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Keine kurzfristige Option

In der Debatte um den Import von US-Schiefergas geht es um Geopolitik. Deren Mühlen mahlen langsam. Ob am Ende eine Schwächung Rußlands steht, ist offen

Von Reinhard Lauterbach *

Seit der Krim-Krise leuchten die Augen aller Gegner Rußlands auf, sobald das Wort »Schiefergas« fällt. Importe dieses aus tiefen Gesteinsschichten gewonnenen Rohstoffs könnten die Abhängigkeit EU-Europas und somit auch der BRD von russischem Gas verringern, lautet die Erwartung. US-Präsident Barack Obama und sein kanadischer Kollege Stephen Harper haben bei Besuchen in Europa bereits kräftig die Werbetrommel für diese ­energiepolitische Option gerührt.

Einmal abgesehen von gesetzgeberischen Hindernissen für den Export heimischer Rohstoffe in den USA, die sich bei entsprechenden politischen Mehrheiten ändern ließen, und abgesehen von den ökologischen Bedenken gegen Schiefergasförderung, die die Politik im Zweifelsfall wenig stören dürften, hat die Bundeskanzlerin mit dem ihr eigenen phlegmatischen Realismus darauf hingewiesen, daß dies keine kurzfristige Option ist. Es beginnt mit der Frage der Infrastruktur. Wegen fehlender Pipelines müßte US-Gas zunächst verflüssigt und dann in Europa wieder in gasförmigen Zustand zurückversetzt werden. Das setzt den Bau von Spezialverladeterminals auf beiden Seiten des Atlantik voraus. In den USA gibt es derzeit genau ein Terminal für LNG (Liquified Natural Gas – verflüssigtes Erdgas) an der Atlantikküste, und das am Golf von Mexiko. Es ist auf Jahre ausgelastet. Der Bau weiterer Terminals würde Jahre dauern. Im polnischen Swinoujscie an der Odermündung verzögert sich die Fertigstellung einer derartigen Entladestation Jahr um Jahr, gerade erst wieder vom Juni auf das Jahresende. Vor 2020 ist nicht damit zu rechnen, daß der Wechsel der EU-Energiequellen zu größeren praktischen Folgen führt.

Die zweite Frage ist, wie eine solche Umstellung sich auf die Energiekosten auswirkt. Durch die beiden Arbeitsschritte der Verflüssigung und Rückvergasung wird LNG mit Sicherheit teurer werden als der über Pipelines aus Rußland importierte Brennstoff. Auch neue Terminals zu bauen, ist nicht billig. Einer – und um die EU ganz vom russischen Gas unabhängig zu machen, bräuchte es mehrere davon – kommt auf etwa 1,5 Milliarden US-Dollar. Es gibt derzeit mehrere Bauvorhaben für LNG-Terminals in den USA, aber die sind für den Export in die asiatischen Märkte vorgesehen. Dort sind die Energiepreise höher als in Europa, die US-Exporteure haben also von sich aus eher ein Interesse an der Ausfuhr nach Fernost als nach Europa. Das Problem verschärft sich dadurch, daß marode Volkswirtschaften wie die der Ukraine höhere Energiepreise noch weniger verkraften können als entwickelte Industriestandorte wie die BRD. Die deutsche Industrie als Großverbraucher russischen Erdgases wird nicht amüsiert sein über diese Kostensteigerung mit Ansage. Die US-amerikanische übrigens auch nicht, denn bei gegebener Fördermenge bewirkt der Export eines Teils des zur Verfügung stehenden Gases naturgemäß einen Preisanstieg auf dem Binnenmarkt. Auch hier ist also, wie der US-Analysedienst Stratfor schon vor einigen Wochen anmerkte, die Messe noch nicht gelesen.

Es führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei, daß eine Änderung der Importwege von Energieträgern eine politische Entscheidung wäre, die die westlichen Staaten auch gegenüber ihrem eigenen Kapital würden durchsetzen müssen. Das aber ist jetzt schon wenig begeistert. So stellte der Chef der Deutschen Post, Frank Appel, dieser Tage die naheliegende Frage, was denn an einer Abhängigkeit von Katar oder Venezuela besser sei als an einer Abhängigkeit von Rußland. Der Unterschied, muß die Antwort lauten, ist ein rein politischer: Während Katar ein Anhängsel des kapitalistischen Weltmarkts ist und Venezuela, auch wenn sich der »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« halten sollte, an der Entwicklung des eigenen Landes genug zu tun hat, ist Rußland ein politischer Akteur mit eigenem Kopf. Zumindest, solange der Präsident Wladimir Putin heißt. Das diskrete Spekulieren westlicher Politiker auf die Wirkungskette »Sanktionen – Wirtschaftskrise – Umsturz in Rußland – botmäßigerer Nachfolger« könnte also – umgekehrt gesagt – den hochfliegenden Plänen mit dem Schiefergas womöglich schneller die Grundlage entziehen, als die Terminals gebaut wären.

Das aber wäre aus US-Sicht ausgesprochen kontraproduktiv. Im Windschatten der Krim-Krise sind nämlich im US-Senat Forderungen laut geworden, die USA über den Export von Gas und Öl zur »Energiesupermacht« zu machen. Was bisher über den währungstechnischen Umweg der Notierung der Energiepreise in US-Dollar »nur« dazu führt, daß die USA auf Rechnung der gesamten Weltwirtschaft Schulden machen konnten, solle dann auch im stofflichen Sinne gelten, so die Hoffnungen der US-Politiker. Da hat wohl jemand die Dissertation eines gewissen Wladimir Putin, Bergbauhochschule St. Petersburg, 1997, gelesen. Die trug den Titel: »Die strategische Planung der Reproduktion der Rohstoffbasis einer Region (…) am Beispiel St. Petersburg und des Oblast Leningrad« und gilt als theoretische Grundlage für Rußlands ach so perfide Gasprom-gestützte Geopolitik. Angeblich soll die Arbeit freilich in zentralen Abschnitten aus US-Studien abgeschrieben sein. So sind sie, die Russen: Nicht mal einen ordentlichen Imperialismus kriegen sie allein hin. Da schlägt das Original noch jedes Plagiat.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 1. April 2014


SPD und Union sagen nicht Nein

Seit der Krim-Krise mehren sich die Stimmen für Fracking in Deutschland

Von Simon Poelchau **


Wenn sich am heutigen Dienstag Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) mit den Ministerpräsidenten der Länder zum Energiegipfel treffen, wird es nicht nur um die Energiewende gehen. Wegen der Krim-Krise wird ein zweites Thema womöglich in den Vordergrund der Gespräche treten: Fracking-Befürworter nutzen derzeit die Spannungen mit Russland, um Werbung für die umstrittene Gasfördermethode zu machen, die derzeit in Deutschland ausgesetzt ist.

Bei dieser Technologie wird ein Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien in tiefe Schiefergesteinsschichten gepresst, um das dortige Erdgas freizusetzen. In den USA etwa, wo die Fracking-Industrie derzeit boomt, sind die Energiepreise deswegen stark gefallen, was den Wirtsaufschwung befördert hat. Doch Umweltschützer warnen vor den gravierenden Schäden, die das Fracking verursacht: Das Gundwasser kann verschmutzt, kleinere Erdbeben können ausgelöst werden.

In der Europäischen Union herrscht derweil keine einheitliche Meinung zum Thema. Während Länder wie Großbritannien, Polen und Rumänien Fracking-Befürworter sind, hat Frankreich bereits im Juli 2011 die Gewinnung von Schiefergas gesetzlich verbieten lassen. Die EU-Kommission leistete der umstrittenen Fördermethode erst im Januar dieses Jahres Vorschub. In einer Empfehlung schlug sie den Mitgliedsländern lediglich Maßnahmen wie die Prüfung von Umweltrisiken und die Information der Öffentlichkeit bei Fracking-Vorhaben vor und nicht etwa ein Verbot.

»Den Einsatz umwelttoxischer Substanzen bei der Anwendung der Fracking-Technologie zur Aufsuchung und Gewinnung unkonventioneller Erdgaslagerstätten lehnen wir ab«, schrieben Union und SPD noch in ihrem Koalitionsvertrag fest. Mittlerweile ist die Ablehnung nicht mehr so vehement. Deutschland müsse sich »die Fracking-Option dringend offenhalten«, sagte CSU-Vize Peter Ramsauer jüngst der der »Welt am Sonntag«. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) spricht sich jedoch weiterhin gegen die umstrittene Methode aus.

Vize-Kanzler und Energieminister Gabriel möchte sich beim Thema Schiefergasförderung nicht mehr auf eine Position festlegen lassen. Nach seiner Überzeugung sei das Risiko für Mensch und Umwelt mit den heutigen Techniken noch zu hoch. »Aber die Unternehmen forschen ja an einer besseren Technologie. Die Ergebnisse werden wir uns anschauen müssen«, sagte Gabriel am Montag der »Bild«-Zeitung.

Ob die Türen für das Fracking am Dienstag auf dem Energiegipfel weiter geöffnet werden, hängt auch von Kanzlerin Merkel ab. Für sie ergibt sich durch den Streit mit Russland »durchaus eine neue Betrachtung der gesamten Energiepolitik«. Vielleicht denkt sie dabei aber auch an ihren Wahlkreis in Mecklenburg-Vorpommern. Da geht es zwar nicht ums Fracking; im Saaler Bodden soll jedoch ab 2014 wieder testweise Öl gefördert werden.

** Aus: neues deutschland, 01.04.2014




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