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"Vieles ist besser"

Bundesregierung sieht Fortschritte in Afghanistan. Parlament soll neues Mandat für Kriegseinsatz der Bundeswehr durchwinken

Von Claudia Wangerin *

Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hat am Freitag im Bundestag um breite Zustimmung für das neue Afghanistan-Mandat geworben. Die Möglichkeit eines Truppenabzugs ab Ende 2011 ließ der Freiherr offen. Er teile die Zuversicht, daß man in diesem Jahr mit »einem ersten Abzug« beginnen könne, so Guttenberg. Abgeschlossen sein soll dieser jedoch nicht vor Ende 2014. Bis dahin solle die Sicherheitsverantwortung an die Afghanen übergeben werden.

Trotz bleibender Armut und weit verbreiteter Korruption sieht die Bundesregierung den Wiederaufbau spürbar voranschreiten. »Vieles ist besser geworden in Afghanistan«, sagte Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) eine Woche vor der geplanten Abstimmung über die Verlängerung des Mandats für den Afghanistan-Einsatz deutscher Soldaten am Freitag in seiner Regierungserklärung. Das deutsche Engagement in Afghanistan sei weit mehr als ein Militäreinsatz. Niebel kündigte an, die Zahl der zivilen Mitarbeiter auf 2500 aufzustocken und somit im Vergleich zum März 2010 fast zu verdoppeln. Oppositionspolitiker widersprachen Niebels Bilanz und kritisierten die Streichung von Geldern für Hilfsorganisationen, die nicht mit dem Militär zusammenarbeiten wollen.

Niebel hatte eingeräumt, in den vergangenen Jahren sei der Fehler gemacht worden, die Lage in Afghanistan schönzureden. Es sei aber auch »verantwortungslos«, Erfolge schlechtzureden. Insbesondere bei der medizinischen Versorgung und im Bildungsbereich habe es Fortschritte gegeben, die Rechte von Frauen und Mädchen seien gestärkt worden.

Die entwicklungspolitische Sprecherin der Linkspartei, Heike Hänsel, warf Niebel vor, die Lage am Hindukusch weiter zu beschönigen. »Mittlerweile sind über 120000 NATO-Soldaten in Afghanistan, und die Sicherheitslage ist schlechter denn je«, sagte Hänsel. Die Zahl der getöteten Zivilisten erhöhe sich dadurch, daß sich die Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe für Afghanistan (ISAF) militärisch in der Defensive befinde und immer schwerere Waffen einsetze. Die beste Entwicklungspolitik sei aber aktive Friedenspolitik. Zudem erinnerte die Linke-Politikerin daran, daß die deutsche Bevölkerung den Kriegseinsatz zu rund 70 Prozent ablehnt. Der Unionspolitiker Holger Haibach unterstellte Hänsel daraufhin »Schwarzmalerei« und eine »ideologische Brille«.

Eine »unabhängige, externe Evaluation« des deutschen Engagements in Afghanistan forderte dagegen die entwicklungspolitische Sprecherin der Grünen, Ute Koczy. Durch den im Dezember veröffentlichten Fortschrittsbericht der Bundesregierung sei dies nicht gewährleistet.

Die SPD-Abgeordnete Karin Roth äußerte sich besorgt über die Lage der Frauen in Afghanistan: Zwar seien heute 28 Prozent der Parlamentsabgeordneten weiblich, andererseits wisse die Frauenministerin nicht einmal, wieviel Geld die internationale Gemeinschaft der Regierung Karsai für die Belange von Frauen zur Verfügung stelle. Frauenorganisationen würden in dem Land am Hindukusch belächelt, und sexuelle Gewalt gegen Frauen sei erschreckende Normalität.

Bei der Abstimmung über das Mandat am kommenden Freitag wird eine Mehrheit über die schwarz-gelbe Koalition hinaus erwartet. SPD-Chef Sigmar Gabriel geht allerdings von einer größeren Anzahl Nein-Stimmen in seiner Partei aus.

* Aus: junge Welt, 22. Januar 2011


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