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Konfliktfrei in das Zeitalter nach dem Öl

Die Nachfrage steigt und das Angebot sinkt: Gegen Preissteigerungen hilft Energiesparen

Von Kurt Stenger *

Vieles deutet daraufhin, dass Öl auf kurze oder mittlere Sicht knapp werden könnte. Die Großverbraucher müssten rechtzeitig gegensteuern.

Erdöl, das Schmiermittel der Industrialisierung, war schon immer Gegenstand heftiger Spekulationen. Zwei Tatsachen sind dabei aber unbestritten: Ohne das schwarze Gold läuft in den Industriestaaten derzeit nichts – sei es im Auto- und Flugverkehr, bei der Wärme- und Stromversorgung oder in der Chemieindustrie. Und wie bei jedem in der Natur vorkommenden Rohstoff ist auch beim Öl die Menge begrenzt.

Doch wann es eng wird, ist Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen unter Wissenschaftlern, Politikern und Umweltschützern. Die Pessimisten behaupten, »Peak Oil« – also der Scheitelpunkt, ab dem die Ölförderung immer weiter absinkt, bis es ganz versiegt – sei längst erreicht. Der kürzlich verstorbene Investmentbanker und Energieexperte Matthew Simmons, der zu dieser Gruppe gehört, ging davon aus, dass die ausbeutbaren Fördermengen deutlich geringer seien als allgemein angenommen. Das wichtigste OPEC-Mitglied Saudi-Arabien etwa arbeite seit vielen Jahren mit falschen Zahlen. Die Optimisten halten dagegen, es gebe noch jede Menge bereits entdecktes oder noch unentdecktes Öl. Knappheiten seien in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder prognostiziert worden, ohne dass sich dies bewahrheitet habe.

Eine Tatsache ist jedoch, dass die Fördermenge in bekannten Ölfeldern deutlich schneller abnimmt, als das ursprünglich erwartet wurde. Gleichzeitig investieren die westlichen Mineralölkonzerne wie auch die staatlichen Förderer der OPEC-Staaten seit Jahren in nur geringem Maße in die Erkundung und Erschließung neuer Lagerstätten. Da sich diese in schwer zugänglichen Gebieten befinden oder die Förderung aus Ölsanden mit hohem technologischem Aufwand verbunden ist, explodieren die Kosten. Hinzu kommen Risiken etwa der Förderung in der Tiefsee, wie die Havarie der BP-Plattform »Deepwater Horizon« und die anschließende Ölpest im Golf von Mexiko gezeigt haben.

So verwundert es nicht, dass die »Peak-Oil«-These längst breite Kreise zieht. Selbst die Internationale Energieagentur (IEA) – dem Ableger des Industrieländerclubs OECD wurde traditionell Nähe zur Ölbranche nachgesagt – rechnet inzwischen mit einer massiven Angebotsverknappung schon bis 2015. »Wir müssen das Öl verlassen, bevor es uns verlässt«, mahnt IEA-Chefvolkswirt Fatih Birol.

Und so könnte das Preishoch aus dem Jahr 2008 – damals vor allem Folge wüster Spekulationen von Fonds, die sich im Zuge des US-Immobiliencrashs auf den Rohstoffsektor stürzten – ein Vorgeschmack auf künftige Trends gewesen sein. Die durch die Weltwirtschaftskrise eingebrochene Nachfrage wird wegen des Energiehungers der aufstrebenden Schwellenländer wieder zunehmen.

Ob es tatsächlich zu Knappheiten auf dem Weltmarkt kommt, muss der neuen ökonomischen Großmacht China keine Sorgen bereiten. Die Führung schließt seit Jahren umfangreiche Rohstoffabkommen in aller Welt ab, lässt Pipelines an ihre Grenzen bauen, staatliche Konzerne selbst in Bürgerkriegsländern investieren. Die eng mit der US-Öllobby verfilzte Bush-Administration ging noch einen Schritt weiter und begann den Irak-Krieg – das Ziel dauerhaft billigen Öls und der Sicherung der Rohstoffe ließ sich freilich nicht herbeischießen: Neue Förderrechte sichern sich auch in Irak vor allem chinesische Konzerne.

Geostrategische Konflikte lassen sich freilich verhindern, wenn die Industrieländer ernsthaft beginnen, ihre Abhängigkeit vom Öl zu vermindern. Der massive Einsatz von Agrotreibstoffen in Autos und Flugzeugen hilft hier nicht weiter. Der hohe Flächenverbrauch würde sich nämlich massiv auf die Nahrungsmittelpreise auswirken. Umweltverbände sind sich einig, dass nur eine massive Senkung des Verbrauchs einen Ausweg aufzeigen kann: etwa durch energetische Gebäudesanierung, durch CO2-Vorgaben für Autohersteller, durch Umlenkung des Verkehrs auf die Schiene.

Wird die Nachfrage nach Öl durch massives Energiesparen reduziert, könnte auch ein im Regenwald von Ekuador anlaufendes Pilotprojekt Schule machen. Die Regierung will dort Öl im Boden lassen – gegen Kompensationszahlungen aus dem Norden für Klimaschutzzwecke.

* Aus: Neues Deutschland, 9. September 2010


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