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Krieg um Ölmärkte

Mehr als Kollateralschäden: Preisverfall beim Petroleum hält an. Das trifft nicht nur Russland oder Venezuela, sondern auch die US-Frackingbranche

Von Dieter Schubert *

Öl wird noch günstiger. Zu Wochenbeginn haben die Weltmarktpreise für die wichtigsten Referenzsorten erneut nachgegeben. Am Dienstag verbilligte sich das Fass (Barrel; 159 Liter) der Nordseesorte Brent um 2,9 Prozent auf nur noch 46,05 US-Dollar und markierte damit den dritten Tag in Folge ein Sechsjahrestief. Die gleiche Menge der US-Referenzsorte WTI (West Texas Intermediate) war bereits am Montag auf 47,40 Dollar gefallen und wurde am Dienstag bei 45,33 Dollar notiert. Noch im Sommer vergangenen Jahres waren sowohl Brent als auch WTI deutlich teurer, beide Ölsorten sind seitdem um fast 60 Prozent billiger zu haben.

Für die Marktbeobachter ist das alles logisch: Solange sich an den Rahmenbedingungen nichts ändere, müsse mit einer Fortsetzung der Talfahrt gerechnet werden, schrieben die Analysten von Phillip Futures in einem Kommentar. Übersetzt heißt das soviel wie: Zuwenig Nachfrage steht weltweit einem Überangebot des fossilen Brenn- und Rohstoffes gegenüber. Und genau hier prallen die Interessen vieler Förderländer und Dienstleister in der weltweiten Ölbranche auf die der mächtigen Inhaber jener gigantischen Ölquellen im arabischen Raum, deren Ausbeutung auch noch bei einem Preis von 20 Dollar je Fass satte Profite abwirft.

Über den Anlass des Preiskrieges wird gestritten. War es tatsächlich die Furcht der Saudis vor dem US-Schieferöl, die zur Eskalation führte, was auch verschiedene Autoren in dieser Zeitung zuletzt so sahen? Oder läuft hier ein abgekartetes Spiel zwischen Washington und Riad zum Schaden der »Feindstaaten« Russland, Venezuela und Iran? Deren Förderkosten sind deutlich höher als beispielsweise die Saudi-Arabiens und Kuwaits, was sie zu den ersten Opfern des Preisverfalls macht.

Saudi-Arabien jedenfalls hat bislang jegliche Versuche einer Produktionsdrosselung innerhalb der Organization of the Petroleum Exporting Countries (OPEC) abgeschmettert. Im Gegenteil, es wird auf der arabischen Halbinsel gepumpt, was die Technik hergibt. Zugleich gewährte das billionenschwere Herrscherhaus der Saud US-Importeuren noch Preisnachlässe. Zumindest das erweckt den Anschein, dass es den Prinzenclans tatsächlich um ihren Marktanteil in Übersee geht – denn der drohte dort zuletzt an die rasant boomende Frackingbranche verlorenzugehen. Auch scheint es aus US-Sicht kaum nachvollziehbar, dass es Washington auf einen Finanzcrash im eigenen Land ankommen lässt, nur um Putin, Maduro und den Ajatollahs zu schaden. Denn die Schieferölbranche wird zum Milliardengrab weitgehend ungesicherter Firmenanleihen, sollte der Ölpreis unter ein bestimmtes Limit fallen und längere Zeit dort verharren.

Die Marktforscher der weltgrößten Investmentbank Goldman Sachs hatten dieses Limit am Wochenende bei einen Fasspreis von 40 Dollar verortet. Davon ist man derzeit nicht weit entfernt. Doch auch ein veritabler Zusammenbruch braucht seine Zeit: Bevor die US-Schieferölproduktion tatsächlich eingestellt wird, müsste erst der Anschein einer längerfristigen Tiefpreisphase erweckt werden – ein Kunststück, das den »Märkten« erst einmal serviert werden muss.

Inzwischen könnte es gut sein, dass aus den »Kollateralschäden« dieses Marktgefechtes eine weit größere Krise erwächst als die von 2008/2009. Ökonomisch und politisch kollabierende Volkswirtschaften in Russland, Venezuela oder Iran würden wie die sprichwörtlichen Dominosteine wirken. Hinzu kommen politische und militärische Spannungen, die NATO und EU im Glauben an ihre Unbesiegbarkeit leichtfertig erzeugt haben. Es reicht ein Blick auf die (auf hohem Niveau) malade Europäische Union, um sich das auszumalen. Auch hier werden die gefährlichsten Krisensymptome lediglich mit viel Notenbankgeld und politischer Ignoranz übertüncht. Wirtschaftlich wächst hier derzeit nichts, von statistischer Kosmetik einmal abgesehen. Hinzu kommt die Exportabhängigkeit der Führungsmacht Deutschland, das bei einer Weltwirtschaftskrise besonders hart getroffen würde. Inzwischen kann auch Großbritannien seine Ölförderung einstellen (zu teuer), Norwegen (nicht EU-Mitglied) womöglich ebenfalls. Und auf der anderen Seite des Globus schaut es für Petrobras und weite Teile der brasilianischen Ökonomie ebenfalls nicht rosig aus, sollte Öl »zu preisgünstig« bleiben.

Zunächst allerdings sieht es weltweit nach einer Konjunkturerholung aus: In den USA freuen sich die Konsumenten über billigen Treibstoff. Sie kaufen wie vor 2008 wieder wie wild ihre spritfressenden Kleinlastwagen (Pickups und SUV). Auch die deutschen Autokonzerne profitieren davon, allerdings in unterschiedlichem Maß. Bei VW, mit über zehn Millionen verkauften Autos 2014 nur knapp von Toyota auf den zweiten Platz verwiesen, läuft es hier nicht rund genug. Anlass für Konzernvorsteher Martin Winterkorn, »jetzt angreifen« zu wollen, wie das Handelsblatt am Dienstag berichtete. Automobilbranche, Finanzkonzerne und die zum Teil wiederbelebte heimische Industrie heizen in den USA damit das Konsumklima auf. In der Qualitätspresse freuen sich die unabhängigen Autoren bereits wieder über eine Boom in »Amerika«. Wie lange diese Behauptung wiederholt werden kann, wird sich vermutlich bis Mitte des Jahres zeigen. Dann dürfte sichtbar werden, wer den Ölpreiskrieg gewonnen hat – oder ob er alle nach unten zieht.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 14. Januar 2015


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