Zitate der Woche (27 bis 33)
September bis Dezember 2001
Zitat Nr. 33: 24. Dezember 2001
Karl Valentin
vater unser, der du bist im himmel
vater unser der du bist im himmel
erlöse die menschen nun endlich von den menschen
diese sippschaft ist nicht mehr wert
als dass du sie vernichtest
sie wissen nichts anderes mehr zu tun
als blut zu vergießen
in dem sie sich gegenseitig abschlachten
mache du nun endlich schluss
mit den unseligen kriegen
auf der gesamten erde
du allein bist der große feldherr
du brauchst keine giftgase
und keine kanonen
keine tanks und keine bomben
du brauchst nicht so grausame waffen
lasse du harmlose schneeflocken vier wochen lang
tag und nacht ununterbrochen auf die erde fallen
dann wird der wahre frieden auf erden
amen
Auf Karl Valentin hatten wir schon im Juni zurückgegriffen mit dem Zitat Nr. 22.
Zitat Nr. 32: 21. Dezember 2001
Roger Willemsen
Kriegstagebuch: Der Sieg
Was für ein Sieg! Ein Sieg über ein Volk, dem man nie den Krieg erklärt hat, das unter Streubomben stirbt, auf der Flucht oder in Flüchtlingslagern, wo man sich auf 100.000 tote Kinder einrichtet. Ein Sieg über eine Volksgruppe, deren Kriegsgefangene massakriert oder in Containern erstickt, deren letzte Kämpfer mit "Daisy-Cutter"-Bomben vernichtet werden, Bomben, die nach geschnittenen Gänseblümchen benannt werden, aber im Radius von 600 Metern alles Leben vernichten. Ein Sieg über ein Land, das nach bisherigen Kenntnissen wohlgemerkt keinen einzigen Bürger hervorgebracht hat, der unmittelbar oder mittelbar an den Attentaten des 11. September beteiligt war. Ein Sieg, der in einem Höhlensystem vollendet wurde, das von der CIA finanziert und von Pakistan logistisch entwickelt wurde. Ein Sieg über jene, die "den internationalen Terrorismus beherbergt haben", aber vermutlich nicht viel mehr zu ihm beigetragen haben als die Städte Hamburg und Bochum. Ein Sieg auf der Suche nach einem Mann, der in einfältiger Dämonisierung durch George Bush als das "Schlimmste" bezeichnet wird, "das die Zivilisation hervorgebracht hat", und der doch, wie Donald Rumsfeld noch vor Wochen einräumte, vielleicht nie gefunden werden kann. Ein Sieg mit vielen Opfern, doch ohne Besiegte, denn seit Beginn des Krieges haben wir ebenso oft gehört, es gäbe "Beweise" gegen Bin Laden, wie, es gäbe "Hinweise". Ein Sieg also, der die Zerstörung eines vermutlich völlig unbeteiligten Landes auf der Basis von "Hinweisen" vollendet, ein Völkermord also. Was für ein Sieg!
Aus: taz, 13. Dezember 2001
Zitat Nr. 31: 13. Dezember 2001
Dorothee Sölle
Grundlage des Friedens ist Gerechtigkeit.
"Gnade und Treue begegnen einander, Gerechtigkeit und Friede küssen sich." (Psalm, 85,11)
Das Ziel ist der Zustand, in dem Gott die Kriegswagen
zerstört und der Aggression ein Ende gemacht hat.
Ohne soziale Gerechtigkeit, ohne Recht kein Frieden.
Der Maßstab ist nach Aussage der Prophetinnen und
Propheten das Recht der Rechtlosen, etwa der
Witwen und Waisen, die keinen männlichen
Fürsprecher haben. Die unterste Klasse wird
zum Maßstab des Wohlergehens aller gemacht.
Die am meisten entrechtet sind, am wenigsten
zu sagen haben, die nicht nur kein Geld haben,
sondern auch keine FürsprecherInnen,
keine Beziehungen, die nicht einmal mit den
Behörden umgehen können, weil sie nicht
wissen, worauf sie Anspruch haben - sie sind
der Maßstab, an dem gemessen wird,
was eigentlich Gerechtigkeit ist. Die Ausgegrenzten,
die RandsiedlerInnen, die an der untersten Sprosse
der Leiter einer Gesellschaft stehen, werden
"erhöht", die Hohen "erniedrigt", damit eine
"ebene Bahn für Gott" entsteht (Jesaja 40,3).
Außenpolitik und Innenpolitik werden hier nicht
getrennt, als ob man sich außenpolitisch
unterwerfend, imperialistisch, aufrüstend
verhalten und zugleich innenpolitisch Ruhe
und Ordnung erhalten könne!
Gerechtigkeit und Frieden gehören so eng
zusammen, wie Aufrüstung und Krieg
zusammengehören. Nur zusammen mit der
Gerechtigkeit entsteht Frieden im vollem
Sinn des Wortes Schalom. Biblisch gedacht ist es daher falsch zu
behaupten, die Atombomben hätten uns
vierzig Jahre lang den Frieden garantiert,
insofern als sie in derselben Zeit den Menschen
der Zweidrittelwelt das Verhungern garantiert
haben. Ein auf Abschreckung und Gewalt,
Terror, Elend und Drohung beruhender Friede
ist antibiblisch, weil er Rüstung, nicht
Gerechtigkeit zur Grundlage des Friedens macht.
Die evangelische Theologin und emeritierte Hochschullehrerin Dorothee Sölle muss unseren Lesern nicht vorgestellt werden. Unser Dank geht an Alois Reisenbichler (Wien) für die Übermittlung des Textes.
Zitat Nr. 30: 3. November 2001
Blau wie der Enzian
Zunächst die Meldung:
Am 2. November verkündete US-Generalstabschef Richard Myers, die USA wollten die Farbe der über Afghanistan abgeworfenen Lebensmittelpakete ändern. "Ich glaube, sie sollen blau werden", sagte er in Washington. Damit solle eine Verwechselung mit Streubomben verhindert werden. Bislang waren die rechteckigen Lebensmittelpäckchen gelb - genau wie die gegen militärische Ziele eingesetzten Streubomben, die eine runde Form haben. Meyers sagte, es sei "bedauerlich", dass nicht explodierte Streubomben damit die gleiche Farbe haben wie die abgeworfenen Essenspakete. Doch die Umstellung auf blaue Farbe für Essenspakete könne einige Zeit dauern, da noch viele gelbe Pakete vorhanden seien.
Und hier das Zitat: "Blau"
Blau ist der Himmel, blau ist die Wonne, angeblich auch die Treue, also ist blau gut, besser als gelb, jedenfalls in Afghanistan, wo die vom Himmel fallenden Fresspakete künftig blau statt gelb sein sollen, auf dass sie der - blauäugige? - Afghane von den aus gleicher Richtung anfliegenden gelben Streubomben unterscheiden kann.
Doch Vorsicht, wenn einer das Blaue vom Himmel verspricht. Denn Blau, dessen Wellenlänge etwa zwischen 440 und 485 nm liegt, ist etymologisch zwiespältig gefärbt. Zunächst erscheint der Horizont in der Ferne bläulich, weshalb blau oft etwas Entferntes und Unbestimmtes bezeichnet: die "blaue Blume" der Romantik, das "blaue Licht" in Schatzsagen und Märchen, weshalb wir "ins Blaue hineinreden" (ohne Plan) oder eine Fahrt ins Blaue machen (mit unbekanntem Ziel).
Doch dann ist Blau auch die Farbe der Täuschung, Verstellung und Lüge. Jemand erlebt sein blaues Wunder, weil ihm einer blauen Dunst vormacht oder gleich das Blaue vom Himmel herunterlügt. In diese Kategorie fällt auch, wer "blau macht", also die Arbeit schwänzt, wobei der "blaue Montag" ursprünglich wohl der Tag vor dem Fasten war und entsprechend der liturgischen Farbe benannt worden ist.
Erst später ging die Bezeichnung auf den Montag über, an dem die Gesellen nach altem Handwerksbrauch frei hatten. Da sich die (in einem Blaumann steckenden) Burschen an ihrem freien Montag zu bezechen pflegten, wurde aus blau auch noch betrunken, das heißt, sie waren blau wie zehntausend Mann, wobei der Duden meint, das rühre von dem Schwindelgefühl des Betrunkenen her, der einen blauen Schleier vor Augen sieht - wobei der womöglich vom Blaulicht der Polizei herrührt, die dann wiederum nicht etwa die Blaublütigkeit testet - dieses Wort stammt von den Mauren in Spanien, denen die Adligen der germanischen Stämme wegen ihrer weißen Haut auffielen, durch die blaue Adern schimmerten - woraus sie schlossen, in den Adern der Blonden müsse blaues Blut fließen.
Worauf wir, ganz unmotiviert, mit einem allseits passenden Sprichwort enden: Grau ist der Hecht, die Frau hat recht; der Himmel ist blau, recht hat die Frau. (dec)
Unser Zitat stammt diesmal aus dem "Wörterbuch", einer täglichen Rubrik in der Frankfurter Rundschau, die uns des öfteren ausnehmend gut gefällt. (FR, 3. November 2001)
Zitat Nr. 29: 29. Oktober 2001
Peter Maiwald
Dementis zur Zeit
Nein: Ein Krieg ist das nicht
es ist ein Angriff.
Nein: Ein Angriff ist das nicht
es ist ein Gegenschlag.
Nein: Ein Gegenschlag ist das nicht
es ist ein langer Kampf.
Nein: Ein langer Kampf ist das nicht
es ist eine Mission.
Nein: Eine Mission ist das nicht
es ist eine Militäraktion.
Nein: Eine Militäraktion ist das nicht
es ist ein Kreuzzug.
Nein: Ein Kreuzzug ist das nicht
es ist eine weitere Front.
Nein: Eine weitere Front ist das nicht
es sind Luftschläge.
Nein: Luftschläge sind das nicht
es ist ein Krieg.
Nein: Ein Krieg ist das nicht
es ist eine humanitäre Aktion
ein Wesenszug unserer Art zu leben
über andere Leben.
Das Gedicht von Peter Maiwald wurde erstmals veröffentlicht in der Zeitschrift "Ossietzky", Nr. 21/2001. Peter Maiwald gehört seit über drei Jahrzehnten zu den profiliertesten politischen Lyrikern in der Bundesrepublik. Neben zahlreichen Gedichtbänden und Veröffentlichungen in Anthologien werden Peter Maiwalds Texte häufig auch in den Feuilletons bzw. Wochenendbeilagen großer Tageszeitungen abgedruckt, z.B. in der Süddeutschen Zeitung.
Zitat Nr. 28: 11. Oktober 2001
Arundhati Roy
Da musste sogar Ulrich Wickert von den "Tagesthemen"zu Kreuze kriechen und sich förmlich beim "Führer der freien Welt", George W. Bush, entschuldigen für seine Unachtsamkeit, eine indische Schriftstellerin zustimmend zu zitieren, die zuvor in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen viel beachteten Artikel über den Terrorismus veröffentlicht hatte. Wickert hatte zu viel Gefallen an dem Gedanken gefunden, dass es doch eine gewisse Geistesverwandschaft zwischen Bush und Ossama bin Laden geben könnte. Im Folgenden einen Auszug aus dem FAZ-Beitrag von Arundhati Roy, worin die "Doppelgängerschaft" Bush-bin Laden begründet wird.
Wer ist Usama Bin Ladin aber wirklich? Ich möchte es anders formulieren:
Was ist Usama Bin Ladin? Er ist das amerikanische Familiengeheimnis. Er ist
der dunkle Doppelgänger des amerikanischen Präsidenten. Der brutale Zwilling
alles angeblich Schönen und Zivilisierten. Er ist aus der Rippe einer Welt
gemacht, die durch die amerikanische Außenpolitik verwüstet wurde, durch
ihre Kanonenbootdiplomatie, ihr Atomwaffenarsenal, ihre unbekümmerte
Politik der unumschränkten Vorherrschaft, ihre kühle Missachtung aller
nichtamerikanischen Menschenleben, ihre barbarischen
Militärinterventionen, ihre Unterstützung für despotische und diktatorische Regimes, ihre
wirtschaftlichen Bestrebungen, die sich gnadenlos wie ein Heuschreckenschwarm durch die Wirtschaft armer Lander gefressen haben. Ihre marodierenden Multis, die sich die Luft aneignen, die wir einatmen, die Erde, auf der wir stehen, das Wasser, das wir trinken, unsere Gedanken.
Nun, da das Familiengeheimnis gelüftet ist, werden die Zwillinge allmählich
eins und sogar austauschbar. Ihre Gewehre und Bomben, ihr Geld und ihre
Drogen haben sich eine Zeitlang im Kreis bewegt. (Die Stinger-Raketen, die
die amerikanischen Hubschrauber begrüßen werden, wurden von der CIA
geliefert. Das Heroin, das von amerikanischen Rauschgiftsüchtigen
verwendet wird, stammt aus Afghanistan. Die Regierung Bush ließ der afghanischen
Regierung unlängst 43 Millionen Dollar zur Drogenbekämpfung zukommen.) Inzwischen werden sich die beiden auch in der Sprache immer ähnlicher. Jeder bezeichnet den
anderen als "Kopf der Schlange". Beide berufen sich auf Gott und greifen
gern auf die Erlösungsrhetorik von Gut und Böse zuruck. Beide sind in
eindeutige politische Verbrechen verstrickt. Beide sind gefährlich
bewaffnet - der eine mit dem nuklearen Arsenal des obszön Mächtigen, der
andere mit der glühenden, zerstörerischen Macht des absolut
Hoffnungslosen.
Feuerball und Eispickel. Keule und Axt. Man sollte nur nicht vergessen,
dass der eine so wenig akzeptabel ist wie der andere.
Prasident Bushs Ultimatum an die Völker der Welt - "Entweder ihr seid für
uns, oder ihr seid für die Terroristen" - offenbart eine unglaubliche
Arroganz. Kein Volk will diese Wahl treffen, kein Volk braucht diese Wahl
zu treffen und keines sollte gezwungen werden, sie zu treffen.
Zitat aus Arundhati Roy: Wut ist der Schlüssel. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28. September 2001
Zitat Nr. 27: 24. September 2001
Susan Sontag
Susan Sontag (geb. 1933) ist eine bekannte Schriftstellerin und eine der prominentesten Kolumnistinnen in den USA. Bekannt wurde sie durch ihre Essaysammlung "Against Interpretation" (1966). Im letzten Jahr erschien ihr Roman "In America". Während der Terroranschläge auf das World Trade Center und auf Washington hielt sie sich in Berlin auf. Dort hat sie ihre Eindrücke in einem Artikel zusammengefasst, der am 15. September in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschien und großes Aufsehen erregte. Der Artikel wurde in der Folge in zahlreichen Zeitungen nachgedruckt (zuletzt in der Sonntagszeit der Hessischen Allgemeinen (23.09.2001).
"Lasst nicht zu, dass wir uns gemeinsam der Dummheit ergeben"
Lasst uns gemeinsam trauern. Aber lasst nicht zu, dass wir
uns gemeinsam der Dummheit ergeben. Ein Körnchen historischen
Bewusstseins könnte uns dabei helfen, das Geschehene und das Kommende zu verstehen.
"Unser Land ist stark", wird uns wieder und wieder gesagt. Ich
finde dies nicht unbedingt tröstlich. Wer könnte bezweifeln, dass
Amerika stark ist? Aber Stärke ist nicht alles, was Amerika jetzt
zeigen muß.
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