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"Für eine einstweilige Anordnung ist kein Raum"

Bundesverfassungsgericht lehnt Eilantrag der Linksfraktion ab - der Antrag selbst wird aber noch verhandelt - Bericht und Pressemitteilung des Gerichts im Wortlaut

Eilantrag abgewiesen

Karlsruhe verhandelt am 18. April über "Tornado"-Einsatz in Afghanistan
30. März 2007

Das Bundesverfassungsgericht hat einen Eilantrag der Links-Fraktion gegen den vom Bundestag beschlossenen "Tornado"-Einsatz in Afghanistan abgelehnt. Für die mit dem Eilantrag verbundene Organklage der Links-Fraktion kündigte das Gericht zugleich am Freitag in Karlsruhe eine mündliche Verhandlung an. Diese soll am 18. April stattfinden. Erst dann soll entschieden werden, ob der Bundestags-Beschluss zur Entsendung der Aufklärungsjets rechtmäßig ist. Die Links-Fraktion wollte mit dem Eilantrag eine einstweilige Anordnung durchsetzen, mit der die Truppenentsendung gestoppt werden sollte. Die Verfassungsrichter sahen jedoch keinen Anlass, den Bundestags-Beschluss vom 9. März vorläufig auszusetzen, bis über die Organklage entschieden ist. Für eine einstweilige Anordnung sei kein Raum, wenn in der Hauptsache so rechtzeitig entschieden werde, dass keine schweren Nachteile entstünden.

Die Bundeswehr-"Tornados" sollen ab Mitte April den von der NATO geführten ISAF-Truppen helfen, Taliban-Kämpfer in Afghanistan aufzuspüren. Die Links-Fraktion vertritt die Auffassung, dass der Einsatz völkerrechtswidrig ist.

In ihrer Klage macht sie außerdem eine Verletzung der Rechte des Bundestages durch die Bundesregierung geltend. Diese habe den NATO-Vertrag von 1955 "von einem reinen Verteidigungsbündnis in ein offensives Bündnis für globale Interventionen und Sicherheitsdienstleistungen" umgewandelt, ohne dafür die Zustimmung des Bundestages eingeholt zu haben. Ohne ein Änderungsgesetz zum NATO-Vertrag entbehre die Entscheidung zur Entsendung deutscher "Tornado"-Fugzeuge nach Afghanistan aber der rechtlichen Grundlage.

Die Eingliederung der "Recce"-Tornados in den von den USA im Süden Afghanistans geführten Krieg wird nach Auffassung der Linksfraktion die Unterscheidung zwischen dem Einsatz der ISAF und dem Antiterrorkampf "Operation Enduring Freedom" (OEF) verwischen. Dadurch werde das Mandat der ISAF gesprengt. Das immer noch in Anspruch genommene Recht auf Selbstverteidigung nach den Anschlägen vom 11. September 2001 bestehe zudem schon lange nicht mehr.

"Wir sehen bereits in der widerspruchslosen Übernahme des präventiven Verteidigungskonzepts, welches die USA entgegen dem geltenden Völkerrecht (Artikel 51 UN-Charta) in Anspruch nehmen und zum Beispiel im Irakkrieg praktiziert haben, einen schweren Verstoß gegen den ursprünglichen Inhalt des NATO-Vertrages", so der außenpolitische Sprecher der Links-Fraktion, Norman Paech.

Eilantrag von Gauweiler und Wimmer wurde aus formalen Gründen zurückgewiesen

Bereits am 12. März hatte das Bundesverfassungsgericht eine Organklage sowie einen Eilantrag der Unions-Abgeordneten Peter Gauweiler (CSU) und Willy Wimmer (CDU) gegen den "Tornado"-Einsatz aus formalen Gründen abgelehnt. Ihr Antrag sei unzulässig, teilte das Verfassungsgericht zur Begründung mit. Die Antragsteller seien als einzelne Abgeordnete nicht befugt, Rechte des Bundestags im Organsstreit als Prozessstandschafter geltend zu machen. Eine Verletzung eigener Statusrechte als Abgeordnete hätten sie nicht dargetan. Da die Organklage durch die einzelnen Abgeordnete unzulässig sei, sei auch für eine einstweilige Anordnung (Eilantrag) kein Raum.

Die Verfassungsrichter folgten auch nicht der Argumentation von Gauweiler und Wimmer, dass die Bundesregierung sie in ihren Rechten verletze, indem sie an einer Änderung des NATO-Vertrages Vertragsänderung mitwirke, ohne den Bundestag hierbei formell mit einzubeziehen. Auch dies ist nach Auffassung der Richter nicht geeignet, ein Rechtsverhältnis zwischen einzelnen Abgeordneten und dem Verfassungsgericht darzulegen.

Wimmer war vor Jahren Staatssektretär im Bundesverteidigungsministerium. Vor einigen Monaten warnte er eindringlich vor einem großen Krieg. Wegen der Gefahr eines ausufernden Krieges in Asien brachte er einen Austritt Deutschlands aus der NATO ins Spiel.

Pau: Hilfestellung für Mitglieder anderer Fraktionen

Die Linksabgeordnete Petra Pau verwies noch vor der Entscheidung über den Eilantrag auf die Organklage der Linksfraktion. Die Fraktion habe sehr viel Unterstützung aus der Öffentlichkeit für ihr prinzipielles Nein gegen den Krieg als Mittel der Terrorbekämpfung erhalten und für ihre Bemühung, diesen Kriegseinsatz auf seine Verfassungsmäßigkeit hin überprüfen zu lassen, erhalten.

Mit ihrer Organklage beim Bundesverfassungsgericht übernehme die Linksfraktion "auch eine Hilfestellung für Mitglieder anderer Fraktionen, die Skrupel haben, Tornados nach Afghanistan zu entsenden", meint Pau.

Das Bundesverfassungsgericht wird sich nun am 18. April mit dem Tornado-Einsatz befassen müssen. Es wird hierbei auch den Vortrag von Gauweiler und Wimmer berücksichtigen müssen, da die Linksfraktion nach eigenen Angaben die Begründung der Klage der Unions-Abgeordneten Gauweiler und Wimmer "in großen Teilen übernommen und ergänzt" hat.

* Aus: Internetzeitung ngo-online, 30. März 2007; www.ngo-online.de



Bundesverfassungsgericht - Pressestelle -

Pressemitteilung Nr. 36/2007 vom 30. März 2007
Zum Beschluss vom 29. März 2007 – 2 BvE 2/07 –

Eilantrag der Linksfraktion gegen Tornado-Einsatz abgelehnt

Am 9. März 2007 stimmte der Deutsche Bundestag dem Antrag der Bundesregierung zur Entsendung von Aufklärungsflugzeugen des Typs Tornado nach Afghanistan zu. Hiergegen richtet sich die Organklage der Fraktion der PDS/Die Linke, verbunden mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Aussetzung des Vollzuges der Truppenentsendung nach Afghanistan.

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat den Eilantrag mit Beschluss vom 29. März 2007 abgelehnt. Es sei nicht ersichtlich, dass im Hinblick auf das in den Hauptsacheanträgen als verletzt gerügte parlamentarische Beteiligungsrecht aus Art. 59 Abs. 2 GG ein irreversibler Nachteil drohe, wenn der Vollzug des Beschlusses des Deutschen Bundestags vom 9. März 2007 nicht vorläufig durch das Bundesverfassungsgericht ausgesetzt wird. Die Antragstellerin habe nicht dargetan, aus welchen Gründen der bis zur Entscheidung des Senats in der Hauptsache verstreichende Zeitraum den von ihr für verfassungswidrig gehaltenen Zustand entscheidend verfestigen würde.

Zugleich hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts Termin zur mündlichen Verhandlung über den Hauptsacheantrag bestimmt auf

Mittwoch, den 18. April 2007, 10.00 Uhr,
Sitzungssaal des Bundesverfassungsgerichts,
Schloßbezirk 3, 76131 Karlsruhe.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Für eine einstweilige Anordnung ist kein Raum, wenn das Bundesverfassungsgericht die Hauptsache so rechtzeitig zu entscheiden vermag, dass durch diese Entscheidung die schweren Nachteile, denen die einstweilige Anordnung entgegenwirken soll, vermieden werden können.

So liegt es hier:
Sofern die beschlossene Entsendung der Tornados zu der geltend gemachten und als verfassungswidrig gerügten Fortentwicklung des Vertrags beitrüge, wäre diese Vertragsfortbildung jedenfalls nicht irreversibel. Sollte im Hauptsacheverfahren eine Verletzung des Deutschen Bundestags in seinem Recht aus Artikel 59 Abs. 2 GG festgestellt werden, wäre damit eine verfassungsrechtliche Pflicht der Antragsgegnerin verbunden, einer solchen unzulässigen Fortentwicklung des NATO-Vertrags entgegenzuwirken. Die Antragstellerin hat nicht dargetan, aus welchen Gründen der bis zur Entscheidung des Senats in der Hauptsache verstreichende Zeitraum den von ihr für verfassungswidrig gehaltenen Zustand entscheidend verfestigen würde.

Hier geht es zur Entscheidung des BVerfG im Wortlaut (externer Link: www.bundesverfassungsgericht.de)




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