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"Jetzt haben wir die moderne Art der Diktatur des Kapitals"

Gespräch mit Lampros Savvidis und Martin Seckendorf. Über die antigriechische Hetzkampagne, die Folgen der deutschen Besatzung Griechenlands und die Perspektiven der Proteste gegen die Auflagen von EU und Internationalem Währungsfonds

Lampros Savvidis lebt seit 1968 in der Bundesrepublik. Er ist Mitglied der Linkspartei und der Hellenischen Gemeinde zu Berlin e. V.
Martin Seckendorf ist Historiker und Mitglied der Gesellschaft für Weltkriegs- und Faschismusforschung e. V. Beide leben in Berlin.



Wie fühlt man sich als Emigrant oder als griechischer Deutscher angesichts der Hetzkampagne gegen Griechenland?

Lampros Savvidis: Ich fühle mich nicht mehr als Emigrant oder Migrant, weil ich schon seit 1968 hier lebe und deutscher Staatsbürger geworden bin. Was seit November und Dezember bis heute passiert ist – es begann wohl im Spiegel–, war sehr schmerzlich. Ich habe noch nie erlebt, daß ein Volk so verleumdet, diffamiert und beleidigt wird. Persönlich wurde ich noch nicht beschimpft, meine Freunde halten zu uns, aber ich fühle mich sehr schlecht. Ich weiß nicht, wie die Mehrheit der deutschen Bürger über uns denkt. Das ist ein Riesenproblem.

Wie bewerten Sie solche Schlagzeilen wie in Bild »Also doch: Die Griechen wollen unser Geld« oder »Hier bettelt der Grieche um unsere Milliarden« oder ähnliches in Spiegel und Focus?

Savvidis: Zuletzt sah ich bei RTL eine solche Hetze. Günther Jauch, den ich für einen recht guten Journalisten hielt, befragte jemanden, der beim Bundesverfassungsgericht gegen die Hilfe für Griechenland geklagt hatte und für dessen Rauswurf aus der Euro-Zone war. Jauch ließ dort eine Zuschauerumfrage machen mit: »Haben die Griechen mit Recht Unterstützung bekommen oder nicht?« 93 Prozent waren gegen Griechenland. Solche Manipulation und Hetze schockieren natürlich.

Griechenland wurde im Zweiten Weltkrieg vom faschistischen Deutschland besetzt. Über die Verbrechen der Wehrmacht dort wird in der Bundesrepublik seit jeher weitgehend geschwiegen. Wie sind Ihre Erfahrungen?

Savvidis: Diskussionen darüber hatte ich von Anfang an, vor allem bei meinen Studentenjobs in verschiedenen Firmen in Westberlin. Das begann zumeist mit Diskussionen über Kriegsverbrechen der »Russen«, also der sowjetischen Armee. Wenn ich fragte, wer wen angegriffen und wer unerhörte Verbrechen begangen hatte, wollte keiner die Wahrheit hören. Wenn ich dann noch über Griechenland sprach – es war einer der Staaten, in denen bewaffneter Widerstand geleistet wurde – fand man das nicht gut. Leider ist das Verhältnis beider Länder bis heute gestört. Es gibt keine Regulierung der Schäden, und ich frage mich, warum? Viele Deutsche wollen davon nichts wissen, aber leider auch viele Griechen nicht. Die Regierungen in Athen sind dem nie nachgegangen. Nur in letzter Zeit gibt es in einigen griechischen Medien Berechnungen der Kriegsschäden, die Zeitung Veto kam dabei nach heutiger Währung auf etwa eine Billion Euro. Sie hat die Entschädigung aller Opfer von Exekutionen oder Kriegshandlungen einbezogen. Auf jeden Fall handelt es sich angesichts der Verluste und Schäden um eine gigantische Summe. Es ist nötig, daß diese Frage endlich zu Sprache kommt. Ich fordere vom griechischen Ministerpräsidenten Giorgios Papandreou, dies endlich zu tun, und von der Bundesregierung, ihre Arroganz zu beenden.

Wie ist der Stand auf diesem Gebiet?

Martin Seckendorf: Am 23. Dezember 2008 hat es eine dramatische Wende gegeben. Die Merkel/Steinmeier-Regierung hat an diesem Tag eine Klage beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag gegen Italien eingereicht, übrigens mit Zustimmung Berlusconis. Darin verlangt die Bundesregierung, daß die italienische Justiz in Zukunft das Prinzip der Staatenimmunität anerkennen soll, weil sich Italien sonst einen schweren Völkerrechtsbruch zuschulden kommen läßt und Sanktionen möglich wären. Der Hintergrund ist, daß italienische Gerichte festgestellt haben, daß die Forderungen griechischer und italienischer Opfer zu Recht bestehen. Sie haben die Bundesrepublik zu Schadenersatz verurteilt und Vollstreckungstitel gegen deutsches Eigentum in Italien überreicht. Das zwang die deutsche Regierung nach jahrelanger arroganter Ignoranz zum Eingreifen.

Man hofft, daß es 2011 einen Spruch des Internationalen Gerichtshofes geben wird, aber ich bin skeptisch, ob die Klage abgewiesen wird. Ich habe mich mit der Entschädigung für Griechenland seit etwa 20 Jahren befaßt, und meine Haltung war stets, daß man den sehr unsicheren und sehr teuren Weg durch die Justizinstanzen gehen muß, um erstens Öffentlichkeit und einen Schuldtitel zu erreichen. Zweitens ist meine Auffassung aber, daß das nicht reicht, sondern daß antifaschistische Historiker eine Lobby für die Griechen hier in Deutschland bilden müssen. Das beruht auf der Erfahrung, daß der Zweite Weltkrieg in Griechenland bis auf die »glorreichen Siege der deutschen Fallschirmjäger in Kreta« im breiten öffentlichen Bewußtsein hier nie vorhanden war. Es gab Unterschiede zwischen Ost und West, aber das gleicht sich nun nach unten an. Ich will nur einige grundlegende Zahlen sagen, um anzudeuten, worum es geht: In 44 Monaten deutsche Besatzungszeit vom 6. April 1941 bis zum 2. November 1944 wurden über 400 Dörfer im Zuge von Vergeltungsmaßnahmen zerstört, d.h. in Griechenland gab es wöchentlich zwei Oradour oder zwei Lidice.

Nach Abzug der Deutschen war jeder sechste Grieche obdachlos, mehr als Dreiviertel der Gleisanlagen, fast alle Bahnhöfe sowie beinahe alle Eisenbahnen, Straßen, Brücken, Tunnel und alle wichtigen Hafenanlagen waren zerstört. Die Konferenz der Siegermächte hat diese materiellen Zerstörungen 1946/1947 auf ungefähr sieben Milliarden US-Dollar nach damaligem Wert geschätzt. Am schwerwiegendsten waren aber die Menschenverluste. Während einer Hungersnot im Winter 1941/42 starben allein im Ballungsraum Athen fast 100000 Menschen an Hunger, nach Schätzung des Roten Kreuzes waren es im ganzen Land bis Mitte 1943 etwa 350000 Menschen. Die Säuglingssterblichkeit stieg auf 80 Prozent.

Hinzu kam der Raubzug der Besatzungstruppen. Mussolini soll laut Tagebuch seines Schwiegersohns über die Deutschen gesagt haben, »...die tragen den Griechen noch den letzten Schnürsenkel davon«. Für die deutsche Industrie war das Beutemachen äußerst lukrativ. Der Bergassessor Hans-Günther Sohl von der Friedrich Krupp AG, der von 1953 an 20 Jahre Thyssen-Chef war, notierte, daß die gesamte griechische Bergbauproduktion in zehn Tagen zu Beginn der Okkupation langfristig für Deutschland gesichert wurde. Das sei das lukrativste Geschäft gewesen, das er je erlebt habe.

Die Besatzungskosten waren die höchsten, die in einem okkupierten Land erhoben wurden. Nur in Italien wurde es später mehr. Mit ihnen wurde u.a. der Krieg in Nordafrika mitfinanziert. 70 Prozent des Nachschubs für Rommel gingen über Kreta, die Schiffe und Flugzeuge dafür wurden in Griechenland repariert. Das mußte das Land bezahlen. Die griechische Kollaborationsregierung in Athen behalf sich damit, daß sie die Notenpresse anwarf. Die Folge war eine der schlimmsten Inflationen in der europäischen Finanzgeschichte. Es sind unvorstellbare Zahlen. Dadurch wurde die griechische Wirtschaft zerrüttet, dem Land drohte das Chaos. 1944 waren etwa 65 bis 70 Prozent des gesamten Drachmenumlaufs für den Wehrmachtsbedarf vorgesehen. Diese wirtschaftliche Not verschärfte den Widerstandskampf, die Partisanenbewegung erhielt ungeheuren Zulauf. Damit setzte sich eine Spirale in Gang. Die Deutschen beantworteten den gesteigerten Aufruhr mit verstärktem Terror, der wiederum mehr Menschen in den Widerstand trieb.

Als 1942 die Besatzungskosten explodierten, sagte Hitler seinem Beauftragten für das Land: »Nun sagt doch den Griechen, das sind nicht Besatzungskosten, sondern das sind Aufbaukosten.« Der wiederum beschied dem Kollaborationsministerpräsidenten Ioannis Rallis: »Wir lassen die Besatzungskosten 1942 auf einem bestimmten Niveau stehen. Was wir darüber hinaus brauchen, gebt ihr uns als Kredit, das bekommt ihr nach dem Krieg wieder.« Also praktisch ein Staatskredit, den die griechische Seite auf 500 Millionen Reichsmark beziffert.

Neben den Hungertoten wurden mehrere zehntausend Menschen jeden Alters und Geschlechts Opfer sogenannter Vergeltungs- oder Sühnemaßnahmen. 7,2 Prozent der Vorkriegsbevölkerung starben als Folge von Krieg und Okkupa­tion. Griechenland steht in dieser Hinsicht nach Sowjetunion, Polen und Jugoslawien an vierter Stelle unter den faschistisch besetzten Ländern. In den letzten Sommermonaten 1944 wurden täglich zwischen 106 und 110 Griechen ermordet. Und noch etwas: Die deutsche Seite hat sich bei der Deportation und Ermordung der griechischen Juden erheblich bereichert. Insgesamt wurden 59000 jüdische Menschen umgebracht, darunter die Gemeinde von Thessaloniki, die 2000 Jahre existiert hatte. Das »Jerusalem des Westens« wurde in wenigen Wochen vernichtet. Vor allem aber: Von Anfang bis Ende verübte vor allem die Wehrmacht diese Verbrechen.

So wie der in Bonn nach dem Krieg wohlbestallte Professor Wilhelm Krelle (1916–2004), Ehrendoktor der Humboldt-Universität 1994.

Seckendorf: Der war Hauptmann in Nordgriechenland und sollte der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität nach 1990 den Kommunismus austreiben. Von ihm wird der Satz zitiert: »Kein Marxist wird seinen Fuß über die Schwelle dieses Hauses setzen, solange ich hier das Sagen habe.« Damals wirkte er an der Bekämpfung der Widerstandsbewegung mit.

Aber ich möchte noch hinzufügen: Alle diese Verluste und Zerstörungen kamen zustande, obwohl es bis auf 14 Tage im April 1941 keinen militärischen Großkampf in Griechenland gab. Das ist wichtig, weil der Bundesgerichtshof bei der Abweisung einer Klage griechischer Opfer noch 2003 behauptete, all das seien Folgen »normalen Kriegsgeschehens«. Tatsächlich waren es Racheakte der Wehrmacht am widerspenstigen griechischen Volk.

Was ist mit der Zahlung, die von der Bundesrepublik vor 50 Jahren geleistet wurde?

Seckendorf: 1960 haben die Bundesrepublik Deutschland und Griechenland ein Entschädigungsabkommen über Leistungen zugunsten griechischer Staatsangehöriger, die von nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen betroffen waren, abgeschlossen. Seinerzeit wurden 115 Millionen D-Mark in Raten gezahlt. Eine nicht unbeträchtliche Summe für die damalige Zeit. Es ging vor allem um die Opfer des Holocaust; im Artikel 3 des Vertrages steht: »...damit sind alle Ansprüche griechischer Staatsangehöriger abschließend geregelt.«

Wurde das von griechischer Seite unterschrieben?

Ja, aber dieser Passus wird praktisch dadurch aufgehoben, daß der Briefwechsel zwischen der Bundesrepublik und Griechenland zu dem Gesetz gehört. Da heißt es nun wieder: Die griechische Regierung behalte sich vor, mit der Regelung weiterer Forderungen an die Bundesrepublik heranzutreten.

Das hebt aber die andere Passage auf...

Seckendorf: Genau. In dem Begleitgesetz zu diesem Vertrag steht: »Dem dazugehörigen Briefwechsel wird zugestimmt.« Das bedeutet: Wenn die Bundesregierung heute den Standpunkt vertritt, in dieser Frage gäbe es nichts mehr mit Griechenland zu besprechen, dann bezieht sie sich nur auf den einen Teil und läßt den anderen weg, während die griechische Seite erklärt: »Diese Frage ist offen, wir wollen jetzt bloß nicht darüber reden.« Das ist im Moment der Stand.

Am 8. September 2001 erklärte der damalige griechische Ministerpräsident Konstantinos Simitis, ein Duzfreund Gerhard Schröders, aus Anlaß der Thessaloniki-Messe, es müsse noch einmal über die Reparationsforderungen gesprochen werden. Dann kam der 9. September, und alles verlief im Sand.

Ändert sich jetzt die griechische Zurückhaltung in dieser Frage?

Savvidis: Vielleicht bei einigen Politikern und Medien. Ich verstehe aber nicht, daß die griechische Politik bei aller Abhängigkeit von der EU und von den wirtschaftlichen Verhältnissen sich so verhalten hat.Wenn es um die Wahrheit der Geschichte meiner Heimat geht, ist das nicht zu entschuldigen. Die italienische Gerichtsbarkeit hat für uns gut gekämpft, aber nicht die griechischen Politiker.

Eine Folge des Zweiten Weltkrieges war der griechische Bürgerkrieg, der bis 1949 dauerte und die Nachkriegsgeschichte prägte. Welche Rolle spielte das alles noch, als Sie nach dem Militärputsch am 21. April 1967 in Griechenland in die Bundesrepublik kamen?

Savvidis: Der Bürgerkrieg hat enorme Spuren hinterlassen. Mein Vater ist Kommunist und hat mich sehr früh an Politik heangeführt. Der Haß auf Linke, auf Menschen, die nach Freiheit und Demokratie strebten, war in Griechenland ungeheuer groß und umgekehrt auch. Ich erinnere mich, daß noch im Wahlkampf 1961 bei uns im Dorf Menschen, die demokratische Linke wählen wollten, aus ihren Häusern geholt und verprügelt wurden. Mit diesem Terrorwahlkampf war aber auch das Ende der Ära des konservativen Ministerpräsidenten Konstantinos Karamanlis eingeleitet. 1963 wurde Georgios Papandreou, der Großvater des heutigen Ministerpräsidenten, mit großen Hoffnungen gewählt. Damals gab es in der Stadt, in der ich aufs Gymnasium ging, immerhin schon eine linke Zeitung, die Agvi, die man bis dahin nicht öffentlich kaufen konnte. Aber der Mann, der ursprünglich eine Marionette der USA war, wurde für sie zum Problem und mußte 1965 zurücktreten. Als er dann 1967 vor einem großen Wahlsieg stand, kam der Militärputsch. Papandreou kam sofort in Arrest. Dieser Staatsstreich war ein Komplott von USA und NATO gegen die Demokratisierung Griechenlands. Für mich persönlich bedeutete das: In Griechenland darf ich nicht studieren. Deswegen kam ich in die Bundesrepublik, wo schon drei Geschwister von mir als »Gastarbeiter« waren.

Das Asyl wurde gewährt, obwohl Bundesrepublik und Griechenland NATO-Mitglieder waren.

Savvidis: Ja, aber um die paradoxe Situation zu beschreiben, folgende Geschichte: Es gab immer Versuche der Athener Junta, alle griechischen Organisationen in der Bundesrepublik unter ihre Fittiche zu nehmen und sie zu kontrollieren. Als der Jahrestag des Putsches offiziell 1971 hier von ihnen gefeiert werden sollte, haben wir, d.h. linke und antifaschistische Organisationen, das nicht zugelassen. Ich war damals als Organisator eines Studentenbundes bei einer großen Demonstration vor dem Generalkonsulat in Düsseldorf dabei.

In der Bundesrepublik hat die Militärdiktatur den Putschtag offiziell gefeiert?

Savvidis: Ja, das war so. Damals aber hatten wir den SPD-Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Heinz Kühn, auf unserer Seite. Die Polizei hat uns geschützt und die Leute, die unsere Sperrkette sprengen wollten, verprügelt, d.h. es gab unter den Faschisten Verletzte. So haben sich die Zeiten im Vergleich zu heute geändert.

Seckendorf: Man kann den Beginn des Bürgerkrieges fast auf den Tag genau datieren. Am 7. April 1943 wurde Ioannis Rallis Kollaborationsministerpräsident. Die Deutschen waren in der strategischen Defensive und konnten keine Truppen mehr nach Griechenland schicken, weil die Ostfront alles absorbierte. Sie verfielen auf den perfiden Plan, Griechen auf die deutsche Seite zu ziehen und sie gegen Griechen in den Kampf ziehen zu lassen. Der Auftrag an Rallis lautete, den Unterhalt der Wehrmacht zu besorgen und den Kommunismus zu bekämpfen. Die Deutschen bewaffneten ihre Kollaborateure und stellten Sicherheitsbataillone gegen den kommunistischen Widerstand auf. Diese zumeist blutbefleckten Leute wurden von den griechischen Nachkriegsregierungen in ihre Sicherheitsorgane eingebaut.

War auch die Diktatur von 1967 bis 1974 noch eine indirekte Folge dieser deutschen Politik?

Savvidis: Zumindest gab es bis dahin auch viele personelle Kontinuitäten. Denn das alles geschah seit 1943 mit Zustimmung der Briten.

Seckendorf: Ab Oktober 1943 gab es Gespräche zwischen Wehrmacht und Briten, die 1944 in ein einzigartiges Abkommen mündeten, das Hitler gebilligt hat. Es lautete in Kurzfassung: Wir ziehen ab und ihr, die Briten, geht in die geräumten Zonen hinein, damit die kommunistischen Partisanen sie nicht übernehmen. Diese Übergabe hat vielfach geklappt. Es gab keine Befreiung, sondern eine Übergabe der Okkupation.

Die derzeitige Krise betrifft alle Griechen, die nicht gerade Millionäre sind. Welche Auswirkungen hat das auf die Hellenische Gemeinde hierzulande?

Savvidis: Wir äußern uns nun auch zu politischen Vorgängen wie dieser Hetzkampagne. Wir haben z.B. am 25. Februar einen offenen Brief an verschiedene Medien, Parteien und Politiker in Griechenland und Deutschland gerichtet, und den Leuten dort unsere Meinung gesagt. Das fand in Griechenland große Beachtung. Und wir beteiligen uns auch an Protestaktionen hier. Kürzlich haben wir im Griechischen Kulturzentrum Berlin-Steglitz einen internationalen Solidaritätskreis gegründet, um den Widerstand des griechischen Volkes zu unterstützen.

Welche Aussichten hat der Widerstand in Griechenland gegen die angekündigten sozialen Kürzungen?

Savvidis: Wie ich meine Pappenheimer kenne, wie man auf Deutsch sagt, werden sie das nicht so leicht hinnehmen. Als hier die Agenda 2010 beschlossen wurde, waren keine großen Gewerkschaften bei den Demonstrationen dabei. Aber jetzt hatten wir in Athen schon 200000 auf der Straße. Sie müssen sich vorstellen: In Deutschland kostet z.B. die Milch ab 60 Cent der Liter, in Griechenland 1,50 Euro. Wenn die Kürzungen in Kraft treten, wird es nach meiner Auffassung ständige Unruhen geben – bis hin zum Sturz der Regierung.

Welche Möglichkeiten sehen Sie, von hier aus Solidarität zu leisten?

Savvidis: Ich bin voller Hoffnung, weil praktisch alle gezwungen sind zu kämpfen, weil die Möglichkeit da ist, daß verschiedene politische Gruppierungen sich vereinigen. Was gerade passiert, ist eine enorme Veränderung in Europa: Wir in Griechenland haben vor 40 Jahren die Militärdiktatur gehabt. Jetzt haben wir die moderne Art der Diktatur des Kapitals. Mit Griechenland fängt es an, aber ich glaube, daß wir in naher Zukunft Schlimmes auch in anderen Ländern erleben werden. Das ist das Resultat dessen, daß nach dem Verschwinden der Sowjet­union dem Kapitalismus Tür und Tor geöffnet waren. Ich glaube, daß sich viele Menschen auf einer gemeinsamen Minimalbasis dagegen verständigen können und müssen.

Interview: Arnold Schölzel

* Aus: junge Welt, 29. Mai 2010


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