Mit Recycling gegen die Rohstofflücke
BDI-Rohstoffkongress: Industrievertreter klagten und Minister Brüderle stellte eine neue Strategie vor *
Kein Windrad dreht sich ohne seltene Metalle, kein Elektro-Auto fährt ohne Silizium: Die Industrie
warnt, fehlende Rohstoffe könnten zur Aufschwungbremse werden. Der Wirtschaftsminister stellte
auf einem Kongress in Berlin die neue Rohstoffstrategie der Bundesregierung vor.
Die Regierung will gegen den Rohstoffmangel in der Wirtschaft die Bürger zu mehr
Recycling von Elektroschrott anhalten. In alten Geräten sind oft wertvolle Metalle enthalten, die von
der Industrie händeringend gesucht werden. »Mehr Recycling ist die wichtigste heimische
Rohstoffquelle. Die Recyclingquoten können noch steigen«, sagte Wirtschaftsminister Rainer
Brüderle am Dienstag auf dem 3. Rohstoffkongress des Bundesverbandes der Deutsche Industrie
(BDI) in Berlin. Es werde bereits an neuen gesetzlichen Regeln gearbeitet.
Der Aufkauf seltener Bodenschätze und Handelsbeschränkungen vor allem durch China haben
Politik und Wirtschaft alarmiert. »Die Lage hat sich verschlechtert, die Existenz einiger Unternehmen
ist gefährdet«, sagte BDI-Präsident Hans-Peter Keitel.
Nach Angaben der Regierung könnten bald viele Haushalte spezielle Mülltonnen zur
Wertstoffgewinnung bekommen. In einigen Städten wie Berlin sammeln Kommunen und private
Unternehmen bereits gezielt Elektroschrott, weil die darin enthaltenen Metalle gute Preise bringen.
Das Bundeskartellamt hatte kürzlich aber vor einem Quasi-Monopol der Kommunen und vor
steigenden Müllgebühren gewarnt.
Brüderle sagte, Deutschland brauche mehr Intelligenz in der grauen Tonne. »Was technisch zum
alten Eisen zählt, gehört noch lange nicht auf den Müll.« Mit dem Aufschwung und der steigenden
Nachfrage werde der Kampf um Rohstoffe noch härter. »Der Rohstoffhunger der Welt wird weiter
wachsen.« China und Indien seien wieselflink unterwegs und sicherten sich überall Vorkommen an
seltenen Bodenschätzen. Brüderle schlug vor, dass die Welthandelsorganisation (WTO) auf
Mindeststandards im Rohstoffhandel achten sollte. Auch auf G20-Ebene müsse mehr über dieses
Thema gesprochen werden, um Spekulationen an den Rohstoffbörsen einzudämmen.
WTO-Generalsekretär Pascal Lamy sagte, die ungleiche Verteilung bei Rohstoffen könne zu
internationalen Spannungen führen. Der oberste Hüter über den Welthandel räumte ein, dass er nur
wenig dagegen tun könne. Disziplinarische Maßnahmen gegen WTO-Mitglieder – weil etwa China
immer wieder hohe Exportzölle verhängt – seien leider nicht vorgesehen.
Die Bundesregierung will strategische Partnerschaften mit rohstoffreichen Ländern eingehen.
Grundsätzlich müssten die Unternehmen sich aber selbst helfen. »Ein VEB Rohstoffe passt nicht in
unser Wirtschaftssystem und wird es mit mir nicht geben«, sagte Brüderle.
Die Wirtschaft, die jährlich Rohstoffe für 80 Milliarden Euro importiert, setzt ebenfalls auf
Kooperationen – und reicht dem roten Drachen die Hand: »China ist kein Schreckgespenst. Wir
wollen keinen Handelskrieg«, unterstrich Keitel.
Die Rohstoffstrategie der Bundesregierung stehe in krassem Widerspruch zu den Zielen in der Klimaoder
Entwicklungspolitik, kritisierten Nichtregierungsorganisationen, die nicht zur BDI-Konferenz
geladen waren. Silas Kpanan'Ayoung Siakor, Direktor des Sustainable Development Institute in
Liberia, befürchtet, dass die Ziele nationaler Armutsbekämpfung in rohstoffreichen
Entwicklungsländern unterminiert werden.
* Aus: Neues Deutschland, 28. Oktober 2010
Rohstoff-Träume
Von Kurt Stenger **
Die Wirtschaft trauert den Zeiten nach, als für die Industriekonzerne in Europa und Nordamerika Rohstoffe in scheinbar unbegrenzter Menge und zu Niedrigstpreisen verfügbar waren. Der Markt, auf dem sich die Platzhirsche unter den Konzernen durchsetzen, sowie mehr oder weniger diskrete Kontakte zu Regimen in ansonsten armen Rohstoff-Ländern richteten es schon. Das hat sich gerade bei Industriemetallen in den letzten Jahren massiv geändert. Der Aufbau von Industrien in Schwellenländern, neue Technologiesektoren, knapper werdende Vorkommen und die überhand nehmende Spekulation erhöhten die Nachfrage und ließen die Preise steigen. Und in Teilbereichen droht eine echte Knappheit.
Die aggressive Rohstoffbeschaffungs- und Exportstrategie Chinas hat die Bundesregierung auf den Plan gerufen: Verträge mit Rohstoff-Ländern und Marktinformationen sollen deutschen Unternehmen den Nachschub sichern helfen. Bei den politischen Aktivitäten drohen Umweltschutz und Arbeitsrechte in der besonders prekären Bergbaubranche unter den Tisch zu fallen. Dabei gibt es auch keinen Protest mehr aus dem Entwicklungshilfeministerium, das unter FDP-Ägide alle Ziele der Wirtschaft unterordnet. Und die eigentlichen Alternativen – verstärktes Recycling und Rohstoffeinsparung – tauchen nur in Sonntagsreden auf.
Die Industrie will zurück in die alten Zeiten. Und die Bundesregierung möchte helfen, dass ihre Rohstoff-Träume in Erfüllung gehen.
** Aus: Neues Deutschland, 27. Oktober 2010 (Kommentar)
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