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Hoyer (FDP): "Die Bundesregierung muss sich fragen lassen, ob die Isolationspolitik gegenüber der Hamas zielführend gewesen ist" / Gysi (Linke): "Der Krieg selbst ist völkerrechtswidrig"

Dokumentiert: Die in der Öffentlichkeit fast untergegangene Debatte des Bundestags über die Lage im Gaza-Krieg

Am 14. Januar debattierte der Deutsche Bundestag über die aktuelle Lage im Kriegsgebiet Gaza-Streifen. In der Öffentlichkeit wurde die Debatte kaum wahrgenommen. Im Zentrum der Berichterstattung stand am nächsten Tag das Konjunkturprogramm der Bundesregierung, wozu die Bundeskanzlerin eine Regierungserklärung abgegeben hatte.
Wir dokumentieren die Debatte im Folgenden in der Reihenfolge der Beiträge nach dem amtlichen stenografischen Protokoll.
Es sprachen:


Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht
198. Sitzung, Berlin, Mittwoch, den 14. Januar 2009
(Plenarprotokoll 16/198)

Tagesordnungspunkt 2:

Vereinbarte Debatte: Aktuelle Lage im Nahen Osten

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Vereinbarte Debatte Aktuelle Lage im Nahen Osten
Das Wort hat der Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier.

(Beifall bei der SPD)

Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des Auswärtigen:

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit dem 27. Dezember wird in Gaza gekämpft. Seit 19 Tagen gibt es Krieg, große Zerstörung und Hunger. Verletzte und fast 1 000 Tote sind bislang zu beklagen. Das Kämpfen geht weiter, in den letzten Tagen sogar mit größerer Intensität als am Anfang der Auseinandersetzung. Die Gegenwehr ist durchaus heftig. Die Luftangriffe werden fortgesetzt, begleitet von Operationen am Boden. Ich habe mir selber in Rafah ein Bild von der Heftigkeit der Kampfhandlungen machen können. Ich habe eine Vorstellung, wie es den Menschen, die im Gazastreifen geblieben sind, geht. Die Zivilbevölkerung leidet ganz ohne Zweifel, und aus der humanitären Krise könnte eine humanitäre Katastrophe werden. Das kann uns nicht kaltlassen, und das lässt uns nicht kalt. Die leidende Zivilbevölkerung hat und braucht unser Mitgefühl.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben am vergangenen Wochenende intensiv mit den Hilfsorganisationen in der Region gesprochen, auch mit dem Internationalen Roten Kreuz. Noch sind ausreichend Medikamente vorhanden, noch arbeitet die Mehrzahl der Krankenhäuser und Krankeneinrichtungen notdürftig unter den Bedingungen, die wir uns vorstellen können; aber ebenso klar war auch die Aussage, dass das, was gegenwärtig an Nahrungsmitteln in den Gazastreifen hineinkommt, nicht ausreichen wird, wenn der Kampf noch länger dauern wird. Deshalb eines ganz klar vorab: Die Kampfhandlungen müssen jetzt eingestellt werden, die Waffen müssen zum Schweigen gebracht werden.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich sage, obwohl ich als Außenminister weiß, dass uns die Fernsehbilder, die wir allabendlich sehen, sehr erschüttern und die Empörung sehr verständlich ist: Das wird nicht ausreichen. Ich kenne keine Auseinandersetzung der jüngeren Zeit, die wir mit Presseerklärungen und Statements aus der Welt gebracht hätten. Es ist Arbeit erforderlich, und die Arbeit verlangt auch, sich daran zu erinnern, dass dieser Krieg, die Militäraktionen Israels nicht vom Himmel gefallen sind. Sie wissen, dass dem Krieg insbesondere in der zweiten Hälfte des letzten Jahres eine geradezu täglich zunehmende Zahl von Raketenangriffen aus dem Gazastreifen vorausging. Ich habe öffentlich gesagt und stehe dazu: Keine Regierung, auch und erst recht nicht die Regierung Israels, kann einer solchen Bedrohung der eigenen Bevölkerung tatenlos zusehen. Es ist gerechtfertigt, sich dagegen zur Wehr zu setzen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

Richtig ist sicher auch, dass diejenigen, die durch einen faktischen Putsch die Loslösung des Gazastreifens vom Westjordanland für einige Zeit durchgesetzt haben und dafür die Verantwortung tragen, nicht die Verantwortung für die Menschen im Gazastreifen übernommen haben. Sie tragen mit dafür Verantwortung, dass der jetzige Waffengang mit viel Leid für die Zivilbevölkerung zustande kam. Schuldfragen sind in einer solchen Situation öffentlich gestellt worden, aber die Klärung von Schuldfragen wird uns nicht zu der Einstellung der Kampfhandlungen führen. Das wird nur der Fall sein, wenn wir unseren Teil dazu beitragen, dass aus Initiativen wie beispielsweise der des ägyptischen Präsidenten Mubarak zum Waffenstillstand ein Erfolg wird.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

An diesem Punkt sind wir noch nicht. Meine Gespräche in Israel haben mir ganz klar gezeigt: Wir werden das, was wir erhoffen und worauf wir täglich warten, nämlich die Einstellung der Kampfhandlungen, nur erreichen, wenn zwei Dinge gewährleistet sind: Erstens wenn Israel zugesichert werden kann, dass es nach diesem Waffengang ein erhöhtes Maß an Sicherheit für die israelische Bevölkerung geben wird – deshalb muss sichergestellt werden, dass eine Neubewaffnung der Hamas nicht in kürzester Zeit wieder möglich sein wird –, und zweitens – ich bin mir sicher, dass das ein Element für die Einstellung der Kampfhandlungen ist, wenn die Einstellung dauerhaft sein soll –, dass wir eine Regelung zur Öffnung der Grenzübergänge finden, die eine dauerhafte Versorgung der Zivilbevölkerung wieder sicherstellt.

(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe in den letzten Tagen viele hässliche Kommentare über das Tätigwerden der EU gelesen. Ich kann mit all denen übereinstimmen, die darauf aufmerksam machen, dass es schlecht ist, wenn die EU im Nahen Osten mit unterschiedlichen Stimmen und konkurrierend auftritt. Nur: Das ist nicht das Thema. Stellen Sie sich vor, die gegenwärtige tschechische Ratspräsidentschaft hätte sich nach dem Ausbruch der Kampfhandlungen geweigert, in die Region zu fahren. Die Kritik wäre nicht minder groß, sondern vielleicht noch schärfer ausgefallen. Ich finde, man kann denjenigen, die sich in einer damals – vor 10, 14 Tagen – noch fast aussichtslosen Situation um Frieden bemühten, nicht den Vorwurf machen, dass die Einstellung der Kampfhandlungen nicht schon nach dem ersten Besuch, dem ersten Gespräch stattfindet.

Das Wichtige ist, dass ein Dialog aufgenommen wird. Den führen wir, und wir führen ihn unter den Europäern so eng wie möglich miteinander. Ich selbst habe in meinen Delegationen in Ägypten und Israel Mitglieder der tschechischen Präsidentschaft gehabt. Das, was wir an Gesprächen in Ägypten, Israel und in der Gesamtregion führen, wird eng mit den französischen und britischen Nachbarn abgestimmt.

Wo stehen wir? Das Schlüsselland Ägypten, das hier große Verantwortung auf sich nimmt – auch mit Blick auf die komplizierte Lage in der Arabischen Liga, wo die Vermittlungsversuche Ägyptens auch nicht ohne Kritik bleiben –, verdient jede Unterstützung, in den Direktgesprächen mit Israel das zustande zu bringen, was wir brauchen, nämlich die Voraussetzungen dafür, dass vonseiten der Hamas versichert wird, dass kein weiterer Raketenbeschuss stattfindet, und Israel daraufhin die Kampfhandlungen einstellen kann. Das ist schwierig genug. In einer solchen Situation, in der die erhoffte Vereinbarung noch nicht zustande gekommen ist, habe ich mich mit den Partnern in der Region auf fünf Punkte verständigt: Wir brauchen einen Einstieg in einen Prozess. Wenn der konsentierte Waffenstillstand nicht sofort zu erhalten ist, dann müssen wir den Einstieg über eine humanitäre Waffenruhe für einige Tage, besser für eine Woche, noch besser für zwei Wochen hinbekommen.

Wir müssen dann die Zeit nutzen, um in einer solch humanitären Waffenpause einerseits die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Andererseits müssen wir die diplomatischen Möglichkeiten nutzen, um zu Vereinbarungen zu vermehrter Sicherheit an der Grenze zwischen Ägypten und dem Gazastreifen zu kommen und auch um Maßnahmen zu vereinbaren, wie Waffenschmuggel in der nächsten Zukunft effektiver verhindert wird.

Wir können die Zeit nutzen, um in den Tagen der humanitären Waffenruhe entsprechende Vereinbarungen mit Ägypten zu treffen. Wir können in einer nächsten Phase die kontrollierte Öffnung der Grenzübergänge vorbereiten. Wohlgemerkt: Wenn ich von Grenzübergängen spreche, dann meine ich nicht nur Rafah, nicht nur den Grenzübergang zwischen dem Gazastreifen und Ägypten, sondern die Grenzübergänge, die es zwischen Gaza und Israel gibt und über die die Mehrzahl der Güter für die Versorgung der Bevölkerung läuft. Wir müssen – das scheint auf den ersten Blick abstrus zu sein – uns auch Gedanken darüber machen, wie wir in einem weiteren und letzten Schritt diejenige Bevölkerung mit alternativen Einkommensmöglichkeiten versorgen, die gegenwärtig vom Schmuggel an der Grenze westlich und östlich von Rafah lebt, ein für die Ägypter nicht einfaches Problem, bei dem wir Europäer aber behilflich sein könnten. Ich bin mir sicher: Wenn man einen solchen Arbeitsplan verfolgt – wir sind derzeit dabei –, dann können damit die Voraussetzungen für einen baldmöglichsten Waffenstillstand geschaffen werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Gespräche dazu laufen. Ich werde morgen erneut in der Region sein. Ägypten hat die Unterstützung von der Europäischen Union und auch der deutschen Seite akzeptiert. Die Unterstützung muss unter der Wahrung der ägyptischen Souveränität stattfinden. Deshalb sind alle Vorschläge, von denen ich interessiert in der Öffentlichkeit gehört habe, dass eine internationale Schutztruppe auf ägyptischem Boden stationiert werden soll, jenseits aller vorstellbaren Möglichkeiten.

Ägypten besteht darauf, dass die Souveränität des Landes und die Autorität der eigenen Grenzschutzpolizei gewahrt bleiben. Deshalb kann es für uns nur darum gehen, mit Ausstattungshilfe, mit technischem Equipment, mit Training, mit der Diskussion einer geeigneten Grenzschutzstrategie und Ähnlichem behilflich zu sein. Aber das sind dann auch die Möglichkeiten, von denen mir und uns auch die israelische Seite sagt: Wenn Grenzschutz dadurch effektiver wird, dann ist das eine Möglichkeit für die Israelis, auch ihrerseits von einem Mehrwert, von einem Mehr an Sicherheit für die israelische Bevölkerung auszugehen.

Wir sind im Augenblick bei einem Zwischenstand. Ich hatte gehofft, Ihnen heute bei dieser Debatte sagen zu können, wie erfolgreich der Weg zum Waffenstillstand beschritten worden ist. Nun sind wir noch nicht so weit. Die Mühe, ihn schnellstmöglich zu erreichen, wird anhalten. Ich werde mich in den nächsten Tagen mit anderen weiter darum bemühen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Werner Hoyer, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Dr. Werner Hoyer (FDP):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bilder aus dem Gazastreifen, die wir jeden Abend auf unsere Fernsehschirme transportiert bekommen, können niemanden kaltlassen. Jedes unschuldige Opfer in diesem furchtbaren Krieg ist eines zu viel.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der SPD)

Frieden, zumindest aber zunächst ein Schweigen der Waffen, ist also dringend erforderlich. Alle, die sich darum bemühen, verdienen Unterstützung. Es ist überhaupt nicht im Sinne eines wechselseitigen Aufrechnens zu verstehen, wenn ich zugleich darauf hinweise, dass wir Europäer uns manchmal kaum vorstellen können, was es für Bürger großer Teile Israels bedeutet, seit Jahren unter der permanenten Bedrohung durch Qassam-Raketen – sie schlagen tagtäglich ein – leben zu müssen. Angesichts dessen erscheint es geradezu zynisch, dass diese Raketen ob ihrer geringen technologischen Qualität in manchen Medienberichten geradezu verniedlicht oder verharmlost werden.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Wir müssen uns in die Gefühlslage der betroffenen Menschen hineinversetzen. Dazu gehört das Gefühl der permanenten Demütigung, unter dem die Menschen nicht nur in Gaza, sondern in ganz Palästina leiden. Dazu gehört eben auch – wenn man zum Beispiel Israel verstehen will –, zu erfassen, welche Bedeutung für die Menschen in Israel und für die Handlungsfähigkeit der israelischen Regierung das nach wie vor ungeklärte Schicksal des verschleppten Soldaten Gilad Schalit besitzt. Die Waffen zum Schweigen zu bringen, lohnt also jede Anstrengung; aber das allein ersetzt die Perspektive für Frieden und Stabilität nicht. Ein Waffenstillstand muss auch genutzt werden können, um den politischen Prozess wieder in Gang zu bringen, und umgekehrt wird es ohne die Perspektive eines politischen Prozesses keinen tragfähigen Waffenstillstand geben.

(Beifall bei der FDP)

Das setzt voraus, dass es gelingt, die Spirale von Hass, Gewalt und wechselseitiger Demütigung zu durchbrechen, die die Menschen zunehmend zur Verzweiflung und eben auch zu mancher Verzweiflungstat bringt. Man kann die Chancen, diesen Prozess wieder in Gang zu bringen, natürlich nicht ermessen, wenn man nicht den Kalender sieht, der für die jeweiligen Konfliktparteien und auch für diejenigen, die hilfreich sein könnten, wesentlich ist. Zu den wichtigen Daten gehört natürlich der israelische Wahltermin Anfang Februar. Es ist schon tragisch, dass gerade sehr moderate Politiker, die in den direkten und diskreten Kontakten mit der palästinensischen Seite, aber auch zum Beispiel mit Syrien schon ziemlich weit gekommen sind, jetzt offenbar unter innenpolitischen und wahltaktischen Zwängen stehen und glauben, besonders konsequent und mit erheblicher Härte gegen die Hamas vorgehen zu müssen.

Zu den wichtigen Daten gehört natürlich auch der 20. Januar, der Tag, an dem Barack Obama sein Amt als amerikanischer Präsident übernimmt und auch seine außenpolitische Agenda darstellt. Jeder weiß, dass ohne ein starkes amerikanisches Engagement im Nahen Osten keine stabile Friedenslösung denkbar ist. Die Ausführungen der zukünftigen amerikanischen Außenministerin Hillary Clinton gestern im Senatshearing lassen da durchaus Hoffnung aufkommen. Dass man auf Obama zu warten hat, ist für Europa aber keine Entschuldigung. Die EU ist durchaus gefragt. Das war nicht immer so, insbesondere in Israel. Das hat sich nun geändert. Dem muss Europa gerecht werden.

Sie waren sehr kollegial, diplomatisch, Herr Minister, gegenüber den Außenministern und den übrigen Beteiligten aus Brüssel, die in der letzten Woche in der Konfliktregion aufgetreten sind. An dem Anspruch gemessen, erschien mir jedoch der Auftritt der Europäischen Union in der letzten Woche unkoordiniert, konzeptionslos und peinlich; ja, man schien überfordert zu sein.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Arnold Vaatz [CDU/CSU])

Es ist schon ziemlich erbärmlich, wenn die Außenminister aus gegenwärtiger, vorangegangener und zukünftiger Ratspräsidentschaft – übrigens ein Format, das es seit Beginn dieses Jahrtausends eigentlich gar nicht mehr gibt, die klassische Troika –, ergänzt um die Außenkommissarin und den Generalsekretär des Rates, in der Region um Termine und Medienaufmerksamkeit buhlen und der Nicht-mehr-Ratspräsident Nicolas Sarkozy zugleich in Kairo Gespräche führt, von denen wiederum sein eigener Außenminister als Teil der genannten Troika in Jerusalem zu diesem Zeitpunkt gar nichts weiß. So scheitert die Europäische Union an ihrem eigenen Anspruch in der Weltpolitik.

Da stimmt es dann fast schon hoffnungsfroh, Herr Minister, dass, wie Sie uns gestern versichert haben, Ihre Reise nicht nur in der Europäischen Union abgestimmt war, sondern sogar in der Bundesregierung.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Zweifel bleiben, aber es ist ja schon beruhigend zu wissen, dass die Bundeskanzlerin, wie ich jetzt doch feststellen kann, über die Anstrengungen, die Sie unternommen haben, offenbar nicht nur über die Medien informiert worden ist.

Schon allein humanitäre Überlegungen machen ein Schweigen der Waffen so überaus dringlich. Ich unterstütze Sie, Herr Minister, ausdrücklich, wenn Sie davor warnen, den erforderlichen politischen Prozess wieder von der Schuldfrage her aufrollen zu wollen. An wechselseitiger Schuldzuweisung, am Aufrechnen ist in der Vergangenheit schon fast alles gescheitert, was zum Frieden hätte führen können. Das Ergebnis eines möglichen Friedensprozesses scheint doch eigentlich auf der Hand zu liegen oder – vielleicht muss man es heute schon so sagen – schien auf der Hand zu liegen, zumindest dann, wenn alle Beteiligten die Vision des friedlichen Zusammenlebens von Israelis und Palästinensern in zwei souveränen, zur Kooperation befähigten Staaten nach wie vor teilen. Deswegen muss der Prozess vom Ergebnis her definiert werden, nicht von den unüberbrückbaren Gegensätzen bei der Schuldzuweisung her.

In den letzten Jahren ist bei den allermeisten Beteiligten, denke ich, durchaus die Erkenntnis gereift, dass eigentliche Stärke darin besteht, Kompromisse einzugehen und gegenüber den eigenen Leuten durchzusetzen.

Oder ist die Zwei-Staaten-Lösung etwa schon verspielt? Hat sich die Lage in Gaza bereits so sehr von der auf der Westbank entfernt, dass die Zwei-Staaten-Lösung schon unrealistisch geworden ist? Man kann nur warnen.

Mancher fragt, warum denn das Zusammenleben nicht in einem Staat möglich sein soll. Das, meine Damen und Herren, wäre das Ende von der Vorstellung des jüdischen Staates Israel. Für das Existenzrecht des jüdischen Staates Israel einzutreten – nicht für das Existenzrecht Israels als Staat, in dem die jüdischen Israelis mehr und mehr zur Minderheit im vermeintlich eigenen Staat werden –, war und ist Staatsräson im Nachkriegs- und Nach-Holocaust-Deutschland. Die Drei-Staaten-Lösung mit einem jüdischen Israel, einem kaum zusammenhängenden Westbank-Territorium und einem aus eigener Kraft und als eigenes Staatsgebilde nicht lebensfähigen, eingemauerten Gaza, das ist ganz gewiss kein Konzept für Frieden und Stabilität im Nahen Osten.

Wer an der Idee von der Zwei-Staaten-Lösung festhält und die Spirale von Demütigung und Gewalt durchbrechen will, der muss also die Kraft aufbringen, der eigenen Bevölkerung die Opfer abzuverlangen, die dann unausweichlich sind. Das bedeutet für Israel den schmerzlichen, aber völlig unverzichtbaren Rückzug aus den Siedlungsgebieten auf der Westbank – eine Erkenntnis von Ministerpräsident Olmert, die er leider erst jetzt geäußert hat, da sein Abgang nur noch eine Zeitfrage ist –, und das heißt für die Palästinenser: weitgehender Verzicht auf die vollständige oder auch nur überwiegende Rückkehr der Flüchtlinge in das Gebiet, das jetzt Israels Kernland ist.

Wer soll eigentlich in der Lage sein, der eigenen Bevölkerung solche unverzichtbaren Opfer mit der dafür notwendigen Autorität abzuverlangen? Hoffen wir, dass die israelischen Wähler im nächsten Monat die neue Knesset-Mehrheit in die Lage versetzen, dies zu tun, und hoffen wir, dass Gaza nicht der Todesstoß für die Regierung von Präsident Abbas ist.

Jetzt schon scheint sich abzuzeichnen, dass das Kalkül, eine harte Haltung gegenüber den Raketenterroristen der Hamas würde die Bevölkerung im Gazastreifen von der Hamas-Führung entfremden, nicht aufgeht. Im Gegenteil, ich fürchte, dass selbst diejenigen, für die Hamas nicht in erster Linie eine Terrororganisation ist – was Hamas zweifellos auch ist –, sondern ein gesellschaftliches, soziales und oft auch intellektuelles Netzwerk, geradezu aus der Solidarität mit Abu Masin herausgetrieben und in die Solidarität mit den Hardlinern der Hamas getrieben werden. Deshalb muss sich auch die Bundesregierung fragen lassen, ob die undifferenzierte Isolationspolitik gegenüber der ziemlich heterogenen Hamas eigentlich zielführend gewesen ist.

Es ist Zeit für einen neuen Aufbruch. Es ist sehr zu begrüßen, wenn einige arabische Staaten bereit sind, daran konstruktiv mitzuwirken, allen voran Ägypten. Das ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Immerhin gehen jene Staaten, die sich für eine umfassende Friedenslösung aussprechen, damit beträchtliche Risiken ein, und es ist offenkundig, dass die Eskalation der Gewalt in Gaza die friedenswilligen Staaten der Region vor erhebliche innenpolitische Herausforderungen stellt, während die Extremisten neues Material für ihre unselige Propaganda erhalten. Auch dies ist ein Grund dafür, dass es wichtig ist, die Waffen so schnell wie möglich zum Schweigen zu bringen.

Meine Damen und Herren, Deutschland, dessen Eintreten für das Existenzrecht des jüdischen Staates Israel über jeden Zweifel erhaben ist und das zugleich ein großes Vertrauenspotenzial in der arabischen Welt besitzt, kann und muss hier eine Rolle spielen und seine guten Dienste als ehrlicher Makler einbringen. Vielleicht wird Teil einer Friedenslösung, nicht einer kurzfristigen Waffenruhe, auch eine militärische Absicherung von außen sein. Ich begrüße aber außerordentlich, Herr Minister, dass Sie klargemacht haben, dass diese Debatte viel zu früh kommt. Weder sind wir an dem Punkt, wo man grundsätzlich über eine Blauhelmmission diskutieren könnte, noch ist erst recht eine deutsche Beteiligung daran vorstellbar. Wenn eine solche Friedensmission Aussicht auf Erfolg haben soll als Teil eines Friedenspakets, dann muss diese Blauhelmtruppe im Zweifel auch in der Lage sein, gegenüber den Konfliktparteien, die bereits getrennt worden sind, robust aufzutreten. Das ausgerechnet deutschen Soldaten gegenüber Palästinensern oder Israelis abzuverlangen, ist nach meiner Auffassung ein abwegiger Gedanke.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Ich gebe das Wort dem Kollegen Eckart von Klaeden, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Eckart von Klaeden (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Angesichts des Leids der Zivilbevölkerung auf beiden Seiten sind wir alle entsetzt, in diesen Tagen insbesondere über das Leid auf der palästinensischen Seite: Über 900 Tote, davon ungefähr die Hälfte Zivilisten, und mehrere Tausend Verletzte können, wie ich glaube, niemanden hier im Hause unberührt lassen. Deswegen unterstützen wir die UN-Resolution 1860, die dazu führen soll, dass es so schnell wie möglich zu einem dauerhaften Waffenstillstand kommt.

Bei allem Mitgefühl, das richtig und wichtig ist, können wir aber als Abgeordnete, als Politiker hier nicht stehen bleiben, sondern wir müssen die Frage nach der Verantwortung und die Frage nach Ursache und Wirkung stellen. Dazu gehören die Feststellungen, dass die Hamas am 19. Dezember einen Waffenstillstand aufgekündigt hat, der durch Ägypten verhandelt war und den Israel als unbegrenzt gültig angesehen hat, dass seitdem mehrere Hundert Raketen und Mörsergranaten in Israel eingeschlagen sind und dass seit dem Rückzug der israelischen Truppen aus Gaza im Jahr 2005 über 10 000 Raketen und Mörsergranaten im Süden Israels eingeschlagen sind.

Ich selber habe am 6. Januar dieses Jahres die Städte Sderot und Beerscheba besuchen können, zwei Städte, die seit Jahren unter diesem Raketen- und Granatenbeschuss leiden. Bushaltestellen sind zu Betonunterständen umgebaut worden, und auch auf den Schulwegen gibt es entsprechende Unterstände für die Schulkinder. Man verbindet damit die Hoffnung, dass sie innerhalb der durchschnittlichen Vorwarnzeit von 15 Sekunden diese Unterstände erreichen und vor einem möglichen Raketenbeschuss geschützt sind.

Die von solchen Raketen zerstörten Klassenräume, die ich ebenfalls besichtigen konnte, zeigen allerdings, dass diese Vorsichtsmaßnahmen nicht immer erfolgreich sind. Eine durchschnittliche Vorwarnzeit von 15 Sekunden bedeutet auch, dass sie manchmal länger und manchmal kürzer ist. Als ich in Sderot war, sind allein drei Raketen eingeschlagen, bei denen der Alarm erst nach dem Einschlag ausgelöst werden konnte. Ich habe bei den Menschen eine Mischung aus Verbitterung und Enttäuschung einerseits und Entschlossenheit andererseits festgestellt. Verbitterung und Enttäuschung resultieren daraus, dass sie gehofft hatten, dass nach der monatelangen Waffenruhe die Vereinbarung eines Waffenstillstandes in greifbare Nähe rückt. Die Entschlossenheit zeigt sich darin, dass die Menschen dem Terror nicht weichen und der Hamas-Strategie widerstehen wollen, die darauf ausgerichtet ist, zunächst die Bevölkerung zu demoralisieren und dann nicht nur den Süden Israels, sondern ganz Israel durch Raketenbeschuss für Juden unbewohnbar zu machen. Das erklärt auch die Entschlossenheit, mit der die Israelis ihr Recht auf Selbstverteidigung wahrnehmen.

Der Raketenbeschuss hat nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ zugenommen. Es sind immer weniger die sogenannten Qassam-Raketen und immer mehr Katjuscha- und Grad-Raketen. Katjuscha-Raketen sind in Deutschland besser bekannt unter dem Namen Stalinorgel. Grad-Raketen sind industriell hergestellte Raketen, die die Qassam-Raketen und die Katjuscha-Raketen in Bezug auf Reichweite, Zielgenauigkeit und Sprengkraft bei weitem übertreffen. Die Waffenruhe der letzten Monate hat die Hamas intensiv genutzt, um im Gazastreifen mit diesen Raketen aufzurüsten. Deswegen ist es folgerichtig, dass es für die israelische Seite keine Rückkehr zum Status quo ante geben kann, sondern ein dauerhafter Waffenstillstand aus ihrer Sicht nur möglich ist, wenn eine effiziente Unterbindung des Waffenschmuggels erreicht wird. Denn es existiert ein System von mehreren Hundert Tunneln, durch das nicht nur Waffen, sondern auch Ziegen und Kühe geschmuggelt werden; einmal war es sogar eine Giraffe für den Zoo von Rafah. Ich erwähne das, damit man sich eine Vorstellung von dem Ausmaß und der Stabilität dieser Infrastruktur machen kann. Über 400 Tunneleingänge gibt es allein auf ägyptischer Seite und mehrere Hundert Tunnel, durch die dieser Schmuggel stattfindet.

Deswegen ist es unter den vom Außenminister beschriebenen Voraussetzungen richtig und wichtig, dass wir unsere Unterstützung und Zusammenarbeit beim Aufspüren, Verschließen und möglicherweise auch Sprengen dieser Tunnel anbieten. Dieser Aufgabe kommt mit Blick auf eine schnellstmögliche Erreichung eines dauerhaften Waffenstillstandes in der zeitlichen Abfolge eine zentrale Bedeutung zu. Es ist gut, dass die ägyptische Regierung dieses Problem erkannt hat und nach Jahren jetzt bereit ist, etwas dagegen zu unternehmen.

Die Frage einer internationalen Präsenz im Gazastreifen ist angesprochen worden. Ich teile das, was der Kollege Hoyer gesagt hat. Ich würde diese Präsenz grundsätzlich nicht ausschließen, bin in diesem Punkt aber deswegen besonders zurückhaltend, weil sich zunächst einmal die Frage des Mandats stellt. Eine bloße Beobachtermission wird wohl nicht infrage kommen. Das nachvollziehbare Argument der Israelis lautet: Was auf uns an Granaten und Raketen abgeschossen wird, können wir selber feststellen; das muss nicht noch durch eine internationale Präsenz erfolgen. – Ein Mandat müsste also beinhalten, den Waffenstillstand durchzusetzen und zu überwachen. Aber spätestens dann wäre eine internationale Präsenz in ähnliche Konflikte verwickelt, wie sie heute die israelische Armee im Gazastreifen zu bestehen hat.

Welche Schritte müssen als Nächstes gegangen werden? Der zweite Schritt nach dem Schließen der Tunnel, den ich für wichtig und unvermeidbar halte, ist die Bemühung darum, arabische und islamisch geprägte Länder stärker in die Überwachung eines Waffenstillstandes einzubinden. Denn im Kern dieses Konflikts steht der Bruderkrieg zwischen Hamas und Fatah. Wir dürfen nämlich nicht vergessen, dass der massive Raketenbeschuss Israels vor allem nach dem blutigen Putsch der Hamas gegen die Fatah im Gazastreifen im Juni 2007 zugenommen hat. Fatah-Kämpfer wurden von der Hamas ermordet, indem man ihnen zunächst in die Knie geschossen hat und sie dann vom 14. Stockwerk geworfen hat. Andere sind in demütigender Weise nur mit Unterhosen bekleidet durch die Straßen von Gaza getrieben worden.

Der Konflikt zwischen Hamas und Fatah ist im Kleinen nichts anderes als der Konflikt zwischen moderaten und fundamentalistischen Kräften, den wir in der islamischen Welt seit einiger Zeit vermehrt beobachten müssen. Wir können den moderaten Kräften diese Auseinandersetzung mit den Fundamentalisten nicht abnehmen.

Aber wir müssen sie – auch in unserem eigenen Interesse – mit allen Mitteln dabei unterstützen. Deswegen halte ich es für richtig, dass die moderaten Kräfte – wie es Ägypten mit der Hamas in Bezug auf die Waffenruhe getan hat – mit diesen fundamentalistischen Kräften verhandeln. Ich würde es aber für einen schweren Fehler halten, wenn wir die fundamentalistischen Kräfte durch die Teilnahme an direkten, offiziellen Verhandlungen legitimieren würden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das Beispiel, das immer als Gegenargument angeführt wird, ist die PLO. Dieses Beispiel zeigt aber genau das, was ich meine. Die PLO ist 1964 angetreten – wie heute die Hamas –, Israel mit den Mitteln von Terror und Gewalt zu vernichten. Erst nach einer Reihe schwerer militärischer Niederlagen hat die PLO-Führung 1988 in Algier erkannt, dass man auf das Mittel von Terror und Gewalt verzichten muss. Sie hat durch die Anerkennung entsprechender UN-Resolutionen Israel als Staat indirekt anerkannt. Diesen Weg muss die Hamas gehen.

Wer den Charakter der Hamas nicht kennt, der sollte einen Blick in die Charta der Hamas werfen, die nach wie vor Gültigkeit hat. In der Präambel ist von der Auslöschung Israels die Rede. Auf der Grundlage dieser Charta fordert die Hamas:

Jeder Jude ist ein Siedler und es ist unsere Pflicht, ihn zu töten.

Friedensinitiativen, insbesondere muslimische Friedensinitiativen, werden als Verrat abgelehnt:

Friedensinitiativen ... widersprechen dem Grundsatz der Islamischen Widerstandsbewegung.

In Art. 7 der Charta steht:

Das Jüngste Gericht wird nicht kommen, solange Moslems nicht die Juden bekämpfen und sie töten. Dann aber werden sich die Juden hinter Steinen und Bäumen verstecken, und die Steine und Bäume werden rufen: Oh Moslem, ein Jude versteckt sich hinter mir, komm’ und töte ihn!

Solange die Hamas von diesen Passagen ihrer Charta nicht Abstand nimmt, wie es die PLO getan hat, so lange dürfen wir mit ihren Vertretern nicht direkt verhandeln und sie durch direkte, offizielle Verhandlungen legitimieren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich will einen letzten Punkt ansprechen. Selbstverständlich müssen wir alles dafür tun, die Fatah zu unterstützen. Dazu gehören auch die Punkte, die der Kollege Hoyer im Hinblick auf die Siedlungspolitik angesprochen hat, und entsprechende Aufforderungen unsererseits und seitens der internationalen Gemeinschaft an die israelische Regierung, diese illegale Siedlungstätigkeit so schnell wie möglich zu beenden.

Wir müssen aber auch unsere Politik gegenüber der Fatah und gegenüber den Palästinensern überdenken. Bei meinem Besuch in Sderot habe ich festgestellt, dass alle Bürgerinnen und Bürger – häufig waren es junge Frauen im Alter von 18 bis 20 Jahren – wissen, welche Verantwortung sie für sich und für die Gemeinschaft zu tragen haben. Die internationale Gemeinschaft hat seit Jahrzehnten den jeweiligen politischen Führungen auf palästinensischer Seite die Verantwortung für elementare Daseinsfürsorge hinsichtlich Infrastruktur, Gesundheit, Ernährung und Bildung abgenommen. Es ist für die palästinensische Bevölkerung daher sehr schwer, einen Zusammenhang zwischen der Politik ihrer Führung und den Einschränkungen oder Schwierigkeiten, die sich in ihrem täglichen Leben ergeben, herzustellen.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege von Klaeden, Ihre Redezeit.

Eckart von Klaeden (CDU/CSU):

Frau Präsidentin, ich bin bei meinem letzten Satz. – Deswegen kommt auch dieser Frage eine wichtige Bedeutung zu.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat der Kollege Dr. Gregor Gysi, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich verstehe – ich habe hier schon darüber gesprochen –, dass es im Umgang mit Israel Hemmungen und Beklemmungen aller Art gibt. Das hängt mit den ungeheuerlichsten Verbrechen der Deutschen an den Jüdinnen und Juden bis 1945 zusammen. Nur helfen all diese Verkrampfungen nicht, um einen wirksamen Beitrag zu leisten, den Nahostkonflikt zu lösen. Die Frau Bundeskanzlerin meinte ja, zu Beginn des Krieges ernsthaft erklären zu müssen, dass die Verantwortung allein bei der palästinensischen Führung im Gazastreifen läge. Das ist einseitig und falsch,

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

obwohl diese Führung eine Mitverantwortung trägt.

Es gab hier einmal eine Einigkeit, keine Waffen in Kriegsgebiete zu liefern. Sie aber exportieren trotz des verheerenden Krieges weiterhin Waffen nach Israel. Das halte ich nun aber für indiskutabel. Ich hatte vergebens gehofft, dass Sie, Herr Außenminister, hier erklären, die Waffenlieferungen zumindest während des Krieges auszusetzen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Natürlich ist es nicht hinnehmbar, wenn die palästinensische Führung im Gazastreifen die Anerkennung Israels ausschließt. Natürlich ist der Abschuss von Raketen vom Gazastreifen aus nach Israel scharf zu verurteilen, und jedes diesbezügliche Opfer beklagen wir. Natürlich ist es falsch, dass die Gaza-Führung das Waffenstillstandsabkommen am 19. Dezember 2008 aufkündigte, weil dann die Frage entsteht, was sie denn statt des Waffenstillstands wollte und will.

(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Die Frage hat sich doch beantwortet!)

Entscheidende Fehler hat aber auch die israelische Regierung begangen. Zu einem Frieden kommt man nicht, wenn man Gespräche mit der Führung im Gazastreifen ablehnt. Es ist völkerrechtswidrig und falsch, den Gazastreifen so abriegeln zu wollen, dass die Bevölkerung in Kollektivhaft genommen wird – ohne medizinische Versorgung, ohne Lebensmittel.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das stimmt doch so nicht!)

Das Waffenstillstandsabkommen ist durch Israel verletzt worden; denn Israel führte eine Militäraktion in einem Versorgungstunnel des Gazastreifens durch.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Warum?)

Dabei gab es mehrere Tote. Auch die Gaza-Führung verletzte das Abkommen.

Aber völlig inakzeptabel und maßlos überzogen ist die Führung eines Krieges mit Bomben und Bodentruppen durch Israel – und nun auch noch unter der völkerrechtswidrigen Verwendung schrecklicher Phosphorwaffen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Dabei hilft es der israelischen Regierung nicht, sich darauf zu berufen, dass auch westliche Länder solche Waffen verwenden; denn die Völkerrechtsverletzung eines Staates berechtigt einen anderen Staat nicht, eine ebensolche zu begehen. Der Krieg selbst ist völkerrechtswidrig, weil jede überzogene Militäraktion das Völkerrecht verletzt. Ein völkerrechtswidriger Krieg ist ein Verbrechen gegen den Frieden.

Täglich wird die Lage im Gazastreifen für die Bevölkerung unerträglicher. Es gibt schon über 900 Tote, von denen mindestens die Hälfte Zivilisten sind, darunter viele Frauen und fast 300 Kinder. Das Völkerrecht schreibt im Krieg den Schutz der Zivilbevölkerung vor. Natürlich weiß ich, dass der israelischen Regierung und anderen Regierungen die Führung im Gazastreifen nicht behagt. Das darf man als nachvollziehbar empfinden. Nur, nirgendwo im Völkerrecht ist geregelt, dass dies zu einem Krieg berechtigt, dass ein anderes Land einer Bevölkerung vorschreiben darf, welche Führung sie sich zu wählen hat oder welche Führung sie auch ohne Wahlen haben darf. Man hat es einfach hinzunehmen. Man kann nicht übersehen, dass Israel diesen verheerenden Krieg begonnen hat, bevor Barack Obama als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika vereidigt ist. Mit dem Kriegstreiber Bush geht so etwas viel leichter. Aber das rechtfertigt diesen Krieg schon gar nicht.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Oh mein Gott! Unerträglich!)

Leider gibt es Menschen in Israel, die hoffen, mittels Krieg eine Führung im Gazastreifen etablieren zu können, mit der dann leichter Verhandlungsergebnisse zu erreichen wären. Das ist ein Denken in militärischer Logik, das einem gravierenden Irrtum unterliegt. Dieser Krieg erzeugt so viel Tod, so viele Verletzte, so viel Not und Leid, dass daraus Hass in mehreren Generationen entstehen wird. Dieser Hass ist der schlechteste Partner für einen Frieden. Mit diesem Krieg erreicht man also das Gegenteil von dem, was nicht wenige in Israel sich erhoffen. Frieden erfordert Aufbau, kulturellen und wissenschaftlichen Austausch, gegenseitiges Interesse, Respekt und Anerkennung, wie es zum Beispiel der weltberühmte Dirigent Daniel Barenboim in hervorragender Art und Weise organisiert.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: In dieser Rede möchte er, glaube ich, nicht auftauchen!)

Frieden braucht also das völlige Gegenteil von dem, was ein Krieg hervorbringt.

Wir brauchen nicht baldmöglichst einen Waffenstillstand, sondern sofort.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Jede weitere Stunde Krieg bedeutet weitere Tote und Verletzte, ist inakzeptabel, nicht hinnehmbar. Die israelischen Truppen müssen unverzüglich aus dem Gazastreifen abgezogen werden.

Aber wie kommen wir dahin? Wie kann im Nahen Osten endlich Frieden entstehen? Ich sage es hier klar: Ich glaube nicht, dass die Führungen in Israel, im Gazastreifen und im Westjordanland in der Lage sind, diesen so schnell wie möglich selbstständig auszuhandeln und zu gewährleisten. Ich glaube auch nicht, dass die bisherige Kommission mit Mitgliedern aus den USA, Russland und der EU dazu in der Lage ist; denn sie hat versagt.

Es geht darum, drei Kernbeschlüsse der UNO zu Israel und Palästina umzusetzen:

Erstens. Die UNO hat 1947 beschlossen, die Staaten Israel und Palästina zu bilden. Es gibt einen Staat Israel, aber niemand weiß, in welchen Grenzen. Nach wie vor gibt es keinen Staat Palästina.

Zweitens. Die UNO hat 1967 beschlossen, dass die Grenzen von 1967 zwischen Israel und Palästina gelten sollen.

Drittens. Die UNO hat mehrfach zum Waffenstillstand, zur Beendigung aller Kriege, zum Frieden aufgerufen. Bundestag und Bundesregierung sollten nun die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, das heißt die Vereinigten Staaten von Amerika, das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland, die Republik Frankreich, die Russische Föderation und die Volksrepublik China, auffordern, ihrer diesbezüglichen Verantwortung in jeder Hinsicht gerecht zu werden. Der Wechsel zum Präsidenten Barack Obama in den USA birgt die Chance für einen Neubeginn.

Was wären die Aufgaben der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates?

Erstens. Sie haben unter strikter Wahrung des Völkerrechts einen von ihnen garantierten Gewaltverzicht zwischen Israel und Palästina durchzusetzen. Eine internationale Friedenstruppe, die sowohl in Israel als auch in Palästina zu stehen hat, muss die gegenseitige Gewaltlosigkeit gewährleisten. Eine Beteiligung deutscher Soldaten kommt für uns schon aus historischen Gründen, aus den von mir anlässlich des Libanon-Krieges genannten Gründen, die ich hier nicht wiederholen werde, nicht in Betracht.

Zweitens. Die fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder müssen die Gründung eines lebensfähigen Staates Palästina in den Grenzen von 1967 durchsetzen. Gebietsaustausche kommen nur bei gegenseitigem Einvernehmen von Israel und Palästina infrage.

Drittens. Weltweit, auch unter Beteiligung Deutschlands, muss unverzüglich für Palästina eine Art Marshallplan aufgelegt werden, damit der Aufbau beginnen kann. Die Menschen brauchen Bildung und Arbeit, sie brauchen Brot, sie brauchen Ehre und eine Zukunft, die sie aktiv mitgestalten können, damit für sie Frieden und nicht Kampf oder Krieg attraktiv wird, damit alle Aggressoren und Terroristen bei ihnen keine Chance mehr haben.

Viertens. Unter Einbeziehung vor allem von Ägypten, Jordanien, Libanon und Syrien ist ein darüber hinausgehender Frieden ebenfalls durchzusetzen.

Fünftens. Dann können auch erfolgreiche Verhandlungen mit dem Iran geführt werden, statt dass mit Krieg gedroht wird – um zu entspannen und keine weiteren Konfliktzuspitzungen zuzulassen.

Alle Menschen in Israel und alle Menschen in Palästina haben jeweils ein Recht auf einen eigenen Staat in klaren Grenzen. Sie haben ein Recht auf Frieden, auf Leben, auf Gesundheit, auf Kultur und auf soziale Wohlfahrt.

Die internationale Gemeinschaft muss aufhören mit sinnlosen Appellen und beginnen, dies ernsthaft umzusetzen. Gelingt eine Lösung des Nahostkonflikts, gelingt die Herstellung eines wirklichen Friedens, dann kann der Hass im Nahen Osten Schritt für Schritt abgebaut werden, dann kann es eine gedeihliche Zusammenarbeit geben. Dies wären ein großer Fortschritt für die Menschheit und ein wesentlicher Beitrag zur Abrüstung zwischen christlich, jüdisch und islamisch geprägten Ländern, auch zwischen der sogenannten Ersten und der sogenannten Dritten Welt.

(Anhaltender Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Ich gebe das Wort dem Kollegen Jürgen Trittin, Bündnis 90/Die Grünen.

Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir alle blicken mit Entsetzen auf den Ausbruch und die Eskalation der Gewalt im Gazastreifen. Für diejenigen, die mit Erschrecken darauf schauen, sage ich, dass diese Gewalt nicht vor 19 Tagen begonnen hat. Sie hat auch nicht, wie einige weismachen wollen, vor drei Jahren mit der Blockade des Gazastreifens begonnen. Sie hat auch nicht aufgehört während der Waffenruhe; denn in dieser Zeit ist es dennoch zu extralegalen Tötungen und zu Raketenangriffen des Islamischen Dschihad gekommen. Die Gewalt ist auch älter als jene sieben Jahre, seitdem aus dem Gazastreifen heraus Israel mit Raketen angegriffen wird, sieben Jahre, in denen 32 Israelis getötet, über 600 verletzt und Tausende in Angst und Schrecken versetzt wurden.

Lassen Sie mich angesichts mancher juristischer Ausführungen hierzu in aller Klarheit sagen: Der Beschuss von Dörfern, die gezielte Attacke von zivilen Personen mit Raketen ist ein Kriegsverbrechen. Das ist durch kein Wort des Völkerrechts gedeckt, und so muss man das auch behandeln.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Mit aller Klarheit: Keine Regierung der Welt kann so etwas akzeptieren. Jede Regierung ist verpflichtet, eine solche Bedrohung von der eigenen Bevölkerung abzuwenden. Es gibt angesichts dieser Situation ein Recht auf Selbstverteidigung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Ich sage das mit diesem Nachdruck; denn das festzustellen ist etwas anderes, als den Fehler zu begehen, den die Bundeskanzlerin gemacht hat. Sie meinte nämlich, in dieser Frage Unschuldige und Schuldige benennen zu müssen, als sie festgestellt hat, dass die Verantwortung für die jüngste Entwicklung eindeutig und ausschließlich bei der Hamas liege. Bei aller Schuld der Hamas, die niemand in Abrede stellt: Diese einseitige Parteinahme hat nicht dazu beigetragen, diesen Konflikt möglichst schnell zu beenden, musste sie doch als ein Stück Bestätigung der Entscheidung für die kriegerische Lösung verstanden werden. Ich sage das mit dieser Nachdenklichkeit, weil ich der festen Überzeugung bin, dass man nachdrücklich und glaubwürdig für das Selbstverteidigungsrecht Israels eintreten und dennoch gegen den Krieg im Gazastreifen sein kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Diese Differenzierung müssen wir uns an dieser Stelle schon erlauben, nicht nur, weil dieser Krieg nicht dazu geführt hat, dass keine Raketen mehr fliegen – vorgestern sind 19, gestern sind 20 auf Israel niedergegangen –, sondern auch, weil wir uns ebenso der anderen Seite dieses Krieges widmen müssen. Wenn man die Lageberichte des Auswärtigen Amtes als Grundlage nimmt, so haben die 19 Tage dieses Krieges, der „Operation Bleigießen“ heißt – das ist der offizielle Titel –, 976 Tote, darunter 311 Kinder, und 4 418 Verletzte zur Folge gehabt. Man kann, darf und soll nicht Leben gegen Leben aufrechnen. Aber mir fällt es angesichts dieser Zahlen schwer, mich mit dem Wort „unverhältnismäßig“ für diese Reaktion zu begnügen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen brauchen wir einen sofortigen Waffenstillstand.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Man kann, lieber Kollege Gysi, ganz lange darüber streiten, was das Völkerrecht für die einen wie für die anderen hergibt, und ob es eine so extrem unverhältnismäßige Reaktion rechtfertigt. Sicherlich wird niemand bestreiten, dass Angriffe auf UN-Konvois, dass Attacken auf UN-Hilfswerksschulen, in die mittlerweile 25 000 Menschen flüchten mussten, höchst fragwürdig sind.

An dieser Stelle ist festzuhalten, dass es sich um eine doppelte Form der Geiselnahme der Bevölkerung im Gazastreifen handelt: Die Hamas versteckt ihre Waffen vielfach in Krankenstationen oder in den Reihen der Zivilbevölkerung, und die Israelis gehen dagegen vor, was wiederum Opfer unter der Zivilbevölkerung zur Folge hat. Das große Elend der Menschen und vor allem der Kinder im Gazastreifen ist der Grund, warum wir jetzt sehr schnell einen Waffenstillstand brauchen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Ich meine, seit dem Beschluss des Sicherheitsrates – es gibt ihn übrigens, lieber Kollege Gysi – ist die Sache klar: Alle weiteren Intensivierungen des Krieges und jede weitere Rakete sind mit diesem Beschluss des Sicherheitsrates unvereinbar.

Ich habe vorhin bereits darauf hingewiesen, dass ich die Stellungnahme der Bundeskanzlerin für falsch halte. Ich finde, dass der Bundesaußenminister nach dem Desaster auf EU-Ebene mit seiner Reise einen richtigen Schritt gemacht hat. Aber ganz im Ernst frage ich Sie: Wo ist in diesem Konflikt eigentlich das Nahost-Quartett geblieben? Wer hat Tony Blair einmal vor Ort gesehen?

(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Tja!)

Was ist das für ein Vermittler, meine Damen und Herren, der in den anderthalb Jahren seiner Tätigkeit nicht ein einziges Mal im Gazastreifen war?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

An dieser Stelle treibt mich Unruhe um. Natürlich gibt es in den USA zurzeit ein Machtvakuum. Das ist problematisch, weil wir alle wissen, dass die israelische Regierung und die übrigen politischen Kräfte in Israel sehr genau beobachten, was dort passiert. Gerade in einer solchen Situation wäre es die Verantwortung der Europäer und die Verantwortung des Nahost-Quartetts gewesen, zu handeln, statt einfach abzutauchen und sich damit herauszureden, dass man schon einmal in der Westbank gewesen ist. Nein, ich wünsche mir handlungsfähige Europäer. Ich wünsche dem UN-Generalsekretär Ban Ki-moon bei seinen Bemühungen, diesen Konflikt zu beenden, allen Erfolg.

Ich habe kein fertiges Konzept, lieber Kollege Gysi. Einen perfekten Plan vorzulegen, fällt mir angesichts der Realität schwer.

(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Aber Vorschläge kann man doch wohl machen!)

Auf dem Weg zu einem Waffenstillstand müssen allerdings zwei Grundsätze beachtet werden: Der erste Grundsatz ist, dass die legitimen Interessen aller Seiten gewahrt werden müssen. Grundlage eines Waffenstillstands muss sein, dass Israel nicht länger beschossen werden darf und dass der Waffenschmuggel beendet werden muss.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Der zweite Grundsatz ist das legitime Interesse der Palästinenser, in ihrem Alltagsleben nicht länger einer strangulierenden und jede wirtschaftliche Entwicklung behindernden Blockade ausgesetzt zu sein, übrigens einer Blockade, die den Waffenschmuggel in all den Jahren überhaupt nicht hat unterbinden können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Wahrheit ist: Die Hamas ist im Gazastreifen militärisch nicht zu besiegen. Ob sie tatsächlich die Mehrheit der Palästinenser repräsentiert oder nicht, das wird viel eher durch die Lebensverhältnisse und durch die politische und wirtschaftliche Entwicklung in der Westbank entschieden. Was eine politische Lösung angeht, bin ich eher pessimistisch.

Herr Hoyer, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass das Zeitfenster für eine Zwei-Staaten-Lösung immer schmaler wird. Wo sind denn auf israelischer und auf palästinensischer Seite die Regierungen, die ihrer Bevölkerung die dafür notwendigen Kompromisse bei der Besiedlung, bei der Rückkehr von Flüchtlingen, beim Gewaltverzicht und bei Gebietsaustauschen zumuten können? Wir erleben, dass sich die israelische und die palästinensische Gesellschaft in dramatischer Art und Weise spalten und polarisieren. Davon zeugen der palästinensische Bruderkampf und die militanten Auseinandersetzungen an israelischen Universitäten zwischen arabischen und jüdischen Israelis. Daran wird deutlich, dass das Zeitfenster für eine Zwei-Staaten-Lösung immer schmaler wird. Das bedeutet: Wir brauchen jetzt einen Waffenstillstand, sonst schließt sich das Zeitfenster.

Ich möchte eine Schlussbemerkung machen. Mir ist es heute nicht leichtgefallen, hier zu reden. Zurzeit finden in diesem Lande Demonstrationen statt: Die einen zeigen Solidarität mit Israel, die anderen demonstrieren gegen die Aggression Israels. Es ist zu skandalösen Vorgängen bei der Entfernung einer israelischen Flagge in Duisburg gekommen.

(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die haben die Flagge verbrannt!)

Ich will ganz persönlich sagen: Ich gehöre zu einer Generation, die in der Auseinandersetzung mit ihren Vätern über die Aufarbeitung des Holocaust durchgesetzt hat, dass es in dieser Gesellschaft einen Grundkonsens über die Solidarität mit und das Selbstbestimmungsrecht von Israel gibt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Die Bundeskanzlerin hat einmal gesagt, das sei Staatsräson. Ich möchte dieses Wort nicht verwenden. Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der wir eine solche Räson nicht einklagen müssen, sondern in der sie als selbstverständlicher Bestandteil der Gemeinschaft der Demokraten verstanden wird.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Das Tragische an den letzten Tagen ist doch, dass dieser Krieg dabei ist, dieses Grundverständnis einer extremen Belastungsprobe auszusetzen. Ja, wir müssen diesen Krieg durch einen sofortigen Waffenstillstand beenden, um das Elend zu beenden, das damit einhergeht.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege Trittin!

Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Das würde auch dem deutsch-israelischen Verhältnis und unserer Gesellschaft ein Stück weit helfen.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat der Kollege Hans-Ulrich Klose, SPD-Fraktion.

Hans-Ulrich Klose (SPD):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Trittin, es geht mir wie Ihnen: Ich finde die Debatte sehr schwierig, und zwar, weil ich ehrlich gesagt nicht sicher bin, was man angesichts der Lage im Gazastreifen und in Israel raten soll. Ein Waffenstillstand wäre natürlich gut und unter humanitären Gesichtspunkten dringlich, insbesondere aus Sicht der im Gazastreifen leidenden palästinensischen Bevölkerung. Ich bin sicher, dass es einen Waffenstillstand geben wird; aber ich bin nicht sicher, ob es ihn schnell geben wird, und ich bin überhaupt nicht sicher, ob es ein nachhaltiger Waffenstillstand sein wird.

Es war übrigens die Hamas – mehrere Kollegen haben darauf hingewiesen –, die, Herr Kollege Gysi, nach Zwischenfällen auf beiden Seiten den zuvor von Ägypten ausgehandelten Waffenstillstand für beendet erklärte. Warum sie das tat, ist nicht völlig klar, aber auch nicht so wichtig. Wichtig ist in der Tat, dass etwa seit Mitte Dezember wieder Qassam-Raketen und industriell gefertigte Raketen mit größerer Reichweite auf Israel abgeschossen werden.

Was das bedeutet, habe ich mir ähnlich wie andere Kollegen im Sommer letzten Jahres in Aschkelon und Sderot angesehen. Insbesondere die Lage in Sderot war wirklich eindrucksvoll. Dort hatte es bis zu diesem Zeitpunkt fast 6 000 Raketeneinschläge mit, soweit ich weiß, 15 Toten und nahezu 600 Verletzten gegeben. Ein normales Leben in einer Gemeinde ist unter solchen Verhältnissen völlig ausgeschlossen; das geht nicht. In Aschkelon waren es weit weniger Einschläge. Damals hatte es dort noch keine Toten gegeben. Die Verunsicherung der Menschen war bei weitem noch nicht so weit vorangeschritten wie in Sderot.

Beide Städte sind jetzt aber wieder betroffen, außerdem große Städte wie Aschdod und Beerscheba. Die Reichweite der Raketen ist inzwischen auf etwa 40 Kilometer gestiegen. Auch aus dem Libanon sind vor ein paar Tagen Raketen auf Israel abgefeuert worden;

(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Auch heute!)

auch sie hatten eine größere Reichweite. Das heißt doch im Klartext, dass der Streifen Israels, der noch außerhalb der Reichweite von Hisbollah und Hamas liegt, schmaler und schmaler wird.

Es ist nach meiner Einschätzung nur eine Frage der Zeit, bis das gesamte israelische Territorium gefährdet ist. Das geht uns etwas an. Denn – das ist bereits von Ihnen, Herr Dr. Hoyer, erwähnt worden – die Sicherheit des jüdischen Staates Israel ist, wie auch die Kanzlerin betont, Bestandteil unserer Staatsräson. Wenn das ernst gemeint ist – was ich unterstelle –, dann muss auch aus unserer Sicht ein erneuerter Waffenstillstand dauerhaft und mit Garantien versehen sein.

Die Frage ist, ob sich Hamas jemals darauf einlassen wird. Der Kollege von Klaeden hat aus der Charta der Hamas zitiert. Ich kann nur allen Kolleginnen und Kollegen empfehlen, das gelegentlich nachzulesen. Ich zitiere noch einige Sätze:

Israel existiert und wird weiterhin existieren, bis der Islam es ausgelöscht hat, so wie er schon andere Länder vorher ausgelöscht hat.

Ende des ersten Zitats.

Der Dschihad ist die persönliche Pflicht eines jeden Muslim, seit die Feinde Teile des muslimischen Landes geraubt haben. Angesichts des Raubes durch die Juden ist es unvermeidlich, dass ein Banner des Dschihad gehisst wird.

Letztes Zitat:

Für das Palästina-Problem gibt es keine andere Lösung als den Dschihad. Friedensinitiativen sind reine Zeitverschwendung, eine sinnlose Bemühung.

Das war nur eine kleine Auswahl. Ich frage mich, ob man es angesichts solcher Programmaussagen – denn es sind Programmaussagen – den Israelis verdenken kann, dass sie jetzt alles tun, um die Hamas zu entwaffnen und den Waffenschmuggel nach Gaza zu stoppen. Wer diese Frage verneint, also das Selbstverteidigungsrecht Israels anerkennt, muss sich gleichwohl mit dem Argument der Unverhältnismäßigkeit auseinandersetzen.

Israel, so wird immer wieder gesagt, reagiere unverhältnismäßig und scheue sich nicht, auf Zivilisten, auch auf Frauen und Kinder, zu schießen. Dieses Argument nehme ich ernst. Denn es geht um das Völkerrecht, dessen allgemein anerkannte Grundsätze bei uns Vorrang vor innerstaatlichem Recht haben. Ich nehme das ernst und bin doch zugegebenermaßen wieder ratlos: Wie sollen denn Zivilisten geschützt werden, wenn sie – wie wir in asymmetrischen Kriegen immer wieder beobachten – von der nichtstaatlichen Kriegspartei als Schutzschilde benutzt werden, wenn Munition und Waffen in Moscheen lagern und Raketen von Balkonen aus Wohnhäusern abgefeuert werden? Wir wissen, dass die Hamas – auch hier dem Beispiel der Hisbollah folgend – genau dies tut, was freilich die israelische Armee nicht von der Verpflichtung entbindet, die Zivilbevölkerung zu schonen. Das ist ein Dilemma, aus dem es keinen militärischen Ausweg gibt.

Dieses Dilemma zu erzeugen, ist meines Erachtens das strategische Ziel der Hamas. Hamas will Israel vor den Augen der Welt zum Völkerrechtsbruch verleiten in der Hoffnung, auf diese Weise den politischen Krieg über die Medien zu gewinnen. Dabei scheut sich die Hamas – wie wir schon im Libanon gelernt haben – nicht vor inszenierten Gräuelszenen. Im Libanon war es damals – Sie erinnern sich sicherlich – der Mann mit dem grünen Helm, und im Fall Gaza ist es der vielfach zitierte norwegische Arzt.

Lothar Rühl hat neulich in einem interessanten Artikel in der FAZ dieses Dilemma beschrieben. Ich darf kurz aus diesem Artikel zitieren:

Die Begrenzung des Krieges ist notwendig, schon aus humanitären Gründen und nach dem Kriegsvölkerrecht, doch eine hohe Kunst mit großem Risiko.

Bei fanatischen Feinden wie Hisbollah oder Hamas steigt dieses Risiko wegen der andersartigen Rationalität und den absolut gesetzten Zwecken dieser Kriegsparteien. Das gilt besonders, wenn der Gegner jeden dauerhaften Frieden ablehnt und – wie Hamas – das Existenzrecht Israels nicht anerkennt. „Verhältnismäßigkeit der Mittel“ bedeutet dann in letzter Konsequenz Verzicht auf Erfolg und Verlust der Fähigkeit zur Abschreckung.

Wenn man sich die Sicherheitslage Israels realitätsbezogen vor Augen führt, muss man sich fragen, ob sie nicht in großem Umfang darauf beruht, dass Israel Abschreckungspotenziale hat.

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Mein vorläufiges Fazit lautet: Wir brauchen einen Waffenstillstand. Aber es muss ein gesicherter Waffenstillstand sein. Deutschland hat Technik und Expertise zur Sicherung der Grenze zwischen Ägypten und dem Gazastreifen angeboten, Herr Außenminister. Das ist ein erster guter Schritt, reicht aber nicht aus. Das eigentliche Ziel unter Sicherheitsgesichtspunkten ist die kontrollierte Entwaffnung der Hamas. Ein parallel dazu anlaufendes Hilfsprogramm für die palästinensische Bevölkerung ist dringlich und könnte zur Versöhnung zwischen Israelis und Palästinensern beitragen. Auch wir sollten dazu beitragen. Ich sehe keine andere Lösung und auch diese eher skeptisch.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Ich gebe das Wort der Kollegin Dorothee Bär, CDU/ CSU-Fraktion.

Dorothee Bär (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Trittin hat es bereits angesprochen – ich denke, das geht heute jedem so –: Es fällt nicht leicht, am heutigen Tag zu dieser Thematik an das Rednerpult zu treten. Die Situation im Nahen Osten hat sich seit Jahren zugespitzt. Im Süden Israels und besonders im Gazastreifen hat sich eine Lage entwickelt, die schließlich in die Tragödie mündete, die wir derzeit erleben. Ich glaube, es geht nicht nur mir, sondern wahrscheinlich allen so, die in den letzten Tagen – im Gegensatz zu Eckart von Klaeden oder zu unserem Bundesaußenminister – nicht vor Ort waren, dass wir aufgrund der Bilder zwar einen sehr detaillierten Eindruck haben, dass das aber nicht ersetzen kann, sich direkt vor Ort zu informieren.

Das Leid, das wir sehen, ist groß. Das müssen wir neben möglichen Lösungen dauernd erwähnen. Es gibt unterschiedliche Angaben über die Zahl der Opfer. Aber letztendlich ist es egal, wie viele Opfer es gibt. Jedes Opfer ist eines zu viel. So ist unter anderem von knapp 1 000 Toten die Rede. Ich möchte dabei die Zahl von über 300 Kindern hervorheben. Jedes Kind stellt ein Einzelschicksal dar. Jede Familie, die betroffen ist, durchlebt eine ganz furchtbare Zeit. Davor dürfen wir auf keinen Fall die Augen verschließen, genauso wenig wie vor den 4 000 Verletzten, den zerstörten Häusern und Schulen sowie der mangelnden medizinischen Versorgung.

Man sitzt hilflos vor dem Fernseher und sieht Reportagen, die zeigen, dass denjenigen, denen vielleicht noch geholfen werden könnte, oft nicht mehr rechtzeitig geholfen werden kann. Gerade unbeteiligte Zivilisten und die vielen Helfer vor Ort sind oft die Leidtragenden dieses Konflikts.

Die Menschen leben – das wurde bereits angesprochen – nicht erst seit einigen Monaten oder seit drei Wochen, sondern schon sehr viel länger mit dieser Bedrohung. Wer miterlebt hat, dass Schüleraustausche, die seit Jahren funktioniert haben, eingestellt wurden bzw. nur noch einseitig stattgefunden haben, dass zum Beispiel nur noch israelische Jugendliche zu uns in die Landkreise kommen, aber keine deutschen Schüler mehr nach Israel geschickt werden, hat gemerkt, was das bedeutet.

Wir haben es bei der Hamas mit einer Terrororganisation zu tun, die die eigene Bevölkerung sehr stark als Schutzschild missbraucht. Herr Klose hat bereits angesprochen, was das bedeutet und was damit bezweckt werden soll. Ein Gegner, der sich bewusst in Wohnhäusern verschanzt und in sozialen Einrichtungen verbarrikadiert, nimmt nicht nur den Tod unschuldiger Menschen bewusst in Kauf, sondern versucht auch, daraus politisch Kapital zu schlagen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)

Deshalb ist das Vorgehen der Hamas auf das Schärfste zu verurteilen.

Die humanitäre Katastrophe und das Leiden der Zivilbevölkerung lassen uns nicht kalt. Deswegen ist es am wichtigsten, zivile Opfer zu vermeiden und die humanitäre Versorgung sicherzustellen. Ohne Rücksicht auf Verluste versucht die Terrororganisation Hamas, möglichst viele palästinensische Opfer zu generieren, um damit den Kampf, vor allem den um die Medien, zu gewinnen.

Es wurden über 10 000 Raketen in den letzten acht Jahren auf Israel gerichtet, und wir dürfen nicht dulden, dass die Hamas die eigene Bevölkerung zugrunde richtet, nur um Israels Ruf in der Weltöffentlichkeit zu ruinieren. Nur mithilfe des vielfach angesprochenen Waffenstillstands können die Versorgung der notleidenden Bevölkerung gewährleistet und weitere Todesopfer auf beiden Seiten vermieden werden. Dieser Waffenstillstand ist besonders wichtig als erster Schritt in einem Friedensprozess, der endlich nachhaltig vollendet werden muss. Deswegen unterstütze auch ich die Initiative Ägyptens, als Vermittler zwischen Israel und der Hamas zu fungieren. Ägypten kommt hier – das hat der Bundesaußenminister angesprochen – als arabischem Anrainerstaat eine besondere Verantwortung in diesem Konflikt zu.

Die Angaben über die Zahl der Tunnel variieren. Mir ist die Zahl von über 800 Tunneln unter der ägyptischen Grenze bekannt, über die der Gazastreifen mit Waffen versorgt wird. 500 davon wurden bereits zerstört. Dieser Waffenschmuggel muss unbedingt unterbunden werden. Anderenfalls bringt ein weiterer Waffenstillstand keine Besserung. Die Aussetzung des Feuers würde von der Hamas lediglich dazu genutzt werden, ihr Waffenarsenal über die ägyptischen Tunnel wieder aufzustocken. Aus diesem Grund muss Ägypten härter gegen den Schmuggel vorgehen.

Ägypten ist aber insbesondere als islamisch geprägter Staat in der Pflicht. Wir müssen auch aus diesem Grund die Initiative Ägyptens weiter vorantreiben. Auch andere islamische Länder wie zum Beispiel Syrien, Jordanien und Saudi-Arabien müssen sich am Nahost-Friedensprozess aktiv beteiligen. Ich unterstütze die Initiative unserer Bundeskanzlerin – Ihre Kritik daran, Herr Trittin, war unberechtigt, wenn auch die Rede sonst ganz gut war –, gemeinsam mit dem französischen Staatspräsidenten in engen Kontakten mit Israel und Ägypten Fortschritte auf dem Weg zu einem Waffenstillstand zu erreichen.

Ich begrüße auch die Konkretisierung des von Außenminister Steinmeier bei seiner Reise übermittelten Angebots, insbesondere bei der Unterbindung des Schmuggels über die Grenze zum Gazastreifen deutsche Unterstützung zu leisten.

Der Krieg im Nahen Osten muss endlich ein Ende finden. Für mich ist das unbedingte Bekenntnis zum Existenz- und Selbstverteidigungsrecht Israels wichtig. Das ist und bleibt ein Eckpfeiler deutscher, insbesondere christsozialer und christdemokratischer Außenpolitik. Wir brauchen eine nachhaltige Lösung dieses Konflikts; denn dauerhafter Frieden ist nur mit einer politischen, nicht allein mit einer militärischen Lösung machbar.

Zum Schluss möchte ich noch das positive Engagement Daniel Barenboims würdigen. Damit hat er nicht nur in der unsäglichen Rede von Gregor Gysi Erwähnung gefunden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Rolf Mützenich für die SPD-Fraktion.

Dr. Rolf Mützenich (SPD):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt keinen Zweifel: Deutschland trägt weiterhin Verantwortung für Israel. Ich bin der festen Überzeugung, dass, wenn Deutsche das Wort „Israel“ in den Mund nehmen, es einen anderen Klang hat, als wenn dies andere tun; das ist gar keine Frage. Von dieser Schuld, von dieser Verantwortung werden wir uns nie wieder freimachen können.

Ich habe daher immer mit großer Skepsis die Diskussionen verfolgt, die wir nach der deutschen Einheit hatten, nämlich ob es eine normale Außenpolitik geben kann. Ich glaube, eine normale Außenpolitik, insbesondere gegenüber dieser Region, gegenüber Israel, aber auch unter Berücksichtigung dessen, was dort passiert ist, wird es niemals geben können. Auf der anderen Seite sage ich gleichzeitig: Man wird diese Schuld selbst durch gute Reden nicht zur Seite drängen, auch nicht dann, wenn man bestimmte Positionen übernimmt und Partei ergreift. Selbst in diesem Zusammenhang wird man Schuld nicht abtragen können. Das kann man nur, indem man Verantwortung übernimmt und konkrete politische Wege aufzeigt, um die Existenz Israels in der Region sicher zu machen. Ich glaube, da haben wir als Deutsche und da hat die deutsche Sozialdemokratie in den letzten Jahrzehnten eine Menge bewegt. Es kommt darauf an, dass wir bei den Handlungsspielräumen und Handlungsmöglichkeiten, die wir haben, immer wieder das historische Verständnis unserer Schuld in Erinnerung rufen. Ich glaube, Kollege Gysi, es mangelt nicht an politischen Plänen, es mangelt nicht an politischer Schrittfolge, sondern es mangelt in dieser Region an politischem Willen, auch an dem Willen zum Kompromiss. Das ist genau das, was wir brauchen, und nicht neue Pläne.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Uschi Eid [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ein zweiter Aspekt, den ich gerne ansprechen möchte, ist die Frage: Hilft es uns wirklich weiter, Schwarz-Weiß-Bilder zu malen? Hilft es uns wirklich weiter, über Schuld zu diskutieren? Oder müssen wir nicht einfach feststellen: „Diese Situation ist nicht schwarz-weiß, sondern leider grau. Sie hat ganz unterschiedliche Facetten, Verantwortungen und Akteure“? – Deswegen hilft diese – das sage ich ganz bewusst – Ideologisierung der Außenpolitik nicht weiter. Hier sollten wir gerade in Deutschland aufpassen.

(Beifall bei der SPD)

Wir stehen offensichtlich vor einer Zeitenwende, in der wir keine Ideologisierung der Außenpolitik von der anderen Seite des Atlantiks mehr haben. Die designierte Außenministerin hat gestern im Senat ausgeführt, dass sie keine ideologische Außenpolitik mehr betreiben will, sondern der Diplomatie, der Politik eine Chance geben will. Deswegen bitte ich darum, die Schwarz-Weiß- Malerei zu unterlassen und zu überlegen, was wir mit diplomatischen Mitteln und einem neuen Realismus erreichen können.

Ich richte mich deshalb ganz konkret an den Bundesaußenminister: Herzlichen Dank, dass Sie vor einigen Tagen für die humanitäre Waffenruhe eingetreten sind,

(Beifall bei der SPD)

dass Sie eine Reise in diese Region gemacht, dort konkrete Angebote und Vorschläge für das Grenzmanagement unterbreitet haben und jetzt wieder dorthin reisen wollen.

Der dritte Aspekt, den ich ansprechen möchte, ist folgender: Man kann immer wieder über die europäische Außenpolitik schimpfen. Das tun wir auch; das ist keine Frage. Aber sollten wir nicht vielleicht lieber darüber diskutieren, wer zurzeit nicht in der Region ist, wer keine Verantwortung übernimmt?

(Beifall des Abg. Detlef Dzembritzki [SPD])

Ich bin in den 70er-Jahren mit Fernsehbildern groß geworden, auf denen, als Krieg im Nahen Osten herrschte, der amerikanische Präsident in den Hauptstädten vor Ort die Gangway der Flugzeuge rauf- und runtergelaufen ist und die ganze Zeit zu vermitteln versucht hat. Das haben wir in den letzten sieben Jahren nicht mehr erlebt. Aber das brauchen wir wieder. Deswegen ist mein Appell an die neue amerikanische Regierung, sich vom ersten Tag an diesem Kernkonflikt im Nahen Osten zu widmen und Lösungsvorschläge zu machen. Man kann vielleicht nicht in allen Dingen ehrlicher Makler sein, weil man auch Verantwortung für Israel übernimmt, aber nur eine neue amerikanische Administration unter Präsident Obama und Außenministerin Clinton wird ausloten, was hier möglich ist. Ich glaube, das Motto „Entspannungspolitik in Zeiten neuer Spannungen“ ist für diese Region genau richtig. Wir brauchen Entspannungspolitik, wir brauchen Diplomatie, wir brauchen Kraftanstrengungen, um die vorliegenden Pläne umzusetzen. Ich glaube, wenn die deutsche Bundesregierung das unterstützt, tun wir eine Menge dafür.

(Beifall bei der SPD und der FDP)

Der vierte Aspekt: Langfristig werden wir die Hamas, die Hisbollah und den Iran in dieser Region nur dann politisch schwächen können, wenn der palästinensische Staat Wirklichkeit wird. Das ist, glaube ich, das richtige politische Mittel, um die Kräfte, die zu Gewalt bereit und auch fähig sind, zu schwächen. Wir brauchen einen lebensfähigen palästinensischen Staat. Ich glaube, es war ein großer Fehler, dass wir nicht auf den Vorschlag, vermittelt insbesondere von Saudi-Arabien und der Arabischen Liga, eingegangen sind. Es war ein historischer Vorschlag, als sich alle arabischen Staaten bereit erklärt haben, mit Israel – in den Grenzen von 1967 – Frieden zu schließen. Das wird für Israel schwer sein; gar keine Frage. Vielleicht wird es auch nicht genau diese Grenzziehung sein. Dies ist mir und auch den moderaten arabischen Staaten bewusst. Aber dass über diesen Vorschlag der arabischen Staaten zu wenig gesprochen und dass insbesondere zu wenig gehandelt worden ist, ist die große Nachlässigkeit insbesondere der USA, vielleicht auch Israels. Ich hätte mir gewünscht, dass dieser Mut aufgebracht worden wäre.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Zum Schluss – wenn ich dies noch sagen darf –: Ich weiß, dass die Hamas ein gewaltbereiter Akteur ist. Leider herrscht in dieser Region immer Gewalt; nicht nur die Hamas hat Gewalt in diese Region getragen. Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass die Hamas bei den letzten Wahlen eine politische Mehrheit gehabt hat. Auch mit diesem Faktum müssen wir umgehen. Ich glaube, wir täten gut daran, zu versuchen, mit den konkreten Schritten, die Sie vorgeschlagen haben, Herr Steinmeier, ein neues Verhältnis zu unterschiedlichen Akteuren aufzubauen. Ich wünsche Ihnen auf jeden Fall eine gute Reise, und ich hoffe, Sie haben Erfolg.

Ganz herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege Philipp Mißfelder für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Philipp Mißfelder (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bilder, die uns tagtäglich erreichen, schockieren uns und tragen dazu bei, dass der Nahostkonflikt auch hier auf der Tagesordnung steht und die Gemüter der Menschen in Deutschland sehr bewegt.

Ich glaube, dass in dieser Debatte sehr gut zum Ausdruck gekommen ist, mit welchen Unterschieden die einzelnen Fraktionen zu diesem Konflikt stehen. Ich begrüße – mit Ausnahme der Positionierung der Linkspartei hier – alle Statements der Vorredner. Herr Dr. Gysi, auch wenn Sie versucht haben, das in eine rhetorisch geschickte Form zu kleiden – was keine seltene Eigenschaft von Ihnen ist –, muss ich wirklich sagen: Ich habe von Ihnen heute deutlichere Worte zur Positionierung der Linkspartei erwartet, auch was das Selbstverteidigungsrecht Israels angeht. Ich habe mir schon gewünscht, dass sich Ihre Partei abgrenzt und deutlich sagt, wie sie zu den Demonstrationen in Deutschland steht, an denen auch der eine oder andere von der Linkspartei teilnimmt. Ich hätte mir von Ihnen wesentlich härtere Aussagen gewünscht.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])

Ursache und Wirkung dürfen bei diesem Krieg nicht verwechselt werden; das hat die Bundeskanzlerin aus meiner Sicht zu Recht gesagt. Wir erleben, dass die einzige Demokratie im Nahen Osten, nämlich Israel, unter Druck gerät und dass von der Hamas versucht wird, die Zivilbevölkerung dauerhaft zu terrorisieren. Es ist von Vorrednern schon gesagt worden: Es geht nicht nur um die Gebiete, die jetzt beschossen werden; vielmehr nimmt die Reichweite der Raketen teilweise zu. Es ist das Ziel der Terroristen, ganz Israel unbewohnbar zu machen. Das stimmt nicht mit unserer Staatsräson überein. Wir bekennen uns ganz klar zum Existenzrecht Israels und unterstützen dies; deshalb sind wir bereit, dort an der Seite Israels Partei zu ergreifen.

Seit dem Abzug der israelischen Armee aus dem Gazastreifen im Jahr 2005 haben Kämpfer der Hamas Israel bis zum heutigen Tag mit Tausenden von Raketen beschossen. Allein im vergangenen Jahr sind 1 570 Raketen und 1 500 Mörsergranaten abgefeuert worden. Dieser Terror kann eine demokratische Gesellschaft beeinflussen und in ihr selbst Erosionsprozesse lostreten. Genau das ist das Ziel, das die Terroristen verfolgen. Teilweise haben sie es auch erreicht: Heute stellt man fest, dass der Entschluss, nach Israel zu ziehen, bei jungen Israelis, die auch den Pass eines anderen Staates haben, gar nicht so ausgeprägt ist. Vielmehr sagen viele: Ich bleibe lieber in dem Land, in dem ich sicher bin. – Allein die Tatsache, dass junge Leute heute ihrer eigenen Sicherheit zuliebe nicht bereit sind, in Israel zu leben, ist für uns eine Verpflichtung, uns für diesen Friedensprozess einzusetzen und zu versuchen, ihn wieder auf den richtigen Weg zu bringen.

Ich begrüße die Initiativen, die auf europäischer Ebene ergriffen werden. Ich begrüße das, was unsere Bundeskanzlerin mit dem französischen Staatspräsidenten vereinbart hat, und auch das aktive Handeln des Bundesaußenministers in den vergangenen Tagen und bei der heute anzutretenden Reise. Wir in Deutschland müssen aber auch sehen, wie sich die innerdeutsche Debatte entwickelt. Ich habe versucht, herauszufinden, wie die Meinungsbildung in anderen europäischen Ländern aussieht; das ist relativ schwierig. Allerdings stellt man heute fest, dass die Ressentiments gegenüber Israel auch in Deutschland nach wie vor sehr stark ausgeprägt sind. Auch jüngste Umfragen – sie sind vom heutigen Tag – zeigen, wie kritisch unsere eigene Bevölkerung das sieht. Deshalb müssen wir an dieser Stelle deutlich machen – dabei spielen der Deutsche Bundestag als Organ und die einzelnen Parlamentarier eine große Rolle –, dass zu unserer Staatsräson das Existenzrecht Israels gehört und dass wir deshalb keinerlei Verbrüderung oder Sympathie mit Terroristen zulassen dürfen.

Es gibt befremdliche Vorgänge; Herr Trittin hat es vorhin schon angesprochen. Wenn bei einer Demonstration in Duisburg eine Israel-Fahne aus dem Fenster gehängt wird, Steine fliegen und die Polizei mit Blick auf den wütenden Mob schon fast in vorauseilendem Gehorsam nicht als Erstes die Steinewerfer festnimmt, sondern versucht, in die Wohnung hineinzukommen, um die Fahne einzuholen, dann muss ich mich wirklich fragen, welche Außenwirkung dieser Vorgang hat. Herr Trittin, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie es angesprochen haben. So etwas darf sich nicht wiederholen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir dürfen Ursache und Wirkung nicht verwechseln. Deshalb müssen wir immer auf die Geschichte der Hamas blicken, die an vielen Stellen deutlich gemacht hat, wie sie sich politische Agitation vorstellt. In der Gründungscharta der Hamas – Herr Kollege Klose und Herr Kollege von Klaeden haben sie bereits zitiert; ich will es auch tun – steht:

Friedensinitiativen und sogenannte Friedensideen oder internationale Konferenzen widersprechen dem Grundsatz der Islamischen Widerstandsbewegung. ... Für das Palästina-Problem gibt es keine andere Lösung als den Jihad.

Solange das die Position der Hamas ist, gibt es keine Möglichkeit, in direkte Verhandlungen mit ihr zu treten. Unsere Fraktion ist der Meinung, dass ein Friedensprozess in Gang zu bringen ist, aber dafür bestimmte Voraussetzungen gegeben sein müssen. Die Voraussetzung kann nicht sein, das politische Programm der Hamas zu akzeptieren.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Ich schließe die Aussprache.

Quelle: Stenografischer Bericht des Deutschen Bundestags, 16/198, S. 21452-21465; www.bundestag.de


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