Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Wo soll die nächste Runde von Auswärtsspielen des US-Militärs stattfinden?"

Ostermarsch 2006-III: Die Reden von Bahman Nirumand, Peter Strutynski (Kassel) und Horst Schmitthenner (IG Metall)

Mit der Dokumentation der Reden zu den diesjährigen Ostermärschen wollen und können wir keine Vollständigkeit herstellen. Wir bemühen uns vielmehr aus dem großen Arsenal von uns zugänglichen Manuskripten eine Auswahl von Reden zu treffen, die zusammen genommen etwas von der Vielfalt der Argumentation und der politischen Breite der Friedensbewegung widerspiegelt.
Im Folgenden dokumentieren wir die Reden von

Weitere Ostermarsch-Reden gibt es



Bahman Nirumand* Redebeitrag für den Berliner Ostermarsch 2006 am 17. April

Meine Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,

es riecht wieder einmal nach Krieg. Dies sage ich nicht, weil ich den Teufel an die Wand malen will. Ich sage dies aus Erfahrungen der letzten Jahre, an die wir alle uns erinnern, an den Afghanistan-Krieg und den Irak-Krieg. Gab es nicht im Vorfeld dieser beiden Kriege eine ähnliche Atmosphäre, wie die, die wir seit Monaten spüren? Gab es nicht auch zu jenen Zeiten eine psychologische Kriegsführung, eine Dämonisierung des Islam? Erinnern Sie sich an die Drohkulissen und an die Lügen, die der Weltöffentlichkeit als Fakten präsentiert wurden, um Angst zu schüren und den Krieg zu legitimieren?

Jenseits der Grenzen der zivilisierten Welt herrsche Finsternis, wird uns suggeriert. Man spricht von dem Kampf der Kulturen, dem Kampf des Bösen gegen das Gute. Hier die Zivilisation, dort die Barbarei, hier die Freiheit, dort die Knechtschaft, hier der Fortschritt, dort die Stagnation.

Wer will es leugnen, daß der Westen Wunderbares hervorgebracht hat, in den Wissenschaften, den Künsten, der Literatur, der Technik. Demokratie und Menschenrechte sind eine Errungenschaft des Westens. Aber gerade diese Errungenschaften werden oft aufgegeben, sobald man die Grenzen des Abendlands verläßt. Lassen wir die Zeit des Kolonialismus beiseite, werfen wir nur einen Blick auf das vergangene Jahrhundert. Ich bin kein Glaubensfanatiker und weiß wohl, welche Verbrechen im Namen des Islam begangen wurden und werden. Allein in meinem Land Iran wurden Zehntausende im Namen des Islam hingerichtet.

Aber es waren nicht die Muslime, es war die zivilisierte Welt, die sechs Millionen Juden vergast und verbrannt, Millionen Vietnamesen mit Napalm verstümmelt und verseucht hat. Es war die zivilisierte Welt, die in Chile geputscht und Zehntausende in den Tod geschickt und in Südafrika das System der Apartheid den Einheimischen aufgezwungen hat. Es war die zivilisierte Welt, die in nahezu sämtlichen Entwicklungsländern Diktaturen errichtet und sie mit Waffen versorgt hat. Die Flüchtlingslager Sabra und Shatila sind nicht das Werk der Muslime. Es ist doch bekannt, daß Saddam Hossein, die Taliban und ähnliche Verbrecher Zöglinge des Westens waren. Waren es Muslime, die die Natur zerstört, die Umwelt verseucht haben? Zeugen diese Taten von Humanität, von geistiger, moralischer Erhabenheit, von Zivilität? Wenn man bedenkt, dass in Afrika Tag für Tag mehr Menschen an Aids sterben als bei dem Anschlag in New York und Washington, wenn man sich vor Augen führt, wie viele Kinder und Erwachsene Armut, Hunger und Seuchenkrankheiten zum Opfer fallen, wenn man weiß, daß unzählige Menschen in den Entwicklungsländern ihre gesunden Organe gegen ein Handgeld an reiche Europäer und Amerikaner verkaufen, um ihr Dasein zu fristen, dann sollte erlaubt sein, die Begriffe Zivilisation und Barbarei noch einmal anhand der Tatsachen unter die Lupe zu nehmen.

Wir hatten beim Afghanistan-Krieg keinen Zweifel, dass es sich bei den Taliban um Verbrecher handelte, das war bei Saddam Hussein nicht anders und wir haben ebenso wenig Zweifel daran, dass das herrschende Regime im Iran, dass Ahmadinedschad und seine Regierung, kein Verbrechen scheuen, um sich an der Macht zu halten und das iranische Volk zu knechten und zu unterdrücken. Und wir sind uns mit der überwiegenden Mehrheit des iranischen Volkes darin einig, dass dieses Regime lieber heute als morgen verschwinden soll. Aber wir sind ebenso dagegen, dass das Völkerrecht und internationale Rechte und Vereinbarungen gebrochen werden, dass zehntausende und hunderttausende Zivilisten getötet werden, dass ganze Länder in Ruinen verwandelt werden, dass diese Länder Jahre lang von fremden Armeen besetzt werden. Und wir sind dagegen, dass Menschenrechte eklatant verletzt werden, dass Menschen in Gefängnissen gefoltert und auf den Straßen oder aus ihren Häusern gekidnappt werden.

Wir nehmen uns das Recht zu fragen, wer Staaten wie USA das Recht gibt, über das Schicksal anderer Völker zu bestimmen, die Neuordnung ganzer Regionen zu planen und mit Gewalt durchzusetzen. Wir nehmen uns auch das Recht, festzustellen, dass es bei diesen Kriegsaktionen nicht um Demokratie geht, sondern um handfeste ökonomische, militärstrategische und politische Interessen. Der Nahe und Mittlere Osten gehören aus vielerlei Hinsicht zu den wichtigsten Regionen unserer Erde und sie müssen, meint man offenbar in Washington, unter Kontrolle gebracht werden.

Nein, liebe Freunde, was uns trennt sind nicht Ideologien, Religionen, Rassen, uns trennen die Fakten, Fakten, die demütigend, erniedrigend, entwürdigend und unzivilisiert sind. Sie machen wütend, schaffen Haß- und Rachegefühle. Sie, und nicht etwa ein vermeintlicher Kampf der Kulturen, schaffen tiefe Wunden, die bei manchen das Faß zum Überlaufen bringen. Man kann den Terrorismus nicht mit Terror und Gewalt beseitigen, auch nicht mit Arroganz und Überheblichkeit. Um die Wurzeln des Terrorismus auszurotten, muß man die Fakten ändern. Dabei darf man nicht jene Werte über Bord werfen, auf die Europa mit Recht stolz ist, Werte, die heute universal sind. Wenn wir sagen: "Die Würde des Menschen ist unantastbar", dann gilt dieser Satz nicht nur für die Europäer und Amerikaner, sondern auch für Asiaten und Afrikaner. Und wenn wir sagen, dass Folter und Menschenraub einen eklatanten Verstoß gegen Menschenrechte darstellen, dann gilt dieser Grundsatz nicht nur in den USA, sondern auch auf Kuba oder im Irak und in Afghanistan. Man kann nicht mit zweierlei Maß messen und erwarten, dass die Benachteiligten das Unrecht unwidersprochen hinnehmen. Man kann nicht für Israel das Recht auf Existenz und Sicherheit fordern und gleichzeitig Augen und Ohren schließen, wenn von der Existenz und Sicherheit Palästinas die Rede ist, wenn die israelische Siedlungspolitik das besetzte Land der Palästinenser so durchlöchert, dass ein palästinensischer Staat unmöglich gemacht wird.

Und man kann nicht auf der einen Seite mit Indien, das nicht einmal den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet hat, einen Vertrag über Lieferung von Atomtechnologie und atomaren Brennstoff abschließen und einem Land wie Israel, dass im Besitz von mehr als 200 Atombomben ist und sein Atomarsenal mit amerikanischer und europäischer Unterstützung immer weiter aufstockt, unwidersprochen die Aufrüstung gewähren lassen, und auf der anderen Seite Iran das Recht auf die Herstellung des Brennstoffs, das jedem Mitglied des Atomsperrvertrags zusteht, verweigern. Natürlich besteht der Verdacht, dass Iran den Bau der Bombe plant, natürlich würde eine Atommacht Iran die ohnehin unsichere Region noch zusätzlich gefährden. Aber man kann nicht auf bloßem Verdacht ein international anerkanntes Recht außer Kraft setzen?

Ich lehne nicht nur Atombomben, sondern auch die friedliche Nutzung der Atomenergie für Iran ab, denn erstens sind Atomreaktoren viel zu kostspielig und zweites im Erdbebengebiet Iran viel zu gefährlich. Wir haben reichlich Sonne, Wasser und Wind und könnten aus diesen Gaben der Natur unser Energiebedarf decken, wenn in zwanzig, dreißig Jahren die Öl- und Gasquellen erschöpft sein sollten.

Aber, liebe Freundinnen und Freunde, es ist ein Irrtum zu glauben, es gehe bei dem Konflikt mit Iran nur darum, die Nukleare Gefahr in der Region zu verbannen. Denn wenn es tatsächlich darum ginge, ist nicht nachvollziehbar, warum man den Vorschlag der Reformer im Iran nicht aufnimmt und die ganze Region zur atomfreien Zone erklärt? Man könnte auch zumindest den letzten russischen Vorschlag aufnehmen, der Iran erlaubt bei langfristiger Aussetzung der industriellen Urananreicherung auf niedriger Ebene Uran für die Forschung anzureichern und den atomaren Brennstoff in Russland zu produzieren. Man könnte auch fragen, warum Washington bereit ist, mit Nordkorea zu verhandeln, aber direkte Verhandlungen mit Iran ablehnt.

Die Antwort ist, weil die USA ganz andere Ziele haben als sie vorgeben. Deshalb lässt sich die Bush-Regierung auf keine Kompromisse ein, deshalb fordert Washington nun, dass der UN-Sicherheitsrat immer härtere Sanktionen gegen Iran beschließt, Sanktionen, an deren Ende möglicherweise eine militärische Intervention mit verheerenden Folgen für die gesamte Region, aber auch für Europa und USA, steht.

Doch mit Sanktionen gar mit einer militärischen Intervention erreicht man genau das Gegenteil dessen, was man als Ziel vorgibt. Statt die Demokratie zu fördern und das herrschende Regime zu isolieren, wird man die beachtlich weit entwickelte iranische Zivilgesellschaft spalten und um Jahre zurückwerfen und man wird radikalen und Fundamentalisten vom Schlage Ahmadinedschads und anderen terroristischen Gruppen den besten Dienst erweisen, weil sie noch mehr Hass und Rache schüren und dadurch ihre Basis stabilisieren und erweitern können.

Die EU-Staaten sind den Amerikanern auf den Leim gegangen, indem sie Maximalforderungen an Iran gestellt haben, Forderungen, die das Regime in Teheran ohne Machtverlust nicht hätte erfüllen können. So haben sie die Chance, der Eskalationsstrategie der USA eine Friedenspolitik entgegen zu setzen, verpasst. Seit September vergangenen Jahres sitzen sie mit den Amerikanern im gleichen Boot. Washington will dieses Mal keinen Alleingang wagen, die NATO soll die Drecksarbeit richten. Genau das, liebe Freundinnen und Freunde muss verhindert werden.

Wir müssen auf die Regierungen in Europa Druck ausüben, damit sie möglichen Kriegsplänen eine eindeutige Absage erteilen und wieder zu einer Politik des Friedens zurückkehren. Eine kluge Politik, die Frieden will und gleichzeitig im Iran Demokratie anstrebt, kann nur eine Politik sein, die nicht das iranische Volk, sondern das Regime isoliert. Hätte man den Druck, den man in den letzten drei Jahren wegen des Atomkonflikts auf Iran ausübte, gegen Missachtung der Menschenrechte, gegen Unterdrückung der Frauen, gegen die Rigorose Zensur der Presse und der freien Meinungsäußerung, gegen Unterdrückung der Werktätigen und ethnischen und religiösen Minderheiten und schließlich gegen Misshandlung der Regimekritiker in den Gefängnissen eingesetzt, wäre die iranische Zivilgesellschaft wesentlich weiter als heute. Krieg, liebe Freunde bringt keine Lösung. Deshalb sollte jeder, der Frieden und Demokratie will, laut rufen: "Kein neuer Krieg in der Golfregion, kein Krieg gegen Iran."

* Bahman Nirumand ist Autor zahlreicher Bücher und freier Journalist.


Peter Strutynski*

Ostermarsch Colbitz (Colbitz-Letzlinger Heide) am 16. April 2006

Liebe Friedenfreundinnen und Friedensfreunde!

Die Welt scheint sich auf einen weiteren Krieg hin zu bewegen – und die Öffentlichkeit schaut mehr oder weniger uninteressiert zu. Das ist der beunruhigendste Befund, mit dem wir uns bei den diesjährigen Ostermärschen auseinandersetzen müssen. Beunruhigend, weil er uns auch wieder darauf hinweist, wie vergesslich die Menschen sind, wie schnell sie doch bereit sind, sich an Kriegsdrohungen, Intervention und Krieg zu gewöhnen. Und: wie unkritisch sie interessengeleiteten Nachrichten aus dunklen Geheimdienstquellen Glauben schenken.

Ich werde also zunächst vom drohenden Krieg gegen Iran sprechen. Worum geht es dabei?

Im Grunde genommen ist eigentlich alles ganz einfach. Der Iran tut das, was viele andere Staaten schon längst tun: Er will in größerem Umfang in das Atomgeschäft einsteigen und sich dabei nicht damit begnügen, Material hierfür aus dem Ausland zu beziehen, sondern die eigenen Ressourcen zu nutzen. Die eigenen Ressourcen nutzen heißt:
  • das im Iran vorhandene Uran zu fördern,
  • die eigene technische Intelligenz des Landes, Wissenschaftler und Ingenieure mit anspruchsvollen Aufgaben zu beschäftigen,
  • den nuklearen Brennstoffkreislauf von A bis W, von der Anreicherung des Urans bis zur Wiederaufbereitungstechnologie zu schließen.
Viele entwickelte Länder tun das – nicht nur die offiziellen und nicht offiziellen Atomwaffenstaaten, sondern auch jene, die nicht selbst über Atomwaffen verfügen, z.B. die Bundesrepublik Deutschland.

Nun gehört der Iran aber – und das ist der andere Teil der Geschichte – zu den Staaten, die in den Augen der US-Administration zu den Schurkenstaaten dieser Welt zählen.

Davon gibt es zur Zeit etwa eine Handvoll: Neben dem Iran ist das Nordkorea – mit dem man aber sehr behutsam umgeht, seit das Land selbst über Atomwaffen verfügt -, der Sudan, Simbabwe, Venezuela und natürlich die Altlast Kuba. Und besäße Palästina schon eine eigene Staatlichkeit, so gehörte dieses Land spätestens seit dem Wahlsieg von Hamas ebenfalls zum exklusiven Klub der Schurkenstaaten, der „Achse des Bösen“, wie George Bush vor vier Jahren formulierte.

Eines wird bei der Aufzählung dieser Staaten schon deutlich: Es handelt sich keineswegs nur um islamische Regime, die den Gottesstaat auf ihrem Territorium errichtet haben und in denen das religiösen Recht der Scharia herrscht.

In vier der sieben genannten Schurkenstaaten sind weltliche Regime an der Macht und deren Bevölkerungen sind mehrheitlich christlich oder atheistisch. Einen Kampf der Kulturen in den gegenwärtigen Konflikten dieser Welt zu diagnostizieren, ist also nicht nur weit hergeholt, sondern verdeckt die wahren Beweggründe für die kriegerische Haltung der westlichen Supermacht und ihrer Gefolgschaft.

Die wahren Beweggründe sind sehr profan: Es geht um wirtschaftliche Macht, Sicherung von Energiequellen und um den Erhalt geostrategischer Positionen, die im globalen Kampf um Märkte, Standorte und Renditen Vorteile gegenüber den Hauptkonkurrenten garantieren sollen. Es geht im wesentlichen um die Absicherung des westlichen Modells der Globalisierung.

Thomas Barnett, Berater des Pentagon und Professor am US Naval War College in Newport, Rhode Island, hat das in einem grundlegenden Strategiepapier beschrieben. Titel: "Die neue Weltkarte des Pentagon". Darin teilt er die Welt in zwei Teile: die vollständig globalisierte und integrierte erste Welt oder, wie er es nennt, den "Kern", zu dem alle industrialisierten Länder des Westens und des Nordens zählen, und in den großen Rest der mit der Globalisierung noch nicht verbundenen bzw. von den Segnungen der Globalisierung noch erfassten Länder. Er nennt diesen Teil der Welt die "Lücke". Dazu zählen folgende Weltregionen: die Karibischen Inseln, fast ganz Afrika, der Balkan, der Kaukasus, Zentralasien, der Nahe Osten (ausgenommen Israel, das selbstverständlich zum "Kern" gehört), große Teile Südwestasiens.

Sie alle sind im Visier Washingtons. Thomas Barnett redet nicht darum herum, sonder sagt ganz offen:
"Verliert ein Land gegen die Globalisierung oder weist es viele der Globalisierungsfortschritte zurück, besteht eine ungleich größere Chance, dass die Vereinigten Staaten irgendwann Truppen dorthin entsenden werden."
Und an anderer Stelle seines Papiers fragt er im Stil eines Sportreporters:
"Wo also soll die nächste Runde von Auswärtsspielen des US-Militärs stattfinden? Das Muster, das sich nach dem Ende des Kalten Krieges herausgeschält hat, legt eine einfache Antwort nahe: in der Lücke."

In der Lücke lag auch der Irak, bis er im Krieg vor drei Jahren in die Globalisierung hinein gebombt wurde. In der Lücke liegt heute der Iran. Und er ist sogar im echten Wortsinn der Lückenschluss, den die USA auf ihrem Weg bis an die Grenze des künftigen Hauptrivalen China brauchen. Den Irak haben sie (wenn sie ihn denn haben), Pakistan ist ein enger Verbündeter der USA (da spielt der Islam für die USA ebenso wenig eine Rolle wie beim Verbündeten Saudi-Arabien), und Afghanistan fiel nicht ganz zufällig schon vor fünf Jahren in die Hände der USA.

Im Augenblick erleben wir, dass die Kriegsvorbereitungen gegen den Iran nach einem ähnlichen Drehbuch ablaufen, wie wir es schon vom Irak her kennen. Waren es damals die Massenvernichtungswaffen, über die der Irak angeblich verfügte, so ist es heute der Griff des Iran nach atomaren Massenvernichtungswaffen. War es damals zusätzlich die unbefriedigende Menschenrechtslage im Irak, so spielt auch dieser Gesichtspunkt in der Iran-Kriegsrhetorik eine Rolle. Damals wie heute geht es um einen "Regimewechsel". Das ist das Schlagwort, das zur Zeit Karriere macht.

Einen Regimewechsel, das heißt das Ersetzen einer wie auch immer legitimierten, in der Regel aber legalen Regierung von außen ist selbstverständlich mit dem geltenden Völkerrecht genauso wenig vereinbar wie ein Angriffskrieg. Art. 2 der UN-Charta garantiert sowohl die territoriale Integrität jedes Mitgliedstaats als auch ihre politische Unabhängigkeit. Nach Art. 2 Ziff. 7 ist die Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates verboten.

Verstöße dagegen sind dennoch zahlreich und gehören sogar zum Alltag in den Beziehungen zwischen den Staaten. Das war während des Kalten Kriegs übrigens nicht anders. Die Schlagwörter dabei sind "Infiltration", "Subversion", "Wandel durch Annäherung", wenn wir den Blick auf die Politik des Westens richten; "internationale Solidarität", "Klassenkampf", "Systemkonkurrenz", wenn wir an die Versuche des Ostens denken, das Kräfteverhältnis im Weltmaßstab zugunsten des Sozialismus zu verändern. Und jede wirtschafts- und handelspolitische Maßnahme, jedes bilaterale Gemeinschaftsprojekt - dabei muss es nicht immer um Pipelines gehen –, jedes Kulturabkommen oder jeder andere Vertrag, der zwischen Staaten abgeschlossen wird, jedes Interview, das ein Botschafter der Zeitung seines Gastlandes gibt, kurz: alles, was Auswirkungen auch auf die innere Situation eines derart bedachten Landes hat, ist eine Art Einmischung in seine inneren Angelegenheiten.

Die Frage ist nur, ob diese Einmischung gegen den Willen des betroffenen Landes geschieht oder mit dessen Einwilligung. Die Grenzen sind hier zweifellos fließend.

Das Konzept der Souveränität ist so alt wie das moderne Staatensystem und hat seine Wurzeln im Westfälischen Frieden von 1648. Grund genug für die US-Administration es auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen. US-Außenministerin Condoleezza Rice hat das in einer programmatischen Rede an der Georgetown Universität im Januar 2006 getan. Sie argumentierte, dass man bisher davon ausgegangen sei, "dass jeder Staat die von seinem Inneren ausgehenden Bedrohungen selbst kontrollieren und lenken kann. Es wurde auch angenommen", sagte sie, "dass schwache und schlecht regierte Staaten lediglich eine Last für ihre eigenen Bürger darstellten, ein internationales humanitäres Problem, aber nie eine wirkliche Bedrohung für die Sicherheit." Und sie fährt fort: "Heute sind diese alten Annahmen nicht mehr gültig."

Wie begründet sie diese Annahme? Nun, mit dem heute so weit verbreiteten und wohlfeilen Hinweis auf die Globalisierung. Die meisten Bedrohungen kämen heute nicht mehr aus den Beziehungen zwischen den Staaten, sondern entstehen "eher innerhalb von Staaten".
"In dieser Welt ist es nicht mehr möglich, zwischen unseren Sicherheitsinteressen, unseren Entwicklungsbestrebungen und unseren demokratischen Idealen klare und eindeutige Trennlinien zu ziehen. Die amerikanische Diplomatie muss alle diese Ziele als Ganzes betrachten und zusammen fördern."

Was dabei heraus kommt, ist in den Worten der US-Chefdiplomaten die "transformational diplomacy", die "umgestaltende Diplomatie". Deren Aufgabe fasst sie folgendermaßen zusammen:
"Zusammenarbeit mit unseren zahlreichen internationalen Partnern, um demokratische Staaten mit einer guten Regierungsführung aufzubauen und zu erhalten, die auf die Bedürfnisse ihrer Bürger reagieren und sich innerhalb des internationalen Systems verantwortlich verhalten."

Es braucht hier nicht erwähnt zu werden, dass natürlich die USA selbst bestimmen, wann sich eine fremde Regierung "verantwortlich verhält" und wann nicht. US-Präsident George Bush hat bei seiner zweiten Antrittsrede die globale Strategie der USA so beschrieben:
"Es ist die politische Strategie der Vereinigten Staaten, demokratische Bewegungen und Institutionen in jedem Land und jeder Kultur zu suchen und ihre Entwicklung zu unterstützen, um letztendlich die Tyrannei auf der Welt zu beenden." (Bush 2005)

Nun werden Sie sagen: Na gut, so ist es. So haben sich die USA gegenüber vielen Staaten in ihrem Hinterhof seit über 100 Jahren verhalten. So haben sie in Chile und Nicaragua gehandelt, und so machen sie es in Afghanistan, Irak und demnächst vielleicht im Iran und in Syrien. Und, auch das wissen wir, dabei ging es ihnen mitnichten um die Beendigung der Tyrannei, sondern um die Beseitigung demokratisch gewählter Regierungen oder einfach unbotmäßiger Regime.

Noch nie aber sind dem diplomatischen Korps so unverhohlen und coram publico exakte Anweisungen gegeben worden, wie sie sich bei ihrer „ehrgeizigen Mission“, der Welt Freiheit und Demokratie zu bringen, zu verhalten haben. Und zwar auch außerhalb ihrer Botschaften. "Wir werden", sagt Frau Rice, "Kontakte mit Privatpersonen in neu entstehenden regionalen Zentren aufbauen müssen und nicht nur mit Regierungsvertretern in den Hauptstädten." Und sie verrät im nächsten Satz sogar, wo dies sein wird: "Wir müssen eine Rekordzahl von Menschen in schwierigen Sprachen wie Arabisch, Chinesisch, Farsi, und Urdu ausbilden."
Hätte Condoleezza Rice auch "Französisch" gesagt, können wir sicher sein, dass Chirac seine Atomwaffen scharf gemacht hätte.

Wirklich beunruhigend sind solche Konzepte, weil ihnen die reale Politik und weil ihnen reale Truppen folgen.

Beunruhigend ist aber noch etwas anderes: Dass solche Konzepte der umgestaltenden Diplomatie oder der Entsouveränisierung von Staaten oder die Möglichkeit von „Präventivkriegen“ mittlerweile Resonanz und teilweise Akzeptanz in internationalen Institutionen, nicht zuletzt auch in Kreisen der Europäischen Union und der Vereinten Nationen finden. Die am letzten Montag von den EU-Außenministern gegen Weißrussland verhängten Sanktionen sind die europäische Variante einer Drohpolitik gegen souveräne, aber missliebige Staaten. Wenn solche Beispiele Schule machen, können wir die UN-Charta und das moderne Völkerrecht tatsächlich auf den Müll werfen. Man muss sich nur über die Konsequenzen klar sein: Das internationale Recht wird zu einer politischen Waffe. Es verliert seine Gültigkeit dort, wo die Interessen der mächtigsten Staaten tangiert sind. Am Ende stünde wieder das atavistische Recht des Stärkeren.

Liebe Friedensfreundinnen und –freunde,
welche Wirkungen die Ausschaltung des Völkerrechts haben kann, haben wir am Irakkrieg gesehen. Drei Jahre nach Beginn des Krieges fällt die Bilanz verheerend aus. Der irakische Schriftsteller Najem Wali, der sich noch am 9. April 2003 über den inszenierten Sturz des Denkmal von Saddam Hussein in Bagdad freute, kommt heute zu einer Lagebeschreibung, wie sie düsterer gar nicht sein kann. Und ich füge hinzu: Wie sie selbst von den engagiertesten Kriegsgegnern und Friedensaktivisten nicht vorhergesagt worden sind. "Alles mögliche habe ich herbeigesehnt, nur nicht dieses Elend", schreibt Wali in einem Zeitungsbeitrag vor drei Tagen. (FR, 13./14. April 2006.) "Invasoren", "Kriegsgewinnler" und "religiöse Extremisten" haben sein Land zerstört. Wali schreibt:
"Die amerikanischen und britischen Soldaten waren seinerzeit unter dem Vorwand einmarschiert, sie brächten die Demokratie und, wichtiger noch, suchten nach Massenvernichtungswaffen. Nichts davon ist ihnen gelungen. Im Gegenteil, sie verbreiten stattdessen selbst Massenvernichtungswaffen."

Und weiter heißt es in seinem bitteren Bericht:
"Die USA haben Irak zum Hauptschauplatz ihres Krieges gegen ihre erbitterten Feinde, die Al Qaida und Iran, erhoben, und gehen dabei über die Leichen der Iraker. Hinzu kommt ein Macht-Vakuum an der Spitze des Staates. Ein Clan von Politikern ohne klares Programm und ohne Visionen lässt es sich in der Grünen Zone wohl ergehen und schaut tatenlos zu, wie der Rest des Landes Wegelagerern, Milizen und anderen Verbrechern anheim fällt, die gnadenlos ihr vorgeblich konfessionell oder ethnisch motiviertes Unwesen treiben."

Und noch ein Zitat: "Die irakischen Politiker sind nicht an der Macht, um ein bestimmtes Programm umzusetzen, sondern um sich so schnell wie möglich zu bereichern. Ja, die irakische Bevölkerung muss heute sogar mehrere Machthaber erdulden: Zunächst einmal die Besatzungsmacht, die ihre eigenen Ziele und Pläne verfolgt, die vom Weißen Haus und vom Pentagon vorgegeben werden; dann die gewählte Übergangsregierung, die wohl noch eine Weile lang auf der Jagd nach rascher fetter Beute ihre Zerstörungsarbeit vorübergehend fortsetzen wird."

Zur gleichen Zeit spricht US-Präsident Bush in zahlreichen Reden, die er anlässlich des dritten Jahrestags des Kriegs gegen Irak gehalten hat und noch hält, von den unübersehbaren Fortschritten, die der Irak auf dem Weg zu Demokratie und Wohlstand, zu Frieden und Stabilität vorzuweisen habe. Zweckpropaganda, die davon ablenken soll, dass der Krieg so gründlich gescheitert ist, dass heute sogar hochrangige US-Militärs aus Protest ihren Dienst quittieren und die Entlassung des US-Verteidigungsministers Rumsfeld fordern. Z.B. John Bastite, der drei Jahrzehnte Soldat war und vor einem Jahr zum Drei-Sterne-General befördert werden sollte. Bastite schlug die Beförderung genauso aus wie den Posten eines stellvertretenden US-Kommandeurs im Irak – und verließ stattdessen die Armee.

Ein anderer hochdekorierter General, Anthony Zinni, ehemals Befehlshaber des US-Zentralkommandos, kündigte Rumsfeld seine Gefolgschaft auf und hält mittlerweile auch den Befehl zum Angriff auf den Irak für falsch.

Die "Meuterei der Generäle" – so titelte die Süddeutsche Zeitung gestern – deutet nach Ansicht von Insidern darauf hin, dass die Stimmung unter den noch aktiven Offizieren in den Militärstäben kaum anders aussieht. US-Präsident Bush sah sich jedenfalls genötigt, seinen in die Schusslinie gekommenen Verteidigungsminister in Schutz zu nehmen. (SZ, 15. April 2006)

Nun: Vielleicht sollte Bush selbst in Deckung gehen. Denn die Kritik der Militärs zielt über Rumsfeld hinaus auf ihn selbst. Die Mehrheit der US-Bevölkerung steht nicht mehr hinter ihrem Präsidenten und seinem Irakkrieg. Und laut einer vor kurzem veröffentlichten Umfrage wollen zwei Drittel der US-Soldaten den Rückzug aus dem Irak noch in diesem Jahr.

Das ist die richtige Antwort auf den Krieg: Beendet ihn! Dafür kann es nie zu spät sein.

Und all jenen, die dann den Bürgerkrieg im Irak und das Auseinanderfallen dieses Staates befürchten, sei gesagt: Der Bürgerkrieg und das Chaos sind bereits im Land, und jeder Tag, den das Besatzungsregime länger im Land bleibt, bedeutet noch mehr Chaos, noch mehr Tote, noch mehr Gewalt und noch mehr Destabilisierung der Region.

Was Krieg und Besatzung im Irak, was die fortdauernden und sich verschärfenden Kriegsdrohungen gegen Iran bereits heute für verheerende Folgen auf die ganze Nahostregion haben, sehen wir an der Entwicklung im israelisch-palästinensischen Konflikt. Die Palästinenser haben die Demokratisierungsphrasen der westlichen Welt wohl zu ernst genommen und bei der Parlamentswahl ein weitgehend korruptes Regime der Fatah abgewählt und eine in ihren Augen integre und konsequente Vertretung ihrer Interessen namens Hamas in die Regierung gewählt. So war das aber nicht gemeint mit der Demokratie. Wählen ja, aber ihr müsst die richtigen wählen, lautet nun die Botschaft aus dem Westen. Und unter maßgeblichem Einfluss Berlins sperrt die EU-Kommission der palästinensischen Autonomiebehörde die Hilfsgelder.

Wer glaubt damit ein Ende der Gewalt im Nahostkonflikt herbeizuführen, hat von dem Konflikt und seiner Dynamik nichts begriffen. Und wer lediglich den Terror von Hamas verurteilt und nicht das Gewaltregime und die seit Jahrzehnten völkerrechtswidrige Siedlungs- und Besatzungspolitik Israels anprangert, macht sich schuldig an der nicht endenden Gewaltspirale.

Gush Shalom, eine der wichtigsten Gruppierungen der israelischen Friedensbewegung, hat vor wenigen Tagen einen dramatischen Appell an die EU gerichtet, dem ich nur zustimmen kann. Es heißt dort:
"Gewiss müssen sie (die Hamas-Vertreter) das Existenzrecht Israels anerkennen – genau wie Israel das Existenzrecht eines Staates Palästina anerkennen muss. Aber solch eine Anerkennun wird mit den Verhandlungen kommen – und nicht umgekehrt.
Gewiss müssen sie mit der Gewalt aufhören – genau wie es Israel tun muss. Aber selbst in diesem Stadium kann ein verlängerter Waffenstillstand erreicht werden.
Gewiss müssen sie die Zwei-Staaten-Lösung akzeptieren – genau so auch Israel. Ihre Führer haben schon angedeutet, dass sie dafür bereit sind – und dies muss durch Verhandlungen auf die Probe gestellt werden."

Die EU wird aufgefordert, mit der Hamas-Regierung zu reden, sie nicht zu isolieren.

Desgleichen müssen wir unsere, die deutsche Regierung auffordern:
  • Beteiligen Sie sich nicht an der weiteren Isolierung und Dämonisierung der Palästinenserregierung!
  • Fordern Sie Israel auf, den Siedlungsbau zu beenden und sich aus den besetzten Gebieten zurückzuziehen.
  • Fordern Sie beide Seiten auf, sich gegenseitig anzuerkennen und in ernsthafte Verhandlungen über die Gründung eines palästinensischen Staates einzutreten.
Das wäre ein echter Beitrag zu einem Frieden im Nahen Osten.

Was wir brauchen, im Nahen Osten wie gegenüber dem Iran, im Kongo wie gegenüber Sudan, in Zentralasien wie gegenüber Weißrussland, in Lateinamerika wie gegenüber Kuba oder Venezuela, ist eine Politik, die nicht auf Drohungen und militärische Stärke setzt, sondern auf Diplomatie, wirtschaftliche und kulturelle Kooperation. Eine Politik, die zur eigenen Sicherheit auch die Sicherheit des anderen im Auge hat. Eine Politik, die nicht im Freund-Feind-Schema alter Zeiten versinkt und darin umkommen wird, sondern die von gleichberechtigten Partnern ausgeht.

So wollten es die Vereinten Nationen bei ihrer Gründung vor 61 Jahren. Und es gibt kein anderes Mittel, für den Frieden in der Welt zu arbeiten, als auf den Krieg als Mittel der Politik für alle Zeiten zu verzichten.

* Peter Strutynski, Mitarbeiter in der AG Friedensforschung an der Uni Kassel; Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag


Horst Schmitthenner*

Rede auf dem Ostermarsch in Frankfurt am 17. April 2006

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde!

Wir hätten die Hunderten von Toten im Irak in den letzten Wochen nicht gebraucht um zu wissen: mit militärischen Mitteln ist Terrorismus nicht zu besiegen.

Wir hätten die geschändeten Leichen nicht gebraucht, nicht das zunehmende Hungern der irakischen Bevölkerung und auch nicht die schrecklichen Selbstmordanschläge um zu wissen: mit Krieg ist kein Frieden zu schaffen.

Kriege lösen keine Probleme. Sie sind vielmehr Grund für die sich steigernde Gewalt in der Welt.

Die USA interessiert das aber nicht. Trotz der Erfahrungen im Irakkrieg scheinen sie entschlossen auch gegen den Iran einen Luftangriff zu führen.

Wir lehnen mit aller Entschiedenheit auch diesen zu befürchteten Krieg ab.

Wir glauben, dass die USA nicht nur die iranische Atompolitik vor Augen haben. Ihre Interessen gehen weiter. Sie wollen den Iran zu einer unbedeutenden Macht zurückbomben um die eigene Vormachtstellung im mittleren Osten weiter auszubauen.

Sie wollen Chaos für die Bevölkerung stiften um das islamische Regime durch ein US freundliches zu ersetzen. Und sie wollen sich die Kontrolle über die Erdölreserven herbeibomben, weil sie wissen, dass dem Kapitalismus langsam aber sicher der überlebenswichtige Treibstoff ausgeht.

Nicht mit uns.

Selbst wenn Teheran Atomwaffen anstrebt, die wir natürlich ablehnen, könnte der Iran auf absehbare Zeit niemand mit Atomwaffen bedrohen.

Wir wollen, dass die Zeit für eine friedliche Lösung durch ernsthafte Verhandlungen genutzt wird.

Wir wollen, eine atomwaffenfreie Zone im Nahen Osten und eine Nichtangriffsgarantie für den Iran durch Israel und die USA.

Liebe Friedensfreundinnen und Friedenfreunde!

Ebenso leidenschaftlich wehren wir uns gegen einen Einsatz einer EU-Eingreiftruppe unter militärischer Führung Deutschlands im Kongo. Es ist abenteuerlich zu glauben, dass man mit einem 4-Wochen-Einsatz zur Sicherung der Wahlen in diesem vom Bürgerkrieg verwüsteten Land etwas für die Befriedung tun könnte. Im Gegenteil: Das Feuer wird weiter angefacht.

Aber vielleicht geht es auch hier um andere Interessen.
So hat vor wenigen Wochen Verteidigungsminister Jung gesagt, es ginge auch darum künftige Flüchtlingsströme aus dem Kongo nach Europa und Deutschland zu verhindern.
Und von der Hand zu weisen ist auch nicht, dass die Bundeswehr praktisch ausprobieren will, wie weit ihre Umrüstung zu einer Eingreiftruppe gediehen und wie tauglich das militärische Konzept ist.
Schluss damit.
Wir wollen nicht, dass sich die EU unter Deutschlands Führung im Kongo militärisch engagiert.

Wir wollen stattdessen von der Bundesregierung:
  • mehr Anstrengungen und Mittel für eine effektive ðEntwicklungspolitik
  • eine Initiative für eine nachhaltige Entschuldung des ðLandes und
  • schärfere Kontrollen der Waffenausfuhren.
Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde!

Wir bleiben dabei: Frieden schaffen ohne Waffen ist die richtige Linie.

Bekämpft werden müssen nicht die Völker, bekämpft werden muss die soziale Ungerechtigkeit in der Welt.
Notwendig ist und bleibt eine Politik, die die soziale Spaltung aufhebt und damit militärische Aggressionen vermeidet.
Wer den Terror mörderischer Attentate bekämpfen will, muss den Terror der Ökonomie bekämpfen.

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde!

Doch anstatt sich die verheerende Auswirkungen der Kriege einzugestehen und angesichts der Erfolglosigkeit militärischer Aktionen Schluss damit zu machen, wird von der Politik weiter aufgerüstet. Die Militärausgaben in der Bundesrepublik, die jetzt schon bei 25 Mrd. jährlich liegen, werden aufgestockt. Ab dem Jahr 2007 wird der Militäretat um 300 Mio. jährlich erhöht.

Ein Skandal ist das angesichts der Zumutungen für die Bevölkerung durch die Streichungen und Zuzahlungen in den sozialen Sicherungssystemen.

Schon die vergangenen Kriege haben Volkswirtschaften in den Ruin getrieben. Jeder Marschflugkörper zum Stückpreis von einer Million Dollar entfernt uns ein Stück weiter von der Erfüllung notwendiger gesellschaftlicher Aufgaben.

Während das Geld für Militär zum Fenster rausgeworfen wird, bleibt die soziale Gerechtigkeit nicht nur in den so genannten Entwicklungsländern, sondern auch bei uns auf der Strecke.

Weil wir uns Soziales nicht mehr leisten könnten, müssen Arbeitslose nach 12 Monaten mit 325 Arbeitslosengeld II auskommen, teilweise mit dem Rauswurf aus ihren Wohnungen rechnen und Arbeit zu jedem Preis annehmen. Andernfalls wird ihnen die Leistung entzogen.

Und obwohl es immer mehr zu verteilen gibt, hat die Armut zugenommen und die Reichen sind noch reicher geworden. Nach dem Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung ist der Anteil der Armen an der Bevölkerung in den letzten 7 Jahren von 12 auf 13,5 % gestiegen. Eines von 5 Kindern wächst heute in Armut auf. Zudem sind ganze Leistungspakete der gesetzlichen Krankenversicherung gestrichen worden.

Und die Einschnitte in die gesetzliche Rentenversicherung führen nicht nur zum Abhängen der jetzigen Rentnergeneration von der allgemeinen Einkommensentwicklung. In 25 Jahren wird das Bruttorentenniveau nur noch 39 % des durchschnittlichen Bruttoeinkommens betragen und das nach 45 Versicherungsjahren und Beiträgen aus Verdiensten, die dem Durchschnittseinkommen entsprechen.

Dadurch wird nicht nur die Spaltung der Gesellschaft vergrößert. Denn immer weniger können sich leisten die Lücken durch private Altersvorsorge zu schließen. Es führt auch dazu, die Altersarmut in Deutschland massiv zu erhöhen.

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde!

Wir müssen für einen Politikwechsel kämpfen. Es muss Schluss sein mit einer nationalen und internationalen Politik, die der neoliberalen Theorie folgt, wonach soziale Mindeststandards und soziale Gerechtigkeit die wirtschaftliche Entwicklung behindern.

Das Gegenteil ist der Fall: Ein funktionierender und ausgleichender Sozialstaat, eine ausgebaute Infrastruktur und eine möglichst gleichmäßige Einkommensverteilung sind Voraussetzung für sozialen Frieden, hohe Beschäftigung und befriedigendes Wachstum.

Diesen Zielen dient die Forderung der IG Metall nach 5 % mehr Lohn- und Gehalt. Damit trägt die IG Metall den Erwartungen der Beschäftigten und ihrer Mitglieder Rechnung. Sie will zugleich die Schieflage in der Entwicklung der Gewinne und der Einkommen der abhängig Beschäftigten korrigieren und einen Beitrag zur Verbesserung der Binnennachfrage und zum Aufbau von Beschäftigung leisten. Und schließlich will sie damit die Finanzen der sozialen Sicherungssysteme verbessern. Schon ein Prozent Lohnerhöhung in allen Branchen führt zu 460 Millionen Mehreinnahmen bei der Arbeitslosenversicherung und zu 1,38 Milliarden bei der Rentenversicherung.

Neben den positiven Wirkungen für die Einnahmen der sozialen Sicherungssysteme führen höhere Bruttoeinkommen der Beschäftigten auch zu höheren Bemessungsgrundlagen und damit zu höheren Einkommen bei Rentnerinnen und Rentnern, bei Arbeitslosen und Kranken. Und das will die IG Metall. Sie hat eben nicht nur die Interessen ihrer Mitglieder im Auge. Sie handelt als gesellschaftliche Kraft.

Grund genug für die Friedensbewegung, die Sozialverbände und die anderen sozialen Initiativen die IG Metall in diesem gesellschaftlichen Konflikt aktiv und massiv zu unterstützen.

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde!

Hinter der Politik der Bundesregierung, die kurzgefasst heißt: Bei der Rüstung sind sie fix, für den Sozialstaat tun sie nix, stehen Interessen. Deutschland soll nicht weiterhin ein ökonomischer Riese in der Welt und ein militärischer Zwerg sein. Deutschland soll auch militärisch mit entscheiden, was in der Welt zu geschehen hat.
Darum wird die Bundeswehr, wie die Nato auch, umgebaut. Weg von einer Armee zur ausschließlichen Landesverteidigung, wie es das Grundgesetz einschränkend und zwingend vorschreibt. Hin zu einer Interventionsarmee, die überall in der Welt eingreifen kann und soll.
Es geht um deutsche Interessen in der Welt, die auch militärisch durchgesetzt werden sollen.

Darum heißt es in den für die Ausrichtung der Bundeswehr verbindlichen "Verteidigungspolitischen Richtlinien":
künftig ließen sich die Einsätze der Bundeswehr "...weder hinsichtlich ihrer Intensität noch geografisch eingrenzen" und an anderer Stelle: "Um seine Interessen und seinen internationalen Einfluss zu wahren ... stellt Deutschland ... Streitkräfte bereit."

Und wem das als Beleg für die Zielsetzung ökonomische und politische Interessen auch militärisch durchzusetzen noch nicht reicht, der wird in der übergeordneten Militärdoktrin der europäischen Union fündig, die Gültigkeit für die nationalen Mitgliedsstaaten hat.
Dort heißt es:
"Die Energieabhängigkeit gibt Europa in besonderem Maße Anlass zur Besorgnis. Europa ist der größte Erdöl- und Erdgasimporteur der Welt. Unser derzeitiger Energieverbrauch wird zu 50 % durch Einfuhren gedeckt. Im Jahr 2030 wird dieser Anteil 70 % erreicht haben. Die Energieeinfuhren stammen zu größten Teil aus der Golfregion, aus Russland und Nordafrika."

Folgerichtig verlangt die Militärdoktrin "mehr Mittel für die Verteidigung", um den Aufbau flexibler mobiler Truppen zu finanzieren, die zu "Kampfeinsätzen im Rahmen der Krisenbewältigung einschließlich Frieden schaffender Maßnahmen" (Artikel III-210) eingesetzt werden sollen.

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde!

Das ist nicht unsere Politik.

Wir wollen etwas anderes, um Frieden in der Welt zu schaffen.
Wir wollen Abrüstung statt Aufrüstung.
Wir wollen Abrüstung statt Sozialabbau.
Wir wollen den Sozialstaat erhalten und eine gerechte und solidarische Gesellschaft dauerhaft gestalten.

Wir verlangen eine grundsätzliche Abkehr von der sich ausbreitenden internationalen Kriegspolitik, mit der die Mächtigen versuchen, ihre Interessen mit militärischen Mitteln durchzusetzen.

Wir wollen eine friedliche Welt, globale Gerechtigkeit statt militärischer Vorherrschaft,
wir wollen zivile Prävention statt Präventivkriege.

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde!

Uns ist Verpflichtung was Hannes Wader in seinem Lied dem 19jährigen Kriegstoten des ersten Weltkrieges zusagt:

"... doch hör meinen Schwur. Für den Frieden zu kämpfen und Wachsam zu sein fällt die Menschheit noch einmal auf Lügen herein.."

In der Tat Freundinnen und Freunde: Es ist an der Zeit!

* Horst Schmitthenner leitet das IG Metall Verbindungsbüro soziale Bewegungen


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