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"Die dauerhafte Präsenz von NATO-Truppen ist das strategische Ziel des Einsatzes in Afghanistan"
Stellungnahmen des Bundesausschusses Friedensratschlag und des "Darmstädter Signals" zur bevorstehenden Erhöhung der Bundeswehrtruppen
Am 26. Februar 2010 wird der Deutsche Bundestag in dritter Lesung über das neue Mandat der Bundeswehr in Afghanistan diskutieren und voraussichtlich mit großer Mehrheit den entsprechenden Antrag der Bundesregierung verabschieden. Hierzu liegen zwei Erklärungen aus der Friedensbewegung vor, die wir im Folgenden dokumentieren.
Immer weiter in den Afghanistan-Krieg
Regierungskoalition und SPD-Fraktion ignorieren den Mehrheitswillen der
Bevölkerung
Aufruf an Abgeordnete: Abzug statt Truppenerhöhung!
Stellungnahme des Bundesausschusses Friedensratschlag
Kassel, Hamburg, Berlin, 25. Februar 2010 - Anlässlich der für Freitag
angesetzten Entscheidung des Bundestages über eine Aufstockung der
Bundeswehr im Afghanistankrieg erklären die Sprecher des
Bundesausschusses Friedensratschlag Lühr Henken und Peter Strutynski:
Die schwarz-gelbe Bundesregierung und die SPD erwecken den Eindruck, als
gäbe es für den Bundeswehreinsatz in Afghanistan endlich eine
Abzugsperspektive. Die "moderate" Erhöhung der Mandatsobergrenze um 850
Soldaten sei nur eine vorübergehende Maßnahme, heißt es. Die
Verdoppelung der zivilen Mittel, die Verstärkung der Polizeiausbilder
und die Formel von der "Übergabe in Verantwortung" an die afghanische
Regierung suggerieren einen "Strategiewechsel", wonach nun der Schutz
der Bevölkerung und die zivile Hilfe vor der militärischen Komponente
rangierten. In Wahrheit hält die Bundesregierung als Partner der USA
eisern am Einsatz fest, verstärkt ihn sogar noch mit einer fast
20-prozentigen Erhöhung der Truppen und verknüpft ihr militärisches
Engagement noch enger mit dem Kampfeinsatz der übrigen NATO-Truppen,
insbesondere der US-Army. So sollen z.B. rund 5.000 US-Soldaten zusammen
mit 48 Kampfhubschraubern zur Verstärkung in die Nordregion verlegt und
"unter das Kommando des von Deutschland gestellten Regionalkommandeurs
in Mazar-i-Sharif gestellt werden". Im Klartext heißt das, dass mit
einer Ausweitung der Kampftätigkeiten in den ehemals "ruhigen" Gebieten
zu rechnen ist. Das verstärkte Bundeswehrkontingent dient also nicht dem
besseren Schutz der Zivilbevölkerung, sondern dem US-amerikanischen
Modell der Aufstandsbekämpfung (counter-insurgency), das schon bisher
ebenso verlustreich (v.a. für die Zivilbevölkerung) wie erfolglos
geblieben ist.
Im Antrag der Bundesregierung, der vom Bundestag mit den Stimmen der
Koalition und der scheinoppositionellen SPD verabschiedet werden soll,
erscheint die Mandatsänderung eher harmlos und humanitär geschönt. Da
ist von deutsch-afghanischem "Partnering" die Rede und davon, dass eine
"gemeinsame Kontrolle" von Distrikten beabsichtigt sei (im NATO-Jargon
heißt das, solche Regionen seien zu "Halten", "to hold"). Verschwiegen
wird, dass die Kontrolle eines Gebiets die vorherige Säuberung von
"Aufständischen" ("to clear") zur Voraussetzung hat. Und das bedeutet
erbarmungslosen Krieg. Eine Kostprobe davon bietet uns die gegenwärtige
NATO-Offensive in der Provinz Helmand - die größte Militäroperation in
Afghanistan seit Ende 2001. Der behauptete "Schutz der Bevölkerung"
stellt sich so dar: Innerhalb von zehn Tagen töteten NATO-Bomben bereits
mehr als 50 Zivilpersonen, darunter zahlreiche Kinder. Dies schafft
neuen Hass in der afghanischen Bevölkerung gegen die Besatzer. Die
Kriegführung dient somit nicht der Schwächung des Widerstands, sondern
trägt zu deren Stärkung bei. Die Tatsache des Anwachsens des Widerstands
wiederum zieht die NATO zur Begründung für eine Verstärkung ihrer
Truppen und zum Ausbau ihrer militärischen Infrastruktur heran. Diese
Spirale kann nicht zum Abzug der NATO-Truppen und schon gar nicht zur
Beendigung des Krieges führen.
Den Bundestagsabgeordneten müsste hinreichend klar sein, was der
kriegsgegnerischen Bevölkerung hier zu Lande verschwiegen wird: Die
dauerhafte Präsenz von NATO-Truppen ist das strategische Ziel des
Einsatzes in Afghanistan. Die Lage des Landes inmitten reicher
Rohstoffvorkommen und in unmittelbarer Nachbarschaft zu den
bevölkerungsreichsten Ländern der Erde ist die geostrategische
Triebkraft von USA und NATO-Staaten für ihren völkerrechtswidrigen und
verbissenen Krieg am Hindukusch. Er wird auf dem Rücken der afghanischen
Bevölkerung und der NATO-Soldaten ausgetragen. Hunderte Milliarden
Dollars, die für den Krieg verschleudert werden, fehlen in den
Haushalten der NATO-Staaten zur Bewältigung der sozialen Folgen der
Wirtschafts- und Finanzkrise. Das Geld fehlt aber auch beim zivilen
Wiederaufbau Afghanistans.
Afghanistans Präsident Hamid Karzai versprach auf der Londoner Konferenz
Ende Januar, dass er bis 2014 die "Sicherheitsverantwortung" von der
NATO übernehmen wolle. Zugleich geht er jedoch davon aus, dass die NATO
noch in den nächsten zehn bis 15 Jahren in Afghanistan bleiben müsse.
Beide Aussagen sind unrealistisch. Unabhängige Experten sind sich darin
einig, dass-
die Ausbildung afghanischer "Sicherheitskräfte" (Militär und Polizei)
wesentlich länger dauern wird,
- ein neues Offizierskorps nicht aus dem Hut zu zaubern sein wird, und
- die Alphabetisierung (Voraussetzung für den Aufbau einer regulären
Armee) wesentlich länger dauern wird (bisher ist es doch so, dass die
Analphabetenquote seit 2001 sogar noch angestiegen ist).
Doch die Bundesregierung nimmt die Versprechen des notorischen
Wahlfälschers Karzai gern für bare Münze, suggerieren sie doch so etwas
wie eine Perspektive. Ihr eigentlicher Zweck ist die Beeinflussung der
"Heimatfront": Berlin will Zeit gewinnen und die Bevölkerungen
einlullen. Regierung und Bundestag wissen, dass die überwiegende
Mehrheit der Bevölkerung den Afghanistankrieg ablehnt. 80 Prozent der
Bevölkerung sind gegen die Erhöhung der Truppe. Aber im Bundestag werden
fast 80 Prozent der "Volksvertreter" für die Truppenerhöhung stimmen.
"Volkes Wille" bleibt wieder einmal auf der Strecke. Mit Demokratie hat
das wenig, mit globalem Machtstreben viel zu tun.
Dabei könnte sich der Bundestag ein Beispiel an anderen westlichen
Ländern nehmen. Für die Niederlande (sie ziehen ihre rund 1.600 Soldaten
ab August 2010 ab) und für Kanada (Abzug ihrer 2.800 Soldaten im
kommenden Jahr) ist der Afghanistaneinsatz ein Auslaufmodell. Japan wird
bereits im Mai d.J. die Unterstützung für den Krieg einstellen.
Die Friedensbewegung hat am vergangenen Samstag in Berlin die Ablehnung
der Bevölkerung gegen die Truppenerhöhung und den Wunsch nach
schnellstmöglichem Abzug der Bundeswehr zum Ausdruck gebracht. In
zahlreichen Gesprächen, Eingaben, Briefen und e-mails haben wir die
Abgeordneten aufgefordert, dem Mehrheitswillen der Bevölkerung Rechnung
zu tragen und dem Antrag der Bundesregierung am Freitag die Stimme zu
verweigern.
Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Lühr Henken, Hamburg/Berlin
Peter Strutynski, Kassel
Truppenabzug statt Aufstockung des Bundeswehrkontingents für den Krieg in Afghanistan!
Mehr zivile Hilfe anstelle weiterer militärischer Großoffensiven am Hindukusch!
Stralsund, 22. Februar 2010
Neun Jahre dauert nun schon der Krieg in Afghanistan. Zehntausende Afghanen und viele Tausende Soldaten der ausländischen Interventionstruppen sind dem sinnlosen Töten am Hindukusch zum Opfer gefallen. Statt Frieden, Stabilität und Wiederaufbau zum Wohle der Menschen nach Afghanistan zu bringen, verstricken sich die fremden Streitkräfte immer tiefer in einen aussichtslosen Guerillakrieg, führen eine Großoffensive nach der anderen und bringen den afghanischen Familien Tod und Verderben statt sie zu beschützen. Sehen so Demokratie und Menschenrechte, Wiederaufbau und Entwicklung nach westlichem Muster aus?
Wir, Offiziere und Unteroffiziere des Arbeitskreises DARMSTÄDTER SIGNAL, fordern die Bundesregierung und die Abgeordneten des Deutschen Bundestages auf, die offensichtlich gescheiterte Kriegspolitik in Afghanistan unverzüglich zu beenden. Schluss mit weiteren Milliarden für das Töten und Sterben am Hindukusch! Bundeswehrsoldaten sind kein Kanonenfutter für Kriege fern der Heimat! Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird am Hindukusch nicht verteidigt, sondern gefährdet!
Deshalb fordern wir die Bundesregierung und alle Abgeordneten des Bundestages auf:
-
Senden Sie keine weiteren Bundeswehrsoldaten in den Krieg nach Afghanistan!
- Folgen Sie dem Beispiel der Niederlande und Kanadas und beginnen mit dem Rückzug der deutschen Truppen – ein Rückzug der Bundeswehr ist gerade keine Selbstisolation im Bündnis.
- Legen Sie der deutschen Öffentlichkeit unverzüglich einen Plan für den schnellstmöglichen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan vor – mehr als drei Viertel der BürgerInnen unseres Landes erwarten das von Ihnen!
- Konzentrieren Sie das Engagement Deutschlands auf Aufbau und Entwicklung in Afghanistan ausschließlich mit zivilen Mitteln und setzen so ein deutliches Zeichen für gewaltfreie Konfliktlösung.
- Wirken Sie darauf hin, dass der NATO-Einsatz beendet wird und stattdessen die Vereinten Nationen – so wie in der UN-Charta vorgesehen – die Verantwortung für den Frieden und die internationale Sicherheit in der Region übernehmen.
Wer Frieden in Afghanistan will, darf dort nicht Krieg führen, sondern muss mit friedlichen Mitteln die Herzen und Köpfe der Afghanen gewinnen! Die Bundeswehr ist längst schon nicht mehr Teil der Lösung, sondern Teil des Problems in Afghanistan. Mit jedem getöteten Afghanen steigen Terror und Gewalt - deshalb Schluss mit diesem irrsinnigen Krieg am Hindukusch!
Der Vorstand
Arbeitskreis DARMSTÄDTER SIGNAL
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