Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Strategische Partnerschaft mit Brasilien

Die EU will Schwellenländer stärker in die Bekämpfung der Finanzkrise einbeziehen

Von Andreas Behn, Rio de Janeiro *

Demonstrative Einigkeit und schöne Worte, aber wenig konkrete Ergebnisse markierten das zweite Gipfeltreffen zwischen der Europäischen Union und Brasilien.

Brasiliens Präsident Luiz Inácio »Lula« da Silva versteht sich gut mit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy. Beide Seiten wollen sowohl bei der Lösung der Finanzkrise wie bei der Reform der Vereinten Nationen an einem Strang ziehen. Dissens gibt es hingegen bei der Frage, wie die allseits kritisierte Abholzung des Amazonas und die Gefährdung der Artenvielfalt eingedämmt werden soll. Am Montag (22. Dez.) waren Sarkozy in seiner Eigenschaft als EU-Ratspräsident und »Lula« in Rio de Janeiro zusammengekommen. An dem eintägigen Gipfeltreffen nahm auch der Präsident der EUKommission, José Manuel Durão Barroso, teil.

Im Vorgriff auf das bilaterale Treffen zwischen Frankreich und Brasilien, das erst am Dienstagabend (23. Dez.) zu Ende ging, wiederholte Sarkozy seine nicht von allen EU-Staaten geteilte Position, dass das südamerikanische Land ein Anrecht auf einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat habe.

Deutlich wurde das Interesse beider Seiten, in der Außen- und Wirtschaftspolitik in Zukunft an einem Strang zu ziehen. »Brasilien und Europa sprechen mit einer Stimme bezüglich der Veränderungen im internationalen Finanzsystem«, sagte Sarkozy vor der Presse. Es wurde vereinbart, bis zum Treffen der G20-Gruppe im April in London, auf der Maßnahmen zur Bewältigung der Finanzkrise diskutiert werden sollen, eine gemeinsame Position von Brasilien und der EU zu erarbeiten.

Präsident Lula, dessen Forderung nach einer größeren Teilhabe der Länder des Südens bei der Lösung der globalen Probleme auf offene Ohren stieß, kritisierte die »schamlose Finanzspekulation« als Ursache der weltweiten Krise. Dieser Moment müsse genutzt werden, um »die Rolle, die die Nationalstaaten in der Wirtschaft spielen, neu zu diskutieren«.

Die gemeinsame Haltung zur Finanzkrise ist Teil eines Aktionsplans, auf den sich beide Seiten verständigt haben. Im Rahmen einer sogenannten strategischen Partnerschaft soll dabei in den Bereichen Wirtschaftsförderung, internationale Zusammenarbeit und Sicherheitspolitik, sowie bei sozialen und Umweltfragen enger kooperiert werden.

Der Fahrplan sieht auf diplomatischer Ebene gemeinsame Positionen bei der Reform der UNO vor, insbesondere in Fragen von Abrüstung und der Nichtverbreitung von Atomwaffen. Zugleich wird eine Kooperation im Bereich der Nuklearenergieforschung mit dem Ziel angestrebt, Brasilien mittelfristig den Zugang zu dieser Technologie zu ermöglichen.

Im Wirtschaftsbereich wurden die Energie- und Infrastruktursektoren als Priorität für die Partnerschaft der kommenden Jahre definiert. Die stagnierenden Verhandlungen über eine Freihandelszone zwischen der EU und dem gemeinsamen südamerikanischen Markt Mercosur haben allerdings keinen neuen Auftrieb bekommen -- die vereinbarten Formulierungen gehen nicht über eine »Vertiefung« der Handelsbeziehungen hinaus. Ebenso vage bleiben die »neuen Impulse«, mit der die grundlegenden Meinungsverschiedenheiten zwischen Industrie- und Schwellenländern bei den Verhandlungen in der Welthandelsorganisation WTO behoben werden sollen. Es blieb Kommissionspräsident Barroso überlassen, daran zu erinnern, dass die Differenzen bezüglich Protektionismus und der EU-Agrarsubventionen nach wie vor bestehen.

Die Wortklauberei um die Frage, wer denn Herr und Besitzer des Amazonas und seiner Naturschätze sei, ist nach dem Gipfel genauso ungeklärt und polemisch wie vorher. Diesmal war es Brasiliens Außenminister Celso Amorim, der betonte, das brasilianische Amazonasgebiet »ist unser«. Die Gäste aus Europa konnten dem nicht einfach widersprechen und ergänzten lediglich, es sei aber ein »globales Problem« und die ganze Welt solle von der Artenvielfalt profitieren. Kein Dissens bestand hingegen bezüglich des bescheidenen Ziels, die Abholzung des Amazonasurwalds bis 2017 um 70 Prozent zu senken.

* Aus: Neues Deutschland, 24. Dezember 2008


Zurück zur Brasilien-Seite

Zur EU-Europa-Seite

Zurück zur Homepage