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Der Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea

Hat die UNO versagt?

Die Berichte und Kommentare zum Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea sowie zum Bürgerkrieg in Sierra Leone sind zunehmend gespickt mit zum Teil hämischer Kritik am "Versagen" der Vereinten Nationen. Auch das Tauziehen im Sicherheitsrat um die Verhängung eines Waffenembargos gegen Äthiopien und Eritrea geriet den Medien zu einer verständislosen Farce. Nur selten wird der Finger auf die tiefer liegenden und wahren Ursachen von kriegerischen Auseinandersetzungen gelegt und darauf verwiesen, dass die Vereinten Nationen letztlich auch nicht viel mehr tun können, als ihnen von den Mitgliedsstaaten, insbesondere den Großmächten erlaubt wird. In einem Kommentar in der Frankfurter Rundschau gelangt Pierre Simonitsch zu Einsichten, die weit über das Übliche der hiesigen Presselandschaft hinaus gehen. Er beleuchtet dabei nicht nur den Krieg am Horn von Afrika, sondern stellt ihn in einen unmittelbaren Zusammenhang zu anderen afrikanischen Kriegen. Dabei gerät die neoliberale Globalisierung der kapitalistischen Ökonomie (wenn auch mit etwas anderen Worten) ebenso in den Blick wie die Vertiefung der sozialen Kluft in den ärmsten Ländern der Welt oder die profitablen Waffengeschäfte der führenden Industriestaaten (einschließlich Russlands natürlich) mit den Kriegsstaaten. Nachfolgend die wesentlichen Passagen aus dem Artikel:

Das Debakel der UN
Ein Waffenembargo gegen Äthiopien und Eritrea kommt um etliche Jahre zu spät

Von Pierre Simonitsch

Das jetzt vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gegen Äthiopien und Eritrea verhängte Waffenembargo kommt um etliche Jahre zu spät. Die Streithähne haben sich längst auf dem Weltmarkt mit Panzern, schweren Geschützen und Kampfflugzeugen eingedeckt.
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Afrika verzeichnet die höchste Zunahme von HIV-Infektionen und das niedrigste Wirtschaftswachstum weltweit. Die enormen Bodenschätze einiger afrikanischer Staaten teilen sich eine skrupellose Oberschicht und ausländische Firmen. Von den 35 am wenigsten entwickelten Ländern der Welt liegen 29 in Afrika. Sie können nur dank internationaler Hilfe überleben, die aber ständig abnimmt. Die Liberalisierung des Handels führte zu Kürzungen der öffentlichen Entwicklungshilfe. Der private Kapitalfluss hat diese Verluste aber nicht wettgemacht, vor allem nicht in den ärmsten Ländern. Ohne die Globalisierung für alle Übel verantwortlich zu machen, stellt das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen fest, dass sich die frühere internationale Solidarität in eine scharfe Konkurrenz verwandelte, bei der die Schwachen auf der Strecke bleiben.

Obwohl jeder Konflikt in Afrika seine besonderen und oft weit zurück liegenden Ursachen hat, ist die derzeitige Anhäufung von Kriegen wohl kein Zufall. Verteilungskämpfe werden umso heftiger, je weniger es zu verteilen gibt. Dazu kommt der Zusammenbruch der von den früheren Kolonialmächten hinterlassenen Strukturen. Die UN trifft dieser Prozess in einem Zustand der Ohnmacht. Die Weltorganisation steht mit leeren Kassen da. Besonders für Friedensmissionen sind keine Mittel mehr vorhanden, seit die USA ihre Beiträge schuldig bleiben. Die USA wollen sich an Frieden erhaltenden oder Frieden schaffenden Operationen nur noch dann beteiligen, wenn eigene Interessen auf dem Spiel stehen. Das hat zur Folge, dass der von Washington dominierte Weltsicherheitsrat nur in seltenen Fällen ein militärisches Eingreifen beschließt. Wenn sich die fünf ständigen Ratsmitglieder ausnahmsweise auf die Entsendung von Blauhelmen einigen, will niemand dafür bezahlen. Die UN haben dann keine andere Wahl, als Billigsoldaten aus der Dritten Welt oder aus Osteuropa anzuwerben. Doch selbst dieses Reservoir schrumpft, weil traditionelle Blauhelmlieferanten wie Bangladesch oder die Fidschi-Inseln es satt haben, jahrelang auf die Rückerstattung ihrer Kosten zu warten. Diese Umstände erklären, warum sich ganze Kompanien von UN-Soldaten in Sierra Leone den Freischärlern ergaben. Sie besaßen weder die Waffen noch die Ausbildung oder die Motivation, Widerstand zu leisten. ...

... Das nächste Debakel ist bereits programmiert. In Kürze sollen 5500 Soldaten und Militärbeobachter der UN in die Demokratische Republik Kongo (Ex-Zaire) abkommandiert werden, wo sich ein Dutzend bewaffneter Gruppen mit wechselnden Allianzen die Macht streitig macht. In Kongo herrscht ein internationaler Krieg, in dem neben anderen die Streitkräfte Ugandas, Ruandas und Angolas mitmischen. Der Weltsicherheitsrat wäre also nach der UN-Charta verpflichtet, den Frieden wiederherzustellen.

Ebenso wäre es die Pflicht des Sicherheitsrats, den Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea zu beenden. Stattdessen haben maßgebliche UN-Mitglieder beide Staaten aufgerüstet, während internationale Hilfswerke die Dürreopfer vor dem Verhungern bewahren. Direkt und indirekt wurde damit der Krieg ermöglicht, wobei den UN die Rolle zufällt, durch humanitären Beistand das Versagen der Politik zu kaschieren. UN-Generalsekretär Kofi Annan hat auf einige Grundübel seines Heimatkontinents hingewiesen: Misswirtschaft und die Neigung einiger Herrscher, den Staat als Eigentum zu betrachten. Annan verlor daraufhin einige Freunde in Afrika. Sein Amtsvorgänger Butros Butros-Ghali eckte bei den Großmächten an, als er eine ständige Eingreiftruppe der UN forderte. Billige Resolutionen aber werden weder in Afrika noch anderswo Frieden schaffen.
(Quelle: Frankfurter Rundschau, 19.05.2000)

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