Sehnsucht nach einem Militärpakt
Neue Neutralitätsdebatte in Österreich im Zeichen der EU-Aufrüstung
Von Hannes Hofbauer, Wien *
Wieder einmal diskutieren Parteien und Kommentatoren im Lande heftig Österreichs internationale Position.
Von den Wiener Hinterbänken aller politischer Lager melden sich dieser Tage Stimmen, die der seit
1955 gültigen Neutralität den Garaus wünschen. Die liberale Presse stimmt ihnen zu. Die
überwiegende Mehrheit der Österreicher, die gute Erfahrungen mit der Rolle des Landes gemacht
hat und am Status nichts ändern will, lässt sich durch des Präsidenten Machtwort beruhigen. Der
Anstoß kam aus der konservativen Ecke in der Steiermark. Nur Stunden nach Schließung des
Sommerlochs meldete sich Christoph Drexler, seines Zeichens Klubobmann der Landtags-ÖVP, mit
der Bemerkung, die Neutralität des Landes sei überholt, man solle den ohnedies ausgehöhlten
internationalen Status »im Schatzkistchen der österreichischen Geschichte entsorgen.«
Was den Zuruf interessant machte, war die Tatsache, dass es sich dabei nicht um eine
Einzelmeinung handelte, sondern offensichtlich um das Resultat einer von der ÖVP-Spitze
eingesetzten »Perspektivengruppe Europa«. Ex-Parteiobmann und »Balkanbeauftragter« Erhard
Busek stimmte der Wortmeldung zu und nannte die Neutralität einen »Fetisch«. Dies wiederum ging
dem amtierenden Chef der ÖVP, Vizekanzler Wilhelm Molterer, zu weit. Er forderte, die Debatte
mangels Notwendigkeit einzustellen. Wer allerdings glaubte, damit hätten sich die Hitzköpfe
beruhigt, irrte. Unterstützung für die Abschaffung der Neutralität kam nun von Sozialdemokraten und
Grünen. Auch hier ist es die zweite Garnitur, die sich öffentlich nach einem Militärpakt sehnt.
Hannes Swoboda, Führer der SPÖ im Europaparlament, sieht Österreich schlicht »nicht mehr
neutral, sondern paktungebunden«. Er wünscht sich eine neue Militärdoktrin, die festlegen soll, mit
welchen Mitteln man mit dem »Bruder solidarisch« sein soll, eine euphemistische Umschreibung für
militärische Beistandspflicht. Einer solchen kann auch der grüne EU-Politiker Johannes
Voggenhuber einiges abgewinnen. Er setzt auf eine gemeinsame »Sicherheitspolitik« in der
Europäischen Union.
Tatsächlich hat sich Österreichs Neutralität im vergangenen Jahrzehnt gewandelt. War der EU-Beitritt
1995 noch mit einem »Neutralitätsvorbehalt« eingeleitet worden, so wurde spätestens mit der
Ratifizierung der Amsterdamer Verträge im Jahr 1998 klar, dass nun »friedensschaffende
Maßnahmen« zur Doktrin österreichischer Politik geworden sind. Folgerichtig wurde damals – mit
derselben SPÖ-ÖVP-Koalition – die Verfassung diesbezüglich geändert. Die Teilnahme an der
NATO-Vorfeldorganisation »Partnerschaft für den Frieden« tut ein Übriges zur Aushöhlung des
neutralen Status.
Geblieben ist aber bisher die Nichtteilnahme an Kampfeinsätzen und die Tatsache, dass im Land
keine ausländischen Militärs stationiert sind. Bundespräsident Heinz Fischer in seiner Funktion als
Oberbefehlshaber der Armee hat denn auch klargestellt, dass die derzeitige Form der Neutralität
nicht zur Disposition stünde.
Sinn bekommt die auf den ersten Blick nutzlose Debatte erst, wenn man sie in den Kontext der
laufenden EU-Aufrüstung stellt. In Brüssel werden nämlich gerade jene Battle-Groups einsatzfähig
gemacht, die in einem Umkreis von 6000 Kilometer um die »EU-Hauptstadt« Märkte und Werte
verteidigen sollen. Die Teilnahme österreichischer Soldaten ist bereits fixiert, Kampfeinsätze
eingeschlossen. Dazu schweigen Präsident und Kanzler – und lassen lieber die zweite Garnitur
diskutieren.
* Aus: Neues Deutschland, 6. September 2007
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