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Wir wollen ein Zeichen setzen gegen die Eskalation in der Ukraine

Kundgebungen der Friedensbewegung: Reden von Bernhard Trautvetter, Tobias Pflüger und Andreas Grünwald


Am 31. Mai 2014 (teilweise aber auch schon am 30. Mai bzw. erst Anfang Juni) fanden in zahlreichen bundesdeutschen Städten lokale Aktionen der Friedensbewegung zum Ukraine-Konflikt statt. Im Folgenden dokumentieren wir drei Reden, die in Essen, Berlin und Hamburg gehalten wurden. Weitere Reden gibt es hier: Reden von Willi van Ooyen, Eckart Spoo und Matthias Jochheim. Zur Pressemitteilung über die gesamten Aktionen geht es hier: Gegen Schwarz-Weiß-Malerei im Ukraine-Konflikt
Im Folgenden die Reden von:


"Die Waffen nieder! Gemeinsame Sicherheit statt Konfrontation!

Rede von Bernhard Trautvetter *

In einer aus den Fugen geratenden Welt braucht die Menschheit einen Bezugsrahmen wie das Völkerrecht und die UNO, damit sie sich die noch existierende Welt komplett und sprachlos in aller Gewalt um die Ohren haut. Ohne die Schranken des Völkerrechts spielen sich die, die das Recht des Stärkeren andauernd ausspielen, als Sherif auf, der das Gesetz ist. Einige Ergebnisse dieses Handelns der Nato-Verantwort-lichen zeigen sich vor allem zwischen Golf, Hindukusch, Afrika und dem Balkan, sowie aktuell auch in der Ukraine. Verzweiflung, Flucht, Tod und Aussichtslosigkeit zeigen: Man kann die Welt nicht zum Frieden bomben.

Der Westen wählt sich auch wieder in der Ukraine den Völkerrechts-bruch aus, gegen den er vorgeht – und er lässt es dabei gerne Vergessenheit geraten, welche Völkerrechtsbrüche von ihm ausgehen.

Diese Doppelzüngigkeit ist nicht nur Heuchelei, sondern brand-gefährlich. Zu oft schon hat das zu einer Gewaltspirale nach Gutsherren-art geführt, die Spuren des Leids und der verbrannten Erde hinterlässt. Das darf nicht länger sein. Die Menschheit kann so die Zukunftsgefähr-dungen des 21. Jahrhunderts nicht bewältigen, im Gegenteil.

Deshalb kritisiert die Friedensbewegung jeglichen Völkerrechtsbruch. Wer etwa die Krim-Aufnahme in die russische Föderation mit uns kritisiert, die ukrainische Regierung, die verfassungswidrig ins Amt kam, aber als legal auch in ihren kriegerischen Maßnahmen unterstützt, der gießt Öl ins Feuer der Spannungen nicht nur vor Ort.

Nur Verhandlungen, auch und gerade zwischen Feinden können wir Schritte in die Richtung der Überwindung von Kriegsgefahren gehen. Die Absicht, den Feind zu dämonisieren, zu isolieren und zu vernichten, führt die Menschheit an den Abgrund ihrer Existenz.

Deshalb fordern wir: beendet das Hetzen, Drohen und Morden, sucht mit UNO-Vermittlung nach einem Interessens-Ausgleich, der Frieden begünstigt und Interessen aller Beteiligten berücksichtigt!

In der Ostukraine läuft seit Mitte April die sogenannte Antiterror-Operation. Gegner der illegalen Regierung der Ukraine werden von ihr pauschal zu Terroristen erklärt, und gegen die heiligt dann ja bekanntlich der Zweck die Mittel. Sei es, es geht um Schüsse auf Nicht-Kombattanten oder gleich auf Wohngebiete. Trotz der schweren Waffen bleiben Erfolge dieses Krieges aus. Unter diesen Umständen fand dort die Präsidentschaftswahl statt. Der neue Präsident hat jetzt die Aufgabe, mit der de-fakto-Regierungsmacht zu kooperieren. Mir drängt sich der Eindruck auf, dass der Westen, die EU und die NATO die neue Macht mit unbequemen Fragen verschonen will. Dabei hakt niemand nach, warum das Massaker auf dem Maidan und das am Gewerkschaftshaus in Odessa nicht ernsthaft aufgeklärt wird. Das Telefonat der EU-Außen-beauftragten und der estnischen Regierung, demzufolge selbst auf dem Maidan in Kiew die faschistoiden Kräfte des rechten Sektors aus dem Umfeld der Regierungsparteien die Verantwortung dafür tragen, bleibt im Raume stehen. Das ist nicht verwunderlich, ist doch auch der neue Generalstaatsanwalt Mitglied der Partei Swoboda, die Partner der NPD ist. Wer es wirklich ernst meint mit Demokratie und Frieden, der darf nicht mit zweierlei Maß messen, er muss angesichts der Tötung von Zivilisten rückhaltlose und sofortige Aufklärung verlangen.

Die Vermittlung von OSZE und UNO muss verbunden werden mit der klaren Aufforderung an die De-facto-Regierung in Kiew, endlich zu handeln. Westliche Unterstützung und Kredite müssen davon abhängig gemacht werden, dass die Verbrechen aufgeklärt werden.

Die Situation erinnert an die Zeit vor dem ersten Weltkrieg, als individuelle Taten wie das Attentat von Sarajewo zum Krieg gegen Serbien führten, als das Deutsche Reich Russland angriff, weil sich dort eine Mobilmachung ereignete, ohne das Russland einen Angriff begonnen hatte.

Die Gefahr geht nicht nur bis zum Atomkrieg, den der De-facto-Regierungs-Chef in Kiew meint, wenn er Russland vorwirft, auf einen dritten Weltkrieg zuzusteuern. Dafür bedarf es nicht einmal der Atomwaffe selbst, nicht allzu weit von Kiew entfernt liegt die klaffende Wunde der Atomindustrie, die marode und also schlecht geschützte Ruine des Atomkraftwerks von Tschernobyl.

Es ist in unser aller Interesse, dass in dieser Lage de-eskaliert wird. alles andere ist in der Lage zu unterlassen.

Wir fordern Verhandlungen unter Einbeziehung aller am Konflikt Beteiligten, nicht nur des US-Außenministers, sondern auch des russischen, nicht nur der Kiew genehmen Ukrainer, sondern auch der Gegenseite. Die Waffen müssen ruhen, unter Waffen kann keine Demokratie und kein Frieden entstehen.

* Essener Friedensforum, Die Kundgebung fand am 31. Mai 2014 in Essen statt.


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"Stoppt endlich diesen Krieg in der Ostukraine! Dort werden Zivilisten umgebracht"

Rede von Tobias Pflüger in Berlin **

Liebe Freundinnen und Freunde,

ich bin zuerst mal sehr froh, dass wir diese Demonstration organisiert haben, ich bedanke mich bei euch, das ihr hier seid. Wir wollen ein klares Zeichen setzen, dass es endlich aufhören muss mit dieser Eskalation in der Ukraine, und dass die Bundesregierung, die NATO und die Europäische Union aufhören sollen zu zündeln. Wir wollen von hier aus ein klares Zeichen setzen. Vielen Dank, dass ihr hier seid!

Im Moment ist die Situation in der Ukraine so, dass in der Ostukraine ein sogenannter "Antiterroreinsatz" stattfindet. Was das konkret heißt, ist, dass auch normale Bevölkerung zusammengeschossen wird, zum Beispiel in Slawjansk, und wir fordern die Bundesregierung auf, dass sie endlich bei der sogenannten Regierung der Ukraine Einfluss nimmt, dass dieser "Antiterroreinsatz" endlich beendet wird! Man kommt sich ja vor wie in einem falschen Film - Eckart Spoo hat es sehr schön beschrieben, wie die Medienberichterstattung ist: offensichtlich ist Russland an allem schuld. Nur: ich will mal ein bisschen zurückgehen in diesem Konflikt. Was war am Anfang? Am Anfang gab es den Streit, ob die Ukraine die Eurasische Zollunion, die jetzt gegründet wird, mit unterschreibt, oder ob sie das EU-Assoziationsabkommen unterschreibt.

Liebe Freundinnen und Freunde, dieses EU-Assoziationsabkommen ist nicht irgendein harmloses Abkommen zur Zusammenarbeit, sondern da geht es um wirtschaftliche Interessen. Bei diesem EU-Assoziationsabkommen wird geregelt, dass in Zukunft Freihandel geben soll zwischen der Ukraine und der Europäischen Union. Und das heißt – da kann ich die Neue Osnabrücker Zeitung zitieren – "Ein Assoziierungsabkommen mit der EU würde zunächst dazu führen, dass europäische Unternehmen die Ukraine mit Produkten überschütten – ein Markt von 45 Millionen Konsumenten lockt. Ukrainische Unternehmen gerieten unter mächtigen Konkurrenzdruck. Viele brächen zusammen. Die wirtschaftliche Misere würde noch schlimmer." Oder sagen wir es mit unseren Worten: das EU-Assoziationsabkommen wird dazu führen, dass Privatisierungen stattfinden werden, dass die Löhne 'runter und die Preise nach oben gehen, und dass Stück für Stück die Bevölkerung verarmen wird.

Liebe Freundinnen und Freunde, dieses EU-Assoziationsabkommen ist eine imperiale Geste der Europäischen Union, und die ist nicht unwesentlich für die Eskalation dieses Konfliktes verantwortlich! Wir wollen nicht, dass es diese EU-Osterweiterung in dieser Form gibt, denn das bedeutet nämlich Eskalation, und die wollen wir nicht!

Die Bundesregierung macht ja einen nach dem anderen dieser derzeitigen Regierung hoffähig. Jetzt haben sie den Herrn Jazenjuk eingeladen nach Aachen, zum Feiern des Karlspreises. Jazenjuk ist einer derjenigen, die die Menschen, die in Odessa ermordet wurden, und die jetzt in Slawjansk ermordet werden, als „Terroristen“ bezeichnet. Liebe Freundinnen und Freunde, nein, das sind auch ganz normale Menschen, und wenn Menschen zu Terroristen stigmatisiert werden, ist das immer ein Zeichen, dass gelogen wird und dass Interessen dahinter stehen, und dass Krieg gerade läuft. Und genau wenn die Bundesregierung einen Herrn Jazenjuk hoffähig macht, ist das Teil einer Eskalation. Wir wollen nicht, dass Herr Jazenjuk irgendwie in Aachen herumspringt, wir wollen, dass er gerne wieder nach Hause gehen kann, aber nicht, dass er in Aachen herumspringt.

Und, liebe Freundinnen und Freunde, jetzt fand ja dort eine Wahl statt. Andrej Hunko war als Wahlbeobachter des Europarates in Odessa, und es ist ihm nicht erlaubt worden, gemeinsam mit Offiziellen an das Gewerkschaftshaus zu gehen und dort Blumen niederzulegen. Ich kann nur sagen: dort sind Menschen, Antifaschisten umgebracht worden, und es ist unsere Pflicht und Schuldigkeit, mit den Menschen dort solidarisch zu sein. Es ist eine Unverschämtheit, dass man ihn nicht in seiner offiziellen Funktion diesen Kranz hat niederlegen lassen am Gewerkschaftshaus in Odessa. Ich bin froh, dass er dennoch hin ist. Und er hat berichtet von der Wahl, dass sie in weiten Teilen der Ukraine relativ ruhig abgelaufen ist, aber dass es in der Ostukraine praktisch unmöglich war, zu wählen. Klar: wenn Kriegszustand ist, wie soll man dann wählen? Und hier wird der neue Präsident, Herr Poroschenko, ein Oligarch von westlichen Gnaden, als der „legitime“ Präsident beschrieben. Ich kann nur sagen: wer während eines Krieges zum Präsidenten gewählt wird, hat nur eine eingeschränkte Legitimation. Und es ist auch klar, dass zuerst dieser Krieg beendet werden muss, und dann kann vernünftig gewählt werden.

Liebe Freundinnen und Freunde, es heißt immer, Russland sei an diesem Konflikt schuld. Ich frage mich: wenn das denn so sein soll, warum werden dann Stück für Stück immer weitere Truppen der NATO an der Grenze zu Russland stationiert? Ich fordere die Bundesregierung auf, die sechs Eurofighter, die sie in die baltischen Staaten geschickt hat, sofort zurückzuziehen! NATO-Truppen haben an der Grenze Russlands nichts zu suchen! Ich erinnere an den 2+4-Vertrag, in dem es eigentlich mal hieß, dass in dem östlichen Bereich keine NATO-Truppen stationiert werden. Liebe Freundinnen und Freunde, wir wollen, dass die NATO und die Bundeswehr sofort zurückgezogen werden aus diesem Gebiet! Und dann soll noch einer sagen, wenn die Frau von der Leyen davon redet, die NATO sei dort unbedingt notwendig für die Sicherheit – Frau von der Leyen, Sie eskalieren! Und, Frau von der Leyen: bei den ersten sogenannten OSZE-Beobachtern, die dort festgesetzt wurden – das war einfach eine Lüge! Das waren keine OSZE-Beobachter, das waren Militärbeobachter von der Bundeswehr und von anderen Staaten, und ich frage Sie bis heute: was haben die dort zu suchen gehabt? Die haben dort nichts zu suchen gehabt! Und Sie haben uns angelogen, indem sie sie als OSZE-Beobachter bezeichnet haben! Frau von der Leyen, Sie eskalieren, und es ist eine Unverschämtheit, die Bevölkerung hier in der Bundesrepublik so hinters Licht zu führen!

Ja, an dem Punkt bin ich richtig wütend: weil es nämlich tatsächlich so ist, dass diese Bundesregierung so tut, als ob sie vermitteln würde usw.. Nein, was hier passiert ist, ist nicht Vermittlung, sondern was hier passiert von Seiten der Bundesregierung, ist Teil einer Eskalationsspirale. Und das müssen wir deutlich machen, auch, wenn es in den Medien so nicht berichtet wird.

Liebe Freundinnen und Freunde, die NATO, die Europäische Union und die Bundesregierung haben sehr viele Eigeninteressen in diesem Spiel. Und es heißt immer, wir wären nicht bereit, Russland zu kritisieren. Ja, was Russland da gemacht hat mit der Krim, das war zumindest völkerrechtlich fragwürdig. Aber, liebe Freundinnen und Freunde, eine Eskalation in der derzeitigen Situation wird insbesondere von der Europäischen Union und von der NATO betrieben. Da müssen wir klar benennen, und deshalb sagen wir: Keine NATO-Osterweiterung, keine EU-Osterweiterung, und ein Rückzug sämtlicher Truppen, die die NATO dort stationiert hat! Und, liebe Freundinnen und Freunde, derzeit - unser Freund und Genosse Sergej Kirichuk wird gleich reden - , derzeit ist es für Linke kaum möglich, dass sie normal in der Ukraine leben können und politisch arbeiten können. Sie werden verfolgt, und es ist selbstverständlich für uns hier als Friedensbewegung und als Linke: wir sind solidarisch mit den Antifaschisten in der Ukraine, und wir kämpfen gemeinsam mit ihnen, dass es keinen Durchbruch des Faschismus in der Ukraine gibt! Und Solidarität ist etwas sehr Konkretes: das heißt, dass man den Menschen hilft, und dass man öffentlich macht, wie die Situation derzeit in der Ukraine tatsächlich ist. Und die ist nicht so, wie sie immer wieder in den Medien beschrieben wird, sondern da findet derzeit, vor allem in der Ostukraine, ein Krieg statt. Und wir erheben – als Friedens und Antikriegsbewegung, als Linke – die zentrale Forderung: Stoppt endlich diesen Krieg in der Ostukraine! Dort werden Zivilisten umgebracht - das wollen wir nicht. Wir wollen einen sofortigen Stopp der Kampfhandlungen, die Waffen nieder!

Liebe Freundinnen und Freunde, das wird nur die erste Demonstration sein, die wir zu diesem Thema machen. Und ich bin sehr froh, dass wir heute hier zusammengekommen sind, und dass wir dann doch einige geworden sind. Nur: wir werden mehr werden müssen, und wir müssen mehr mobilisieren, und wir müssen immer mehr und häufiger auch in die verschiedenen Regionen der Bundesrepublik gehen. Wir müssen dort zeigen, wo der Krieg beginnt: wenn sie nämlich Truppen schicken, dann müssen wir an die Bundeswehrstandorte.

Liebe Freundinnen und Freunde, ich befürchte, dass dieser Konflikt noch heftig weiter eskalieren wird, und ich fordere euch auf und bitte euch, bei den zukünftigen Antikriegs- und Friedensaktionen dabei zu sein. Wir haben heute den Anfang gemacht, wir werden weiter machen, und das ist dringend notwendig. Vielen Dank.

** Tobias Pflüger ist stellv. Vorsitzender der Partei Die Linke. Die rede wurde bei der Friedenskundgebung in Berlin am 31. Mai 2014 gehalten.


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"Die Ukraine ist heute ein gespaltenes Land. Ein Land im Bürgerkrieg"

Rede von Andreas Grünwald in Hamburg ***

Liebe Freundinnen und Freunde,
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Liebe Hamburgerinnen und Hamburger,

ich freue mich, dass ihr zu dieser Aktion gekommen seid. Wir demonstrieren heute in Hamburg für den Frieden und gegen den Krieg in der Ukraine. So wie morgen Hunderte und vielleicht Tausende in Berlin, in Erfurt, in Frankfurt am Main, in Dortmund, in Kassel, in Nürnberg, in Stuttgart und in Tübingen sowie in zahlreichen weiteren Orten demonstrieren werden.

Wir sagen: Es ist höchste Zeit, dass sich auch die Friedensbewegung deutlich artikuliert. Denn nichts ist gut in der Ukraine. Und schon gar nicht nach diesen Wahlen. Denn was waren das für merkwürdige Wahlen, bei denen die Kandidaten und Kandidaten der Oppositionsparteien schon im Wahlkampf zusammen geschlagen und brutal unterdrückt wurden?

Die Ukraine ist heute ein gespaltenes Land. Ein Land im Bürgerkrieg. Ein Land, in dem sich die Bewohnerinnen und Bewohner in der Ost- und Süd-Ukraine durch die Willkürherrschaft Kiews bedroht fühlen. Bedroht in ihrer Sprache. Bedroht in ihrer Ökonomie. Bedroht in ihrem Leben. Ihre Städte werden beschossen. Menschen werden ermordet. Von faschistischen Horden, die mit der Nationalgarde jetzt einen legalen Mantel haben.

Uns sind die Bilder vom 2. Mai in Erinnerung. Die Bilder des brennenden Gewerkschaftshauses in Odessa. In Brand gesetzt von marodierenden Milizen des „Rechten Sektors“. Mindestens 46 Menschen – keiner weiß wie viele es wirklich waren – sind dabei auf grausamste Art und Weise ums Leben gekommen.

Sie sammelten vor dem Gewerkschaftshaus Unterschriften für eine Föderalisierung der Ukraine. Sie wurden angegriffen. Sie flüchteten in das Gewerkschaftshaus, dass die Rechtsradikalen in Brand setzten. Menschen, die sich vor den Flammen fliehend, nach draußen wagten, wurden erschlagen.

Und was machte der von Kiew eingesetzte Gouverneur? Im Angesicht des brennenden Gewerkschaftshauses ließ er verkünden, dass die Mörder straffrei ausgehen werden.

Unsere Brüder und Schwestern in der Ukraine, die ihre demokratischen Rechte wahrnehmen, wurden für vogelfrei erklärt.

Nichts hat sich daran geändert.

Agenturen melden: allein in den letzten Tagen gibt es mehrere Hundert Opfer der Angriffe auf süd- und ostukrainische Städte zu beklagen. Poroschenko erklärte noch am Wahlabend, dass bis zu 2000 Tote wohl einkalkuliert werden müssen, um die Situation zu „befrieden“. Für uns ist das völlig unfassbar!

Der deutschen Bundesregierung, den politischen Eliten in Deutschland, in den USA und in der EU waren und sind diese Toten kaum eine Erwähnung wert. Es sind ja nur „Separatisten“. „Russische Separatisten“. Dieses Feindbild, das in unseren Medien erneut bedient wird, stammt aus den dunkelsten Zeiten der deutschen und europäischen Geschichte. Doch nicht nur der Respekt vor den Opfern des zweiten Weltkriegs, auch der Respekt vor den Tausenden Antifaschistinnen und Antifaschisten, die auch mit diesem Feindbild begründet, gequält und ermordet wurden, verlangt von uns, dass wir diesen völkischen Rassismus klar zurück weisen.

Erschreckend ist die Stimmungsmache, ist das Säbelrasseln in den westlichen Medien und nicht zuletzt hierzulande. Doch wer nur in Russland den Störenfried und Aggressor erkennt, der hat von den Verhältnissen in der Ukraine – sagen wir es vorsichtig – wenig verstanden. Sicherlich: auch Russland ist ein kapitalistisches, ein imperialistisches Land. Auch die russische Führung verfolgt ihre Machtinteressen. Und wir sehen es in diesen Tagen, dass nicht alles was aus Moskau kommt im Interesse des ukrainischen Volkes ist. Doch dies darf uns den Blick nicht dafür verstellen, dass die Urheberschaft für die Spannungen, in der Politik der EU und der NATO liegen, die ihre Grenzen immer weiter in Richtung Osten ausdehnen - und die nun versuchen die tief gespaltene, die von ihnen gespaltene Ukraine, mit dem Assoziierungsabkommen, mit den Regeln des Internationalen Währungsfonds wirtschaftlich für ihre Interessen in Stellung zu bringen.

Tatsächlich geht es der EU, der NATO, auch der deutschen Außenpolitik doch nur um die Eroberung neuer Absatzgebiete, neuer Industriepotentiale, auch um eine geopolitische Langzeitplanung, um den eigenen Einfluss in dieser Welt zu vergrößern.

Was uns also einst als „gemeinsames Haus Europa“ versprochen wurde, es entpuppt sich heute als nackter Kampf um die Neuaufteilung von Macht- und Einflusssphären.

Und dazu passt, dass unser Außenminister, der Herr Steinmeier, den Repräsentanten faschistischer Gruppen die Hände schüttelte. Der gleiche Mann der nun Friedensdemonstranten beschimpft und niederschreit, sie hätten von Europa nichts verstanden.

Doch Frieden, Sicherheit und Selbstbestimmung, das geht ganz anders!

Der Putsch im Februar, der Bruch der ukrainischen Verfassung, die einsetzende Willkürherrschaft, Nationalismus, rassistische und politische Unterdrückung, auch der klare Bruch erzielter Vereinbarungen, die Unterdrückung und Verfolgung von Antifaschistinnen und Antifaschisten, dies alles und vieles mehr hat die Menschen in der Ost- und Südukraine doch erst dazu gebracht, dass sie heute sagen: mit den Machthabern in Kiew wollen wir nichts mehr zu tun haben. Dass sie sagen: Wir wollen unseren eigenen Staat. Übrigens einen Staat der jetzt dazu übergegangen ist, die Macht der großen Oligarchen durch Verstaatlichungen zu brechen.

Doch in unseren Medien, werden die, die sich schützen, zu „Terroristen“. Und die, von denen der Terror ausgeht, das sind die „Freiheitskämpfer“.

Was Julia Timoschenko darunter versteht, ist inzwischen bekannt. Mit der Kalaschnikow in der Hand will sie „Russen“ verjagen.

Den Gefolgsleuten von Timoschenko folgt nun Petro Poroschenko. Der neue Präsident. Der Schokoladenkönig, wie man ihn in der Ukraine nennt. Um es heiter auszudrücken: das ist in etwa so, als würde bei uns Uli Hoeness zum Finanzminister. Wobei ich Hoeness gleichzeitig in Schutz nehmen muss, denn im Vergleich zu Poroschenko ist er ein Waisenknabe. „Schoko-Poro“ gehört indes zu den größten ukrainischen Oligarchen. Sagen wir es deutlich: Das sind die Leute, die in den 1990er Jahren mit Diebstahl, mit Bestechung, mit Nötigung und Erpressung sich ihr Milliarden-Vermögen anhäuften. Ein Mann der seine politischen Kleider wechselt, wie das eigene Hemd. Hauptsache es stimmt der Profit. Doch mit dieser Einstellung ist Poroschenko für den Westen genau der richtige Mann!

Er kennt die Spielregeln des globalen Schulden-Kasinos, dem die Ukraine nun unterworfen wird, um das ganze Land nach den Vorgaben des IWF aufzuteilen. Und die besten Investments – daran erinnerte gerade einer dieser Gauner – macht man in einem Land, wo noch das Blut auf den Straßen fließt.

Ich frage: was muss eigentlich in den Köpfen jener vorgehen, die aus ehrlichen Motiven gegen die alte, ebenso korrupte Regierung Janukowitsch rebellierten? Auch sie werden betrogen.

Wie sich der neue Präsident die Zukunft vorstellt, erklärte er schon am Wahlabend: die alte illegitime Übergangsregierung – einschließlich ihrer faschistischen Mitglieder – bleibt im Amt. Und während Verhandlungen mit Russland nun aufgenommen werden, soll der Militäreinsatz gegen die Aufständischen fortgesetzt, ja »effizienter« gestaltet werden.

Doch die Machtverhältnisse im Dombass haben sich geändert. So sehr, dass der dortige Oligarch Rinat Achmetow sich inzwischen absetzte. Die Aufständischen kündigten an, sein ergaunertes Vermögen zu konfiszieren. Tausende Bergleute aus der Region, die am Mittwoch und Donnerstag in einen Streik traten unterstrichen diese Haltung.

Meine Meinung: Der Konflikt in der Ukraine ist nicht in erster Linie ein ethnischer Konflikt. Das ist nur eine äußere Hülle. Es ist auch ein sozialer Konflikt, bei dem es auch darum geht, ob und wie sich die Ausplünderung gerade in den industriellen Ballungsräumen der Ostukraine fortsetzt.

Auch dagegen rebellieren viele Ukrainer, wie umgekehrt die herrschenden Eliten nun dazu übergehen die Kommunistische Partei, aber auch andere Organisationen der ukrainischen Linken zu verbieten und zu verfolgen.

Wir müssen unterscheiden zwischen Aggressoren und Bedrohten, Ausgebeuteten und Ausbeutern, zwischen denjenigen, die sich wehren und jenen, die versuchen ihre ökonomischen und geostrategischen Interessen gewaltsam durchsetzen. Unsere Solidarität gehört den verfolgten Antifaschistinnen und Antifaschisten. Meine persönliche Solidarität gehört auch den neuen Volksrepubliken!

Das Leiden der ukrainischen Bevölkerung muss beendet werden. Notwendig sind deshalb ehrliche Verhandlungen aller am Konflikt beteiligten Kräfte. Nicht als „Runder Tisch“, wenn dieser in Wirklichkeit eckig ist, weil nämlich die Vertreter der „abtrünnigen“ Regionen ausgeschlossen bleiben. Das ist dann nur ein Nebelschleier für die täglich stattfindenden militärischen Übergriffe bis hin zu brutalen Massakern, wie wir sie in Odessa, aber auch in Mariupol erlebt haben.

Die Bundesregierung fordern wir auf, endlich auf Deeskalation zu setzen, anstatt die Spannungen ständig zu verschärfen!

Von den Medien in unserem Land verlangen wir, dass sie über die Ereignisse berichten und nicht nur Lügen und Halbwahrheiten verbreiten!

Wir wollen Frieden und Ausgleich – auch und gerade mit Russland. Auch deshalb muss das Assoziierungsabkommen zurück genommen werden! Auch deshalb fordern wir einen Stopp der Wirtschaftssanktionen!

Wir sagen NEIN zur Verharmlosung und Unterstützung von Faschisten und zum Verbot der politischen Organisationen der ukrainischen Linken.

Wir fordern: Schluss mit der Osterweiterung der NATO und der EU!

Was die Ukraine und die Region jetzt braucht, ist ein sofortiger Waffenstillstand und der Beginn eines ehrlichen Verhandlungsprozesses mit allen Beteiligten!

Die militärischen Operationen, die Angriffe auf ost- und südukrainische Städte müssen sofort beendet werden!

** Die Kundgebung in Hamburg fand bereits am 30. Mai statt. Am 31. Mai folgte eine zweite.


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