Trotz Scheiterns auf der ganzen Linie: Bundesregierung setzt weiter auf Krieg!
Friedensbewegung: Truppen raus aus Afghanistan! Im Wortlaut: Eine Stellungnahme des Bundesausschusses Friedensratschlag
Im Folgenden dokumentieren wir eine Pressemitteilung aus der Friedensbewegung, die unter dem Eindruck der Bundestagsdebatte über die Verlängerung des ISAF-Einsatzes am 26. November 2009 entstand.
Trotz Scheiterns auf der ganzen Linie:
Bundesregierung setzt weiter auf Krieg!
Friedensbewegung: Truppen raus aus Afghanistan!
Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag
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Mandatserteilung jetzt - Aufstockung der Truppen später
- Die Mogelpackung von der Afghanisierung des Krieges
- Zivil-militärische Zusammenarbeit gescheitert
- Afghanistankrieg vor Kostenexplosion
- Appell der Friedensbewegung: Stimmen Sie mit Nein!
Kassel/Hamburg, 26. November 2009 - Anlässlich der 1. Lesung im
Bundestag über den Antrag der Bundesregierung, das ISAF-Mandat zu
verlängern, erklären Dr. Peter Strutynski und Lühr Henken in einer
ersten Stellungnahme vom Donnerstag:
Auch wenn im Antrag der Bundesregierung zur Verlängerung des
Bundeswehreinsatzes in Afghanistan noch keine Erhöhung der Truppenstärke
vorgesehen ist, pfeifen es die Spatzen von den Dächern, dass es dazu
nach der Londoner Afghanistankonferenz Anfang nächsten Jahres kommen
wird. Ein Mehr an NATO-Soldaten in Afghanistan ist Teil des im
Feldhandbuch des US-Heeres zur Aufstandsbekämpfung entwickelten Plans.
Danach sollen die einheimischen Sicherheitskräfte in den nächsten Jahren
vervielfacht werden. Der Plan sieht eine Aufstockung auf 400.000
afghanische Soldaten und Polizisten vor. Vor wenigen Tagen hat sich die
afghanische Regierung diesen Plan ebenfalls zu Eigen gemacht. Sie gibt
an, ihn binnen fünf Jahren umsetzen zu wollen.
Auch die Bundesregierung spricht von einer "Übergabe in Verantwortung"
an die Afghanen und nennt denselben Zeitraum. Den Bürgerinnen und
Bürgern soll weis gemacht werden, dass nach der "Machtübergabe" an die
Afghanen der Rückzug aus diesem angeblich ungeliebten Krieg erfolgen
könne. Wir sagen: Das ist eine Mogelpackung. Warum? Die afghanische
Armee, nach NATO-Angaben heute 94.000 Mann stark, ist nur zur Hälfte
einsatzfähig. Sie binnen fünf Jahren auf 240.000 Soldaten zu bringen ist
nicht möglich. Allein der Aufbau der Luftwaffe wird nicht vor 2016
erfolgen. Auch bei den Polizeizahlen herrscht Schönfärberei. Von den
82.000 Polizisten auf dem Papier sind nach Schätzungen nur 40.000 bis
60.000 vorhanden. Neuausbildung und Abgänge halten sich die Waage. Der
Aufbau auf 160.000 Polizisten wird weitaus länger benötigen als fünf
Jahre. Es zeigt sich, dass die Ankündigung, mehr Truppen schicken zu
wollen, um danach abziehen zu können, der Einstieg dafür ist, lange zu
bleiben. Dieses Vorgehen der NATO wird zu einer immensen Ausweitung des
Krieges und zu einer weiteren drastischen Verschlechterung der ohnehin
katastrophalen Lage der vom Krieg geschundenen afghanischen Bevölkerung
führen.
Die Lage der Bevölkerung hat sich seit dem Sturz der Taliban nicht
verbessert. Das Land hat die höchste Kindersterblichkeit der Welt, 43
Prozent der Mädchen unter 15 Jahren werden verheiratet. Mehr als 70
Prozent der Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Ein
Drittel der Bevölkerung leidet an Unterernährung. Die von der Regierung
so viel beschworene "zivil-militärische Kooperation" wird von den
zahlreichen regierungsunabhängigen Entwicklungsorganisationen vehement
abgelehnt. Das Leben der Entwicklungshelfer wird durch die Nähe zum
Militär faktisch gefährdet. Das Militär ist kein Teil der Lösung,
sondern das Problem. Das Dilemma ist durch mehr Militär nicht lösbar,
sondern nur durch dessen Abzug.
Im Oktober 2010 werden sich die US-Kriegskosten in Afghanistan auf 300
Milliarden Dollar summiert haben. Noch fünf weitere Jahre in Afghanistan
werden diesen Betrag sicher verdoppeln. Das ist ein sehr kostspieliges
Abenteuer. Wie naiv muss man sein, um glauben zu können, dass die USA
selbst nach erfolgter Übergabe an ihnen ergebene Afghanen das Land
verlassen. Ein Land in geostrategischer Firstclass-Lage inmitten der
rohstoffreichsten Region der Erde, in unmittelbarer Nachbarschaft zum
aufstrebenden China, Russland und dem Iran? Wir sagen, es geht in
Afghanistan nicht um Terrorbekämpfung, es geht um nackte Machtpolitik.
Die stete Militarisierung der deutschen Außenpolitik seit 1990 hat durch
den Afghanistaneinsatz eine neue Qualität erfahren. Mit der
schwarz-gelben Bundesregierung hat sie neuen Schub erhalten.
So werden von Regierungsseite neue Kriegsnormen gesetzt. Dahinter
verbirgt sich ihr Werben um die Akzeptanz von Krieg in der Bevölkerung.
Kriegseinsätze der Bundeswehr sollen laut zu Guttenberg keine Ausnahme
mehr sein, sondern zur Regel werden. Grundsätzlich geht es den
Herrschenden dabei um die militärische Vormacht in Europa in EU und NATO
und um einen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Der Afghanistankrieg ist die
Einstiegsdroge auf dieser schiefen Bahn, die nur in einem Alptraum enden
kann.
Bis vor wenigen Wochen wäre es noch undenkbar gewesen, dass ein von
einem deutschen Offizier angeordnetes Massaker, der tödlichsten
Militäroperation Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg, erst
unaufgeklärt bleibt und dann der neue CSU-Minister diese Tat unter allen
Umständen rechtfertigt - bis ein Boulevardblatt das Lügengebäude zum
Einsturz bringt. Wir sagen: Noch ist es für die Abgeordneten des
Bundestages möglich, dem Einhalt zu gebieten und dem Antrag der
Bundesregierung nicht zuzustimmen. Je früher desto besser. Dieser Krieg
ist eine Sackgasse, aus der es nur einen Ausweg gibt: Abzug der Truppen!
Bei Verlängerung des Bundeswehreinsatzes auch schon unter Beibehaltung
der Mandatsobergrenze steigen die Kosten außerordentlich. Wurden für den
jetzigen Einsatz vor 14 Monaten 688 Millionen beantragt, sind es für die
kommenden 12 Monate über 820 Millionen Euro. Die monatlichen
Durchschnittsausgaben steigen damit um fast 40 Prozent. Bei einer zu
erwartenden Erhöhung der Obergrenze wird dieser Betrag noch weiter
steigen. Angesichts der immensen Aufgaben vor allem im sozialen und
Bildungsbereich wäre dieses Geld dort besser angelegt.
Die Friedensbewegung hat in den letzten Tagen in zahlreichen Städten
Abstimmungsaktionen durchgeführt. Die Bevölkerung wurde befragt, ob sie
der Verlängerung des Bundeswehreinsatzes zustimmt oder nicht. Die
Ergebnisse - so viel kann jetzt schon gesagt werden - sind eindeutig:
Eine erdrückende Mehrheit der Abstimmenden sagt NEIN zum weiteren
Verbleib des Militärs in Afghanistan. Wir werden die Ergebnisse der
Abstimmungen kommende Woche den Bundestagsabgeordneten präsentieren und
am Tag der Abstimmung im Bundestag (3. Dezember) vor dem Reichstag
Aktionen durchführen. Damit werden wir deutlich machen: Würde der
Bundestag den Willen der Mehrheit der Bevölkerung vollstrecken, müsste
er die Bundeswehr aus Afghanistan sofort zurück holen.
Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Lühr Henken, Hamburg,
Peter Strutynski, Kassel
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