Steinmeier: "Wir haben in Afghanistan viel erreicht" - "Schäfer: "Die Bilder aus den Tornados sind nicht für das Familienalbum"
Bundestagsdebatte zur Entsendung von Tornado-Aufklärern nach Afghanistan - 1. Lesung (die Reden im Wortlaut)
Im Folgenden dokumentieren wir die Bundestagsdebatte vom 28. Februar 2007 zur Entsendung von Tornado-Aufklärern nach Afghanistan. Die erste Lesung hat schon gezeigt, dass die Regierungsfraktionen gewillt sind, den Antrag der Bundesregierung abzunicken. Die Endabstimmung über den Tornado-Einsatz findet am 9. März statt.
Wir dokumentieren die Reden in der Reihenfolge, wie sie gehalten wurden, verzichten aber weitgehend auf Zwischenrufe und Beifallskundgebungen.
Es sprachen:
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter
Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1413 (2002), 1444
(2002), 1510 (2003), 1563 (2004), 1623 (2005) und 1707 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
– Drucksache 16/4298 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesaußenminister,
Dr. Frank-Walter Steinmeier.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Abgeordneten! Wieder einmal beschäftigt das
Thema Afghanistan den Deutschen Bundestag. Schon
fünf Jahre lang engagieren wir uns für Frieden und Wiederaufbau
in diesem Land. Die Erinnerung an die Anschläge
von Washington und New York beginnt langsam
zu verblassen.
Alle Fraktionen haben damals hier, im Deutschen
Bundestag, versichert, dass der Kampf gegen den Terror
uns erstens Kraft und zweitens einen langen Atem
abverlangen wird. So ist es gekommen. Unsere Geduld
und unsere Beharrlichkeit bei der Durchsetzung unseres
Konzeptes und der eingeschlagenen Politik werden jetzt
auf die Probe gestellt. Diese Probe müssen wir bestehen.
Wir haben in Afghanistan viel erreicht. Besonders im
Norden des Landes, wo die Bundeswehr arbeitet und
Verantwortung trägt, hat sich die Situation verbessert.
Wir haben Straßen und Schulen gebaut. Wir haben Brunnen
gebohrt. Millionen von Flüchtlingen konnten zurückkehren.
7 Millionen Jungen und Mädchen können
wieder eine Schule besuchen.
Es muss aber auch gesagt werden: Vor allem im Süden
des Landes hat sich die Situation im vergangenen
Jahr verschärft. Dort vollzieht sich der Wiederaufbau
für viele Afghanen nicht schnell genug. Dort kämpfen
die Taliban gegen den Fortschritt für die Menschen, weil
er aus dem Westen kommt und weil er den Erfolg ihrer
religiösen Ideologie untergräbt. Darum kämpfen die Talibankräfte
dort nicht nur gegen die NATO, sondern zerstören
auch gerade wieder aufgebaute Schulen und andere
Projekte, die dem Wohle der Menschen dienen. Aus
diesem Grund darf der Einfluss der Taliban im Süden
und Südosten des Landes nicht weiter anwachsen.
Afghanistan wird nur dann eine gute Zukunft haben,
wenn auch der Süden und der Osten des Landes von der
wachsenden Stabilität, die wir im Norden sehen, profitieren.
Diese Stabilität konnte erst durch das Tätigsein
nicht nur der Bundeswehr, sondern auch vieler ziviler
Hilfsorganisationen wachsen. Wir haben uns vielfach bei
den Soldaten der deutschen Bundeswehr bedankt. Das
wollen wir auch heute tun. Wir wollen uns heute aber
auch bei den Helfern der vielen zivilen Hilfsorganisationen
von dieser Stelle aus bedanken.
Wir können dennoch nicht darüber hinwegsehen, dass
die gegensätzliche Entwicklung in den einzelnen Teilen
Afghanistans, die ich gerade geschildert habe, auch das
Bündnis, die Solidarität innerhalb der NATO, auf eine
harte Probe stellt. Als vor Jahren verschiedene Verantwortlichkeitszonen
in Afghanistan eingerichtet wurden,
war das in dieser Form vielleicht noch nicht absehbar.
Obwohl sich das Anschlagsniveau im Norden – ich
sprach gerade davon – im Laufe des letzten Jahres erhöht
hat, ist die Lage in den unter deutschem Command stehenden
Nordprovinzen immer noch stabiler und ruhiger
als anderswo.
Andere Nationen – nicht nur die USA, sondern auch
die Niederlande, Dänemark und Kanada – befinden sich
im Süden des Landes in einem Einsatz, der viele ihrer
Soldaten das Leben gekostet hat. Manche werfen uns
und anderen vor, dass die Lastenverteilung im Bündnis
manchmal nicht fair ist. Um das ganz klar zu sagen: Ich
halte diesen Vorwurf, soweit er sich an uns gerichtet hat
– in der Debatte vor dem letzten NATO-Gipfel in Riga
haben das viele verfolgt –, für unberechtigt.
Denn es ist doch nach wie vor so, dass wir mit unseren
2 800 Soldaten zu den größten Truppenstellern innerhalb
der ISAF gehören. Wir Deutsche haben in den vergangenen
Monaten viel dafür getan, unsere politischen Anstrengungen
für die Zukunft Afghanistans weiter zu erhöhen.
Dies geschieht bilateral und durch europäische
Initiativen.
Erst gestern hat die Bundesregierung angekündigt
– Dank an den BMZ-Haushalt –, unseren Anteil für den
zivilen Aufbau um weitere 20 Millionen Euro zu erhöhen.
Dieses Geld wird auch in Zukunft für Schulausbildung,
für Krankenversorgung und für Infrastruktur im weitesten
Sinne zur Verfügung stehen. Nicht nur das: Sie wissen,
dass wir uns auf europäischer Ebene mit anderen
dafür eingesetzt haben, dass unsere Anstrengungen und
die der Italiener beim Polizeiaufbau und beim Aufbau
des Justizapparates von anderen europäischen Nationen
unterstützt werden. Die entsprechenden Beschlüsse wurden
im letzten Allgemeinen Rat vor zwei Wochen gefasst.
Im NATO-Rat – auch das muss erwähnt werden – haben
wir mit anderen eine Debatte über eine bessere Verknüpfung
von zivilen und militärischen Maßnahmen
angestrengt. Nicht nur das: Wir haben auch eine Debatte
über den Stellenwert ziviler Wiederaufbaumaßnahmen
angeregt.
Ich darf sagen: Ausnahmslos alle sehen die Notwendigkeit
eines veränderten Auftritts der internationalen
Staatengemeinschaft. Kein NATO-Mitglied hat ein Interesse
daran, in Afghanistan von der dortigen Bevölkerung
sozusagen als Teil einer seelenlosen Besatzungsarmee
wahrgenommen zu werden.
Alle kennen den Anlass ihrer Präsenz. Der Anlass ihrer
Präsenz ist: Afghanistan muss wieder auf die Beine
kommen, muss alleine lebensfähig werden.
Deshalb werden wir und viele andere ihre zivilen
Wiederaufbauanstrengungen ausweiten. Sie haben heute
Morgen gelesen, dass zum Beispiel Kanada die Eigenanstrengungen
jetzt um weitere 100 Millionen Euro erhöht.
Das ist erfreulich. Aber so erfreulich das ist, es macht
unsere militärische Präsenz in Zukunft noch nicht überflüssig.
Die NATO hat beim Einsatz für den Frieden in
der Vergangenheit zusätzliche Aufgaben übernommen
und den Bedarf für weitere Hilfe angemeldet. Ich halte
es für unabdingbar, an solche Hilfen zu denken, damit
der Einsatz der ISAF insgesamt gelingt.
Ob das nun so ist oder nicht, ob der eine oder andere
das wahrhaben will oder nicht: Die Aufklärung aus der
Luft kann nun einmal – der Verteidigungsminister wird
sicher darauf hinweisen – kein System so gewährleisten
wie die RECCE-Tornados unserer Bundeswehr. Ihre Bilder
verbessern das Lagebild für die ISAF-Mission, dienen
damit auch dem Schutz der ISAF-Soldaten, und
zwar in ganz Afghanistan, auch jener, die sich in besonders
schwierigen Einsatzgebieten im Süden befinden.
Letztlich kommt ein verbessertes Lagebild – um das geht
es hier – auch den zivilen Helfern und der Bevölkerung
in Afghanistan selbst zugute.
Die Entsendung der Tornados ist ein Zeichen unserer
Unterstützung der ISAF und der NATO in Afghanistan
in zweifellos schwieriger Zeit. Ich sage: Aus meiner
Sicht sind wir diese Solidarität dem Bündnis schuldig.
Deshalb sind wir bei der schwersten Aufgabe in der Geschichte
dieses politisch-militärischen Bündnisses jetzt
gefragt. Kanadier, Niederländer und US-Amerikaner bitten
um die Tornados ausschließlich im Auftrag der
ISAF-Mission. Ich kann Ihnen versichern: Aufklärungsergebnisse
werden eingeschränkt und kontrolliert an die
OEF-Mission übermittelt, die sich, wie Sie wissen, dem
Kampf gegen den Terror widmet. So steht es im ISAFOperationsplan.
Wir haben einen sogenannten Close Air Support in
diesem Mandat explizit ausgeschlossen. Aber es wäre
nicht ehrlich, wenn ich nicht hinzufügen würde: Die
OEF ist natürlich kein Teufelswerk, weil sie militärisch
für die langfristige Befriedung Afghanistans kämpft. Wir
haben seit Anbeginn beides, ISAF und OEF, für notwendig
gehalten. Vergessen wir bitte nicht: Auch die ISAFMission
ist auf Hilfe durch OEF-Soldaten angewiesen.
Wie ich weiß, haben manche im Bundestag die Sorge,
dass die Bundeswehr Zug um Zug in eine mehr oder weniger
unkontrollierte militärische Auseinandersetzung
hineinschlittert. Ich teile diese Sorge nicht. Ich möchte
darauf hinweisen, dass wir bestimmte Formen des Einsatzes
der Tornados, nämlich den unmittelbaren Kampfbezug,
ausdrücklich ausgeschlossen haben. Wir stellen
die Tornados nur für Aufklärungszwecke zur Verfügung.
Ich verstehe das Unwohlsein einiger Abgeordneter
hier im Haus; das habe ich signalisiert. Viele fragen
– diese Fragen haben mich erreicht –, ob der militärische
Kampf im Süden Afghanistans nicht Ausdruck einer gewissen
politischen Hilflosigkeit ist. Manche zweifeln, ob
ein langfristiger Frieden in Afghanistan mit dem derzeitigen
Konzept möglich ist, und fragen nach einer
Exitstrategie.
Meine Damen und Herren, ich will all diesen unangenehmen
Fragen nicht ausweichen, sondern eindeutig entgegnen:
Nein, nach meiner festen Überzeugung ist der
Afghanistaneinsatz nicht gescheitert. Er wäre nur dann
gescheitert, wenn wir die erforderlichen Hilfen und Mittel
für unsere politische Strategie zum Wiederaufbau,
die natürlich weiterhin von militärischen Einsätzen begleitet
sein muss, jetzt nicht zur Verfügung stellen.
Niemand will, dass die Bundeswehr bis zum Sankt-
Nimmerleins-Tag in Afghanistan bleibt. Unser Konzept
zielt darauf, dass die Region um Afghanistan ihre Konflikte
langfristig selbst löst. Darum arbeiten wir gemeinsam
mit anderen Partnern zum Beispiel daran, dass die
Spannungen zwischen Afghanistan und Pakistan
überwunden werden und der Boden für eine rationale
Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Ländern bereitet
wird. Wir haben die Außenminister Afghanistans und
Pakistans gerade erst zum nächsten G-8-Außenministertreffen
eingeladen, um die Möglichkeit einer konstruktiven
Zusammenarbeit zu schaffen.
Ich komme zum Schluss. Wir müssen verhindern,
dass Afghanistan wieder zu einer Ausbildungsstätte für
den internationalen Terrorismus wird. Wir müssen den
Menschen in Afghanistan demonstrieren, dass die Teilhabe
an Wohlstand, an Bildung und Forschung bessere
Chancen für ihre Kinder und Enkel birgt als ein Leben
unter den Zwängen radikaler Islamisten. Ich habe das
schon bei anderer Gelegenheit gesagt – der eine oder andere
wird sich erinnern –, aber ich will es mit Nachdruck
wiederholen: Afghanistan ist nur verloren, wenn wir es
verloren geben.
Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst einmal finde ich es gut, dass wir uns heute mit
diesem Mandat befassen und in der nächsten Woche darüber
entscheiden. Lange Zeit hat es nämlich so ausgesehen,
als sollte der Deutsche Bundestag mit der Ausweitung
dieses Mandates nicht befasst werden. Ich denke,
diese Ausweitung des Mandates bringt eine solch neue
Qualität der Mitwirkung der Bundeswehr mit sich, dass
es unverzichtbar ist, dass der Deutsche Bundestag darüber
entscheidet; denn wir halten ohne Wenn und Aber an
der Parlamentsarmee fest.
Wir haben, als wir im Herbst über die Verlängerung von
OEF und ISAF debattiert haben, gedacht, dass wir, um
uns über die Entwicklung unserer mittel- und langfristigen
Strategie für Afghanistan Gedanken zu machen,
bis zum Ende dieses Jahres Zeit hätten. Denn wir wissen
doch – in München ist es deutlich geworden –, dass zwei
entscheidende, große Fragen offen sind: Wie sieht es
mittel- und langfristig mit der Drogenproblematik aus?
Wie sieht es mit der offenen Flanke Pakistan aus? Auf
beide Fragen gibt es keine befriedigenden Antworten.
Deswegen sind die Fragen der mittel- und langfristigen
Entwicklung, die der Bundesminister eben angesprochen
hat, auch für uns von herausragender Bedeutung.
Aber es sind keine technischen Fragen oder irgendwelche
Nickeligkeiten, die dazu führen, dass es uns in
der gegenwärtigen Diskussion so unwohl ist; ich spüre
das bei Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen.
Denn beide möglichen Entscheidungen, Ja oder Nein
– eine Enthaltung kann es hier wohl nicht geben –, sind
mit erheblichen Nachteilen und Bedenken verbunden.
Was würde ein Nein des Deutschen Bundestages bedeuten?
Es würde zumindest zwei große Probleme aufwerfen:
Wenn Deutschland eine Ressource, von der wir
mehr oder die wir besser als jeder andere in der NATO
zur Verfügung haben, verweigert, dann wird das im
Zweifel an die Grundfesten des Bündnisses und unsere
Fähigkeit, dort mitzuwirken, gehen; darüber müssen wir
uns im Klaren sein.
Zum Zweiten müssen wir uns darüber im Klaren sein,
was es bedeutet, wenn wir leichtfertig mit der Dimension
Aufklärung umgehen, welche Risiken, welche Verantwortung
wir auf uns nehmen, wenn wir es unmöglich
machen, Ergebnisse von Aufklärungsaktivitäten zur Verfügung
zu stellen, die nicht nur dazu dienen können,
Ziele zu identifizieren, sondern die zunächst einmal dazu
dienen, überhaupt Lagebilder zu erstellen, die die Operation
unserer eigenen Kräfte und die unserer Partner in
Afghanistan und damit auch das Leben der Menschen in
Afghanistan, auch im Hinblick auf die Vermeidung von
Kollateralschäden, sicherer machen können. Das ist die
eine Seite.
Auf der anderen Seite, liebe Kolleginnen und Kollegen,
spüre ich überall, dass kaum einer hier Lust hat,
sich geradezu auf eine schiefe Ebene zu begeben, mög-
licherweise in etwas hineinzurutschen, was wir hinterher
nicht mehr kontrollieren können, hineinzurutschen in
eine Operationsführung, die wir, einschließlich der Bundesregierung,
neulich bei der Verlängerung von OEF
und auch im Vorfeld des NATO-Gipfels von Riga noch
deutlich kritisiert haben. Deswegen ist es wichtig, dass
hier Brandmauern eingezogen werden. Wichtig ist hier
aber auch, dass sich die Rhetorik ändert. Ich sage einmal
für meine Fraktion: Jeder rhetorische Versuch des
NATO-Generalsekretärs, der mehr auf die amerikanische
Kultur ausgerichtet ist als auf die europäische, bringt
mehr Neinstimmen für die Operation in meiner Fraktion.
Wir erwarten dringend, dass innerhalb der NATO rhetorisch
abgerüstet wird, insbesondere bei dem zivilen politischen
Führer dieses Bündnisses.
Wir dürfen auch nicht übersehen, was es bedeuten
würde, wenn wir nicht hinreichend Einfluss nehmen auf
die Kommandokette. Da sind gestern bei uns in der
Fraktion wichtige Antworten vom Verteidigungsminister
gegeben worden.
Die Bundesregierung hat das Abstimmungsverhalten
vieler hier im Hause, auch aus unserer Fraktion, noch
immer in der Hand, glaube ich. Wir wollen eben sehen,
dass tatsächlich ein Strategiewechsel des Bündnisses
auch insofern sichtbar wird, als die Priorität des Politischen
vor dem Militärischen wieder deutlich erkennbar
wird; dass die Aufbauarbeit nicht nur als Nebenkriegsschauplatz
begriffen wird, sondern als unsere Hauptaufgabe.
Gleichwohl vergessen wir nicht, weswegen wir
überhaupt in Afghanistan sind, nämlich um nach den Ereignissen
des 11. Septembers 2001 al-Qaida und die Taliban
zu bekämpfen und den Terrorismus, der von diesen
Organisationen ausgeht, aus unserem eigenen Lande herauszuhalten;
das darf man bei all dem nicht vergessen.
Die Bundesregierung wird uns auch deutlich machen
müssen, dass sie sich der Verantwortung für ISAF insgesamt
bewusst ist. Es wird ja häufig so getan, als würden
wir schöne, saubere Aufgaben im Norden wahrnehmen,
während andere im Süden die Drecksarbeit machen. So
ist es nicht. Wir müssen uns klarmachen: Die NATO basiert
im Grunde auf dem Konsensprinzip; das gilt dann
auch für eine NATO-Operation wie ISAF. Wir dürfen
nach meiner Auffassung auch nicht ungerecht sein gegenüber
unseren Partnern, wenn wir unseren Ansatz im
Norden – die Vernetzung von Zivilem und Militärischem –
für überlegen halten. Allerdings müssen wir dem auch
Taten folgen lassen. Ich finde, die Ansätze im Bereich
Polizeizusammenarbeit, Justiz, Entwicklungspolitik sind
eher mäßig. Die Art der Zusammenarbeit mit der militärischen
Seite ist es ebenfalls.
Von daher müssen wir sehr aufpassen, dass wir die
anderen nicht in ein falsches Licht rücken. Das gilt auch
für die Weitergabe von Ergebnissen. Dabei – das mag
Sie vielleicht überraschen – bin ich sehr viel großzügiger
als der Herr Bundesminister. Denn ich bin der Auffassung,
dass es auch unter Bündnisgesichtspunkten fatal
wäre, wenn wir über Aufklärungsergebnisse verfügen
würden, die für OEF-Operationen wichtig sein könnten,
und sie verweigern würden mit der Folge, dass Soldaten
unserer Bündnispartner zu Schaden kommen. Auch das
könnten wir nicht vertreten.
Wir Liberalen werden den Antrag unvoreingenommen
prüfen und am nächsten Dienstag darüber entscheiden.
Wir sind uns der Verantwortung, die wir tragen, in
beiden Richtungen völlig bewusst.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Bundesregierung hat entschieden, der Bitte
der NATO zu entsprechen und die Lücke hinsichtlich der
Fähigkeiten zur Luftaufklärung in Afghanistan zu
schließen, und sie bittet das Parlament, diese Entscheidung
mit großer Zustimmung mitzutragen.
Was ist der Sinn und Zweck, diese Aufklärungslücke
zu schließen? Tatsache ist, dass sich die Sicherheitslage
in Afghanistan im letzten Jahr verschlechtert hat. Es ist
eine erhebliche Zunahme der Zahl der Selbstmordanschläge
und Angriffe auf unsere Soldaten – sei es mit
Panzerfäusten oder anderen Geschossen – zu verzeichnen.
Ich habe deshalb schon im letzten Jahr entschieden,
dass der Schutz unserer Soldaten erhöht wird, und zwar
durch geschützte Fahrzeuge, aber auch durch unsere
Aufklärungsdrohne LUNA, die der Aufklärung in einem
Radius von 40 Kilometern dient.
Jetzt geht es darum, die Aufklärungslücke für Gesamtafghanistan
zu schließen, auch im Interesse des
Schutzes unserer Soldaten, der Soldaten von ISAF, der
Wiederaufbauteams, aber auch der zivilen Bevölkerung.
Dies entspricht der Bitte der NATO, und es ist der
Grund, warum wir um Zustimmung für dieses Mandat
nachsuchen.
Wir haben mit der NATO abgestimmt, wie wir die
Verantwortung wahrnehmen. Daran hat sich auch trotz
der einen oder anderen Irritation, die sich in der letzten
Woche vielleicht ergeben hat, nichts geändert. Tatsache
ist: Wir haben zunächst im Norden die Verantwortung
übernommen. Dann haben die Italiener im Westen die
Verantwortung übernommen, die Briten, Kanadier und
Niederländer im Süden, die Amerikaner im Osten und
die Franzosen in Kabul.
Die Ausweitung auf den Süden ist im Juli letzten Jahres
und auf den Osten im Oktober des letzten Jahres abgeschlossen
worden. Das hatte zur Folge, dass jetzt auch
die Amerikaner und die Briten dem ISAF-Mandat und
damit auch der NATO-Kommandoführung unterworfen
sind und dass wir eine Gesamtverantwortung für Sicherheit
und Wiederaufbau in Afghanistan haben.
Das hat auch etwas damit zu tun, wie sich nunmehr
die Verantwortung unserer Soldaten in den Kommandostrukturen
darstellt. Manchmal wird argumentiert,
die Kommandostruktur sei einseitig durch die Vereinigten
Staaten von Amerika geprägt. Dies ist nicht
zutreffend. Tatsache ist: Wir haben heute eine Kommandostruktur
mit dem NATO-Oberbefehlshaber, General
Craddock – einem Amerikaner –, aber in der NATO-Kommandostruktur
in Brunssum ist unser General Ramms für Afghanistan verantwortlich. In der unmittelbaren Kommandostruktur in Afghanistan ist General
McNeil, ein Amerikaner, zuständig, aber Stabschef im
Hauptquartier der ISAF ist unser General Kasdorf.
Ich will damit deutlich machen, was für die Umsetzung,
die militärische Verantwortung und die Gesamtstrategie,
die wir für notwendig erachten – ich komme
gleich darauf zurück –, nämlich militärische Sicherheit
zu gewährleisten, aber auch den Wiederaufbau voranzutreiben,
gilt: ohne Sicherheit keine Entwicklung, aber
ohne Entwicklung auch keine Sicherheit. Das ist die Philosophie,
die sicherstellt, dass wir in Afghanistan erfolgreich
sein werden.
Unsere Tornados haben hervorragende Fähigkeiten;
der Außenminister hat darauf hingewiesen. Sie können
bei der Tagaufklärung in einer Höhe von bis zu
8,5 Kilometern auch bei schlechtem Wetter und einer
Geschwindigkeit von über 1 000 km/h exakte Bilder liefern
und Nachtaufklärung durch Infrarot betreiben. Sie
gewährleisten damit, dass Schutzfunktionen verhältnismäßiger
und angemessener wahrgenommen und dass damit
Risiken im Vorfeld beseitigt werden können. Das
macht den Schutz deutlich, den die Tornados gewährleisten.
Die Soldaten der Bundeswehr operieren mit einem
Mandat der Vereinten Nationen, und zwar sowohl im
Rahmen von ISAF als auch im Rahmen von OEF. Wir
operieren auf der Grundlage des Völkerrechtes. Andere
Darstellungen entsprechen nicht der Wahrheit; diese will
ich hier deutlich zurückweisen.
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat entschieden,
dass selbstverständlich beide Mandate unterstützt
werden; denn die Operation „Enduring Freedom“, die
der Terrorismusbekämpfung dient, zielt genauso auf die
Gewährleistung der Sicherheit, die Stabilisierung und
den Wiederaufbau ab wie das ISAF-Mandat. Deshalb
haben wir klar und deutlich gemacht, dass die Anforderung
der Tornados durch ISAF erfolgt, dass aber dann,
wenn es notwendig ist – so ist die Formulierung im Operationsplan
–, die entsprechenden Daten an die OEF weitergegeben
werden. Nur so kann Sicherheit im gesamten
Umfeld hergestellt werden und die ISAF zusätzliche Sicherheit
gewährleisten.
Es ist ein entscheidender Punkt, dass nicht nur die Regierungschefs
in Riga, sondern auch die Außen- und die
Verteidigungsminister die Bedeutung dieser Gesamtstrategie
für die praktische Umsetzung deutlich unterstrichen
haben und dass sich alle sehr nachdrücklich dazu
bekannt haben. Wenn sich nun in Afghanistan die zivile
und die militärische Seite mit der dortigen Regierung
beispielsweise in einem wöchentlichen Rhythmus treffen,
um Maßnahmen abzustimmen, dann halte ich das
für den richtigen Weg; denn entscheidend ist, dass wir
nicht nur Sicherheit herstellen, sondern auch den Wiederaufbau
vorantreiben, um so die Herzen der Menschen
zu gewinnen. Nur so werden wir bei unserem Versuch
erfolgreich sein, Afghanistan zu stabilisieren und in
eine positive Zukunft zu führen.
Die Bundeswehr hat bereits 630 Projekte in Angriff
genommen, von Schulen, Kindergärten über den Straßenbau
und die Wasserversorgung bis hin zu Krankenhäusern.
Wir planen seitens der Bundesregierung, bis
zum Jahr 2010 insgesamt 900 Millionen Euro hier zu investieren.
Die Entwicklungsministerin hat nun einen Betrag
von 20 Millionen Euro hinzugefügt. Es ist notwendig
und wichtig, dass wir in einem sicheren Umfeld die
Wiederaufbaumaßnahmen vorantreiben, um dafür zu
sorgen, dass Afghanistan in der Lage ist, seine Sicherheit
selber zu gewährleisten. Selbstverständlich helfen wir
mit, Streitkräfte und Polizeistrukturen in Afghanistan
aufzubauen. Durch gemeinsame Operationen von ISAF
sowie afghanischen Streitkräften und afghanischer Polizei
wird der Aufbau einer Sicherheitsphilosophie gewährleistet,
die letztlich zu einer selbsttragenden Sicherheit
führt; das ist unser Ziel. Wir wollen, dass dieses
Land, das nun eine demokratisch gewählte Regierung
und ein demokratisch gewähltes Parlament hat und das
sich in einer Entwicklungsphase befindet, die dadurch
gekennzeichnet ist, dass immerhin wieder 7 Millionen
Kinder zur Schule gehen und dass 80 Prozent der Bevölkerung
basismedizinisch versorgt werden – Erfolge sind
also durchaus festzustellen –, in Zukunft in der Lage ist,
für seine Sicherheit selber zu sorgen und einen eigenen
Weg in eine gute Zukunft zu gehen.
Deshalb bitte ich Sie, diese Entscheidung der Bundesregierung
zu unterstützen. Ich halte das auch im Hinblick
auf unsere Soldatinnen und Soldaten für notwendig.
Ich will noch einmal unterstreichen: Der Tornado hat
zwei Fähigkeiten. Er hat die Aufklärungsfähigkeit, und
er hat die Kampffähigkeit. Es wird jetzt eindeutig die
Aufklärungsfähigkeit nachgefragt. Selbstverständlich ist
der Selbstschutz gegeben. Aber ich will auch deutlich
sagen: Der Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten in
Afghanistan ist mit Risiken verbunden. Er ist mit Risiken
auch für Leib und Leben unserer Soldaten verbunden.
Sie machen dies im Interesse unserer Sicherheit und
einer Entwicklung, die dazu beiträgt, dass Afghanistan
nicht wieder zu einem Ausbildungszentrum für Terroristen
wird. Um all das und um eine positive Entwicklung
zu gewährleisten – dazu dient jetzt unsere Entscheidung,
mit der Aufklärungsfähigkeit eine Lücke zu schließen.
Deshalb bitte ich Sie um Ihre Zustimmung.
Besten Dank.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In diesem
Haus fallen wichtige Entscheidungen, noch wichtigere
und ganz besonders wichtige. Diese hier ist ganz
besonders wichtig. Es geht um die Frage: Verstrickt sich
die Bundesrepublik mit der Entsendung der Tornados
mehr und mehr in ein Kriegsgeschehen, aus dem es kein
Entrinnen mehr gibt, oder werden mit dem Nein zur Entsendung
der Tornados die Weichen für einen Truppenabzug
und für den zivilen Aufbau des Landes gestellt? Das
ist die Grundfrage.
Machen wir uns nichts vor: Mit den sechs bis acht
Tornados werden wir ein nicht mehr wegzudenkender
Bestandteil eines robusten Kampfeinsatzes, der mit einer
Frühjahrsoffensive der NATO – so heißt es – beginnt,
dessen Ende aber ungewiss ist. Machen wir uns nichts
vor: Die Bilder aus den Tornados sind nicht für das Familienalbum
und nicht für die Wetterkarte. Hier werden
als militärisch wichtig erachtete Ziele aufgeklärt, die
dann mit militärischen Mitteln – sprich: Bomben und
Raketen – bekämpft werden sollen. Dass die gesamte
NATO-Armada inzwischen nicht unbeträchtlich aufgestockt
wird, zeigt, wie ernst man das meint. Außerdem
sollen die Tornados die britischen Harriers ersetzen, die
damit für unmittelbare Kampfeinsätze frei werden. Gewalteskalation
ist vorprogrammiert. Umso wichtiger ist
hier jetzt unser Nein.
ISAF war ursprünglich eine reine Schutztruppe der
NATO zur Sicherung des zivilen Aufbaus. Zeitgleich wurde ein harter Kampf, ein harter Krieg gegen den Terror im Süden des Landes geführt. Jetzt haben
wir eine Ausweitung von ISAF. Man hätte annehmen
können, dass die allzu robusten Kampfverbände durch
eine Schutztruppe ersetzt würden. Aber wir erleben eine
eigenartige Umkehrung: ISAF führt heute Luftkrieg,
ISAF ist inzwischen an robusten Bodenoperationen beteiligt.
ISAF und „Enduring Freedom“ sind zwar formal
noch getrennte, aber nicht mehr zu trennende Militäreinsätze,
und die Tornadoerkenntnisse werden für diese
Kriegshandlungen genutzt werden.
Wir sollten in diesem Zusammenhang die Hinweise aus
dem Kreis von CDU/CSU-Kollegen, der Kollegen
Wimmer und Gauweiler, sehr ernst nehmen, die sagen:
Der Einsatz der deutschen Tornados kommt einer Teilnahme
an Militäraktionen gleich, die vom Völkerrecht
und vom gültigen NATO-Vertrag nicht gedeckt sind. –
Genauso ist es.
Aus dem Irak ist doch zu lernen. Mit überlegenen
Streitkräften einen Krieg zu gewinnen, ist gar nicht so
schwierig. Mission accomplished, Mission erfüllt. Aber
eine dauerhafte Befriedung und eine nachhaltige demokratische
Entwicklung sind nicht zu erreichen, dies nicht
zuletzt deshalb, weil viele Unschuldige sterben und
Menschen unter diesen Zerstörungen leiden müssen.
Die Militärs können Ihnen nicht garantieren, dass sie
Schmuggelkarawanen und lose Talibantrupps genau auseinanderhalten
können. Sie können nicht garantieren,
dass man untergetauchte Widerstandskämpfer und Zivilisten
fein säuberlich auseinanderhalten kann. Deshalb
ist klar: Es werden Unschuldige getötet werden, und das
werden bewaffnete Dschihadisten als Rechtfertigung dafür
nehmen, dass sie den Terror hierher tragen. Wenn wir
dabei sind, wenn an der Gewaltspirale gedreht wird,
dann ist es nicht aus der Luft gegriffen, zu sagen:
Deutschlands Sicherheit wird am Hindukusch gefährdet.
Terroristen muss man entgegentreten – wohl wahr! –;
aber man darf ihnen keinerlei Nährboden bieten. Darüber,
wie man diesen Nährboden trockenlegt, muss gesprochen
werden. Gesprochen werden muss über den
Frust und den Zorn der Menschen, vor allem im Süden
und Osten des Landes. Dass es nicht vorangeht, dass sich
die Lage verschlechtert hat, zeigen neuere Studien, die
Sie einfach nicht zur Kenntnis nehmen, zum Beispiel die
vom Senlis Council. Wir haben heute Morgen festgestellt,
dass die Regierung diese Studie gar nicht kennt.
So ist die Lage.
Die Befürworter der Tornadoentsendung setzen ihre
Hoffnung jetzt auf eine Art Doppelstrategie: einerseits
mehr Krieg, andererseits mehr Entwicklungsinvestitionen.
Aber das ist nicht einmal ein Nullsummenspiel. Wie
viele Mittel vor Ort tatsächlich ankommen, steht auf einem
anderen Blatt.
Afghanistan gilt als das erste Beispiel eines von außen
erzwungenen Regimewechsels. Heute gilt es auch
als Referenzprojekt für die NATO, um zu zeigen, wie
man gescheiterte Staaten aufzubauen gedenkt. Ich
glaube, dieser Weg führt in die Sackgasse. Wir sollten
daher umkehren, ehe es zu spät ist.
Das sieht übrigens die überwiegende Mehrzahl der
Deutschen genauso. Diese Menschen sind gegen die
Tornadoentsendung. Wenn Politiker der Großen Koalition
jetzt laut darüber nachdenken, ob wir zukünftig
mehr Vorratsbeschlüsse des Parlaments brauchen, so
zeugt das, wie ich finde, nicht von urdemokratischer Gesinnung.
Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Hören Sie
auf die Leute! Ändern Sie Ihre Politik! Fangen Sie damit
an, die deutschen Truppen aus Afghanistan zurückzuziehen!
Danke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wenn man von der Linken und der PDS einmal
konkret hören würde, wie nach ihrer Vorstellung der
internationale Terrorismus effektiv bekämpft, die zivile
Gesellschaft in Afghanistan unter den jetzt im Lande
herrschenden Bedingungen gestärkt und der Staat aufgebaut
werden können, dann würden sie an Glaubwürdigkeit gewinnen. Aber
dazu sagen die Linken in diesen Debatten nie etwas.
Ich will für meine Fraktion sagen, dass wir zum deutschen
und internationalen zivilen und auch militärischen
Engagement in Afghanistan im Grundsatz stehen. Wir
stehen zu ISAF als der klassischen Verbindung von militärischer
Sicherheit auf der einen Seite und zivilem Aufbau
und Nation-Building auf der anderen Seite.
Wir haben über den Antrag der Bundesregierung zu
entscheiden, ob man das ISAF-Mandat um den Einsatz
von sechs bis acht Tornados ergänzen soll. Das ist eine
schwierige Situation, die ich erläutern will. Die Situation
ist schwierig, weil nicht ganz klar ist – Herr Hoyer, erst
nach Prüfung dieser Frage wird meine Fraktion nächsten
Dienstag endgültig entscheiden –, ob der vieldiskutierte
Strategiewechsel im Zusammenhang mit dem, was in
Afghanistan bezüglich ISAF geschieht, tatsächlich stattfindet
oder ob er nur auf der Ebene verbaler Bekundungen,
sozusagen PR-mäßig bzw. proklamatorisch, abläuft.
Es geht darum, ob er vor Ort, also da, wo die Menschen
sind, wirklich umgesetzt wird. Das ist zum jetzigen Zeitpunkt
eine schwer entscheidbare Frage.
Mitglieder unserer Fraktion haben in unserer heutigen
Fraktionssitzung gesagt: Ich bin für ISAF und den damit
verbundenen Ansatz. – Diese Kollegen sind aber skeptisch,
ob dieser Ansatz unter den jetzigen Bedingungen
durch den Einsatz von Tornados gestärkt werden kann.
Andere Mitglieder unserer Fraktion sagen: Jawohl, wir
unterstützen dies, weil wir die Hoffnung haben, dass ein
Strategiewechsel stattfindet und dass der Einsatz von
Tornados diesem Strategiewechsel sogar zugute kommt.
So ist die Lage bei uns.
Ich fordere die Bundesregierung auf, bei dem, was sie
heute hier tut, und bei dem, was sie im Ausschuss tut,
deutlich zu machen – dazu habe ich zu wenig gehört –,
in welcher Weise sie durch nationales Engagement, aber
auch durch internationales Engagement, also durch Engagement
auf der Ebene der NATO oder in bilateralen
Gesprächen, etwa mit den Amerikanern, diesen Strategiewechsel
wirklich effektiv voranbringt.
Da müssen wir abschichten, Herr Verteidigungsminister.
Meiner Fraktion fällt eine Entscheidung manchmal
schwer, weil wir viele unsinnige Begründungen für den
Tornadoeinsatz hören, die es tatsächlich nicht sein können,
manchmal – das ist unser Eindruck – nach dem
Muster: Lasst uns schnell Ja sagen, damit wir als Deutsche
nicht mit Soldaten vor Ort im Süden Afghanistans
mehr tun müssen. – Das ist natürlich keine Begründung
für einen Tornadoeinsatz, über den das Parlament abstimmen
soll, sondern eine Ausrede, um eine grundsätzlichere
und schwierigere Debatte abzuwenden.
Als Sie, Herr Verteidigungsminister Jung, gesagt haben,
mit dem Tornadoeinsatz könnten wir 2 000 potenzielle
talibanische Selbstmordattentäter bekämpfen oder
aufklären, war das natürlich blanker Unsinn. Sorry, das
war blanker Unsinn. Sie können vielleicht Bewegungen
der Taliban und Veränderungen im Süden und im Osten
des Landes beobachten und damit mehr Sicherheit für
die ISAF-Truppen und vielleicht auch für den zivilen
Aufbau schaffen, aber Selbstmordattentäter können Sie
mit den Tornados nicht identifizieren. Das halten wir für
blanken Unsinn, und Sie sollten die Öffentlichkeit mit
solchen Begründungen verschonen.
Frau Bundeskanzlerin und Herr Außenminister, wenn
der Strategiewechsel tatsächlich stattfinden soll, dann sehen
auch wir Möglichkeiten, durch einen Tornadoeinsatz
dazu einen Beitrag zu leisten. Aber dann müssen wir
über andere Punkte reden. Erstens müssen wir über die
Polizei reden. Beim Polizeiaufbau, für den die Deutschen
ja verantwortlich sind, sind wir nicht so weit, wie
wir sein müssten. Die 42 Polizeiausbilder, die wir dort
im Land haben, reichen nicht aus. Meine Fraktion hat
eine Verdreifachung gefordert; Sie haben darauf bislang
nicht reagiert. Jetzt höre ich, Frau Bundeskanzlerin, dass
auf europäischer Ebene mehr für den Polizeiaufbau getan
werden soll. Sagen Sie nächste Woche im Ausschuss
konkret, wie dies geschehen soll! Überzeugen Sie uns
davon, dass es um eine effektive Verbesserung des Polizeiaufbaus
geht und nicht nur um einen Letter of Intent
oder eine Proklamation! Überzeugen Sie uns davon, dass
hier tatsächlich mehr gemacht wird!
Zweitens. Ich kenne kein überzeugendes Konzept der
Bundesregierung bei der wichtigen und entscheidenden
Frage der Drogenbekämpfung. Die Vorstellung, aus der
Luft Drogenfelder anzugreifen, reicht bei einem Land,
dessen Ökonomie tief durch Drogenökonomie gekennzeichnet
ist, nicht aus. Hier gibt es keine einfache Antwort,
aber wir müssen an einem Konzept arbeiten – auch
das würde zur Glaubwürdigkeit beitragen –, das die internationalen
Partner im Rahmen von ISAF gemeinsam
tragen. Es darf nicht sein, dass der eine dieses und der
andere jenes sagt.
Drittens. Wir müssen mehr für den zivilen Aufbau
tun. Jetzt höre ich, dass die Bundesregierung zusätzlich
zu den bisher vorgesehenen 80 Millionen weitere
20 Millionen geben will. Das ist gut, aber trotzdem behaupte
ich: Es ist zu wenig. Die Kanadier haben ihren
Beitrag um 200 Millionen erhöht, die Amerikaner um
viel, viel mehr.
Viertens. Zu Pakistan würde ich gerne von Ihnen,
Herr Außenminister, im Ausschuss oder hier an dieser
Stelle wissen, welche Initiativen Sie anregen, damit Pakistan
auch durch internationalen Druck aus seiner Zwitterrolle
– das Land gibt vor, die Terroristen zu bekämpfen,
und unterstützt sie andererseits – herauskommen
kann.
Ich komme zum Schluss. Je mehr Sie die Perspektive
des Strategiewechsels stärken, umso klarer wird die Unterstützung
in diesem Haus sein. Meine Fraktion bekennt
sich zu ISAF, sie hat aber noch unterschiedliche Positionen
zu der Frage, ob der Einsatz der Tornados richtig ist
oder nicht. Es liegt an Ihnen, die Bedenken auszuräumen,
aber mit klaren Konzepten und Begründungen.
Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch die SPD-Bundestagsfraktion ist der Meinung, dass
es gut ist, dass wir heute über diesen Antrag der Bundesregierung
diskutieren und eine politische Entscheidung
hier in diesem Parlament einer juristischen Auslegung
vorziehen.
Natürlich sind die Fragen, die gestellt worden sind, bis
zur Entscheidung im Deutschen Bundestag in der nächsten
Woche noch zu beantworten. Aber es ist auch schon
eine Reihe von Antworten gegeben worden. Wenn man
will, dann kann man diese Antworten zu seiner Entscheidungsfindung
heranziehen.
Auch im Interesse der Zeitersparnis will ich hier auf
das verweisen dürfen, was der Außenminister und der
Verteidigungsminister zu den politischen, strategischen,
aber auch technisch-militärischen Abläufen gesagt haben.
Eines ist sicherlich richtig: Die Frage des Tornadoeinsatzes
ist der äußere Anlass; aber der Fortgang in
Afghanistan, die Entwicklung Afghanistans und natürlich
auch die militärische Absicherung der Zukunft
Afghanistans – das ist das Entscheidende.
Deswegen müssen wir uns natürlich auch mit dem
Unbehagen – nicht nur in der Bürgerschaft, sondern
auch hier im Parlament – auseinandersetzen sowie des
Weiteren die Ratlosigkeit, die sich einschleicht, und die
um sich greifende Enttäuschung über das zu niedrige
Tempo bei Veränderungen und über Rückschläge beim
Wiederaufbau in Afghanistan aufgreifen; wir müssen
die Situation analysieren und definieren. Es ist richtig,
dass es die meisten Mängel und Defizite beim Wiederaufbau
im Süden und Osten gibt.
Aschermittwoch war ein guter Tag für Afghanistan
und für die internationale Gemeinschaft. Da ist das
„Deutsche Haus“ in Kunduz eröffnet worden,
wo unsere vier Ministerien, die das integrierte Afghanistankonzept
in der NATO, in den Vereinten Nationen und
in der Europäischen Union vertreten, deutlich gemacht
haben, dass sie Anlaufstationen für die Afghaninnen und
Afghanen, Ratgeber und Informationsgeber sind. Wir,
die Kollegen, die unter Federführung unseres Fraktionsvorsitzenden
dort waren, haben von den afghanischen
Gästen den Auftrag bekommen, dem deutschen Parlament
zuzurufen: Bitte entsendet die Tornados! Wir wollen
Sicherheit im Fortschritt unseres Landes und beim
zivilen Wiederaufbau haben! – Gleiches ist uns in
Masar-i-Scharif von säkularen und nichtsäkularen Teilnehmerinnen
und Teilnehmern solcher Gesprächsrunden
gesagt worden.
Also: Greifen wir es auf! Setzen wir im Süden und
Osten fort, was wir – wir wollen uns da nicht hervortun,
aber sollten das doch selbstbewusst sagen dürfen – im
Norden begonnen haben!
Ich bin schon der Meinung, verehrter Herr Kollege
Kuhn, dass der Strategiewechsel greift. Wenn Sie sich
die „development zones“ der Briten und auch die Entwicklung
bei unseren amerikanischen Partnern anschauen,
stellen Sie in diesem Zusammenhang Fortschritte
fest. Die PRTs, die Stabilitätsinseln, von denen
aus in die Provinzen hinein das zivile Wiederaufbauelement
gestärkt werden soll, sind mittlerweile unter ISAFKommando,
und unsere Verbündeten nehmen mehr und
mehr die Ansicht auf, dass es ohne Fortschritt beim zivilen
Wiederaufbau nicht geht.
Ich erwähne die 200 Millionen Dollar der Kanadier.
Ich will an dieser Stelle einmal sagen dürfen, dass unsere
kanadischen Freunde in Afghanistan einen beispielhaften
Dienst leisten.
2 000 Soldaten und Soldatinnen von 33 000 insgesamt
sind im Süden Afghanistans. Sie haben jetzt
200 Millionen Dollar für den zivilen Wiederaufbau für
den Süden gegeben, natürlich auch deshalb, weil die
Freunde in Kanada erkannt haben, dass mit Mitteln für
den zivilen Aufbau auch Selbstschutz betrieben wird sowie
natürlich den Afghaninnen und Afghanen genutzt
wird.
Das vermisse ich bei der sogenannten politischen Linken
in diesem Hause.
Sie überinterpretieren das Militärische, und Sie sagen
kein Wort zum Gedanken des Schutzes unserer Soldatinnen
und Soldaten, kein Wort zum Gedanken des Schutzes der zivilen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter und kein Wort zum Schutz
der afghanischen Bürgerinnen und Bürger vor terroristischen
Anschlägen der Taliban.
Nun ein Satz zu denen, die der Meinung sind, wir
würden uns hier völkerrechtswidrig verhalten. Dies sind
Mandate, die der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen,
der Inhaber des internationalen Gewaltmonopols, beschlossen
hat. In deren Rahmen handeln wir.
Unser Selbstverständnis, das der politischen, aber auch
der militärischen Leitung, nicht nur im Verteidigungsministerium,
das Selbstverständnis dieser Republik
spricht für sich; völkerrechtswidrige Einsätze finden
nicht statt.
Ich denke, dass wir angesichts der Guerillataktik der
Taliban und des Risikos einer fortschreitenden Entfremdung
der Bevölkerung aus verschiedenen Gründen, auch
wegen der Vernichtung von Mohnanbauflächen ohne
ausreichende Alternativen, verpflichtet sind, gerade im
Süden und im Osten verstärkt auf Stabilisierungsstrategien
zu setzen. Ich denke, wo immer es geht, sollten wir
auf die gewonnenen lokalen und regionalen Erkenntnisse
und auf die Unterstützung von Kräften aus diesem
Bereich setzen; darauf sollten wir nicht verzichten. Politische
Komplementärkomponenten sollten wir auf nationaler,
aber auch auf internationaler Ebene weiterentwickeln.
Frau Bundeskanzlerin, Herr Außenminister, Herr Verteidigungsminister,
ich denke, dass da auch von der
Europäischen Union, die ein 600-Millionen-Euro-Programm
eingebracht hat, insgesamt noch mehr getan werden
kann, um die NATO zu ergänzen, die natürlich ein
politischer Partner ist, ein Partner, der aber mit seinem
militärischen Know-how recht verstandene ergänzende
Unterstützung seitens der Zivilmacht Europa gut gebrauchen
kann.
Wir von der SPD-Bundestagsfraktion werden uns
diese Woche noch Zeit nehmen, bis wir zu einer Entscheidung
kommen, und zwar aus Respekt vor den kritischen
Nachfragen und den Gewissensgründen, die zu einer
anderen Entscheidung führen können als zu der
möglichen Entscheidung der Mehrheit für eine Entsendung.
Wir müssen dies sehr aufmerksam abwägen und
an das anknüpfen, was der Außenminister zum Schluss
gesagt hat:
Afghanistan ist nur verloren, wenn wir es verloren
geben.
Das wollen wir nicht. Wir knüpfen verantwortungsbewusst
an unsere im Jahre 2001 getroffene Grundsatzentscheidung
an, Afghanistan zu helfen, zu stärken und zu
einem vollen Mitglied der internationalen Gemeinschaft
zu machen.
Danke schön.
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen!
Wir diskutieren heute über einen Antrag der Bundesregierung
zu einem Mandat, das für die Bundeswehr eine
neue Qualität des Einsatzes in Afghanistan bedeutet.
Deshalb ist es gut, dass wir heute im Deutschen Bundestag
über dieses Mandat diskutieren. Gerade in den letzten
Wochen hat es immer wieder Versuche gegeben, die
Bundeswehr zu einer Regierungsarmee zu entwickeln.
Das ist eine völlig falsche Entwicklung; sie stößt auf entschiedenen
Widerstand der FDP. Ich denke, es ist gut,
dass die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist. Das
bringen wir heute mit dieser Diskussion zum Ausdruck.
Der Auftrag, um den es hier geht, ist ein Aufklärungsauftrag.
Es ist gerade in den letzten Tagen immer
wieder darüber diskutiert worden, was mit den Aufklärungsdaten
passieren soll. Der Bundesaußenminister hat
hier gesagt, sie würden „eingeschränkt“ weitergegeben.
Im Antrag heißt es: „restriktive“ Übermittlung. Da frage
ich mich natürlich: Wird hier in irgendeiner Form die
Praxis verändert? Das ist wahrscheinlich nicht der Fall.
Dann soll die Bundesregierung aber auch dazu stehen.
Die Aufklärungsdaten werden weitergegeben, auch an
die Operation „Enduring Freedom“. Alles andere wäre
weltfremd, es wäre – ich sage es ausdrücklich dazu – in
bestimmten Situationen auch nicht verantwortbar.
Daraus leitet sich ganz klar ab: Wenn die Bundeswehr
Aufklärungsmaterial liefert, muss damit auch ein Einfluss
auf die Kampfführung verbunden sein. Hier erwarten wir eine klare Aussage der Bundesregierung dazu, welchen Einfluss wir hier haben.
Für die FDP-Bundestagsfraktion sind vier Punkte von
zentraler Bedeutung:
Erstens. Wir sind der Auffassung, dass es eine deutliche
Verstärkung der Anstrengungen in der zivil-militärischen
Zusammenarbeit und beim Wiederaufbau geben
muss. Wir sind nicht bereit, einfach nur eine zusätzliche
militärische Maßnahme zu beschließen; denn mit militärischen
Maßnahmen allein werden die Probleme nicht zu
lösen sein. Wir brauchen verstärkte Wiederaufbauanstrengungen.
Wir von der FDP-Bundestagsfraktion erwarten,
dass die Bundesregierung nicht nur allgemeine
Erklärungen hierzu abgibt, sondern das aufgreift und uns
noch einmal darlegt, wie sie in den Bereichen, die sie
selbst beeinflussen kann, beispielsweise bei der Polizeiausbildung,
weiterkommen will und welche konkreten
Schritte sie in diese Richtung tatsächlich unternimmt.
Zweitens. Nach den Diskussionen der letzten Wochen
innerhalb der NATO muss die Frage erlaubt sein – auch
darauf erwarten wir eine Antwort von der Bundesregierung
–, ob mit diesem Mandat das Ende der Fahnenstange
bei den Anforderungen an Deutschland erreicht
ist oder ob mit immer weiteren Anforderungen zu rechnen
ist. Es muss aus unserer Sicht sichergestellt sein,
dass das jetzige Mandat keinen Einstieg in einen generellen
Einsatz von Bodentruppen im Süden Afghanistans
darstellt.
Ein dritter Punkt, meine Damen und Herren von der
Bundesregierung, ist für uns von ganz entscheidender
Bedeutung. Sie haben beschlossen, dass die voraussichtlichen
zusätzlichen Kosten in Höhe von 35 Millionen
Euro für diesen Einsatz bis zum 13. Oktober aus dem
Verteidigungshaushalt erbracht werden sollen. Ich halte
diese Entscheidung für falsch. Ich denke, wer zusätzliche
Einsätze beschließt, muss das dafür nötige Geld
auch aus dem allgemeinen Haushalt bereitstellen.
Sie haben sich jetzt anders entschieden. Wir erwarten
nun aber, dass Sie uns darlegen, wie sichergestellt wird,
dass das nicht zulasten der Ausrüstung und Ausstattung
der Soldatinnen und Soldaten im Einsatz geht.
Ein letzter Punkt, der vierte, der aus unserer Sicht von
zentraler Bedeutung ist: Ich finde es nicht gut, dass sich
die mangelhafte Informationspolitik der Bundesregierung
gegenüber dem Parlament auch bei diesem Mandat,
das Sie jetzt zur Abstimmung stellen, weiter fortsetzt.
Bis heute haben Sie uns die Einsichtnahme in das Anforderungsschreiben
der NATO verwehrt. Die FDP hält das
für nicht hinnehmbar. Es ist doch nicht so, dass es sich
bei diesem Schreiben um ein Privatschreiben handeln
würde. Es handelt sich um eine offizielle Anforderung
der NATO. Wir sind der Auffassung, dass es möglich
sein muss, dass auch das Parlament Einsicht in dieses
Anforderungsschreiben erhält. Wir fordern die Bundesregierung
ausdrücklich auf, das jetzt noch nachzuholen.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, Sie sehen, wir machen uns die Abwägung
nicht leicht. Ich möchte den Damen und Herren der Bundesregierung
einfach nur mit auf den Weg geben: Es
lohnt sich, die offenen Fragen zu beantworten.
Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützt den Antrag
der Bundesregierung auf die Entsendung von Aufklärungstornados
und eine Aufstockung der personellen
Obergrenze auf bis zu 3 500 Soldaten. Es handelt sich
um eine notwendige Ergänzung des bestehenden ISAF-Mandats.
Es geht darum, eine durch die Ausweitung des
ISAF-Einsatzes auf ganz Afghanistan entstandene Fähigkeitslücke
bei der Aufklärung aus der Luft zu
schließen. Das ist notwendig, um bei der derzeitigen Zuspitzung
der Lage in Afghanistan Gefahren besser und
rechtzeitiger zu erkennen und damit unsere Soldaten, unsere
Bündnispartner, die zivilen Aufbauhelfer und die
Bevölkerung in Afghanistan besser vor Terrorangriffen
durch die Taliban und durch al-Qaida zu schützen. Besserer
Schutz durch verbesserte Aufklärung – darum geht
es; darum unterstützen wir diese Maßnahme.
Dass diese Fähigkeiten nicht nur im mandatierten
Einsatzgebiet im Norden eingesetzt werden sollen, sondern
in ganz Afghanistan, vor allem eben auch im Süden
und im Osten, wo die Gefahren am größten sind, versteht
sich, auch aus Gründen der Bündnissolidarität, von
selbst. Weil es sich hierbei um eine nicht unbedeutende
Erweiterung des laufenden Mandats handelt, halten
auch wir es, nicht zuletzt aus Gründen der Rechtssicherheit
für unsere Soldaten, für richtig, gemäß dem Antrag
der Bundesregierung ein ergänzendes Mandat zu beschließen.
Diplomaten in Kabul sprechen von 2007 als dem Jahr
der Weichenstellung für Afghanistans Zukunft. Es gibt
stichhaltige Hinweise darauf, dass die Taliban intensiv
eine Frühjahrsoffensive vorbereiten, vor allem mit Angriffen
in den südafghanischen Provinzen. Wenn es für
diese Zuspitzung der Gefahrenlage noch eines Hinweises
bedurft hätte, dann ist dieser mit dem gestrigen
Selbstmordanschlag während des Besuchs von US-Vizepräsident
Cheney vor der amerikanischen Basis in Bagram
erfolgt. Wir sind froh, dass der amerikanische Vizepräsident
unverletzt geblieben ist. Wir verurteilen diesen Anschlag nachdrücklich und bedauern die Opfer
dieses Anschlages wie auch die Opfer der vielen anderen
Anschläge.
Die Anschläge vom 11. September 2001 auf New
York und Washington und auch die nachfolgenden Anschläge,
etwa in London oder Madrid, wurden möglich,
weil sich Afghanistan zu einem Trainingszentrum für
Terroristen entwickelt hatte. Das aber zeigt, wie wichtig
die Aufgabe von ISAF und OEF ist, zu verhindern, dass
diese Kräfte wieder die Oberhand gewinnen und Afghanistan
erneut ein Failing State wird, von dem eine terroristische
Bedrohung für die internationale Gemeinschaft
und damit auch für unsere Sicherheit ausgeht. Das darf
nicht wieder der Fall sein.
Dass diese Gefahr besteht, ist nicht von der Hand zu
weisen. In ihrem neuesten Propagandavideo drohen die
Taliban und al-Qaida mit 4 000 bereitstehenden Selbstmordattentätern
und 10 000 Dschihadkämpfern. Durch
die Entsendung der Tornados können wir durch Aufklärung
über deren Aktivitäten unsere Bündnispartner unterstützen.
In diesem Punkt, Herr Kollege Kuhn, muss
ich Ihre Darstellung korrigieren. Für eine effiziente Bekämpfung
dieser Terrorkräfte muss es auch möglich
sein, die Ergebnisse unserer Aufklärungsflüge unseren
Verbündeten, wie es im Mandat heißt, restriktiv zur Verfügung
zu stellen. Das ist nicht nur eine Frage der Solidarität
mit unseren Bündnispartnern, zumal ja auch die
Bundeswehr mit einem gültigen Mandat an OEF beteiligt
ist. Je erfolgreicher unsere Verbündeten im Kampf
gegen die Taliban und al-Qaida sind, desto besser kann
ISAF seine Stabilisierungsaufgabe wahrnehmen.
Ich sage für meine Fraktion mit aller Deutlichkeit:
Wir halten an der bestehenden Aufteilung in Regionalkommandos
fest. Deutschland leistet mit der Verantwortung
für fünf Wiederaufbauteams in neun nordafghanischen
Provinzen einen erfolgreichen Beitrag zur
Stabilisierung Afghanistans. Die Sicherheitsrisiken im
Norden des Landes sind zwar von anderer Qualität als
im Süden – der Außenminister hat es dargestellt –; doch
auch unsere Soldaten leisten einen gefährlichen und unverzichtbaren
Einsatz. Dafür möchte ich unseren Soldatinnen
und Soldaten besonders danken.
Zu unserer besonderen Verantwortung für das Regionalkommando
Nord gehört auch, dass die Bundeswehr
für begrenzte Unterstützungsmaßnahmen in Gesamtafghanistan
eingesetzt werden kann, und zwar, wie es im
ISAF-Mandat wörtlich heißt:
… für zeitlich und im Umfang begrenzte Unterstützungsmaßnahmen,
sofern diese Unterstützungsmaßnahmen
zur Erfüllung des ISAF-Gesamtauftrages
unabweisbar sind.
In dieser Debatte sollte deshalb auch gesagt werden,
dass wir uns darauf einstellen müssen, dass unsere Partner
im Süden uns aufgrund der zugespitzten Krisensituation
zur Unterstützung anfordern. Dann sollten wir in der
Lage sein, effektiv und robust zu helfen. Auch das gehört
zur Bündnissolidarität.
Wir beraten heute über einen militärischen Einsatz.
Doch haben alle Vorredner zu Recht auf die zivilen Unterstützungsleistungen
hingewiesen. Deshalb begrüßen
wir ausdrücklich die Aufstockung der deutschen
Afghanistanhilfe um 20 Millionen Euro auf 100 Millionen
Euro im Jahr, und zwar auch im Süden.
Im Januar konstatierten die Teilnehmer des internationalen
Koordinierungstreffens für Afghanistan drei
besonders wichtige Faktoren für die zivilen Aufbauleistungen:
erstens die fortgesetzte Reform des Sicherheitssektors,
zweitens eine bessere Verknüpfung ziviler und
militärischer Maßnahmen und
drittens die Steigerung der afghanischen Eigenverantwortung.
Heute hat sich das von uns entwickelte Konzept der
sogenannten PRTs im Bündnis durchgesetzt. Die Bundesregierung
hat in den NATO-Gremien immer den
zivil-militärischen Ansatz vertreten. Jetzt zeigt sich, wie
richtig dieses Konzept ist.
Bei der Reform des Sicherheitssektors hat Deutschland
mit 40 Polizeiausbildern mehr als 15 000 afghanische
Polizeikräfte für die mittlere und höhere Laufbahn
ausgebildet. Ab Mai sollen diese Anstrengungen in eine
ESVP-Mission übergehen, wodurch die Zahl der Ausbilder,
Herr Kollege Kuhn, auf 160 erhöht wird und flächendeckender
ausgebildet werden kann.
Zudem sollen 70 Rechtsexperten entsandt werden, die
Italien beim Aufbau der afghanischen Justiz ablösen.
Diese europäische Bündelung im Sicherheitssektor ist
richtig. Was nützt eine gut ausgebildete Polizei, die Drogenhändler
dingfest macht, wenn diese hinterher nicht
vor Gericht gestellt werden können?
Afghanistan kann nicht gewonnen werden, wenn
nicht im Süden Stabilität geschaffen wird. Die Bevölkerung
dort muss schneller die Vorteile der internationalen
Hilfe spüren. Dazu gehören zunächst die Grundversorgung
mit Wasser und Strom auf dem Lande, ein ständiger
Dialog mit lokalen Vertretern und eine effiziente
Entwicklungshilfe. Entwicklungsprojekte müssen zudem
als afghanische Projekte erkennbar sein. Dies ist
wichtig für das Selbstbewusstsein dieses stolzen Volkes
und für eine größere Loyalität der Bevölkerung gegenüber
der Regierung Karzai.
Gestatten Sie mir zum Schluss ein Wort zu Pakistan.
Dort werden islamistische Terroristen ausgebildet und
ausgerüstet. Diese dringen dann über die 2 500 Kilometer
lange Grenze wieder in den Süden Afghanistans
ein. Pakistan ist ein unverzichtbarer Partner zur Stabilisierung
Afghanistans. Wir müssen beide Regierungen,
die Regierung in Kabul und die Regierung in Islamabad, für eine stärkere Zusammenarbeit beim Aufbau einer gemeinsamen,
wirksamen Grenzkontrolle gewinnen.
Wir müssen von unserem pakistanischen Partner
mehr Unterstützung und Kooperation im Kampf gegen
den Terror einfordern. Aber man darf ihn nicht wie im
Zusammenhang mit der amerikanisch-indischen Nuklearkooperation
im vergangenen März vor den Kopf stoßen.
Wir brauchen ein modernes und moderates Pakistan
als wichtigen Partner für die Bewältigung der Herausforderungen
in Afghanistan, aber auch im Mittleren und
Nahen Osten insgesamt.
Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen!
Herr Kolbow, ich muss schon sagen: Was Sie hier an einem
Punkt vorgetragen haben, stimmt überhaupt nicht: Die OEF hat kein UNO-Mandat.
Sie können sich doch nicht hier hinstellen und sagen,
dass das alles verfassungs- und völkerrechtlich vollkommen
gedeckt sei! Selbst die ISAF verändert ihren Auftrag.
– Entschuldigen Sie bitte! Was sind denn die Gründe, die
einige Abgeordnete in diesem Haus dazu bewogen haben,
die Frage zu stellen, ob sich der Deutsche Bundestag
nach den Maßgaben unserer Verfassung mit dieser
Frage heute überhaupt beschäftigen kann?
Das hat doch nichts damit zu tun, ob wir eine Parlamentsarmee
haben oder nicht. Entscheidend ist vielmehr
die Frage, ob es verfassungsrechtlich richtig ist, in diesem
Rahmen zu verfahren. Wer denkt denn heute eigentlich
noch an die Verfassung, wenn es um die Ausweitung
der Einsätze im Rahmen der Kriegsführung und damit
um ein verändertes NATO-Selbstverständnis geht? Das
ist die wichtige Frage, die wir zu stellen haben.
Es ist auch nicht statthaft, hier euphemistisch, ironisch
oder sarkastisch aufzutreten. Herr Steinmeier, hier
stellt sich nicht die Frage nach der Geduld. Man kann
nicht nach sechs Jahren Krieg gegen Terror für noch
mehr Geduld werben, sondern man muss die Frage stellen,
ob es richtig oder falsch ist, den Kampf gegen den
Terror mit Mitteln des Krieges zu führen.
Der Afghanistaneinsatz – das weiß die Bevölkerung –
ist nicht auf dem Willen des gesamten Hauses gegründet.
Die Linke hat sich immer dagegen ausgesprochen. Herr
Kuhn und Herr Steinmeier, Sie wissen ganz genau, dass
damals, als es um den Afghanistankrieg ging, beide Regierungsparteien
ihre Fraktionen mehr oder weniger
durch die Vertrauensfrage genötigt haben, diesem
Kriegseinsatz zuzustimmen.
Tun Sie nicht so, als werde diesem Krieg in diesem Haus
und in diesem Land nicht widersprochen! Das ist einfach
nicht wahr.
Man kann nicht, weil die militärische Strategie nicht
erfolgreich ist, sagen: Wir müssen noch mehr – von unserer
Warte aus – Falsches tun. – Ist dies angesichts der
zu erwartenden Frühjahrsoffensive und der grauenvollen
Ankündigung, dass schon 2 000 Selbstmordattentäter
bereitstehen, wirklich richtig? Man muss sich diese
Dimension einmal vorstellen. Dieser Einsatz, der der
OEF dienlich sein soll, steht damit in Zusammenhang,
was seitens der CDU/CSU formuliert worden ist: Dieser
Konflikt kann den Erfolg nicht konterkarieren. – Welchen
Erfolg, bitte sehr, kann dieser Krieg gegen den Terror
vorweisen? Wenn wir die Kriterien von Good Governance
heranziehen, müssen wir doch offen sagen: Die
Regierung Karzai ist von Korruption durchdrungen, und
die Drogenbarone sitzen in der Regierung.
Da sind doch keine Mohnfelder abzubrennen. Vielmehr
muss die Frage gestellt werden, ob das Ziel der ISAF,
diese Regierung zu schützen, überhaupt erfüllt werden
kann.
Wir argumentieren zielstrebig und lassen uns auch
nicht von einer verantwortungsvollen Exit-Strategie abbringen.
Diese Exit-Strategie sieht nicht vor, dass morgen
die Soldaten zurückgezogen werden. Sie gewährleistet
vielmehr den Polizeiaufbau, sichert die zivilen Infrastrukturen, stärkt kontinuierlich und massiv die Situation
der Frauen und beinhaltet eine neue Drogenpolitik.
Sie müssen die Frage beantworten, ob die Rekrutierung
der Taliban nicht ursächlich etwas damit zu tun hat,
dass der Krieg gegen den Terror das falsche Mittel war.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem
Kollegen Schockenhoff.
Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU):
Liebe Frau Kollegin Knoche, ich setze Sie darüber in
Kenntnis, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen
mit der Resolution 1373 die Operation „Enduring
Freedom“ mandatiert hat und dass damit eine eindeutige
völkerrechtliche Rechtsgrundlage für diese Operation
gegeben ist.
Monika Knoche (DIE LINKE):
Ich möchte Sie auf Folgendes hinweisen: Wir in der
Fraktion diskutieren über eine solche Frage mit großer
Ernsthaftigkeit. Ob die OEF nur erwähnt wird oder ob
sie ein originäres Mandat hat, ist schon ein Unterschied.
Aber ich möchte etwas anderes sagen:
Ist die CDU/CSU nicht in der Lage, denjenigen prominenten
und sehr kenntnisreichen Vertretern ihrer Fraktion,
die verfassungsrechtliche Bedenken erhoben haben,
einige Minuten Redezeit einzuräumen, damit sie diese
hier vorne vortragen können? Das stünde meiner Ansicht
nach der CDU/CSU viel mehr an, als hier so zu tun, als
gebe es keine verfassungsrechtlichen Bedenken und als
seien alle Tätigkeiten, die vor Ort militärisch durchgeführt
werden, von der UNO gedeckt. Das wird in Zweifel
gezogen. Diese Zweifel sollten Sie nicht nivellieren.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zu 90 Prozent dieses Hauses sind wir uns in der Schlüsselfrage
einig: Wie kann die internationale Gemeinschaft
und dabei unverzichtbar ISAF in diesem sehr kritischen
Jahr für Afghanistan zum Erfolg kommen? Wer jetzt von
Exit-Strategie redet, vermittelt völlig kontraproduktive
Botschaften: Entmutigung für diejenigen Menschen, die
Aufbau und Frieden in Afghanistan wollen, und Ermutigung
für diejenigen, die genau das Gegenteil vorhaben.
Nun komme ich aber zum Thema. Aus militärischer
Sicht ist ein Tornado in Afghanistan nützlich für mehr
Flexibilität bei der Aufklärung; je flexibler und präziser
die Aufklärung, desto besser. Allerdings muss man ehrlicherweise
dazusagen, dass auch in Militärkreisen die
Dringlichkeit des Tornados für die Sicherheit von ISAF,
gelinde gesagt, strittig ist. Es ist aber eine Verharmlosung,
wenn der Tornadoeinsatz nur als Hilfs- und
Schutzeinsatz beschrieben wird. Natürlich hat er diese
Teilfunktion. Vor allem im Süden hat er aber selbstverständlich
auch die Teilfunktion der Kampfunterstützung.
Das lässt sich nicht bestreiten.
Für mich und meine Fraktion ist klar – das ist keine
Grundsatzfrage –, dass in Afghanistan an verschiedenen
Stellen gekämpft werden muss. Die Frage ist allerdings,
wie und nach welcher Strategie die Kämpfe dort ablaufen.
Dazu muss man zur Kenntnis nehmen, was ein
hochangesehener Thinktank aus London, das Senlis
Council, zweimal in Studien gesagt hat, zuletzt in diesem
Februar: Es habe im Süden – bezogen auf die Provinzen
Helmand und Kandahar – „mehr Zerstörung als
Aufbau“ gegeben, und es wurden „Freunde verloren und
Feinde gewonnen“. – Hierzu muss die Bundesregierung
etwas sagen. Bis heute Vormittag konnte die Bundesregierung
dazu nichts sagen. Ich möchte sehr, dass sie
diese Aussagen widerlegen kann. Das ist ein wichtiger
Kontext für den Einsatz der Tornados.
Ein anderer Punkt ist der Strategiewechsel. Seit mehr
als einem halben Jahr wird dieser gefordert. Es geht um
die Gewichtung der militärischen und der zivilen Säule,
es geht um Koordination und Kohärenz. Auf dem
NATO-Gipfel wurde dies ebenfalls beschworen. Wenn
man genauer hinschaut, muss man feststellen, dass die
Umsetzung dieses Strategiewechsels in Trippelschritten
erfolgt, wo die Zeit enorm drängt.
Es ist gut, dass das Schlüsselprojekt Polizeiaufbau
jetzt mit der EU läuft. Aber wir müssen – anders als bisher
– den Anspruch an den Herausforderungen messen.
Bezogen auf die Herausforderungen geschieht hier noch
viel zu wenig.
Die Drogenbekämpfung läuft ungebremst kontraproduktiv
mit dem Vorrang für die Felderzerstörung. Solange
in diesen Fragen keine Klarheit über die richtige
Richtung herrscht und solange kein deutlicher Strategiewandel
glaubwürdig gemacht wird, so lange kann ich
eine Zustimmung nicht empfehlen.
Vor fünf Monaten hatten wir 14 Parlamentarierinnen
aus Afghanistan hier. Ich wiederhole, was ich denen damals
gesagt habe: Erstens. Wir wissen, warum wir in
Afghanistan sind. Zweitens. Wir lassen Sie nicht im
Stich. Drittens. Wir versprechen, dass wir die notwendigen
Strategieänderungen forcieren. – Sie haben gehört,
dass wir in unserer Fraktion bezogen auf den Einsatz der
Tornados uneinig sind. Aber bezogen auf diese Botschaft
– und das ist unser Wille – sind wir uns sehr einig,
ich glaube, auch mit dem größten Teil dieses Hauses.
Danke.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin dankbar,
dass wir diese Diskussion hier führen können. Mancher
Beitrag, der heute eingebracht worden ist, war notwendig
und hilfreich. Dies signalisiert, dass wir diese Diskussion
fortsetzen müssen, und zwar – ich appelliere
dazu zum wiederholten Male – nicht nur dann, wenn es
um ein militärisches Mandat geht.
Ich komme gerade aus Afghanistan. Ich war in der
letzten Woche dort, erst gemeinsam mit unserem Fraktionsvorsitzenden
und Walter Kolbow in Kunduz und
Masar-i-Scharif und dann in Kabul. Ich will nicht arrogant
oder borniert erscheinen, aber wenn ich gemessen
an meinen Eindrücken von dieser Reise diese Diskussion
verfolge, werde ich nachdenklich.
Ich will vorweg einige Eindrücke wiedergeben: Es ist
immer wieder spannend, unsere Bundeswehr im Einsatz
zu erleben. In Masar-i-Scharif habe ich im April des vergangenen
Jahres in einer Einöde mit Mühe und Not in
einem Zelt ein bisschen Schatten gefunden. Heute gibt
es dort – das ist eine beachtliche logistische Leistung –
ein Zentrum, das der Bundeswehr vor Ort strategische
Möglichkeiten an die Hand gibt, das den Schutz der Soldaten
gewährleistet und die Möglichkeit eröffnet, in die
Provinz hineinzuwirken.
Andererseits habe ich aber ein Land gesehen, in dem,
wenn man sich die Handys und die Autos wegdenkt,
eine Situation vorherrscht, wie sie in Deutschland möglicherweise
nach dem Dreißigjährigen Krieg bestand.
Wenn ich vor diesem Hintergrund manche Forderung
und manchen Diskussionsbeitrag betrachte, muss ich
fragen: Was erwarten wir eigentlich? Was hat sich in
fünf Jahren überhaupt verändern können? – Die Menschen
dort haben zum Teil noch höhere Erwartungen gehabt;
deshalb ist ihre Enttäuschung umso größer. Wir
müssen daher immer wieder überlegen, wie wir ausgleichen
können, wie wir helfen können, wie wir Hoffnung
machen können, wie wir mit konkreten Projekten das
tägliche Überleben sichern und Perspektiven eröffnen
können. Das ist ein ganz entscheidender Punkt. Deswegen
bin ich immer wieder dankbar, wenn die zivile Komponente
hier eingebracht wird.
Ich finde es wirklich gut – das ist eine der Botschaften,
die mich nach meiner Rückkehr erfreut haben –,
dass wir im Rahmen der Afghanistanhilfe jetzt
20 Millionen Euro zusätzlich einbringen.
Man kann sich natürlich noch mehr wünschen; aber dank
dieser 20 Millionen Euro haben wir jetzt eine dreistellige
Summe, 100 Millionen Euro, zur Verfügung. Ich finde,
das ist eine ganz wichtige Botschaft.
Wir müssten viel mehr Zeit haben, um die kritischen
Argumente aufnehmen zu können. Ich habe mich immer
für einen Strategiewechsel ausgesprochen. Wir müssen
die Diskussion darüber aber so führen, dass wir nicht
borniert und arrogant erscheinen.
Die PRTs haben übrigens die Amerikaner erfunden; das
sage ich der Gerechtigkeit wegen.
Wir wissen, dass die USA ungefähr 50 Prozent der
materiellen Ressourcen in Afghanistan einbringen. Die
Polizei ist zu Recht angesprochen worden. Ich könnte einiges
dazu sagen, auch im positiven Sinne. Wir haben einen
Etat von 12 Millionen Euro. Die Amerikaner geben
mehr als 1 Milliarde Dollar in dieses Projekt. In diesem
Zusammenhang müsste man eigentlich über unser richtiges
Konzept und das bedenkliche Konzept der amerikanischen
Kollegen diskutieren. Ich frage einmal rhetorisch:
Sind wir eigentlich richtig aufgestellt? Versetzen
wir unsere Regierung in die Lage, all das einzubringen
– auch in den internationalen Diskussionsprozessen –,
was notwendig wäre, um einen Strategiewechsel zu begünstigen?
Ich bin der Meinung, dass zusätzliche Unterstützung
notwendig ist. Man müsste schauen, ob die Botschaften
wirklich optimal ausgestattet sind, ob die
personelle Ausstattung des BMZ wirklich optimal ist, ob
unsere Haushaltsordnung in Kabul eingehalten werden
muss oder ob wir uns nicht flexiblerer Instrumente bedienen
sollten? Können wir vielleicht zu einer Auftragswirtschaft
kommen, die sich an dem Notwendigen ausrichtet
und nicht an der Kameralistik der Bundesrepublik
Deutschland?
Auch wenn ich damit in einer Diskussion über den
Einsatz von Tornados kleinkariert erscheinen könnte,
will ich Ihnen eines sagen: Lieber Kollege Kuhn, Sie haben
zu Recht die Polizei angesprochen. Das Team, das
zurzeit vor Ort ist – sie sind immer für ein Jahr dort –,
hat einen hervorragenden Eindruck auf mich gemacht.
Es sind hochmotivierte Kollegen; sie sind unwahrscheinlich
sympathisch, aus meiner Sicht auch sehr erfolgreich.
Unterhalten Sie sich einmal mit den Kollegen! Diese
Kollegen haben mir erzählt – ich muss jetzt zum Innenminister
schauen –, dass die Bundesreisekostenordnung angewandt wird,
was zur Folge hat – das ist abstrus –, dass ein lediger
Polizist die Heimreisekosten nicht erstattet bekommt,
obwohl er zu Hause zwei Kinder und eine feste Partnerin
hat. Ich will das nicht ausdehnen; aber solange eine Bundesregierung,
ein Innenministerium nicht in der Lage ist,
ein Höchstmaß an Flexibilität zu gewährleisten, um die
jungen Leute für den Einsatz zu motivieren, frage ich
mich, wie wir unsere Vorschläge für die Weiterentwicklung
Afghanistans umsetzen wollen.
Ich habe das ein wenig ironisch eingebracht, um aufzuzeigen,
wie sehr wir selbst Gefangene unserer eigenen
Perfektion sind, was zur Folge hat, dass wir uns nicht in
der Weise entwickeln können, wie es eigentlich notwendig
wäre.
Aus meiner Sicht signalisieren uns alle – das haben
die Gespräche mit den Regierungsmitgliedern gezeigt,
mit dem Außenminister, der als Gesprächspartner am
stärksten etwas einbringen kann, und mit dem Innenminister;
aber ich denke hier auch an Tom Koenigs und
Herrn Vendrell von der Europäischen Union –, dass sie
den Tornadoeinsatz begrüßen, unterstützen und dass das
letztendlich – ich muss das aufgrund der Kürze der Zeit
so sagen – eine notwendige Aktion ist, um unsere Solidarität
mit unseren Partnerinnen und Partnern zu zeigen.
Ich stelle einmal die rhetorische Frage – über die sollten
wir einmal in den Ausschüssen diskutieren –, wie eigentlich
unsere Haltung ist, wenn die Kanadier oder die
Niederländer sagen, dass sie nach Hause gehen. Wie
sieht denn dann unsere Gesamtkonzeption aus? Ich
schließe mich hier Winnie Nachtwei an, dessen Appell
ich voll unterstreiche. Wir haben den Parlamentarierinnen
zugesagt, dass wir sie nicht allein lassen. Dann müssen
wir aber insgesamt eine Atmosphäre herstellen, die
von Solidarität und gemeinsamer Verantwortung getragen
ist. Wir müssen unseren Job so gut machen, dass wir
die Chance haben, dort zum Erfolg zu kommen.
Häufig wird von einer Exit-Strategie gesprochen. Ich empfehle allen Kolleginnen und Kollegen – im Grunde wäre es eine viel spannendere Debatte
gewesen, wenn wir darüber diskutiert hätten, welche
Verpflichtungen die Regierung eingegangen ist, und
zwar nicht nur im Zusammenhang mit den Tornados –,
sich einmal den Afghanistan Compact anzusehen. Darin
ist die Strategie beschrieben. Dort steht, welche Aufgaben
wir im zivilen und im militärischen Bereich, also
zum Schutz, zu bewältigen haben und wie wir Afghanistan
ausstatten und unterstützen wollen, bevor wir, wenn
die Selbstständigkeit erreicht ist, das Land wieder verlassen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns diesen
Schritt machen und diesem Tornadoeinsatz zustimmen,
und lassen Sie uns gleichzeitig die immer wieder
erklärte Verpflichtung realisieren, den zivilen Aufbau
voranzutreiben.
Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Ich weiß nicht, ob es Ihnen ähnlich gegangen ist wie mir.
Bei der Lektüre des heute zur Debatte stehenden Antrages
habe ich das Wort „Tornado“ gesucht. Wir reden seit
Monaten über die Verlegung von Tornados nach Afghanistan.
Im Antrag der Bundesregierung suchte und
suchte ich die Tornados. Ich fand aber nur „Fähigkeiten“,
so weit das Auge reicht, Fähigkeiten zu allem und
jedem: zur Sicherung, zur logistischen Unterstützung,
zur Führung, zur sanitätsdienstlichen Versorgung usw.
Ich war schon ganz verzweifelt und wollte aufgeben.
Ich glaubte, ich hätte die in allen Medien tobende Tornadodebatte
der letzten Monate bloß geträumt. Doch da kamen
sie doch noch, die Tornados, ganz hinten unter
Punkt 7 und unter Punkt 10, ganz klein und winzig, unschuldig,
ganz versteckt, unter ferner liefen mit den
Worten „darüber hinaus“ eingeleitet, so als ginge es noch
um ein paar Gummibärchen für die Soldaten, damit sie
sich fern der Heimat nicht so einsam fühlen. Aber immerhin
kommt Ihnen, meine Damen und Herren von der
Regierung, dann doch noch das Wort „Aufklärungsflugzeug“
aus der Feder. Da ist Ihnen beim Korrekturlesen
wohl der Schrecken in die Glieder gefahren; denn unter
Punkt 10 haben Sie die Tornados ganz flugs wieder zu
einem „Einsatzmodul“ verniedlicht. Das klingt so technisch
harmlos, und die Menschen kriegen nicht so schnell mit, dass es um Krieg geht. Schön verschleiern wollen Sie das.
Das Wort „Tornado“ taucht übrigens nur zweimal in
Ihrem Antrag auf, der Begriff „Fähigkeiten“ dagegen
siebenmal. Wissen Sie was? Ich mache Ihnen einen Vorschlag:
Lassen Sie das Wort „Soldaten“ bei zukünftigen
Anträgen doch auch weg. Ersetzen Sie es durch das Wort
„Fähigkeiten“. Das hätte zwei Vorteile: Erstens könnte
man sich die weibliche Form einsparen. Zweitens müssten
Sie dann auch nicht mehr über Ehrenmale nachdenken,
zum Beispiel Ehrenmale für abhandengekommene
Fähigkeiten.
Dem Herrn Bundestagspräsidenten kann und will ich
keine Vorschriften machen. Ich kann nur sagen: Wäre
ich an seiner Stelle gewesen, hätte ich dieses mit den
Koalitionsspitzen ausgehandelte Orwellsche Neusprechwerk
nicht entgegengenommen. Es stellt den Versuch
dar, das Parlament und die Öffentlichkeit zu verdummen.
Ich hätte zur Bundeskanzlerin gesagt: Thema verfehlt,
setzen, sechs!
Denn dieser Antrag ist die würdelose Fortsetzung der
unsäglichen Versuche der Bundesregierung, einen glasklaren
Kampfeinsatz in so etwas wie einen humanitären
Einsatz umzulügen.
Werte Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie einen
Blick in die Lehrunterlagen der Luftwaffe werfen, werden
Sie Folgendes feststellen: Bei den sogenannten
Recce-Tornados handelt es sich um „Luftkriegsmittel“,
die im Rahmen verbundener Luftkriegsoperationen zur
Aufklärung eingesetzt werden. Luftkriegsoperationen
finden also nicht im Krankenhaus statt.
Mangels einer gegnerischen Luftwaffe dienen sie in Afghanistan
der Bekämpfung des Gegners am Boden. Aufklärung
ist nicht nur integraler Bestandteil dieses offensiven
Krieges aus der Luft, sondern seine unabdingbare
Voraussetzung. Dies wird durch das Adjektiv „verbunden“
ausgedrückt. Im Klartext: Ohne Luftbilder keine
Bomben. Bomben führen zu Kollateralschäden, also zur
Tötung unschuldiger Zivilisten. Herr Kuhn, die Stärkung
der Zivilgesellschaft werden wir mit Sicherheit nicht
durch den Einsatz zusätzlicher Bomben erreichen. Dass
es um Bomben geht, wird im Antrag durch die Verwendung
anderer Begriffe kaschiert.
Die Abgeordneten, die dem zustimmen, halten den
Krieg gegen Afghanen, die sich gegen ihre Besatzer
wehren, offensichtlich für richtig und wollen rund
35 Millionen Euro dafür ausgeben. Herr Verteidigungsminister,
ich fordere Sie auf: Stehen Sie bitte auch
sprachlich zu Ihrem Antrag, nennen Sie die Dinge beim
Namen, und drücken Sie sie nicht verschlüsselt aus.
Oder schämen Sie sich Ihrer kriegerischen Absichten?
Tarnen, Täuschen und Tricksen hat in diesem Land
Tradition. Wie sagte der damalige Kanzler nach dem Beginn
der Bombardierung Jugoslawiens am 24. März
1999 im Bundestag? Ich zitiere: „Wir führen keinen
Krieg.“ Zur gleichen Zeit schossen die 14 deutschen
ECR-Tornados den Jagdbombern den Weg für ihre tödliche
Last frei. Bei diesem Krieg, der laut Herrn Schröder
keiner war, kamen übrigens über 2 000 unbeteiligte Zivilisten
zu Tode, und das nicht vor Gram über die Lügen,
die vorher verbreitet worden waren.
Herr Kolbow, es ist wichtig, die Hirne und die Herzen
der Menschen in Afghanistan zu gewinnen. Das schafft
man bestimmt nicht dadurch, dass man mehrere Tornados
dorthin schickt, die aufklären sollen, was andere
Flugzeuge dann mit Bomben vollenden.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Diese Debatte wirft die Fragen auf, welches
Bild von Afghanistan wir unserer Entscheidung zugrunde
legen und welches Bild von Einsatzstrukturen
und Rechtsgrundlagen unsere Entscheidung bestimmt.
Ich muss sagen: Was die Rechtsgrundlagen anbelangt,
war Ihr Auftritt, Frau Knoche, bemerkenswert.
An dieser Stelle danke ich dem Kollegen Schockenhoff:
Lesen bildet und hebt gelegentlich das Niveau der eigenen
Rede.
Ich komme auf unser Bild von Afghanistan zu sprechen.
Sicherlich ist es wenig hilfreich, nur die Erfolge in
den Vordergrund zu stellen. Ebenso wenig hilfreich ist
es, nur die Defizite zu betonen. Fatal wird es allerdings
dann, meine Damen und Herren von der Linken, wenn
bewusst falsche Bilder gezeichnet und scheinbare Realitäten
in die Welt gesetzt werden, um letztlich nur innenpolitischen
Stimmungslagen zu genügen. Das reicht
nicht aus; denn der Konflikt in Afghanistan nimmt mit
Sicherheit keine Rücksicht darauf, was uns innenpolitisch
zuzumuten ist. Hier sollten wir sehr vorsichtig argumentieren.
Was ist ein realistisches Bild von Afghanistan? Von
beiden Ministern wurde angesprochen, dass sich die
Lage im Jahre 2006 verschlechtert hat. Manche sprechen sogar von einer dramatischen Verschlechterung. Ein deutliches Wiedererstarken der Taliban ist unbestreitbar. Der Bundesaußenminister hat darauf hingewiesen – andere
auch –: Die Sicherheitsstatistiken machen deutlich,
dass sich die Zukunft Afghanistans im Süden des Landes
entscheiden wird. Nur wenn es gelingt, die Sicherheit
auch im Süden wiederherzustellen und zu gewährleisten,
dass die Bevölkerung ihre Grundbedürfnisse befriedigen
kann, kann einem Erstarken der Taliban, einer Hinwendung
zu den Taliban, plausibel und anständig entgegengewirkt
werden. Gerade vor diesem Hintergrund macht
das vernetzte Sicherheitskonzept, das der Bundesverteidigungsminister
angesprochen hat, Sinn, und es bringt
mich zu der Einschätzung, Herr Kollege Schäfer, dass
wir unsere Soldaten eben nicht aus Afghanistan abziehen
dürfen; dass wir dieses Land eben nicht in die Verantwortung
der zivilen Kräfte übergeben und sich selbst
überlassen können; dass wir eben nicht davon ausgehen
können, dass Afghanistan in absehbarer Zeit ohne zivile
wie militärische Hilfe und Unterstützung von außen
funktionsfähig sein wird. Alles andere würde bedeuten,
einer Illusion zu erliegen.
Angesichts des Wiedererstarkens der Taliban darf
auch einmal ein Blick zurück gewagt werden: Im
Jahr 2001 kontrollierten die Taliban etwa 90 Prozent Afghanistans.
Damals war es Mädchen verboten, zur
Schule zu gehen. Kino, Fernsehen, Internet, Kameras,
Video, weltliche Musik – das alles war damals verboten.
Frauen war jegliche Arbeit außerhalb des Hauses verboten;
das führte dazu, dass viele Frauen dazu gezwungen
waren, auf der Straße zu betteln.
Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):
Herr Dr. zu Guttenberg, Sie argumentieren ähnlich
wie der Außenminister und der Verteidigungsminister
damit, dass sich die Lage in Afghanistan verschlechtert
hat. Ich glaube, in diesem Punkt kann es keine Differenz
geben. Mich würde interessieren, ob Sie auch etwas dazu
sagen können, warum sich die Lage in Afghanistan dermaßen
dramatisch verschlechtert hat, welche Hintergründe
möglicherweise dazu geführt haben. Es nützt ja
nichts, zu sagen: „Es ist alles schlechter geworden – wir
haben nichts damit zu tun“, wenn man nicht über die
Hintergründe nachdenkt und argumentiert. Darum
möchte ich Sie gerne bitten.
Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (CDU/
CSU):
Herr Kollege Gehrcke, vielen Dank für diese Nachfrage.
Ihre Nachfrage bezieht sich im Grunde auf den
Süden und auf den Osten Afghanistans. Im Norden Afghanistans
hat sich die Lage alles andere als verschlechtert,
und zwar gerade aufgrund der Tatsache, dass wir
dort einem vernetzten Konzept nachgegangen sind – das
allerdings Soldaten impliziert. Diese Notwendigkeit,
Soldaten zu haben, wollen Sie weiterhin absprechen. Ich
möchte nicht wissen, wie es um den Norden Afghanistans
heute ohne eine dortige Stationierung von Soldaten
stünde!
Blicken wir noch einmal zurück auf die Zeit der Taliban
– diese Zeit blenden Sie ja völlig aus, Herr
Gehrcke –: Frauen hatten keine Rechte, sie mussten ihren
Körper verhüllen. Frauen war ärztliche Behandlung
nur in männlicher Begleitung und nur durch weibliche
Ärzte erlaubt. – Dies muss man sich wieder einmal in
Erinnerung rufen! – Sie konnten also im Grunde überhaupt
nicht behandelt werden; denn eine berufliche Tätigkeit
war Frauen ja nicht erlaubt. Frauen durften das
Haus nur in Begleitung männlicher Verwandtschaft verlassen.
Männer wurden inhaftiert und es wurde ihnen die
Prügelstrafe angedroht, wenn zum Beispiel der Bart zu
kurz war. Mutmaßlichen Verbrechern wurden Körperteile
amputiert. Es gab öffentliche Hinrichtungen, Steinigungen
und Erschießungen. Es gab die Zerstörung von
Götterbildnissen und ähnliche Dinge. Meine Damen und
Herren, Herr Gehrcke, wir sollten uns auch daran erinnern,
wenn es darum geht, unser Afghanistan-Engagement
der letzten Jahre zu beurteilen! Auch das muss von
unserer Seite berücksichtigt werden!
Der entscheidende Faktor ist das Zusammenspiel von
zivilem Aufbau und militärischer Befriedung. Wir
müssen uns bewusst sein: Verabschieden wir uns jetzt
bzw. in absehbarer Zeit – das ist gerade Ihr Vorschlag,
Herr Gehrcke – von einer dieser Komponenten, dann geben
wir Afghanistan auf, dann geben wir diese Regierung
auf, und dann geben wir faktisch die Menschen in
diesem Lande auf. Das kann nicht gewollt sein, das kann
nicht unser Ziel sein!
Das soll nicht bedeuten, dass wir nicht gelegentlich auch
selbstkritisch sein müssen, dass „zivilmilitärische“ Konzepte
kein Verbesserungspotenzial enthielten und die
Abstimmung zwischen diesen beiden Komponenten
nicht weiter optimiert werden könnte. Es soll auch nicht
bedeuten, dass eine tatsächliche konzeptionelle Ressortkohärenz
zwischen den beteiligten Ressorts nicht stattfinden
darf und soll. Insbesondere müssen nämlich die
Konzepte der unterschiedlichen Bündnispartner zusammengeführt
werden.
Zu OEF und ISAF: Grenzziehungen zwischen Mandaten
sollten Trennlinien nicht kaschieren, sondern verdeutlichen.
Es bleibt eine Aufgabe für uns alle – in der
Zukunft auch für die Bundesregierung –, uns immer wieder
deutlich zu machen, wo diese Trennlinien verlaufen.
Schließlich darf der heute diskutierte und in meinen
Augen sehr wichtige Ausweitungsschritt nicht dazu führen,
dass ein klaffend offenes Einfallstor für weitere Begehrlichkeiten
gegenüber unseren Soldaten entsteht.
Darauf dürfen wir als Abgeordnete des Bundestags hinweisen.
Wir dürfen Afghanistan nicht aufgeben. Wir müssen
im Rahmen dessen bleiben, was wir auch tatsächlich anbieten
und leisten können. Wir dürfen uns keiner Illusion
hingeben: Bis sich Afghanistan – auch im Interesse unserer
eigenen Sicherheit – aus eigener Kraft über Wasser
halten kann und wird, werden noch einige Jahre vergehen.
Diese Zeit werden wir brauchen. Aber wir müssen
dieses Ziel konsequent verfolgen. Deswegen ist unsere
Unterstützung angebracht, und diese Unterstützung werden
wir nächste Woche auch leisten.
Herzlichen Dank.
Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):
Herr Kollege zu Guttenberg, Ihre Antwort war, ehrlich
gesagt, keine Antwort auf meine Frage, und das
Der Krieg und auch die UN-Resolution hatten – wenn
ich das abschließend ansprechen darf – einen Hintergrund,
nämlich die Abwehr einer unmittelbaren Gefahr. Diese unmittelbare Gefahr besteht nicht mehr. Deswegen gibt es keine rechtliche Grundlage für das, was heute
auf den Weg gebracht wird.
Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg (CDU/
CSU):
Herr Kollege Gehrcke, vielen Dank. Ich finde es bemerkenswert,
dass Sie die heutige UN-Mission in einem Atemzug mit der Besatzung Russlands nennen.
Das mag Ihrer Romantik entsprechen; unserer entspricht
es nicht.
Herzlichen Dank.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/4298 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden?
– Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Quelle: Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht. 81. Sitzung, Berlin, 28. Februar 2007 (Plenarprotokoll 16/81); Internet: http://dip.bundestag.de/btp/16/16081.pdf
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