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Marsch ins militärische Kerneuropa

Von Thomas Roithner *


Die europäischen Führungsmächte in Paris und Berlin wollen nun auch militärisch an Gewicht gewinnen. Statt seiner Neutralität verpflichtet zu bleiben, macht Österreich dabei eifrig mit.

Die multiplen Krisen, in denen die EU steckt, benötigen einen Blick auf das große Ganze. Die Verhandlungen mit Griechenland haben für Bundeskanzler Faymann zumindest einen Punkt offengelegt, nämlich dass Deutschland eine führende Rolle übernommen hat, und – wie er im STANDARD vom 16. 7. 2015 sagt – "in diesem Fall keine positive". Auch der deutsch-französische Motor hat ordentlich geruckelt.

Es braucht keine großen prognostischen Fähigkeiten, um Werner Faymann sagen zu können, dass ihm im Feld der EU-Sicherheitspolitik ähnliches Ungemach ins Haus steht. Ein deutsch-französisch dominiertes Kerneuropa ist auch im Bereich Rüstung und schwerer Kampfeinsatzkapazitäten augenscheinlich. Eine engagierte Neutralitätspolitik Österreichs ist mit dem deutschen Ruf nach "mehr Verantwortung" und den französischen Interventionen mit postkolonialen Interessen wohl kaum vereinbar. Die EU-Militäreinsätze im Tschad oder im Kongo gehören nicht von ungefähr zu den umstrittensten. Die Auslandseinsatzpolitik der EU seit 2003 ist im Wesentlichen eine Fusion aus den nationalen Interessen Deutschlands und Frankreichs.

Der von Werner Faymann angesprochene deutsch-französische EU-Kern hat seine Schattenseiten. Die Kerneuropakonzeptionen des Vertrags von Lissabon definieren sich ausschließlich militärisch. Und Österreichs Militär gießt eifrig Öl ins kerneuropäische Feuer, um über Brüsseler Zurufe mehr Geld zu bekommen. Die vom Bundesheer auf EU-Ebene lancierten Kriterien für ein sicherheitspolitisches Kerneuropa kennen kei- ne zivile Komponente: Das Ambitionsniveau für Militäreinsätze in aller Welt muss um 50 Prozent angehoben werden, keine Senkung und möglichst eine Verdopplung der Militärausgaben für Österreich, Beteiligung an EU-Rüstungsprojekten über die entsprechende Agentur und künftige Mindestausgaben von über 100.000 Euro pro Soldat. Also qualitative und quantitative Aufrüstung. Das EU-Protokoll sieht noch die Beteiligung an den "battle groups" als Eintrittsgeld für Kerneuropa vor.

Fragwürdig und gefährlich

Dieses militärische Kerneuropa ist nicht nur budgetär, sondern auch politisch zwischen fragwürdig und gefährlich angesiedelt. Erstens können unter bestimmten Voraussetzungen strittige außenpolitische Aspekte durch vorherige Abkoppelung von Unfähigen und Unwilligen militärisch übertüncht werden, und zweitens werden die Mitgliedstaaten der EU nach ihren Rüstungs- und Interventionspotenzialen hierarchisiert. Eine beunruhigende Hackordnung. Österreich ist in der Außenpolitik stets gut damit gefahren, sich für inkludierende und nicht für exkludierende Lösungen einzusetzen. Demokratiedefizite hat die EU – drittens – bereits genug.

In den insgesamt 33 EU-Auslandseinsätzen mit anzahlmäßig überwiegend zivilem Charakter wurden jedoch insgesamt rund 75 Prozent Militärs eingesetzt. Eine temporär vergleichbare parlamentarische Anfrage an Bundesminister Kurz vom Jänner 2015 zeigt, dass Österreich offenbar noch mehr zur Militärmacht EU beiträgt als zu einer Zivilmacht: Österreich hat 671 Personen in EU-Auslandseinsätze entsandt, und nur 67 davon – also 9,99 Prozent – waren zivil. Zieht man – wie in der Uno üblich – die Polizei von den Zivilen ab und kategorisiert sie als eigene Gruppe, so bleiben 2,09 Prozent reine zivile Kräfte. Eigentlich ein guter Grund für einen Paradigmenwechsel.

Das Regierungsprogramm legt dar, dass Österreich gefordert ist, "auf Grundlage der Neutralität und in enger Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Partnern für europäische Solidarität und globalen Frieden einzutreten".

Ein Kerneuropa, welches sich vor den Karren militärisch potenter und interventionsbereiter Staaten wie Deutschland und Frankreich spannen lässt, fördert keine einheitliche Integration und macht die EU weder demokratischer noch gewaltärmer noch außenpolitisch stärker. "Friede braucht soziale Akzeptanz", so Werner Faymann. Die letzte Dekade ist reich an Beispielen, die zeigen, dass das Militär zur nachhaltigen Lösung von Konflikten unzureichende und falsche Instrumente im Werkzeugkasten hat.

Im Sinne des Regierungsprogrammes sollte Werner Faymann ein ziviles Kerneuropa vorschlagen und anführen. Die Partner innerhalb und außerhalb der EU ergeben sich aus den Aufgabenfeldern: zivile Krisenprävention, Versöhnung, Vermittlungstätigkeit, ziviles Krisenmanagement, Unterstützung und Initiierung von Abrüstung à la Iran, Begleitung von Friedensprozessen oder nichtmilitärische Konfliktnachsorge. Dieses zivile Kerneuropa kann auf nationaler Ebene als gesamtstaatlicher Ansatz begriffen werden: Unterstützung durch die Forschung, Begleitung und Umsetzung auf gleicher Augenhöhe mit der Zivilgesellschaft und kritische Beobachtung durch die Medien.

Man kann – wie Faymann sagt – keinen Frieden verordnen. Man kann aber heute aktiv Beiträge leisten, um sich nicht später in der Sicherheitspolitik über ein deutsch-französisches Kerneuropa mit neoimperialer Schlagseite beklagen zu müssen. (Thomas Roithner, 30.7.2015)

Thomas Roithner (Jahrgang 1971) ist Friedensforscher und Privatdozent am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien.

* Als "Kommentar der anderen" veröffentlicht in "Der Standard" vom 31. Juli 2015.
Mit freundlicher Genehmigung durch den Autor.



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