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Rote Karte für Korruption

Bulgariens Premier warnt vor Auswirkungen der EU-Maßnahmen

Von Gabi Kotlenko *

War es nur Zufall? Jedenfalls traf die Nachricht Bulgariens Premier Sergej Stanischew und seine Stellvertreterin Meglena Plugtschiewa völlig unvorbereitet auf dem Flug nach Berlin: Erstmals in der EU-Geschichte drehte Brüssel einem Mitgliedstaat wegen Korruption den Geldhahn zu.

Im Sommer auf Eis gelegte 220 Millionen Euro sind endgültig weg, 340 Millionen bleiben eingefroren – EU-Gelder, die in Sofia u. a. für die Verkehrsinfrastruktur gedacht waren. Wie Premier Stanischew betonte, könne der Eindruck, dass Bulgarien nicht wie andere EU-Mitglieder behandelt werde, gefährliche innenpolitische Auswirkungen haben. Man unterscheide sich hinsichtlich der Unzulänglichkeiten nicht von anderen Neumitgliedern oder selbst älteren EU-Staaten.

Sicher, die Korruption im Lande blüht, eklatante Versäumnisse sind unbestritten, die Geduld Brüssels wurde arg strapaziert. Viele Bulgaren sagen, es sei gut, dass die EU Druck macht. Doch Jahrzehnte lang gewachsen, ist der Sumpf nicht in Monaten auszurotten. Im April mussten vier Minister der vom Sozialisten Stanischew angeführten Koalitionsregierung ihren Hut nehmen. Neu geschaffen wurde der Posten eines Vizepremiers, der die Verwendung von EU-Geldern überwachen soll. Meglena Plugtschiewa kämpft seitdem an allen Fronten für ihr Land und sein internationales Ansehen. Doch auch Wunder brauchen Zeit. Dazu kommt, dass Justitia zuweilen auf beiden Augen blind ist. Der Regierung sind da die Hände gebunden. Sie schlug deshalb jetzt Gesetzesänderungen in der Strafprozessordnung vor. Erste Prozesse begannen. Ein hochrangiger Mitarbeiter des Fonds für Verkehrsinfrastruktur etwa muss wegen Bestechung fünf Jahre ins Gefängnis.

Bei aller Berechtigung der Vorwürfe drängt sich schon der Gedanke auf, dass Brüssel mit zweierlei Maß misst. Während gegenüber Rumänien, wo die Korruption nicht minder Blüten treibt, der Zeigefinger erhoben wird, zieht man bei Sofia die rote Karte. Von Korruption und Mafiaumtrieben in anderen Ländern spricht niemand.

Bei einer Diskussion mit Meglena Plugtschiewa in Berlin kurz vor Streichung der 220 Millionen fand ausgerechnet der Berater des Generaldirektors der EU-Behörde für Betrugs- und Korruptionsbekämpfung OLAF, Dr. Wolfgang Hetzer, außergewöhnlich lobende Worte. Auf Initiative von Frau Plugtschiewa habe sich die Zusammenarbeit in kürzester Zeit drastisch verbessert. Es sei ein Ruck durch das Land, die Administration gegangen. Tage später sperrte die EU Millionen. Warum die Heuchelei?

Im Juni wählt Bulgarien. Sicher ist es manchem in Brüssel ein Dorn im Auge, dass ausgerechnet ein Sozialist die Regierungsgeschäfte in Sofia führt. Meglena Plugtschiewa – ganz Diplomatin – betont, sie wolle mit allen Mitteln dagegen kämpfen, dass EU-Gelder zur Waffe im Wahlkampf werden. Ob mit einem Wahlsieg des Rechtspopulisten Boiko Borissow mehr Ordnung ins bulgarische Haus einzieht, darf allerdings bezweifelt werden. Der Gründer der Partei GERB (Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens) ist der neue Liebling der deutschen Unionsparteien, insbesondere der CSU.

* Aus: Neues Deutschland, 12. Dezember 2008


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