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Das neue Ölscheichtum Kanada oder die wundersame Vermehrung der globalen Ölvorräte

Von Detlef Bimboes*

Von der einflussreichen US-Zeitschrift "Oil & Gas Journal" wird alljährlich eine Bewertung der Welterdölreserven vorgenommen. Gegen Ende 2002 wurden überraschende Zahlen vorgelegt (Braune, 2003, S. 8). Danach sind die insgesamt noch leicht förderbaren Vorräte sprunghaft auf 1,213 Billionen Barrel angestiegen, weil hauptsächlich 175 Milliarden Barrel (= 24 Milliarden Tonnen) zusätzliches Schweröl aus Kanada mit einbezogen wurde. Es stammt aus den altbekannten Ölsandvorkommen. Damit steht Kanada jetzt auf Platz 2 der ölreichsten Länder der Erde und verfügt über 15 Prozent der Weltreserven. Übertroffen wird es nur von Saudi-Arabien (= 35,4 Milliarden Tonnen). Der Irak fiel auf Platz 3 (= 15 Milliarden Tonnen). Was heißt das? Erscheint damit aus rein energiepolitischen Aspekten heraus das starke Interesse der USA an der Golfregion, wie behauptet, wenig überzeugend (Abdolvand, 2003, S.177)? Ist damit der Ruf der Friedensbewegung "kein Blut für Öl" weniger überzeugend? Kann man mit nichtkonventionellen Ölvorkommen - wie Schweröl, Ölsanden und Ölschiefer - die Produktion so kostengünstig wie beim Erdöl betreiben? Kann man mit diesen Ölvorkommen und dem übrigen leicht förderbaren, sog. konventionellen Öl die Produktion auf lange Sicht nach dem Motto des "immer weiter so" ausdehnen, wie es die hiesige Mineralölwirtschaft bereits 2001 Glauben machen wollte (Schnorbus, 2001, S. 2)?

Jede der Fragen lässt sich mit nein beantworten. Ein neues Erdölzeitalter mit billigem und leicht verfügbarem Öl kündigt sich nicht an. Die verstärkte Nutzung von Ölsandvorkommen heißt lediglich, das ein neues Kapitel gewinnorientierter Rohstoffplünderung, Naturzerstörung und Klimaschädigung aufgeschlagen wird. Es wird aber noch einige Zeit vergehen, bis der notwendige gesellschaftliche Druck im Verein mit den schwindenden Vorräten an kostbaren, leicht gewinnbaren Öl- und Gasvorräten dafür sorgt, das endlich der breite Einstieg in die solare Energiewirtschaft gelingt. Vorerst wird alles beim Alten bleiben. Nach wie vor lagern in Saudi-Arabien , dem Irak und Iran sowie in der Kaspischen Region (der sog. "Strategischen Ellipse") ca. 55 Prozent der sicheren, leicht und kostengünstig förderbaren Welterdölreserven. Sie sind und bleiben von zentraler Bedeutung für die Versorgung rund um den Globus. Insbesondere die USA werden aufgrund ihres enormen Ölverbrauchs auf absehbare Zeit immer stärker auf diese Vorräte angewiesen sein. Das ist einer der wesentlichen Gründe, weshalb die USA gegen den Irak Krieg führen und damit zugleich die bisherige Bedeutung des OPEC-Kartells entscheidend schwächen.

Wie sind nun die neu bewerteten kanadischen Ölreserven einzustufen? Das in den altbekannten Ölsandvorräten enthaltene Schweröl (Bitumen) ist von schlechterer Qualität als das aus der Persischen Golfregion. Die Gewinnung ist wesentlich teurer, technisch aufwendiger, energieaufwendiger, umwelt- und klimaschädigender. Vor allen Dingen kann die Produktion - bedingt durch das Gewinnungsverfahren im Tagebau - im Bedarfsfall nur langsam und nicht so schnell wie derzeit beim leicht förderbaren und billigen Erdöl hochgefahren werden. Kanadische staatliche und private Ölfirmen haben offensichtlich diese Vorkommen aus mehreren Gründen zur Aufnahme in die Welterdölstatistik gemeldet. Zum einen wegen des seit längerem anhaltenden Ölpreises um ca. 30 US-Dollar pro Barrel, der den Abbau der Ölsande erst so richtig profitabel macht. Zum anderen kompensiert Kanada bereits seit längerem mit dem Öl den Rückgang seiner konventionellen Rohölförderung. Schon heute kommen etwa 30 Prozent der kanadischen Ölproduktion aus Ölsanden. Die konventionellen Ölvorräte werden in absehbarer Zeit aufgebraucht sein. Überdies haben die USA starkes Interesse, künftig Öl aus den Ölsandvorräten zu beziehen. Zumal die Vorräte direkt vor ihrer Haustür liegen und Kanada bereits einer ihrer wichtigen Energielieferanten ist.

Die Aufnahme der Ölsande in die Weltstatistik signalisiert aber auch erstmals, was sich seit langem ankündigt: die Zeit des billig produzierbaren Erdöls neigt sich dem Ende zu. Um das Jahr 2005 herum, spätestens aber bis 2010 dürfte die Hälfte der globalen, leicht förderbaren Erdölvorräte - bezogen auf die Ausgangsmenge seit Beginn des Ölzeitalters - verbraucht sein (Campbell, 2002, S. 73 ff). Dann ist der Höchstpunkt erreicht, oder anders gesagt, ist "das Glas nur noch halb voll".

Die Gewinnung von synthetischem Rohöl aus Ölsanden und ihre Probleme

Die Ölsandvorräte verteilen sich in Alberta, der öl- und gasreichsten Provinz Kanadas, auf einer Fläche von etwa 80 000 Quadratkilometern. Die Landfläche ist damit größer als Bayern. Ein typischer Ölsand in dieser Region besteht zu 83 Prozent aus Sand, 13 Prozent Bitumen und 4 Prozent Wasser (Diercke, 1981, S. 52). Das Bitumen ist vereinfacht gesagt ein Schweröl von zähflüssiger, sirupartiger Beschaffenheit. Es wurde bereits von den Indianern zum Abdichten ihrer Kanus verwendet. Dieses natürlich vorkommende Bitumen wird zu reinem Bitumen und synthetischem Rohöl aufgearbeitet. Das synthetische Rohöl kann anschließend in normalen Raffinerien zu Benzin und anderen Ölprodukten weiterverarbeitet werden. Im Jahre 2001 wurden aus Ölsanden 301 000 Barrel pro Tag reines Bitumen und 350 000 Barrel pro Tag synthetisches Rohöl erzeugt.

Doch beeindruckender als diese Produktionszahlen sind die damit verbundenen Probleme (Fossile News Gazette, 2001 ff). So ist für die Gewinnung eines erheblichen Teils der Ölsandvorräte ein großflächiger, zeitlich aufwendiger Abbau im Tagebau wie bei Braunkohle notwendig. Um an die ölführenden Sandschichten heranzukommen, muss zunächst die darüber liegende Deckschicht abgetragen werden. Bezieht man das mit ein, so bedeutet das einen Abraum von 25 Tonnen Schutt je produzierter Tonne Rohöl. Das entspricht einem Ölgehalt von gerade einmal 4 Prozent. Allein von der Fa. Syncrude wurden in 2001 täglich mehr als 1 Million Tonnen Rohmaterial (Ölsand und Abraum) bewegt. Die damit einhergehende Landschaftsverschandelung und Umweltzerstörung kann man sich ausmalen. Teilweise begonnene Renaturierungsmaßnahmen sind angesichts der großen Landschaftswunden lediglich als kleines Trostpflaster zu bewerten.

Das nächste Problem ist, dass für die Abtrennung des Bitumens vom Sand ungeheure Wassermengen erforderlich sind. Bereits heute wird ein Viertel des Süßwasserverbrauchs in Alberta von der Öl- und Gasindustrie verbraucht. Wegen zunehmender Trockenheit im Lande wiegt dieser Raubbau schwer.

Für die Abtrennung des Bitumens wird zudem heißes Wasser und Dampf benötigt. Das kostet viel Energie. Als Brennstoff wird dazu Erdgas verwendet. Es wird geschätzt, dass Ende diesen Jahrzehnts ungefähr 20 Prozent des insgesamt geförderten kanadischen Erdgases dafür verbraucht wird (Riva, 2002, S. 5). Die Mengen sind so groß, das Kanada in einigen Jahren darüber zu entscheiden haben wird, ob es mehr Erdgas oder mehr Öl aus Ölsanden in die USA exportieren will (Ivanhoe, 2002, S. 2). Als Ausweg könnte statt Erdgas reichlich vorhandene Steinkohle dienen. Teilweise wird dieser Ausweg bereits beschritten. Damit erhöht sich der Ausstoß von klimaschädigendem Kohlendioxid noch zusätzlich.

Zu diesen Problemen gesellen sich aber noch weitere. So fällt bei den derzeit angewandten technischen Verfahren zur Gewinnung von synthetischem Rohöl aus Bitumen in erheblichen Mengen minderwertiger Petrolkoks an. Für diesen stehen nur begrenzte Verwendungsmöglichkeiten zur Verfügung. Ein Teil wird u. a. als Heizmaterial eingesetzt . Ein Grossteil muss allerdings in den Tagebauen oberirdisch abgelagert werden.

Überdies könnte längerfristig der hohe Bedarf an Lösungsmitteln zum Problem und eigentlichen Engpass werden, da sie als Nebenprodukt bei der Gewinnung von Erdgas anfallen. Es wird nämlich erwartet, das die Erdgasvorräte ungefähr ab 2018 deutlich abnehmen und der kontinuierlich hohe Bedarf dann nicht mehr gedeckt werden kann. Große Lösungsmittelmengen werden gebraucht, um das zähflüssige Bitumen und erzeugtes Schweröl pumpfähig zu machen, damit es via Pipelines zu den Märkten (Raffinerien) transportiert werden kann (Ivanhoe, 2002, S. 2).

Förderhöhepunkt, Investitionen und Produktionskosten

Die Investitionen für den Abbau der Ölsandvorräte, die Gewinnung von Bitumen und synthetischem Rohöl daraus und die anschließende Weiterverarbeitung zu hochwertigen Ölprodukten sind sehr hoch und zeitaufwendig. Erschließung und Nutzung der Ölsandvorräte ähneln mehr der Kohle- als der Erdölgewinnung. Seriöse Schätzungen gehen davon aus, das dass Maximum der nichtkonventionellen Ölproduktion (also aus Ölsanden, Ölschiefer, Schweröl) erst in den Jahren 2075 - 2100 bei etwa zwei Dritteln der heutigen konventionellen Ölproduktion liegt (Karl Hiller, 1998).

Für die Ausweitung der Förderkapazität sind in Kanada bis 2012 Investitionen von etwa 35 Mrd C$ geplant. Das entspricht beim derzeitigen Wechselkurs in etwa 24 Mrd US-Dollar. Das ist nur etwas für finanzstarke Ölgesellschaften. Deshalb nimmt es kein Wunder, dass hier Ölmultis mit so klingenden Namen wie Shell, Exxon Mobil, Chevron und Conoco mit von der Partie sind. Vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, das die gesamte Ölproduktion bis zum Jahr 2010 um etwa 1 Mio Barrel/Tag ausgeweitet werden kann. Die Förderung lag im Jahre 2001 bei 350 000 Barrel/Tag.

Derzeit werden Produktionskosten von 12 - 14 Dollar pro Barrel angegeben (Braune, 2003, S. 8). Da es sich um kanadische Dollar handeln dürfte, wären das beim derzeitigen Wechselkurs umgerechnet ungefähr 8 - 10 US-Dollar pro Barrel. Dabei muss man berücksichtigen, das augenblicklich nur die wirtschaftlich günstigsten Ölsandvorräte abgebaut werden. Maßgeblich dafür sind u.a. der größte Ölgehalt oder oberflächennahe, ölführende Sandschichten. Die Produktionskosten dürften bei dem vorgesehenen Ausbau der Produktion, der Verwendung teuerer technischer Verfahren und dem damit einhergehenden Energieverbrauch deutlich steigen. Parallel dazu werden die Umweltschäden zunehmen. Im übrigen werden die heutigen Produktionskosten auch deswegen so niedrig sein, weil Energie und Wasser zu äußerst niedrigen Tarifen zu haben sein dürften. Außerdem sind die Kosten für eine ökologisch verträgliche und anspruchsvolle Renaturierung der Tagebaue mit Sicherheit nicht oder kaum messbar in den Produktionskosten enthalten.

Literatur:
  1. Gerd Braune: Der Öl-Reichtum ist auf Sand gebaut, in: Frankfurter Rundschau Nr. 53, S. 8 vom 04. März 2003;
  2. Behrooz Abdolvand, Matthias Adolf: Verteidigung des Dollar mit anderen Mitteln, in: Blätter für deutsche und internationale Politik Nr. 2, S. 177 ff, Bonn 2003;
  3. Axel Schnorbus: Mineralölwirtschaft rechnet nach vier Jahren wieder mit Zuwachs, in: F.A.Z. vom 3. Januar 2001, siehe www.chemicalnewsflash.de/de/news/090101/news4.htm;
  4. Colin J. Campbell et al : Ölwechsel - Das Ende des Erdölzeitalters und die Weichenstellung für die Zukunft, S. 73 ff, dtv-Verlag, München 2002;
  5. News Gazette, Ausgaben 2001, 2002 bis Februar 2003, in: www.energiekrise.de/news;
  6. Diercke Weltwirtschaftsatlas 1 - Rohstoffe, Agrarprodukte, S. 52, dtv/westermann Verlag, München 1981;
  7. Joseph P. Riva: Canadian gas, our ace in the hole?, in: Hubbert Center Newsletter Nr. 2/2002, S. 5, Colorado School of Mines (USA);
  8. L. F. Ivanhoe: Canada`s future oil production: projected 2000 - 2020, in: Hubbert Center Newsletter Nr. 2/2002, S. 5, Colorado School of Mines (USA);
  9. Karl Hiller (ehemals Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe) zitiert in: Hoffnung "Non-Conventional Oil"?, S. 1, 1998, in: www.energiekrise.de/oel/noncon.html
* Dr. rer. nat. Detlef Bimboes, geb. 1946, Wiesbaden; häufiger Referent bei den Friedenspolitischen Ratschlägen in Kassel.
Bearbeitungsschluß: 19. März 2003;
Der Beitrag erschien in: "Solarzeitalter" Nr. 2/2003.
Wir danken Detlef Bimboes für die Erlaubnis zur Weiterverwendung seines Beitrags.



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