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Zocken bis zum Aufstand

Wenn Spekulation den Ölpreis hochtreibt, verteuert sich nicht nur Treibstoff. Seit Biosprit Mode ist, wird auch die Nahrung der Armen verbrannt

Von Rainer Rupp *

In den bürgerlichen Medien wird die arabische Revolution bejubelt. Die sei erst durch das unstillbare Verlangen der Menschen nach westlicher Demokratie in die Gänge gekommen, heißt es bei den Hofschreibern des Kapitals. Tatsächlich aber war es schlicht Hunger, der die Menschen auf die Barrikade trieb. Rasante Preissteigerungen bei Grundnahrungsmitteln weltweit hatten in den zurückliegenden Monaten immer breitere Bevölkerungsschichten vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern betroffen. In Nordafrika waren es erst die Tunesier, später die Ägypter, die aus Sorge um das tägliche Brot und die Handvoll Reis auf die Straßen gingen.

In dem Ende 2010 verfaßten Quartalsbericht der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung aus Kairo heißt es: »Ägyptens Inflationsrate wird auch 2011 im zweistelligen Bereich liegen. Insbesondere bei den Lebensmitteln gibt es aber immer wieder Preissteigerungen von über 30 Prozent – ein sozialer Sprengstoff für das Jahr 2011.« Der Verfasser sollte recht behalten. Die Prognose war auch nicht allzu schwierig, denn beim durchschnittlichen Monatsverdienst eines ägyptischen Arbeiters von umgerechnet 50 Euro geht ohnehin das meiste Geld für Grundnahrungsmittel weg. Werden diese dann innerhalb kurzer Zeit um ein Drittel teurer, stehen in Ägypten und in den anderen Ländern der sogenannten Dritten Welt plötzlich zig Millionen Menschen vor dem existentiellen Abgrund. Um so mehr, wenn dann auch noch die Regierungen unter dem Druck des neoliberalen Internationalen Währungsfonds (IWF) sich anschicken, die Subventionen für Grundnahrungsmittel zu kappen, wie es z.B. in Ägypten der Fall war.

UN-Experten in Sorge

Bereits 2008 hatten steigende Lebensmittelpreise für Menschen rund um den Globus extreme Entbehrungen zur Folge. Experten der UN-Ernährungsorganisation FAO befürchten, daß es 2011 noch schlimmer werden könnte. Demnach näherten sich bereits Ende 2010 die Preise von Mais und Weizen dem Spitzenniveau von 2008 an. Diese Sorten sind Grundnahrungsmittel für Milliarden Menschen in armen Ländern. Laut der FAO-Ökonomin Abdolreza Abbassian »haben derart hohe Preisniveaus in der Vergangenheit schon immer zu Hungeraufständen rund um die Welt geführt«. Der IWF hat jüngst in einem Bericht diesen Zusammenhang sogar quantifiziert: Eine zehnprozentige Preiserhöhung von Grundnahrungsmitteln führt demnach zu einem Anstieg von Aufständen gegen die Regierungen um 100 Prozent.

Ein Leben in Hunger gehört zu den brutalsten Formen struktureller Gewalt der herrschenden Klasse. Daher wird der Nahrungsmangel als Triebkraft von Aufständen und Umstürzen in der arabischen Welt und in Schwarzafrika von den bürgerlichen Massenmedien nicht thematisiert. Niemand soll offensichtlich die Ursachen für die Preissteigerungen hinterfragen. Die Ursache der Preiserhöhungen soll ein Rätsel bleiben.

Gemeinhin steigen im Kapitalismus die Lebensmittelpreise, wenn das Angebot knapp ist. Zu größeren Ernteausfällen ist es aber nicht gekommen, was die aktuellen globalen Produktionszahlen des US-Landwirtschaftsministeriums belegen. Für 2011 wird sogar erwartet, daß z.B. die gesamte Maisproduktion um über eine Million Tonnen steigt. Trotzdem ist der Preis für diese Getreidesorte seit Anfang 2011 bereits um über 15 Prozent gestiegen.

Hauptgrund für die Teuerung bei Grundnahrungsmitteln sind jedoch hoher Ölpreis und Finanzspekulation mit Lebensmitteln. Seit die Umwandlung von Getreide in Treibstoffe für Autos in vielen Staaten auch noch gefördert wird, hängt das Preisniveau dieser Lebensmittel von dem des Öls ab. Das müßte unter die Marke von 50 US-Dollar pro Faß (159 Liter) fallen, um die Umwandlung von Mais in Äthanol unrentabel zu machen. Damit bliebe er dem freien Markt als Lebensmittel erhalten. Tatsächlich aber ist der Ölpreis seit Anfang des Jahres von 95 auf derzeit 123 Dollar je Faß geklettert. Bereits 25 Prozent der Maisernte in den USA werden inzwischen für die Produktion von sogenanntem Bio­treibstoff verwendet.

Perfekter Auslöser

Auch auf dem Ölmarkt wird gewaltig spekuliert – zu Lasten der Verbraucher. Trotz der Verluste der libyschen Produktion ist die Nachfrage nach saudi-arbischem Öl nicht gestiegen, sondern sogar etwas zurückgegangen. (Financial Times vom 18. April: »Saudis drosseln Ölproduktion wegen Überangebots«). Wenn trotzdem die Preise steigen, dann heißt das, die Spekulation läuft heiß, und der nächste Crash wird nicht mehr lange auf sich warten lassen.

Der zweite Grund für den sich ausbreitenden Hunger in der Welt ist die Politik der US-Notenbank Fed. Deren Ausweitung der Geldmenge und die Finanzierung der Staatsdefizite durch die Notenpresse haben weltweit nicht nur Inflationsängste geschürt, sondern diese auch tatsächlich herbeigeführt. Zugleich hat die Fed mit ihrer Politik der fast unbegrenzten, zinslosen Kredite für heimische Großbanken eine weitere gigantische Finanzspekulation begünstigt. Diesmal flossen die Zockermilliarden in Wetten mit Rohstoffen und insbesondere mit landwirtschaftlichen Produkten. Enorme Mengen spekulativer Dollars haben die Rohstoffmärkte überflutet und destabilisiert. Einst sicherte sich beispielsweise die Lebensmittelindustrie mit Kontrakten die Lieferungen bestimmter Rohstoffe zu festgelegten Terminen und Preisen. Diese Terminkontrakte sind inzwischen zum Spielball der Finanzspekulanten geworden, die die Preise in die Höhe treiben, was derzeit weltweit beim Lebensmitteleinkauf für Wut und Ärger sorgt. Eine derart großangelegte Finanzspekulation mit Lebensmitteln ist ein perfekter Auslöser für einen globalen Tsunami aus Instabilität und Aufruhr.

* Aus: junge Welt, 30. April 2011


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