkerung der USA, die 4,6 Prozent der Erdbevölkerung ausmachen, verbrauchen mehr als ein Viertel des weltweit geförderten Erdöls; und noch immer steigt der Bedarf an importiertem Öl. Washington, so Latchinian, versuche den Erdölmarkt »durch eine Mischung aus Kooperation und Gewalt zu regulieren«. Eine Wende hält der Autor für absehbare Zeit unwahrscheinlich. Im Rahmen moderner Globalisierungsprozesse gibt es subtilere Formen ökonomischer und politischer Abhängigkeit.

Der Autor setzt eine gewisse Hoffnung in Europa, das »vorsichtig, aber bestimmt, sich gegen die regionale Kriegspolitik der USA zu stemmen« beginnt. Im vollen Gange ist das »Große Spiel« um die Erdöl- und Gasvorräte der kaspischen Region und des kaukasischen Raumes, wo die Interessen Russlands, der USA, Chinas, der Europäischen Union, Irans, der Türkei und anderer Staaten aufeinander stoßen. Das »Schanghaier Bündnis« SCO (Schanghai Kooperation Organisation) biete, so Latchinian, eine Möglichkeit, den gemeinsamen Energiebedarf kooperativ zu regeln.

Latchinian ist optimistisch. Die Zeit, als zwei Supermächte sich die Welt eingeteilt hatten, ist vorbei. Die sich entwickelnde multipolare Weltordnung birgt Chancen, die uns verbliebenen fossilen Energieressourcen friedlich und rationell im Interesse der gesamten Menschheit zu nutzen.

Sarkis Latchinian: Öl und Macht. Der globale Kampf um die verbliebenen fossilen Energieträger. Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, Leipzig. 124 S., br., 7,50 €.

* Aus: Neues Deutschland, 12. August 2010


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