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Saakaschwili in Beweisnot

EU-Beobachter für Georgien im Anmarsch

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Der Chef der künftigen EU-Beobachtermission in Georgien, der deutsche Diplomat Hansjörg Haber, hat erste Gespräche in Tbilissi aufgenommen. Der Konflikt zwischen Russland und Georgien beschäftigt nach wie vor nicht nur die Kontrahenten, sondern auch internationale Organisationen.

Während der 55-jährige Hansjörg Haber, Chef einer künftig 200-köpfigen Truppe unbewaffneter EUBeobachter, am Montag mit Regierungsvertretern in Tbilissi sprach, traf in Moskau eine Delegation des Europarates ein. Sie will sich über die neuesten Entwicklungen informieren und Vorwürfen von Menschenrechtsgruppen nachgehen, die Exekutionen ohne Gerichtsbeschluss, Folterungen von Kriegsgefangenen und Misshandlungen von Zivilisten – auf beiden Seiten – beklagen. Für Mittwoch hat Schwedens Außenminister Carl Bildt seine Kollegen aus den 47 Staaten des Europarats zu einem Treffen am Rande der UN-Vollversammlung eingeladen, um über das künftige Vorgehen im Kaukasus-Konflikt zu beraten.

Aber auch die UN-Vollversammlung selbst wird mit der Kaukasus-Krise beschäftigt werden. In seiner für den heutigen Dienstag geplanten Rede will Georgiens Staatschef Michail Saakaschwili »wasserdichte« Beweise dafür vorlegen, dass Russland seine Truppen bereits vor Beginn der georgischen Offensive am 8. August in Südossetien einrücken ließ. Demzufolge sollen Panzerfahrzeuge den Roki-Tunnel bereits am 7. August passiert haben. Das, so ließ die Staatskanzlei in Tbilissi verbreiten, gehe aus einem Gespräch zweier Grenzschützer in Südossetien hervor, das georgische Geheimdienste mitgeschnitten haben. Nach russischen Angaben handelte es sich lediglich um Transporte zur Versorgung der russischen Friedenstruppen in Südossetien.

Ob Saakaschwili nach New York fliegt, war bis zuletzt unklar. In Tbilissi fürchtet man offenbar, Russland, das den georgischen Luftraum in Teilen nach wie vor kontrolliert, könnte die Rückkehr der Präsidentenmaschine verhindern. Dmitri Medwedjew hatte seinen georgischen Kollegen vergangene Woche bei einem Treffen mit Intellektuellen im Kreml schon als »politische Leiche« bezeichnet.

Für Lewan Berdsenischwili, Chef der Republikanischen Partei Georgiens, ist Saakaschwili bereits seit Herbst 2007, als er eine Protestkundgebung der Opposition mit Wasserwerfern auflösen ließ, eine politische Leiche. Ausgerechnet Moskau sorge nun mit seinen Attacken für deren Wiederbelebung. Denn diese Angriffe hielten die Massen davon ab, ernsthaft nach den wahren Gründen des Krieges und der Schuld der georgischen Führung zu fragen. Zumal die staatliche Propagandamaschine auf vollen Touren läuft und den Georgiern weismachen will, sie hätten den Krieg gewonnen. Allerdings nur im Prinzip. Um den Okkupanten – gemeint sind russische Soldaten in Südossetien und Abchasien – nicht in die Hände zu spielen, müsse die Opposition sich mit Kritik am Präsidenten dennoch zurückhalten.

Um seinen Gegnern Wind aus den Segeln zu nehmen, stimmte Saakaschwilis Vereinigte Nationale Bewegung am Wochenende einem Vorschlag der Opposition zur Einsetzung einer Parlamentskommission zu. Diese soll das Vorgehen des Militärs während des Krieges untersuchen. Kritische Beobachter vermuten, Saakaschwili wolle damit von eigenen Fehlleistungen ablenken und plane größere Säuberungen der Streitkräfte und paramilitärischer Strukturen, vor allem der Geheimdienste. Immerhin soll eine Gruppe hoher Offiziere mehrfach vor den Risiken einer militärischen Auseinandersetzung mit Russland gewarnt haben.

* Aus: Neues Deutschland, 23. September 2008


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