Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Strategiespiele am Sandstrand

Frankreich richtete Dreiergipfel mit Deutschland und Russland in der Normandie aus

Russlands Präsident Dmitri Medwedjew hat seine Teilnahme am NATO-Gipfel im November zugesagt - das einzige konkrete positive Signal vom Dreiergipfel in der Normandie.

Gefallen habe es ihnen, und gelangweilt habe man sich auch nicht, sagt Kanzlerin Angela Merkel nach dem Dreiertreffen in Deauville. Auch der russische Präsident Dmitri Medwedjew lobte den Gastgeber, Frankreichs Präsidenten Nicolas Sarkozy, ausdrücklich für seine Ortswahl. Das Seebad Deauville in der Normandie mit seinem Sandstrand, dem Spielkasino und den Villen aus dem 19. Jahrhundert bot einen guten Rahmen, um offen miteinander zu reden.

Dabei waren die Erwartungen recht unterschiedlich: Merkel und Sarkozy wollen Russland in die NATO-Strategie einbinden, mit der das nordatlantische Militärbündnis auf neue Herausforderungen reagieren will. Die Russen hingegen sind handfest daran interessiert, auf lange Sicht die Visapflicht für ihre Landsleute bei Reisen in EU-Länder abzuschaffen.

Vom Visastempel bis zum geplanten NATO-Raketenschirm in Europa reichten die erörterten Themen. Konkrete Ergebnisse gab es nicht zu verkünden, denn niemand mochte den Eindruck erwecken, die EU oder die USA bei wichtigen Themen links liegen zu lassen. Aber ein konkretes positives Signal gab es doch: Medwedjew sagte seine Teilnahme am anstehenden NATO-Gipfel im November in Lissabon zu. Beim Gipfel im vergangenen Jahr war er nicht eingeladen gewesen, da die NATO ihre Beziehungen zu Russland wegen des Georgienfeldzugs 2008 eingefroren hatte.

Ob und in welcher Form sich Russland am geplanten Raketenschirm beteiligt, ist weiterhin offen. »Wir werden uns mit dieser Idee beschäftigen«, sagte Medwedjew. Ebenso lauwarm hatten Sarkozy und Merkel ihm zuvor versichert, dass sie über Medwedjews Idee eines Sicherheitsvertrags zwischen Europa und Russland weiter nachdenken wollten. Faktisch haben beide aber wenig Interesse, eine vermeintliche Konkurrenz zur NATO zu schaffen.

Neben den Sicherheitsthemen geht es aber in der weiteren Strategie auch um eine grundsätzliche Ausrichtung Moskaus nach Westen. So wollen Frankreich und Deutschland nicht zuletzt die Handelspartnerschaft mit Russland stärken.

* Aus: Neues Deutschland, 20. Oktober 2010


Dreiergipfel in Deauville: Russland und EU nähern sich wieder an - "Nesawissimaja Gaseta" **

In die Annäherung zwischen Russland und der EU ist offenbar wieder Bewegung gekommen. Davon zeigten sich Dmitri Medwedew, Angela Merkel und Nicolas Sarkozy nach ihrem zweitägigen Treffen im französischen Deauville überzeugt.

Im Mittelpunkt der Diskussion stand die Zukunft der europäischen Sicherheit. Außerdem wurden in Deauville die Meinungen über andere wichtige europäische Fragen ausgetauscht, schreibt die Zeitung "Nesawissimaja Gaseta" am 20. Okt.

Im Vorfeld des Dreiergipfels hatte die "New York Times" Kritik an den Gesprächen über die europäische Sicherheit ohne die USA geäußert. Auch der italienische Premier Silvio Berlusconi bedauerte, dass er nach Deauville nicht eingeladen worden war. Das dreiseitige Gesprächsformat gibt jedoch bereits seit 1997, auch wenn sich die Spitzenpolitiker Russlands, Deutschlands und Frankreichs seit fünf Jahren nicht mehr zu dritt getroffen hatten. Jetzt sollen die Dreier-Gespräche häufiger stattfinden, das nächste Mal voraussichtlich in Deutschland.

Angesichts der Reaktion Washingtons und Roms betonten die Teilnehmer des Dreiergipfels, dass es sich ausschließlich um Diskussionen gehandelt habe.

Präsident Medwedew kündigte an, sich am Russland-Nato-Gipfel im November in Lissabon zu beteiligen. Damit wollte er wohl anderen westlichen Staaten signalisieren, dass das Treffen in Deauville der Vorbereitung auf den Nato-Gipfel galt.

Neben der Sicherheit wurden den drei Spitzenpolitikern zufolge Themen wie die Situation um Iran, die Nahost-Lösung, die Perspektiven der Russland-EU-Beziehungen und globale Finanzprobleme erörtert.

Zum Thema Iran sagte Merkel, die Weltgemeinschaft solle weiter Druck auf Teheran ausüben. Falls der Iran aber beweisen könne, keine Atomwaffen zu entwickeln, wäre eine Kooperation möglich, betonte die Bundeskanzlerin. Medwedew sagte seinerseits, dass die Sanktionen gegen den Iran zwar unterstützt werden müssen, Teheran aber auch zur Zusammenarbeit bewegt werden soll.

In Bezug auf die Raketenabwehr in Europa sagte der russische Staatschef, Moskau denke über das Angebot der Nato nach, sich am Aufbau des europäischen Raketenabwehrsystems zu beteiligen.

Merkel und Sarkozy versprachen, die Modernisierung Russlands zu fördern. Die Bundeskanzlerin rief außerdem dazu auf, intensiver am neuen Grundlagenvertrag zwischen Russland und der EU zu arbeiten. Sarkozy erwartet, dass Russland und die EU in zehn bzw. 15 Jahren einen einheitlichen Wirtschaftsraum und eine gemeinsame Sicherheitskonzeption sowie Visafreiheit haben werden. Medwedew plädierte für einen Fahrplan zur Abschaffung der Visapflicht. Dieses Thema soll beim nächsten Russland-EU-Gipfel im Dezember in Brüssel besprochen werden.

** Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 20. Oktober 2010; http://de.rian.ru


Die Troika von Deauville

Von Detlef D. Pries ***

Als sich die Herren Putin, Schröder und Chirac einst in Petersburg trafen und ihr gemeinsames Unbehagen angesichts des Bush-Krieges gegen Irak kundtaten, sahen manche hierzulande schon den Untergang des christlichen Abendlandes nahen. Die angeblich drohende Bildung einer Achse Moskau-Berlin-Paris schien ihnen gleichbedeutend mit der Aufkündigung der »transatlantischen Solidarität«.

Ganz anders jetzt, da sich das Nachfolgertrio an der französischen Atlantikküste zusammenfand. Wenn doch selbst der USA-Präsident einen »Neustart« der Beziehungen zu Russland befürwortet, kann man sich auch wieder in die »Europäische Troika« setzen, die jahrelang ungenutzt in der Remise stand. Freilich werden die Pferde nicht gar zu sehr angetrieben. Denn zwar weiß man nicht, wie lange Obama noch Herr seiner Entscheidungen ist, weshalb es gut wäre, die Zeit zu nutzen, doch soll der Eindruck vermieden werden, man wolle Beschlüsse ohne die USA und die vielstimmige EU fassen.

Bleibt der Wille, Russland »einzubinden«, an die »transatlantischen Sicherheitsstrukturen«, also die NATO, »heranzuführen«. Womit sich das russische Streben nach einem neuen Sicherheitsvertrag für Europa wohl erledigen würde. Nicht zuletzt deshalb hält sich auch Medwedjew zurück. Ja, er hat versprochen, zum NATO-Gipfel nach Lissabon zu reisen. Doch eine Beteiligung Russlands an der geplanten NATO-Raketenabwehr will er - ohne Kenntnis der Details - nicht zusagen. Statt »Einbindung« will Russland Partnerschaft, statt »Heranführung« will Moskau, dass man aufeinander zugeht.

*** Aus: Neues Deutschland, 20. Oktober 2010 (Kommentar)


Zurück zur Frankreich-Seite

Zur Deutschland-Seite

Zur Russland-Seite

Zur EU-Europa-Seite

Zur Sonderseite "Das neue strategische Konzept der NATO"

Zurück zur Homepage