Die junge Welt berichtete am 11.08.2000 von der Fortsetzung der Prozesse gegen Personen aus der Friedensbewegung, die während des NATO-Kriegs gegen Jugoslawien zur Desertion aufgerufen haben sollen. In Berlin standen drei Angeklagte in der zweiten Instanz vor Gericht. Die Verfahren endeten mit iner Verurteilung und zwei Freisprüchen.
Als Unterzeichner eines Desertionsaufrufs in der taz waren der Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck, der Politikberater Wilfried Kerntke und Friedensforscher Volker Böge wegen Aufforderung zu einer Straftat angeklagt worden. Vor dem Amtsgericht Berlin endeten diese Prozesse mit Freisprüchen.
Die Staatsanwaltschaft aber war in Berufung gegangen und vertrat die Auffassung, daß Fahnenflucht und die Aufforderung dazu grundsätzlich strafbar seien. Die Verteidigung hatte jeweils argumentiert, das Verlassen der Truppe in einem völkerrechtswidrigen Kampfeinsatz sei keine Straftat, sondern eine Pflicht des Soldaten. Der Krieg habe gegen das Gewaltverbot der UN-Charta verstoßen. Überdies habe die NATO-Führung in der Art der Kriegsführung die Genfer Konvention verletzt.
In seinem Plädoyer wunderte sich Rechtsanwalt Wolf- Dieter Reinhard, einer der Verteidiger Kalecks, über das Vorgehen der Staatsanwaltschaft: »Die Angeklagten wollten aufrütteln mit einer Provokation. Die ist ihnen offenbar gelungen. Es ist kaum zu glauben, wie die Staatsanwaltschaft hier mit Schaum vor dem Mund alle gleichzeitig vor Gericht gezerrt hat.«
Richter Zimmer begründete die Verurteilung von Volker Böge damit, daß zwar die Befehlsverweigerung und Fahnenflucht von deutschen Soldaten im Ausland möglicherweise straffrei sei, zumindest die Fahnenflucht der Soldaten in Deutschland sei jedoch strafbar. Böge kündigte nach dem Prozeß an, gegen das Urteil in Revision zu gehen.
Richter Le Viseur vermied im Verfahren gegen Kerntke und Kaleck eine Äußerung zur Rechtmäßigkeit des Krieges. Er begründete den Freispruch der Angeklagten mit der im Grundgesetz garantierten Meinungsfreiheit. »Die Angeklagten wollten ihre politische Auffassung deutlich machen. Das muß in einer Situation, wie wir sie damals hatten, das Recht jedes Bürgers sein.« Allein: Nicht jeder Richter sieht das auch so.
Monika Krause
Aus: junge welt, 11.08.2000