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Umbruch - Vom arabischen Frühling in den globalen Winter?

Das neue Buch aus der AG Friedensforschung Kassel erschienen

Nach wie vor richtet sich das Augenmerk der Welt auf den arabischen Frühling – heute allerdings eher auf das, was von ihm noch übrig geblieben und noch zu erwarten ist. Die NATO-Intervention in Libyen und die unverhüllten Versuche, auch in Syrien einen Regimechange mit Gewalt herbeizuführen, beschwören einen gefährlichen Flächenbrand im Nahen Osten herauf – mit unabsehbaren Folgen für die krisengeschüttelte Weltpolitik.

Der vorliegende Band befasst sich neben den angesprochenen Fragen schwerpunktmäßig mit weiteren Entwicklungen, denen sich die kritische Friedensforschung und die Friedensbewegung sowie andere soziale Bewegungen stellen müssen. Afghanistan und die höchst unzulängliche Aufarbeitung des Bundeswehreinsatzes etwa im Kundus-Untersuchungsausschuss gehören genauso hierher wie die Frage nach dem Zustand und der Zukunft der Vereinten Nationen, die sich allzu sehr der NATO angenähert, manche sagen: ergeben hat. Dies lässt sich sehr gut an der Libyen-Lektion zeigen. Inwieweit der Aufbruch in Lateinamerika sich auch in den internationalen Beziehungen bemerkbar machen wird, bleibt abzuwarten. Wenn wir zudem den Blick wieder auf den israelisch-palästinensischen Konflikt werfen, dann deshalb, weil sich ohne dessen Lösung der verworrene Knoten der systemischen Gewalt im Nahen Osten nicht entwirren lassen wird.

Die „Kasseler Schriften zur Friedenspolitik“ analysieren diese und andere Probleme der Entwicklung unseres Planeten aus friedenspolitischer Sicht. Den Texten dieses Bandes liegen Vorträge und Referate des 18. Friedenspolitischen Ratschlags (2011) und der „Friedensvorlesung“ 2012 an der Uni Kassel zu Grunde.


Ralph-M. Luedtke, Peter Strutynski (Hrsg.): Umbruch - Vom arabischen Frühling in den globalen Winter? Kassel 2012 (Kasseler Schriften zur Friedenspolitik, Bd. 19), 160 Seiten, EUR 10,- (ISBN 978-3-934377-48-6)

Mit Beiträgen von: Helma Chrenko * Erhard Crome * Kai Ehlers * Lühr Henken * Inge Höger * Kirsten Jansen * Malalai Joya* Alexander S. Neu * Norman Paech * Werner Ruf David Salomon * Peter Strutynski * Achim Wahl

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AG Friedensforschung, Tel. 0561/93717974;
e-mail: strutype@uni-kassel.de
oder peter.strutynski@gmx.de



Im Folgenden veröffentlichen wir das Vorwort zum Buch sowie das Inhaltsverzeichnis. Bezugsmöglichkeiten finden Sie am Ende dieser Datei.

Vorwort

In den Ländern des „arabischen Frühlings“ ist allenthalben Ernüchterung eingekehrt, zum einen weil die Erwartungen, die an die politischen Veränderungen geknüpft waren, längst nicht in Erfüllung gegangen sind, zum anderen weil der Umbruch mit hohen Verlusten erkauft war bzw. auf halbem Weg stecken geblieben ist oder gar in Gewalt erstickt wurde. Was sich seit der Revolte in Tunesien im Dezember 2010 wie ein Lauffeuer in Nordafrika und im Nahen Osten ausbreitete und zu Recht den Namen Rebellion erhielt (woraus dann ein kluger Kopf der FAZ „Arabellion“ machte), hat immerhin ein paar alte westliche Vorurteile widerlegt: Die arabischen Völker – und erst recht die Muslime - seien nicht fähig zum Aufbegehren gegen ihre Obrigkeit und noch weniger reif für die Demokratie.

In den westlichen Metropolen hat die „Occupy-Bewegung“ nachzuziehen versucht – mit allerdings bisher relativ bescheidenen Ergebnissen. Erfolg oder Misserfolg dieser an der Wall Street erstmals erprobten finanzkapitalismus-kritischen Bewegung lassen sich indessen nicht nur an der Durchhaltefähigkeit der aufgeschlagenen Protestcamps ablesen. Bleibender dürften die mit ihr erzeugten und weit verbreiteten Vorbehalte gegen die übermächtige Herrschaft der globalen Finanzmärkte und ihrer Profiteure sein. Sie haben sich auch hier zu Lande im vergangenen Jahr in zahlreichen sozialen Initiativen und Protesten niedergeschlagen.

Am wenigsten profitierte die Friedensbewegung sichtbar von diesem allgemeinen Klimawechsel des politischen Diskurses. Gewiss: Es gab auch in diesem Jahr zahlreiche Aktivitäten gegen Militärstandorte und –einrichtungen, gegen den Rüstungsexport, insbesondere wenn er sich um die Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien drehte, gegen die verstärkten Werbemaßnahmen der Bundeswehr an Schulen, auf Messen und Jahrmärkten, gegen die Öffnung der Hochschulen für militärisch relevante Forschung. Defizitär hingegen sind die Bemühungen kritischer Friedenswissenschaft und der Friedensbewegung, sich in den öffentlichen Diskurs um die Vorgänge in Syrien oder die militärische Einkreisung Irans angemessen einzubringen oder gar die Meinungsführerschaft zu übernehmen. Letzteres ist ihnen immerhin in der Afghanistanfrage gelungen: Längst wird nicht mehr darüber gestritten, ob es sich am Hindukusch um einen Krieg oder um kriegsähnliche Zustände handelt, sondern darüber, wie Bundeswehr und NATO möglichst heil aus dem afghanischen Schlamassel wieder herausfinden sollen. Die grundsätzliche Kriegsabstinenz der Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland ist ein Faktor, den Regierung und Militär bei all ihren Planungen berücksichtigen müssen. Das macht die deutsche Außenpolitik nicht zur Friedenspolitik, aber sie hat mehr Rücksichten zu nehmen als ihr lieb ist. Möglicherweise war die demonstrative Enthaltung 2011 im UN-Sicherheitsrat in der Frage der Kriegsermächtigung gegen Libyen auch eine Folge solcher Überlegungen.

Friedensfragen erscheinen in der politischen Agenda immer häufiger verquickt mit anderen Politikfeldern, etwa der Frage zunehmender Ausländerfeindlichkeit, Islamophobie, Antisemitismus und neonazistischer Gewalt, dem Abbau von Bürgerrechten einschließlich dem, was einst die „informationelle Selbstbestimmung“ genannt wurde, heute aber kaum noch existiert, der zunehmenden Entdemokratisierung der Innenpolitik im Zuge der Verschiebung politischer Entscheidungen auf die Ebene der Europäischen Union – die ihrerseits von einer selbsternannten „Troika“ und einer faktischen Wirtschaftsregierung gelenkt wird. Am Umgang mit Griechenland – dem andere Länder der „Südschiene“ folgen werden – lässt sich die Fehlkonstruktion der Europäischen Währungsunion mit ihren dem Neoliberalismus verpflichteten Wirtschafts- und Haushaltskriterien ablesen. Wäre diese Entwicklung sozialpolitisch nicht so verheerend, könnte man ja noch von Glück reden, weil die EU derzeit nur geringe Ressourcen zur Umsetzung ihrer ehrgeizigen militärpolitischen Ziele hat. Sie sind aber nicht aus der Welt.

Der vorliegende Band befasst sich neben den angesprochenen Fragen schwerpunktmäßig mit weiteren Entwicklungen, denen sich die kritische Friedensforschung und die Friedensbewegung sowie andere soziale Bewegungen stellen müssen. Afghanistan und die höchst unzulängliche Aufarbeitung des Bundeswehreinsatzes etwa im Kundus-Untersuchungsausschuss gehören genauso hierher wie die Frage nach dem Zustand und der Zukunft der Vereinten Nationen, die sich allzu sehr der NATO angenähert, manche sagen ergeben hat. Dies lässt sich sehr gut an der Libyen-Lektion zeigen. Inwieweit der Aufbruch in Lateinamerika sich auch in den internationalen Beziehungen bemerkbar machen wird, bleibt abzuwarten. Wenn wir zudem den Blick wieder auf den israelisch-palästinensischen Konflikt werfen, dann deshalb, weil sich ohne dessen Lösung der verworrene Knoten der systemischen Gewalt im Nahen Osten nicht entwirren lassen wird.

Wie immer beruhen die meisten Texte dieser Publikation teils auf Referaten, die anlässlich des letztjährigen Friedenspolitischen Ratschlags gehalten wurden, teils auf Vorträgen der „Friedensvorlesungen“ im Sommersemester 2012. Letzterer verdankt dieses Buch auch seinen Titel. Ein Dankeschön den Autorinnen und Autoren für die Geduld, die sie bis zur Drucklegung aufbringen mussten, und ein Dankeschön an Erika Wittlinger-Strutynski für die Korrektur eines großen Teils der Manuskripte.

Peter Strutynski, Kassel, 20. Oktober 2012

Aus dem Inhalt:

  • Vorwort
  • Peter Strutynski:
    Umbrüche – und die Verantwortung der Friedenswissenschaft
  • Erhard Crome:
    Lessons learned? Der NATO-Krieg 2011 gegen Libyen
  • David Salomon:
    Revolte oder Revolution? Der „neuzeitliche Revolutionsbegriff“ und die „Arabellion“
  • Werner Ruf:
    Die Lektionen der arabischen Revolten
  • Kai Ehlers:
    Das „chinesische Prinzip“: Ökonomische Freiheit – politische Lenkung. Der bessere Weg zur globalen Perestroika? Ein Vergleich
  • Helma Chrenko und Achim Wahl:
    Die Transformationsprozesse in Lateinamerika und ihre Kritiker
  • Norman Paech:
    Besatzung, Demokratie und Recht. Zum Umgang der israelischen Justiz mit dem Völkerrecht
  • Alexander S. Neu:
    Die Vereinten Nationen: Garant des Friedens oder Instrument der NATO?
  • Lühr Henken:
    Bundeswehrreform: Humanitäres Bomben für die Wirtschaft?
  • Kirsten Jansen und Inge Höger:
    Der Luftangriff von Kundus vor dem Untersuchungsausschuss
  • Malalai Joya:
    Die bittere Realität in Afghanistan
  • Peter Strutynski:
    Nine Eleven – keine historische Zäsur
  • Lühr Henken:
    Hochburg des Panzerbaus und Kommandohügel der Bundeswehr – Das Beispiel Kassel und Nordhessen
ANHANG
  • Bundesausschuss Friedensratschlag:
    Friedenspolitisches Aktionsprogramm 2012
  • Autorenverzeichnis
  • Schriftenverzeichnis der AG Friedensforschung
Bibliografische Angaben:
Ralph-M. Luedtke, Peter Strutynski (Hrsg.): Umbruch - Vom arabischen Frühling in den globalen Winter? Kassel 2012 (Kasseler Schriften zur Friedenspolitik, Bd. 19), ISBN 978-3-934377-48-6

Bezugsadressen: Verlag Winfried Jenior, Lassallestr. 15, D-34119 Kassel; Tel.: 0561-7391621, Fax 0561-774148;
E-Mail: Jenior@aol.com
oder
AG Friedensforschung, Tel. 0561/93717974; e.mail: strutype@uni-kassel.de
oder peter.strutynski@gmx.de


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