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"Dieser Appell kommt zur rechten Zeit"

Friedensbewegung unterstützt Initiative für Weltfriedenskonferenz. Nur "Reformflügel" der Linkspartei äußert sich bisher abfällig. Ein Gespräch mit Lühr Henken *


Lühr Henken ist Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag.

Die Linke-Bundestagsabgeordneten Sahra Wagenknecht und Sevim Dagdelen haben eine Initiative gestartet, mit der sie den früheren sowjetischen Staatspräsidenten Michail Gorbatschow bitten wollen, sich für eine Weltfriedenskonferenz stark zu machen. Wie wurde dieser offene Brief bisher in der Friedensbewegung angenommen?

Das lässt sich noch nicht sagen, diese begrüßenswerte Initiative ist noch zu jung. Wir vom Bundesausschuss Friedensratschlag haben in einer Rundmail am Wochenende dazu aufgefordert, den Appell per Unterschrift zu unterstützen. Die NATO wird immer aggressiver, provoziert mit Manövern und baut ihr Raketenabwehrsystem aus. Ihre Regierungen fahren Rüstungshaushalte hoch, und das Versprechen, die Ukraine in die NATO aufzunehmen, haben sie nicht zurückgenommen. Die USA planen Truppenstationierungen in Russlands westlichen Nachbarländern. Wie schwer es solche Friedensinitiativen haben, zeigte der erbärmliche Umgang der Mainstreammedien mit dem Appell von 60 Prominenten im Dezember für eine neue Entspannungspolitik – er wurde kaum aufgegriffen. Deshalb kommt diese Anfrage zur rechten Zeit.

Was könnte eine solche Weltfriedenskonferenz bewirken?

Als ein Ziel benennt der Offene Brief die Koordinierung des Widerstandes gegen die anti-russische Politik, die zu Recht als brandgefährlich und abenteuerlich charakterisiert wird. Aus einem neuen Kalten Krieg könnte ein richtiger Krieg werden. Es wird an das zentrale Ziel der Linken erinnert: Abrüstung im Rahmen eines kollektiven Sicherheitssystems unter Einschluss Russlands – nach Auflösung des aggressivsten Militärpakts aller Zeiten, der NATO.

Gorbatschow ist bei vielen Linken umstritten, er wird für den Ausverkauf der DDR und auch der Sowjetunion verantwortlich gemacht. Trotzdem soll er ein geeigneter Verhandlungsführer bei einer Friedenskonferenz sein?

Mit dem unerwarteten Untergang der sozialistischen Länder waren die Lebensträume von einer Welt ohne Ausbeutung zerplatzt. Das wirkt bei vielen nach. Die Schuld wird personifiziert: Gorbatschow. Ich denke, man muss die Vorgeschichte berücksichtigen. Die USA begannen unmittelbar nach Kriegsende mit einem atomaren Aufrüstungsprogramm, dessen erster Titel Bände spricht: »Atombombenziel Sowjetunion«. Das Ziel all dieser Pläne war: der Sieg im Atomkrieg gegen die UdSSR. Alleine der militärisch-industrielle Komplex der USA steckte bis 1989 4.000 Milliarden Dollar in die Rüstung, davon 2.500 Milliarden in den vergangenen neun Jahren.

Der Vernichtungskrieg des deutschen Faschismus mit der »Politik der verbrannten Erde« hatte den Westen der UdSSR weitgehend zerstört. Aus einer ökonomisch geschwächten Position heraus sah sich die sowjetische Führung seit 1945 gezwungen, bei allen von den US-Rüstungsfirmen entwickelten Techniken zur Massenvernichtung nachzuziehen. Atom- und Wasserstoffbomben, Interkontinentalraketen, Atom-U-Boote und Marschflugkörper verschlangen so viele Ressourcen, dass gesellschaftliche Innovationsschwäche und Erstarrung die Folge waren. Gorbatschows Politik bestand darin, unter den Schlagworten Glasnost und Perestroika diese Lähmung zu überwinden. Vor allem versuchte er, mit der Forderung nach atomarer Abrüstung gesellschaftliche Mittel freizusetzen. Das misslang, die Sowjetunion und die mit ihr verbündeten Staaten waren praktisch totgerüstet worden. Für mich ist der Name Gorbatschow damals wie heute mit dem Verlangen nach Abrüstung verbunden und er ist als Adressat dieses offenen Briefes eine gelungene Wahl.

In der Linkspartei selbst wird die Initiative vor allem vom »Reformerflügel« scharf attackiert, obwohl fast 1.500 Parteimitglieder und Linke-Sympathisanten den Vorschlag im Internet unterstützen. Woran könnte das liegen?

Gorbatschows Worte werden hierzulande nach wie vor wahrgenommen. Sie haben Gewicht. Seine Mahnungen und Warnungen richten sich an die Adresse der Konfrontationspolitiker und Kriegstreiber und fordern Entspannung ein. Was Leute vom »Reformflügel« davon zu befürchten haben, muss man sie selbst fragen.

Interview: Markus Bernhardt

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 22. April 2015


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