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Es wird Tote geben

Die Bundeswehr will die Führung in Afghanistan übernehmen

Von Peter Strutynski*

Allmählich dämmert dem deutschen Publikum und der Welt, wie ernst es Verteidigungsminister Dr. Peter Struck war, als er vor zweieinhalb Jahren die Parole ausgab, Deutschland müsse auch am Hindukusch verteidigt werden. Das war nicht nur so dahin gesagt, sondern fügt sich in die längerfristig angelegte Strategie des größer gewordenen Deutschland, weltpolitisch die Rolle spielen zu dürfen, die der alten Bundesrepublik 40 Jahre lang versagt geblieben war: eine Großmachtrolle. Afghanistan, Schwelle zur zentralasiatischen Energieregion und Scharnier zwischen den GUS-Staaten und der Volkrepublik China, ist zweifellos ein neuralgischer Punkt in den geopolitischen Überlegungen der Großmächte. Nicht umsonst entfesselten zu Beginn der 80er Jahre – damals galten noch die Gesetze des Kalten Kriegs - die USA mit Hilfe der aus Saudi-Arabien verstärkten antikommunistischen „heiligen Krieger“ einen erbitterten Bürgerkrieg gegen das mit Moskau verbündete weltliche Regime in Kabul. Und mit derselben Energie bekämpfen die USA seit dem 11. September 2001 ihre einstigen Schützlinge, nachdem klar war, dass das in Afghanistan etablierte Taliban-Regime auf US-amerikanische Interessen keinerlei Rücksicht zu nehmen bereit war, sondern ihren eigenen „Gottesstaat“ nach ihren eigenen Regeln und zu ihren eigenen Bedingungen errichtete.

Das Afghanistan-Engagement der Bundesrepublik ist sowohl neokoloniale Großmachtpolitik sui generis als auch Probelauf und Exerzierfeld für militärische Unternehmungen über Afghanistan hinaus, grundsätzlich rund um den Globus. Erinnern wir uns: Im Herbst 2001, nachdem die USA zusammen mit Großbritannien die Bombardierung Afghanistans begonnen und sogar erstmals in ihrer Geschichte die NATO den „Bündnisfall“ ausgerufen hatte, wurde die Bundesregierung in Washington vorstellig und bat händeringend, sich doch mit eigenen Soldaten am Krieg beteiligen zu dürfen. Am 16. November 2001 musste Bundeskanzler Schröder mit dem Knüppel der Vertrauensfrage die wenigen Kriegsgegner/innen in den Koalitionsreihen zur Räson bringen, um den Bundeswehreinsatz im Rahmen von „Enduring Freedom“ zu beschließen (siehe hierzu: Der Bundestag hat entschieden: Vertrauen für den Kanzler – Ermächtigung für den Bundeswehreinsatz). Im wesentlichen ging es dabei um die Installierung einer ständigen Präsenz der Bundeswehr, insbesondere der Marine, in der Region vom Indischen Ozean über den Persischen Golf und dem Horn von Afrika bis ins östliche Mittelmeer. Im Beschluss des Bundestags hieß es damals: „Einsatzgebiet ist das Gebiet gemäß Art. 6 des Nordatlantikvertrags, die arabische Halbinsel, Mittel- und Zentralasien und Nord-Ost-Afrika sowie die angrenzenden Seegebiete.“ (Ebd.) Es waren deutsche Kriegsschiffe, die seitdem Handels- und Frachtschiffe verschiedener Nationalitäten vor der Suez-Passage kontrollierten und in Einzelfällen sogar aufbrachten und durchsuchten – die deutsche Marine schwang sich damit zum Hilfspolizisten auf einem Drittel des Territoriums des gesamten Globus auf. Daneben beschloss der Bundestag die Entsendung von ca. 100 Angehörigen der Elitetruppe „Kommando Spezialkräfte“ (KSK) aus Calw zum Einsatz in Afghanistan selbst. Und schließlich erbot sich die Bundesregierung, auf dem Petersberg bei Bonn eine große internationale Afghanistan-Konferenz abzuhalten, die dann Anfang Dezember 2001 die Weichen für die künftige Interims-Regierung mit dem provisorischen Regierungschef Hamid Karzai und den „robusten“ Truppeneinsatz der Vereinten Nationen stellte (der Beschluss des UN-Sicherheitsrats zum Einsatz einer „International Security Assistance Force“-ISAF erfolgte am 20. Dezember 2001). Am 21. Dezember hat das Bundeskabinett eine Beteiligung der Bundeswehr an der UNO-Schutztruppe für Afghanistan mit bis zu 1.200 Soldaten beschlossen. Der damalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping sagte nach der Kabinetts-Sondersitzung, das UNO-Mandat habe die „Erwartungen der Bundesregierung erfüllt, da es ein so genanntes robustes Mandat sei und den Einsatz von Gewalt erlaube“ (siehe Afghanistan-Kriegschronik vom 21.12.01). Der Bundestag segnete dieses Mandat einen Tag später mit überwältigender Mehrheit ab.

Formal gilt es also zu unterscheiden zwischen dem Bundeswehreinsatz im Rahmen von „Enduring Freedom“, einem Kriegseinsatz ohne UN-Mandat, in dessen Rahmen die umstrittenen KSK-„Spezialkiller“ (Jürgen Rose) operieren, und dem Einsatz im Rahmen der ISAF. Hieran war die Bundeswehr bis zu Beginn des Jahres 2005 mit rund 2.250 Soldaten beteiligt, schwerpunktmäßig in der afghanischen Hauptstadt sowie in Kunduz und Feisabad, wo sich die Bundesrepublik an sog. „Wiederaufbauteams“ beteiligt. Die Verlängerung des ISAF-Einsatzes durch den Bundestag vor einem Jahr erfolgte unter der Maßgabe, dass es lediglich um die Stabilisierung der politischen Verhältnisse im Land gehe. Sowohl der Beschluss des Bundestags vom 30. September 2004 als auch die Debatte machten klar, worin die Aufgaben der Soldaten liegen sollten: In der Absicherung des politischen Stabilisierungsprozesses, insbesondere der bevorstehenden Präsidentenwahl und der in 2005 stattfindenden Parlamentswahlen. Außerdem wurden schon zuvor zwei "Wiederaufbauteams" nach Kunduz und Faizabad verlegt, die im Rahmen zivil-militärischer Zusammenarbeit für die Absicherung des regionalen Wiederaufbaus gewährleisten sollten. Welche Aufgaben den deutschen Soldaten dabei zufallen sollten, stellte Bundesaußenminister Fischer klipp und klar fest: "Wir sind für den Polizeiaufbau zuständig und die Briten für die Drogenbekämpfung." Dass das Problem in Afghanistan selbst auch nicht durch Militär zu lösen ist, hat Außenminister Fischer in der Bundestagsdebatte in dankenswerter Klarheit zum Ausdruck gebracht: "Viele Familien sind vom Anbau von Schlafmohn finanziell abhängig. Sie werden daran festhalten, wenn die Alternative schlicht und einfach darin besteht, ansonsten kein Auskommen mehr für die Familie und damit keine Perspektive zu haben. Diese Erfahrung wird nicht nur in Afghanistan gemacht. Deswegen sind ökonomische Alternativen wie die Entwicklung einer legalen Ökonomie und einer Lebensperspektive für diese Menschen von entscheidender Bedeutung." (Bundestagsprotokoll vom 30. September 2004.)

Den logischen Widerspruch, warum deutsches Militär nicht, britisches Militär aber sehr wohl zur Bekämpfung der Drogenökonomie fähig sein sollte, konnte Fischer selbstverständlich nicht auflösen. So bedeutete es auch keinen grundlegenden Bruch in der deutschen Afghanistan-Politik, als Verteidigungsminister Struck bereits im Januar 2005 die KSK-Truppen nach über einjähriger Abwesenheit wieder ins Spiel brachte. Der „Spiegel“ berichtete am 12. Januar: "Nachdem sich jetzt nach den Berichten der Geheimdienste gerade für die im Norden Afghanistans eingesetzten Wiederaufbauteams der Bundeswehr 'erhebliche Gefahren' abzeichnen, werden die KSK-Männer nach zuverlässigen Informationen wieder zum Hindukusch zurückkehren.“ An Pfingsten d.J. wurden die KSK-Kämpfer dann in Marsch gesetzt, wie wiederum der „Spiegel“ mitteilte: „Schwerpunkt des neuen KSK-Einsatzes .. ist der Kampf im südöstlichen Teil des Landes, im Grenzgebiet zu Pakistan, wo Taliban und al-Qaida seit einigen Wochen eine Frühjahrsoffensive gegen die Amerikaner gestartet haben. Die Deutschen sollen sich diesmal von Anfang an um einen eigenen Sektor kümmern, in dem sie auch die sogenannte Coordinating Authority haben, womit sie ihre Ziele weitgehend selbst bestimmen.“ (Spiegel, 23.05.2005.)

Die Bundesregierung ist damit den Ratschlägen der CDU-Opposition gefolgt, von denen sie noch vor Jahresfrist nichts wissen wollte. Am 10. Januar 2005 hatte der verteidigungspolitische Sprecher der Union, Christian Schmidt, eine Verknüpfung der Antiterror-Operation mit dem Kampf gegen Drogen gefordert. Wörtlich sagte er, es wäre "eine Katastrophe für unsere Sicherheit, wenn Afghanistan statt einer Brutstätte des Terrors nun die Heroinfabrik der Welt wird". Die Bundesregierung müsse klären, welche Konsequenzen für den Bundeswehreinsatz in Afghanistan zu ziehen seien.

Nun also scheint es geklärt zu sein:
  1. Die KSK-Kräfte werden für sog. Antiterror-Aktionen eingesetzt, wozu auch die Zerstörung von Mohnanbaugebieten gehören dürfte. Nach wie vor verweigert die Regierung jegliche Auskunft über die „operativen“ Einsätze der KSK. Laut einem gut recherchierten Bericht des „Stern“ vom 7. Juli 2005 "läuft der Einsatz in Afghanistan aufs Ausschalten von Hochwertzielen im Drogengeschäft hinaus.“ Wörtlich gaben einige Spezialkrieger aus Calw zu Protokoll: „Einige Offiziere haben uns nach Stabsbriefings klipp und klar gesagt, dass es um drug enforcement (Drogenbekämpfung) geht. Wir sollen Drahtzieher ausschalten, eliminieren". Jürgen Rose empört sich darüber in der Wochenzeitung „Freitag“: „Die Vorstellung, dass aus Deutschland entsandte Todesschwadronen der Bundeswehr in fremden Staaten aufgrund eins bloßen Tatverdachts Mordaufträge ausführen könnten, erscheint als schlichtweg ungeheuerlich. Träfe die kolportierten Darstellungen zu, wäre Deutschland auf das Niveau eines ‚Schurkenstaates’ herabgesunken.“ (Freitag, 22.07.2005; auf unserer Website: "Kommando Spezialkiller".)
  2. Das deutsche ISAF-Kontingent soll auf rund 3.000 Soldaten aufgestockt werden und grundsätzlich in allen Landesteilen einsetzbar sein. Dies geht aus einem vertraulichen Bericht des Verteidigungsministeriums vom 9. Juli d.J. hervor, aus dem wiederum der „Spiegel“ zitieren konnte. Damit, und dies ist der springende Punkt, kann es bei der anstehenden Verlängerung des Bundeswehreinsatzes im Rahmen von ISAF nicht einfach darum gehen, den alten Auftrag zu erneuern, sondern es geht um einen erweiterten Auftrag, der die Grenze zwischen „peace keeping“ (entsprechend dem UN-Mandat) und „peace enforcement“ (entsprechend dem völkerrechtswidrigen Kampfauftrag für KSK im Rahmen von „Enduring Freedom“) verwischt.
Bundesverteidigungsminister Struck hat in den letzten Monaten mehrfach davon gesprochen, dass der Job in der Bundeswehr künftig gefährlicher werde und auch mit toten Soldaten zu rechnen sei. Vor kurzem setzte er noch eins drauf und warnte davor, dass Deutschland wegen des weltweiten Einsatzes seiner Soldaten zunehmend auch ins Visier von Terroristen geraten könnte. "Es wäre ein Irrtum anzunehmen, nur weil wir nicht am Irak-Krieg teilgenommen haben, würden wir verschont bleiben", sagte Struck der "Welt am Sonntag" (Ausgabe vom 14. August). "Wir sind keine einsame Insel." Deswegen seien Terroranschläge in Deutschland "nicht auszuschließen".

Ist das die „Normalität“, von der deutsche Politiker seit dem Ende der Blockkonfrontation sprechen? Sollen wir jetzt auch diesbezüglich Anschluss an die imperialen Mächte à la USA finden? Einer Umfrage des US-Forschungsinstituts Pew Research vom Juni 2005 zufolge sind die USA nicht zuletzt wegen des Irakkriegs in den meisten Ländern äußerst unbeliebt. In der Studie wurden die Bürger von 16 Ländern zu ihren positiven Bewertungen verschiedener Staaten befragt. Die USA schnitten dabei schlechter ab als China, Frankreich, Deutschland und Japan, denn nur in sechs Ländern gab mehr als die Hälfte der Befragten an, ein positives Bild der Vereinigten Staaten zu haben. China bekam hingegen in elf Ländern gute Noten; Frankreich, Deutschland und Japan sogar in 13 Ländern. – So ist das eben mit Staaten, die nicht nur imperiale Ziele verfolgen – das tut die Bundesrepublik spätestens seit 1990/91 -, sondern auch sichtbar imperial auftreten: am Hindukusch, im Sudan oder zusammen mit der EU-Troika gegenüber dem Iran (trotz Schröders wahltaktischer Antikriegsparolen).

Auch daran sollte die Friedensbewegung denken, wenn sie „Nein“ sagt zur Verlängerung des ISAF-Einsatzes, worüber im September ob mit dem alten oder dem neuen Bundestag abgestimmt wird. Darüber hinaus gilt, was zahlreicher Organisationen vor einem Jahr als Alternative zum Militäreinsatz formuliert hatten: „(...) Eine zivile Kooperation bedarf nicht des militärischen Schutzes. Er behindert nur die zivile Kooperation, da das Militär die Glaubwürdigkeit der Neutralität der Kooperationsorganisationen beschädigt. (...)Die Mittel, die bisher für den Bundeswehreinsatz ausgegeben wurden, sollen deshalb der zivilen Konfliktbearbeitung für geeignete Kooperationsprojekte zur Verfügung gestellt werden. Die Federführung könnte das Bundesministerium für Zusammenarbeit übernehmen. Damit würde deutlich gemacht, dass die Zusammenarbeit in Afghanistan mit der Entwicklungshilfe in anderen Ländern gleichgestellt ist und nicht mit der militärischen Besetzung des Landes in Verbindung steht.“ (Siehe: "Einsatz in Afghanistan beenden")

* Der Beitrag erscheint im nächsten Heft des "FriedensJournal" (September 2005)

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